L 6 B 158/09 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 33 (33,23) AS 386/08
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 B 158/09 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des SG Dortmund wird geändert. Dem Kläger wird ab dem 19.05.2009 für das Klageverfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Q, I, bewilligt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der Kläger begehrt für die Zeit ab dem 01.03.2008 höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs gem. § 21 Abs. 5 SGB II. Nachdem die Beklagte ihm zuvor einen monatlichen Betrag von 30,68 EUR für ernährungsbedingten Mehrbedarf bewilligt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 31.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2008 die weitere Gewährung unter Bezugnahme auf ein Aktengutachten der Ärztin H vom 24.01.2008 ab. Danach bedinge die Harnsäureerhöhung im Blut allein eine modifizierte Normalkost, die ebenso wie eine Reduktionskost keine Mehrkosten im Vergleich zur Ernährung gesunder Personen verursache. Gleiches gelte für den Leberparenchymschaden. Die weiteren Krankheitsbilder Polyneuropathie bzw. Polyarthrose erforderten ebenfalls keine besondere Kostform und führten damit auch nicht zu Mehrkosten.

Mit der am 21.04.2008 bei dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und hat am 19.05.2008 den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Zur Begründung hat er sich neben den Gesetzesmaterialien zum ernährungsbedingten Mehrbedarfszuschlag auf die "Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" aus dem Jahre 1997 bezogen. Es bestehe keine Veranlassung, von diesen Empfehlungen abzuweichen.

Das SG hat mit Verfügung vom 11.02.2009 Befund- und Behandlungsberichte behandelnder Ärzte eingeholt und diese ergänzend befragt, ob der Kläger einer besonderen, von normaler Vollkost abweichenden Ernährung bedürfe, die Mehrkosten verursache. Der Hausarzt C vertrat die Auffassung, die Erkrankungen erforderten ein diszipliniertes Essverhalten mit einer von der normalen Vollkost abweichenden Ernährung, der damit verbundene Kostenaufwand liege durchaus etwas höher als normal. Die anderen Ärzte verneinten krankheits-/ernährungsbedingte Mehrkosten oder nahmen zu der Frage nicht Stellung. Die Beklagte legte eine weitere ärztliche Stellungnahme vor, wonach sich auch nach Auswertungen dieser Unterlagen medizinisch eine kostenaufwändigere Ernährung nicht belegen lasse.

Durch Beschluss vom 12.11.2009 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt, da die Hyperurikämie ebenso wie die anderen Krankheitsbilder nach der Neufassung der Empfehlungen des Deutschen Vereins, 3. Auflage 2008 nicht (mehr) als mehrbedarfsauslösende Erkrankungen anzusehen seien. Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 könnten - so auch die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22.07.2009 - L 19 AS 41/08) - ohne weiteres auf die Zeit vor deren Erscheinen zum 01.10.2008 angewendet werden.

Mit seiner am 04.12.2009 erhobenen Beschwerde hat der Kläger geltend gemacht, ihm sei PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt Q zu bewilligen. Das SG hätte zu einem früheren Zeitpunkt über seinen Antrag entscheiden können. In dem angefochtenen Beschluss werde Bezug genommen auf eine Rechtsprechung des LSG 14 Monate nach Beantragung der PKH. Im Zeitpunkt seines Antrags habe die Klage noch hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Dem Kläger ist für das Klageverfahren PKH zu bewilligen.

Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) u. A., dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese besteht, wenn das Gericht den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73 a Rn 7a; LSG NRW Beschluss vom 29.08.2005 L 6 B 10/05 SB m.w.N.). Der für die Beurteilung der Voraussetzungen der PKH maßgebliche Zeitpunkt ist grundsätzlich der der Entscheidungsreife des Bewilligungsgesuchs, d.h. der Zeitpunkt, in dem alle für die Entscheidung über den Antrag erforderlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Tatsachen gem. §§ 117, 118 ZPO aus dem Vortrag des Antragstellers und den Akten zu entnehmen sind (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.10.2008 - L 19 B 11/08 AL mwN; Leitherer, a.a.O., § 73a Rn 7d; Knittel in Hennig, SGG, Stand Februar 2009, § 73a Rdnr. 15; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 422 - zur herrschenden Rechtsprechung -, Reichold in Thomas/Putzo, 30. Aufl. 2009, § 119 Rn 4; Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 119 Rn 44; aA Wax in Münchener Kommentar, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 114 Rn. 161). Andernfalls würde der Zweck der PKH verfehlt, auch dem Bedürftigen Rechtsschutz zu ermöglichen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebieten Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Beschluss vom 26. Juni 2003 1 BvR 1152/02 SozR 4-1500 § 73a Nr.1). Damit in Einklang zu bringen ist es nicht, wenn das Gericht zuwarten und etwa durch entsprechende Ermittlungen die Frage des Erfolges endgültig klären könnte. Prozesskostenhilfe soll nicht den Erfolg in der Hauptsache prämieren, sondern den Rechtsschutz nur ermöglichen (BVerfG a.a.O, s auch Senatsbeschluss vom 27.01.2010 L 6 B 27/09 SB).

Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist danach, ohne dass es hier einer weiteren Präzisierung bedarf, Ende Juli 2008, denn seit dem 14.07.2008 lagen das vollständig ausgefüllte und mit den geforderten Anlagen versehene Formular nach § 117 ZPO und die Verwaltungsakten beim SG vor.

Bis zu diesem Zeitpunkt und auch darüber hinaus hatte die Klage auch aus Sicht des SG hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn von seinem Rechtsstandpunkt aus hat sich das SG ausweislich seiner Verfügung vom 11.02.2009 gedrängt gesehen, in die Beweisaufnahme einzutreten und von den behandelnden Ärzten Befund- und Behandlungsberichte mit ergänzender Stellungnahme anzufordern, um die Voraussetzungen des erhobenen Anspruchs zuverlässig beurteilen zu können (zur Notwendigkeit, den krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelfall konkret abzuklären s BSG Urteile vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R und vom 15.04.2008 - B 14/11 b AS 3/07 R, Juris). Im Falle von Beweiserhebungen kann die Erfolgsaussicht aber in der Regel nicht verneint werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn 7a; ständige Rspr des erkennenden Senats z.B. Beschlüsse vom 31.03.2009 L 6 B 31/09 AS und 27.01.2010 – L 6 B 27/09 SB).

Bei Bewilligungsreife im Juli 2008 waren im Übrigen die Empfehlungen des Deutschen Vereins, Stand 1997, heranzuziehen. Diese Empfehlungen 1997 wiederum sahen Mehrbedarfsleistungen bei der für den Kläger attestierten Harnsäureerhöhung im Blut vor (vgl. hierzu die Tabellen bei Lang/Knickrehm, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., 2008, § 21 Rn. 53 bzw. Münder in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 Rn. 32).

Das Erscheinen der neuen Mehrbedarfsempfehlungen zum 01.10.2008 ändert an dieser (damaligen) Beurteilung der Sach- und Rechtslage nichts.

Das Gericht hält die Rechtsprechung des 19. Senats des LSG NRW ( Beschluss des LSG NRW vom 22.07.2009 - L 19 AS 41/08) für zutreffend, dass die neue, dritte Auflage der Empfehlungen auch für Zeiträume vor dem 01.10.2008 Geltung beanspruchen. Wenn auf dieser Grundlage die Klage auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (mehr) bietet, so dürfte dies für die Zeit vor dem 01.10.2008, möglicherweise sogar - worauf der Kläger abstellt - bis zur Klärung dieser Rechtsfrage durch den o.a. Beschluss vom 22.07.2009 noch anders zu beurteilen (gewesen) sein.

Hatte die Klage aber im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg, ist dem Kläger auch bei insofern nachträglich geänderten Verhältnissen PKH zu bewilligen. Die Bewilligung erfolgt hier ab Antragstellung, da der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit den entsprechenden Belegen eingereicht hatte.

Da der Kläger die Kosten der Prozessführung danach weder ganz noch teilweise aufbringen kann, war ihm ratenfreie PKH zu gewähren.

Kosten des PKH-Beschwerdeverfahrens sind gem. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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