L 4 R 5237/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 4451/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5237/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Sie wendet sich gegen die Feststellung, sie sei schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit außer Stande gewesen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein.

Die am 1970 geborene Klägerin leidet seit der Geburt aufgrund eines perinatalen Sauerstoffmangels mit Hirnschädigung an einer ausgeprägten spastischen Tetraparese mit der Folge einer Abhängigkeit vom Rollstuhl. Sie besuchte bis 30. Juni 1989 eine staatlich anerkannte private Schule für körperbehinderte Kinder und Jugendliche (vgl. Abschlusszeugnis vom genannten Tag). Nach der dort durchlaufenen Praxisstufe folgte vom 03. September 1990 bis 12. Juli 1991 das Berufsvorbereitungsjahr im Körperbehinderten-Zentrum O. in R. mit Erwerb des Hauptschulabschlusses (Abgangszeugnis vom letzten Datum). Vom 26. August 1991 bis 08. Juli 1994 (Ausbildungsabschlusszeugnis vom letzten Datum) durchlief sie in der kaufmännischen Abteilung der Sonderberufsfachschule des Körperbehinderten-Zentrums die Ausbildung zur Bürofachhelferin mit anschließender Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer. Während dieser Ausbildung benötigte sie ebenso wie in der häuslichen Umgebung Unterstützung für die meisten Alltagsaktivitäten, die von eigenen Betreuungspersonen oder von Pflegediensten übernommen werden musste. Der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung führte nicht zu einer Eingliederung in das Arbeitsleben, sodass vom 09. Juli 1994 bis 08. Juli 2001 durchgängig Leistungen wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen wurden. Lediglich vom 21. Januar bis 26. Juni 1996 war die Klägerin als Aushilfskraft in der Verwaltung bei einer Diakoniestation angestellt (Bescheinigung der Diakoniestation B. B. vom 26. Juni 1996). Laut einem Beratungsvermerk des damaligen Arbeitsamts W. vom 05. Februar 2001 kam "wahrscheinlich keine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Frage, da aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen eher Werkstatt für Behinderte sinnvoll" sei. Aufgrund entsprechend eingeleiteter Bemühungen gelang zum 09. Juli 2001 der Einstieg in eine Beschäftigung bei der Körperbehindertenwerkstatt der Paulinenpflege W. in B ... Zum 01. Juni 2005 wechselte die Klägerin zu den R.-Werkstätten der Diakonie S. e.V. in S ... Die Klägerin war mit einer Arbeitszeit von fünf Tagen wöchentlich und vier Stunden täglich beschäftigt. Pflichtbeiträge wurden entrichtet. Ab 04. September 2006 bestand Arbeitsunfähigkeit, die zur vom 12. Dezember 2006 bis 16. Januar 2007 durchlaufenen Heilmaßnahme in den Kliniken S. in K. veranlasste; der dortige Entlassungsbericht des Priv. Doz. Dr. D. vom 16. Januar 2007 nennt außer den bereits genannten perinatalen Schädigungen eine inzwischen aufgetretene lumbale Hyperlordorse mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik und Sensibilitätsstörung rechts. Weiter führte er aus, in beruflicher Hinsicht seien leichte körperliche Tätigkeiten ständig im Sitzen am angepassten Arbeitsplatz im geschützten Rahmen einer Werkstatt für Behinderte drei bis sechs Stunden am Tag möglich, wenngleich sie auf dem freien Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig wäre. Ab 22. Januar 2007 bestand erneut Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin bezog ab 16. Oktober 2006 und 05. März 2007 Krankengeld sowie für die Zeit der stationären Heilmaßnahme Übergangsgeld. Das Arbeitsverhältnis bei den R.-Werkstätten wurde mit 13. April 2007 beendet. Bei der Klägerin sind ein Grad der Behinderung von 100 seit dem 06. November 1989 sowie die Merkzeichen G, aG, H und RF festgestellt. Seit 1994 erhält sie Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III.

Am 01. Februar 2007 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte ohne weitere Untersuchungen in Kenntnis des Entlassungsberichts der Kliniken S. vom 16. Januar 2007 und der zuvor eingeholten Befundberichte durch Bescheid vom 08. Februar 2007 den Rentenantrag ab. Es bestehe eine volle Erwerbsminderung seit Geburt; die Wartezeit von 20 Jahren für Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert seien und dies seitdem unterbrochen seien, sei nicht zurückgelegt.

Mit dem Widerspruch hiergegen wies die Klägerin darauf hin, sie habe ganz offensichtlich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Es sei zweifelhaft, dass Erwerbsminderung bereits seit Geburt vorgelegen habe und deshalb die zwanzigjährige Wartezeit erfüllt sein müsste. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ - wiederum ohne neue medizinische Ermittlungen - den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2007. Es müsse dabei verbleiben, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung nie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe arbeiten können und deshalb Erwerbsminderung bereits seit ihrer Geburt vorliege, so dass für eine Rente die noch nicht erfüllte Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt werden müsse.

Mit der am 04. Juni 2007 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage verblieb die Klägerin dabei, sie habe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Sie habe den Hauptschulabschluss erlangt und im Anschluss hieran eine Lehre als Bürogehilfin erfolgreich durchlaufen. Von 1994 bis 2001 habe sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden, jedoch leider keine Stelle erhalten. Die Bundesagentur für Arbeit habe die entsprechenden Zeiten zur Rentenversicherung gemeldet. Der Hausarzt vertrete die Auffassung, sie sei erst seit 2001 erwerbsgemindert. Immerhin habe sie bis dahin Arbeitslosenhilfe erhalten. Sie legte einen von ihr erstellten Lebenslauf, verschiedene Zeugnisse, die Bescheinigung der Diakoniestation B. B. vom 26. Juni 1996 sowie die "Gutachterliche Stellungnahme" der Nervenärztin Dr. N. vom 09. Januar 2008 vor, welche die bekannten Diagnosen und zusätzlich eine mittelgradige depressive Episode nannte und eine zuletzt eingetretene Verschlechterung bestätigte, sich jedoch zum Zeitpunkt des Eintritts von Erwerbsminderung wiederum nicht äußerte.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und legte die ärztliche Stellungnahme des Internisten Dr. Bu. vom 08. Oktober 2007 vor, der darauf verwies, das Bestehen von voller Erwerbsminderung seit Geburt werde durch die Aussagen der (im Folgenden genannten) behandelnden Ärzte nicht entkräftet. Ein mindestens dreistündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Nervenärztin Dr. N. führte in der Aussage vom 05. Juli 2007 die Diagnosen aus dem Entlassungsbericht der Kliniken S. zuzüglich einer mittelgradigen depressiven Episode auf, während sie die Frage, wie lange die Erwerbsminderung schon bestehe, nicht beantworten könne. Beigefügt war der Bericht des Radiologen Dr. H. vom 22. November 2006, der eine lumbale Hyperlordose ohne segmentale Fehlstellung nannte. Allgemeinärztin Dr. V. gab unter dem 30. Juli 2007 eine Behandlung seit November 2003 an, verwies ebenfalls auf die drohende Entwicklung einer Depression, die durch die "jetzige Situation am Arbeitsplatz" verursacht werde und zu einer drastischen Verschlechterung des Krankheitsbildes führe; Erwerbsminderung sei "seit 2001" anzunehmen. Arbeitsfehlzeiten hätten bis Ende 2005 nur jeweils für wenige Tage bestanden. Beigefügt waren die Arztbriefe der Dr. N. vom 30. Oktober 2006 und 14. Februar 2007 sowie des Dr. H. vom 22. November 2006. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Hä. legte in der Aussage vom 28. Dezember 2007 dar, er habe die Klägerin von 1990 bis November 2003 hausärztlich betreut; sie könne aufgrund der Geburtsschädigung und der hinzugetretenen orthopädischen Schäden nur in einer geschützten Einrichtung tätig sein und diese Einschränkung bestehe schon immer.

Durch Gerichtsbescheid vom 31. Oktober 2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, die vorliegende Erwerbsminderung der Klägerin sei auf die Beeinträchtigungen infolge des perinatalen Sauerstoffmangels zurückzuführen und habe bereits während des gesamten Erwerbslebens angedauert. Die Klägerin habe Arbeiten nur im Sitzen an einem angepassten Arbeitsplatz im geschützten Rahmen einer Werkstatt für Behinderte ausüben können, nicht jedoch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Annahme der Ärztin Dr. V., Erwerbsminderung sei erst 2001 eingetreten, sei nicht nachzuvollziehen, zumal diese Ärztin die Klägerin erst seit November 2003 behandle. Die Aussage des Dr. Hä. sei überzeugender. Nach alledem komme eine Rente erst nach einer Wartezeit von 20 Jahren in Betracht, die noch nicht erfüllt sei.

Hiergegen richtet sich die am 13. November 2008 zum Landessozialgericht eingelegte Berufung der Klägerin. Sie verbleibt dabei, sie habe erfolgreich einen beruflichen Werdegang absolviert. Mithin sei unverständlich, sie als durchgängig erwerbsunfähig zu betrachten. Sie hätte sonst den Belastungen der Ausbildung sowie der Aushilfs- und Praktikumstätigkeit nicht standgehalten. Von 1994 bis 2001 habe sie Pflichtbeitragszeiten bei Arbeitslosigkeit zurückgelegt, die einen erheblichen Teil der Pflichtbeitragszeiten darstellten. Offenbar sei die Agentur für Arbeit der Auffassung gewesen, dass sie (die Klägerin) trotz ihrer erheblichen Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar gewesen sei. Nervenärztin Dr. N. habe auf die nachträgliche erhebliche Verschlimmerung des Leistungsvermögens bei psychischen Problemen hingewiesen. Die depressive Episode könne nicht seit Geburt bestanden haben. Auch sei sie nicht geistig behindert. Trotz Rollstuhlabhängigkeit wäre sie etwa zu Call-Center-Tätigkeiten in der Lage gewesen. In der Werkstatt für Behinderte sei sie völlig unterfordert gewesen. Schließlich habe Ärztin Dr. V. eindrucksvoll die eingetretene nachträgliche Verschlimmerung beschrieben und eine Erwerbsminderung seit 2001 angenommen, während die gegenteilige Auffassung des Dr. Hä., Erwerbsminderung habe stets bestanden, nicht überzeuge. Die erkennbare Verschlimmerung des Zustands habe zur Aufnahme in die Kliniken S. im Dezember 2006 veranlasst. Seit Beginn der sozialen Pflegeversicherung sei Pflegestufe III bewilligt. Derzeit würden Grundsicherungsleistungen bezogen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juni 2007 zu verurteilen, ihr ab 01. Februar 2007 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest, welche im Verfahren nicht widerlegt worden sei.

Der Senat hat die Auskunft der Agentur für Arbeit W. vom 30. Oktober 2009 mit den Beratungsvermerken vom 25. Januar 2001 bis 26. August 2003 eingeholt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten (Rente und Reha) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V. mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist in der Sache unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG vom 31. Oktober 2008 ist auch nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid vom 08. Februar 2007 (Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2007) die Zahlung von Rente wegen Erwerbsminderung an die Klägerin zu Recht abgelehnt.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach der Sondervorschrift des § 43 Abs. 6 SGB VI haben Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsnorm werden von der Klägerin derzeit nicht erfüllt, weil auf die Wartezeit von 20 Jahren (vgl. § 50 Abs. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) nur Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet werden, die Beitragszeiten (die Schulausbildung ab Vollendung des 17. Lebensjahres zählt als Anrechnungszeit nicht dazu, vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI) mit dem Eintritt in die kaufmännische Abteilung der Sonderberufsfachschule am 26. August 1991 beginnen und deshalb bei weiterer kontinuierlicher Belegung mit Beitragszeiten die Wartezeit von 20 Jahren frühestens im August 2011 zurückgelegt sein wird. Die allgemeine Wartezeit für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beträgt fünf Jahre (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) und muss ebenfalls mit Beitragszeiten zurückgelegt sein (vgl. § 51 Abs. 1 SGB VI). Aus den im Folgenden darzulegenden Gründen muss es bei der vom SG bestätigten Auffassung der Beklagten verbleiben, dass die Klägerin seit Geburt im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

In rechtlicher Hinsicht gilt (vgl. zum Folgenden Bundessozialgericht - BSG - BSGE 66, 295, 298 = SozR 3-2200 § 1247 Nr. 11): Kann der Behinderte nur eine Arbeit verrichten, die nach ihrer Eigenart oder den äußeren Umständen ihrer Durchführung auf eine Behinderung zugeschnitten ist und im Katalog der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts keine Entsprechung findet, so sind besondere Gründe darzutun, wenn der Behinderte ungeachtet seiner speziellen Arbeit als erwerbsfähig im Sinne des allgemeinen Arbeitsmarkts betrachtet werden soll. Dies ist weiter dahingehend formuliert worden (BSGE 78, 163, 165 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 6 unter Hinweis auf Bundestags-Drucksache 12/7048 S. 42), dass Versicherte, die in einer Werkstatt für Behinderte oder in einer anderen beschützenden Einrichtung beschäftigt sind und die wegen der Art oder der Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, erwerbsunfähig sind. Für die Beurteilung, ob der Behinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann, ist darauf abzustellen, ob die vom Behinderten verrichtete Tätigkeit gemessen an den durchschnittlichen Arbeitsergebnissen einer Tätigkeit gleichen Typs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wirtschaftlich verwertbar wäre. Zwar bedeutet die Tatsache, dass ein Behinderter in einer Werkstatt für Behinderte tätig ist, für sich allein noch nicht, dass er erwerbsunfähig (erwerbsgemindert) ist; es kommt darauf an, was der Versicherte arbeitsmäßig (noch) leisten kann aufgrund der medizinisch zu ermittelnden Fähigkeiten, ferner auf die Bewertung, ob und wie diese Fähigkeiten unter den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jeweils aktuellen Arbeits- und Funktionsverhältnissen wirtschaftlich verwertbar sind.

Die Klägerin leidet aufgrund eines perinatalen Sauerstoffmangels mit Hirnschaden an einer ausgeprägten spastischen Tetraparese mit der Folge einer Abhängigkeit vom Rollstuhl (vgl. die Zusammenfassung der Diagnosen im Entlassungsbericht der Kliniken S. vom 16. Januar 2007, ebenso Stellungnahme des beratenden Internisten Dr. Bu. vom 08. Oktober 2007 in Auswertung der ärztlichen Befunde aus dem Reha-Antragsverfahren). Hinzugekommen ist eine lumbale Hyperlordose mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik und Sensibilitätsstörung rechts; ferner werden aufgrund der Arbeitsplatzentwicklung zunehmende psychische Probleme angegeben. Ärztliche Aussagen aus der Kinder- und Jugendzeit fehlen im Einzelnen. Der zeitliche Ablauf ist jedoch aus dem Versicherungsverlauf (vom 08. Februar 2007) sowie dem von der Klägerin unter dem 20. November 2007 verfassten Lebenslauf und den hierzu vorgelegten Unterlagen präzis zu erschließen, wie er im Tatbestand dargestellt ist. Die Klägerin benötigte mit Aufnahme der Ausbildung am 26. August 1991 - wie auch bereits beim Schulbesuch - ebenso wie in der häuslichen Umgebung Unterstützung für die meisten Alltagsaktivitäten, die von eigenen Betreuungspersonen oder von Pflegediensten übernommen werden musste. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass die Klägerin seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III erhält. Eine Ausbildung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ohne derartige Hilfen wäre nicht möglich gewesen. Der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung führte nicht zu einer Eingliederung in das Arbeitsleben, sodass für genau sieben Jahre - vom 09. Juli 1994 bis 08. Juli 2001 - durchgängig Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen werden mussten. Dass Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erkannt werden konnte, erschließt sich auch aus den zuletzt eingeholten Beratungsvermerken der Agentur für Arbeit W ... Nach dem ersten noch vorhandenen Beratungsvermerk der Agentur für Arbeit W. vom 05. Februar 2001 kam "wahrscheinlich" keine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Frage, da aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen eher eine Werkstatt für Behinderte sinnvoll sei. Nach Vorlage eines Attests wurde (Vermerk vom 14. Mai 2001) die Aufnahme in eine Werkstatt für Behinderte befürwortet. Gemäß Vermerk vom 15. Juni 2001 wurde laut ärztlichem Gutachten die Werkstatt für Behinderte für erforderlich gehalten. Dies führte zum 09. Juli 2001 zum Einstieg in die Beschäftigung bei der Körperbehindertenwerkstatt der Paulinenpflege Winnenden in Backnang. Nach dem Wechsel in die R.-Werkstätten in Schorndorf zum 01. Juni 2005 wurden (weiterhin) leichte Arbeiten in sitzender Haltung für vier Stunden pro Tag möglich gehalten. In der sozialmedizinischen Epikrise des Entlassungsberichts der Kliniken S. vom 16. Januar 2007 wurden leichte Tätigkeiten ständig im Sitzen am angepassten Arbeitsplatz im geschützten Rahmen einer Werkstatt für Behinderte drei bis sechs Stunden am Tag für möglich gehalten, wobei Konkurrenzfähigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt nicht bestehe. Dies entspreche auch der Selbsteinschätzung der Klägerin. Die von den behandelnden Ärzten genannte depressive Entwicklung wurde in diesem Zusammenhang nicht genannt. Ein ernstlicher Versuch der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt ist nie getätigt worden. Leistungsfähigkeit wurde ausschließlich für Werkstätten für Behinderte bejaht.

Unter diesen Umständen sind die Aussagen der behandelnden Ärzte zum Zeitpunkt des Eintritts einer Erwerbsminderung ungeeignet, eine günstigere Beurteilung zu begründen. Allgemeinarzt Dr. Hä. hat in der Zeugenaussage vom 28. Dezember 2007 schlüssig dargelegt, die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit bestehe schon immer (Behandlung seit 1990) und die Klägerin könne nur in einer geschützten Einrichtung tätig sein. Nervenärztin Dr. N. vermochte in der Stellungnahme vom 05. Juni 2007 keine abweichende Auffassung zu formulieren. Wenn die seit November 2003 behandelnde Allgemeinärztin Dr. V. in der Zeugenaussage vom 30. Juli 2007 Erwerbsminderung seit 2001 annehmen will, lässt sich dies aus der dortigen Behandlung nicht begründen, zumal in diesem Jahr die Klägerin nach mehrjähriger Arbeitslosigkeit erstmals eine Beschäftigung aufnehmen konnte.

Dass die Klägerin von Juli 1994 bis Juli 2001 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld und Anschluss-Arbeitslosenhilfe) bezogen hat, muss unerheblich bleiben. Die Anwartschaft hierfür hatte sie durch die beitragspflichtige Ausbildung vom 26. August 1991 bis 08. Juli 1994 erfüllt. Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 1 des damals geltenden Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) waren - ebenso wie jetzt nach den Vorschriften des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB III) - beitragspflichtig Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren (Arbeitnehmer), soweit sie nicht nach besonderen Vorschriften beitragsfrei waren. Die Klägerin hat eine entgeltliche Berufsausbildung zurückgelegt. Dies sagt nichts darüber aus, ob sie in Zukunft für eine Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts fähig sein würde. Dies ist, wie aus den Beratungsvermerken der Agentur für Arbeit W. für das Jahr 2001 zu ersehen ist, bereits zu diesem Zeitpunkt nach mehrjähriger Arbeitslosigkeit verneint worden, wobei zu diesem Zeitpunkt spätere Erschwernisse (persönliche Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, depressive Entwicklung) noch nicht bestanden. Auch die Erwägung, die Klägerin wäre in jungen Jahren für eine Tätigkeit etwa als Telefonistin oder - nach jetziger Diktion - in einem "Call-Center" in Betracht gekommen, scheitert daran, dass auch bei einer solchen Tätigkeit Unterstützung für die meisten Alltagsaktivitäten durch Betreuungspersonen oder Pflegedienste erforderlich gewesen wäre, die nur in einer Werkstatt für Behinderte geleistet werden konnte. Demgemäß ist eine solche Tätigkeit während der Zeit der Arbeitslosigkeit und auch später nicht ernstlich in Erwägung gezogen worden. Erwerbsfähigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts hat bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit nicht bestanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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