L 2 U 396/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 155/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 396/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Unfallbegriff umfasst auch psychische Gesundheitsstörungen als unmittelbare Reaktion auf ein äußeres Ereignis.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut
vom 16. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Unfallfolgen und Rente.

Die 1971 geborene Klägerin erlitt am 01.06.1995 einen Verkehrsunfall. Die Erstbehandlung erfolgte am Unfalltag im Kreiskrankenhaus D ... Der Chirurg Dr. S. diagnostizierte eine Sternumprellung, Nasenprellung, Prellung der rechten Augenbraue und einen Unfallschock. Die Röntgenuntersuchung erbrachte keine Hinweise auf knöcherne Verletzungen.

Die Betriebskrankenkasse der B. AG teilte der Beklagten 1998 mit, die Klägerin sei seit 08.09.1997 wegen eines schweren Wirbelsäulensyndroms arbeitsunfähig. Die Ermittlungen ergaben Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Cephalgie und HWS-Syndrom seit 1990. Ein Feststellungsverfahren von Unfallfolgen fand nicht statt.

Mit Schreiben vom 19.11.2001 beantragte die Klägerin die Überprüfung von Leistungsansprüchen aufgrund des Arbeitsunfalls vom 01.06.1995. Am 11.07.2001 wurde ein MRT der Halswirbelsäule (HWS) durchgeführt. Es fand sich im Vergleich zur Voraufnahme am 21.11.1996 weiterhin kein Nachweis einer pathologisch posttraumatischen Läsion des Myelon. Die AOK Bayern bestätigte Arbeitsunfähigkeitszeit vom 11.06. bis 16.06.1990 wegen eines HWS-Schleudertraumas.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Prof. Dr. B., Unfallklinik M., ein chirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage, des Weiteren Dr. E. ein radiologisches Zusatzgutachten und der Neurologe und Psychiater Dr. N. ein nervenärztliches Zusatzgutachten. In dem Hauptgutachten vom 18.07.2003 stellte Prof. Dr. B. als unfallbedingte Gesundheitsschäden einen Zustand nach HWS-Distorsion, Sternumprellung und Schädelprellung fest, die mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 20 v.H. zu bewerten seien. Dr. N. führt in seinem Zusatzgutachten vom 25.06.2003 aus, die Klägerin habe sich bei dem Unfall eine HWS-Zerrung und eine Prellung des Brustkorbes zugezogen. Unfallunabhängig bestünden Spannungskopfschmerzen. Im Auftrag der Beklagten wurde ein HNO-fach-ärztliches Gutachten durch Dr. G. am 13.11.2003 erstellt. Als Folgezustand bestünden zeitweise Ohrgeräusche, die als nicht wesentlich störend empfunden würden, am Untersuchungstag nicht vorhanden und daher keinem Frequenzbereich zuzuordnen seien. Weiterhin bestünden zeitweise Gleichgewichtsstörungen in Form eines Unsicherheitsgefühls beim Gehen. Diese träten jedoch nur selten auf und könnten nicht objektiviert werden. Des Weiteren stelle die Klägerin ein zeitweise dumpfes Gefühl auf beiden Ohren fest. Die MdE betrage 5 v.H.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.2003 die geltend gemachten Beschwerden im Bereich der HWS sowie die Konzentrationsschwierigkeiten und das Schwindelgefühl mit Gangunsicherheit als Folge des Unfalls vom 01.06.1995 ab. Ein Anspruch auf Rente wurde ebenfalls abgelehnt.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Es bestünden seit dem Unfallereignis vom 01.06.1995 eine erhebliche Wetterfühligkeit, ständige Kopfschmerzattacken sowie Schmerzzustände an beiden Schultergelenken bis zur Mitte des Rückens. Es lägen eine stärkergradige Bewegungseinschränkung an der HWS vor und Sensibilitätsstörungen am linken Arm, an der linken Hand und am linken Bein. Vor dem Unfallereignis hätten diese Gesundheitsstörungen nicht vorgelegen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Hiergegen legte die Klägerin am 29.06.2004 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) ein. Das SG holte diverse Befunde, u.a. auch der Univ. Klinik B-Stadt, Schmerzambulanz ein. Es ernannte den Arzt für Chirurgie Dr. M. zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 13.09.2006 zum Ergebnis, die Klägerin habe bei dem Unfall eine leichtgradige HWS-Distorsion erlitten. Diese sei innerhalb von zwei bis vier Wochen folgenlos ausgeheilt gewesen. Auffallend sei, dass die Krankenkassenauszüge bis August 1997 keine weiteren Einträge über Behandlungen wegen einer Wirbelsäulensymptomatik enthielten. Auch die Befunde des Hausarztes zeigten für die ersten zwei Jahre nach dem Unfall einen blanden Verlauf. Die Unfallfolgen seien deshalb folgenlos ausgeheilt.

Auf Antrag der Klägerin erstellte der Orthopäde Dr. S., Bad A., am 07.02.2007 ein weiteres Gutachten. Bei der Klägerin bestehe ein neuropathisches Schmerzsyndrom mit pathologischer Schmerzverarbeitung. Funktionell anatomisch, d.h. morphologisch-orthopädisch könnten keine Unfallfolgen festgestellt werden. Dies heiße jedoch nicht, dass aus neurologisch-pathologischer Sicht oder auch aus schmerztherapeutischer Sicht keine Folgen des Unfalls von 1995 bestünden. Er empfahl deshalb ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Orthopädisch betrage die MdE unter 10 v.H. Am 07.02.2007 wurde wegen Schläfen- und Stirnkopfschmerz sowie Tinnitus ein Schädel-CT durchgeführt, das keinen Anhalt für eine intracerebrale Raumforderung oder Blutung erbrachte. Die Klägerin wurde vom 28.02.2006 bis 04.04.2006 in der Fachklinik Bad H. behandelt. Sie wurde als arbeitsunfähig entlassen. Eine Wiederaufnahme der Beschäftigung als Punktschweißerin mit Akkordarbeit und erheblicher körperlicher Belastung sei nicht mehr möglich.

Der Neurologe und Psychiater Dr. Dr. W. erstellte am 06.06.2007 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Die Klägerin sei hinsichtlich HWS-Beweglichkeit, LWS-Beweglichkeit, Hirnnerven, Sensibilität, Reflexen, Motorik, Psychomotorik und Bemuskelung unauffällig. Auch psychisch habe sich keine Pathologie von Gewicht gefunden. Die Klägerin nehme keine Schmerzmedikamente ein. Subjektiv bestehe lediglich eine Erschwernis für die Einhaltung von Zwangshaltungen. Die MdE betrage 0 v.H.

Auf Antrag der Klägerin erstellte die Dr. phil. C. am 24.03.2008 ein weiteres Gutachten. Es liege kein Anhalt für eine psychische Erkrankung für die Zeit nach dem Unfall bis heute vor, insbesondere auch nicht für eine posttraumatische Belastungsstörung. Es hätten sich keine Hinweise auf eine psychische Beeinträchtigung ergeben, weder auf eine depressive Symptomatik noch auf Konzentrations- oder Gedächtnisprobleme. Die angegebenen Schmerzen ließen sich nicht durch die körperlichen Befunde erklären. Sie hätten bereits vor dem Unfall bestanden und zu Krankschreibungen geführt. Für die Zeit zwischen Unfall und 1997 fänden sich keine Krankschreibungen. Erst 2001 sei es wieder zu verstärkten Behandlungsbemühungen gekommen. Die Klägerin habe bei dem Unfall ein HWS-Schleudertrauma und in der Folge eine Verstärkung bereits vor dem Unfallereignis bestehender Beschwerden erlitten. Seit 2004 werde eine deutliche Verbesserung angegeben. Unfallfolgen seien nicht festgestellt worden. Die MdE liege unter 10 v.H.

Mit Urteil vom 16.07.2008 wies das SG die Klage ab. Es stützte sich insbesondere auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. M. und Dr. Dr. W ... Die Klägerin sei bereits vor dem Unfall wegen der berichteten Beschwerden krankgeschrieben worden. Unmittelbar vor dem Unfall habe der Orthopäde Dr. S. ein rezidivierendes Cervikalsyndrom diagnostiziert.

Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein. Sie sei vor dem Unfallereignis im Wesentlichen gesund gewesen. Seitdem leide sie unter fortwährenden Kopfschmerzattacken, Schmerzzuständen an beiden Schultergelenken und stärkergradigen Bewegungseinschränkungen an der HWS. Sie habe aufgrund der Beschwerden ihren Beruf aufgeben müssen. Bei ihr sei von einem Chronifizierungsstadium II des Schmerzgeschehens auszugehen.

Auf Antrag der Klägerin erstellte die Sachverständige Dr. C. am 26.08.2009 eine ergänzende Stellungnahme. Es fänden sich keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung bei der Klägerin, insbesondere keine posttraumatische Belastungsstörung. Depressive Symptome seien erst ein 3/4 Jahr vor dem Gutachten angegeben worden. Die Sachverständige schloss aus, dass eine bereits vor dem Unfall vorhandene Schädigung der Halswirbelsäule eine Verschlechterung durch den Unfall erfahren habe. Gerade in der Zeit nach dem Unfall bis 1997 sei nämlich keine Krankschreibung mehr mit dieser Diagnose zu finden.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.07.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 aufzuheben und ihr aufgrund des Unfalles vom 01.06.1995 Unfallrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -)

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin benannte Sachverständige Dr. C. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 26.08.2009 ihr Gutachten vom 24.03.2008 bestätigt hat. Es liegt weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge vor.

Die Kriterien zur Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung sind nicht erfüllt. Es fehlt an nachweisbaren akuten Überlastungsreaktionen in den ersten zwei Jahren nach dem Unfall. Die Sachverständige Dr. C. weist zu Recht darauf hin, dass sich in der Zeit nach dem Unfall (ab 1995) keine besonderen Behandlungsbemühungen finden, auch keine Krankschreibungen. Erst ab 1997 finden sich dann wieder vermehrt Behandlungen und 1998 auch erstmalig eine Reha-Behandlung. Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) ist demzufolge zu verneinen, da diese dem Trauma unmittelbar folgt, selten mit einer Latenz bis zu sechs Monaten. Der akute Verlauf dauert im Allgemeinen weniger als drei Monate, der chronische bis zu zwei Jahre. Für diesen Verlauf gibt es in den Unterlagen der Klägerin keine Anhaltspunkte. Symptome wie angstbezogenes Vermeidungsverhalten, Erinnerung und vegetative Störungen sind nicht dokumentiert.

Aber auch eine somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge ist in Übereinstimmung mit der Sachverständigen Dr. C. abzulehnen. Die Klägerin hat bei dem Unfall am 01.06.1995 eine leichtgradige Distorsion der HWS erlitten. Die von ihr geltend gemachten Schmerzen sind körperlich nicht erklärbar. Da objektive Messmethoden zur Quantifizierung von Schmerzen fehlen, ist von Bedeutung, inwieweit in der Zusammenschau von Anamnese, klinischen Befunden und Aktenlage die geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen plausibel sind. Die Sachverständige Dr. C. weist zu Recht darauf hin, dass die Klägerin entgegen ihren Angaben bereits vor dem Unfall immer wieder wegen Wirbelsäulenproblemen krankgeschrieben war. Des Weiteren ist im Jahr 1990 ein Schleudertrauma der HWS dokumentiert. In der Zeit unmittelbar nach dem Unfall (ab 1995) wurde die Klägerin nicht wegen Schmerzen behandelt. Erst ab 1997 finden sich dann wieder vermehrt Behandlungen. In der Zeit nach der Geburt ihrer Tochter (1999) bei gleichzeitigem Hausbau fanden keine Behandlungen statt. Erst gegen Ende des Erziehungsurlaubs sind solche wieder dokumentiert. Dieser Lebenslauf passt nach überzeugender Argumentation der Sachverständigen nicht zusammen mit einer kontinuierlichen Verschlechterung der Schmerzsymptomatik, wie sie von der Klägerin angegeben wurde. Auch das Verhalten der Klägerin in der Untersuchungssituation spricht gegen eine Schmerzstörung. Das 4 1/2 Stunden dauernde Sitzen war für die Klägerin nicht schmerzverstärkend.

Auch die eigenen Angaben der Klägerin zur Schmerzstärke sind widersprüchlich. Gegenüber der Sachverständigen Dr. C. gab die Klägerin selbst an, dass sich die Schmerzen seit 2004 deutlich gebessert hätten, was gegen eine somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge spricht.

Unfallfolgen liegen nicht vor. Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 01.06.1995 ist deshalb nicht zu gewähren.

Die Berufung war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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