L 6 SB 661/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 2988/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 661/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17.11.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1967 geborene Kläger begehrt eine höhere Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB).

Der Kläger beantragte am 24.06.2005 die Feststellung seines GdB und legte die Arztbriefe der Radiologen Dres. E./Sch. vom 26.04.2005 (Zeichen eines alten Morbus Scheuermann, ausgeprägte Osteochondrose LWK 5/SWK 1 mit Zeichen einer entzündlichen Aktivierung, in diesem Segment Spondylolyse LWK 5 ohne Listhese, Protrusion der lumbosacralen Bandscheibe mit kleinerem, leicht rechtsbetonten Bandscheibenvorfall, morphologisch dabei insgesamt keine Zeichen einer Wurzelkompression L5 oder S1) und vom 10.05.2005 (kein Prolaps, keine knöcherne spinale Stenosierung, keine radikuläre Kompression), des Orthopäden Dr. H vom 27.04.2005 (Halswirbelsäulen-Lendenwirbelsäulen-Syndrom), des Diabetologen Prof. Dr. H. vom 09.05.2005 (insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ IIb, chronische Stoffwechselentgleisung unter intensivierter Insulintherapie, schweres metabolisches Syndrom mit Hyperlipidämie vom Typ IIb, Hyperurikämie) und des Orthopäden Dr. Sch. vom 01.06.2005 (Zervikalsyndrom bei Osteochondrose mit Unkarthrose HWK 4 bis 7, Periarthritis humeroscapularis rechte Schulter mit Supraspinatustendinitis ohne Kapselmuster, Ischiolumbalgie bei linkskonvexer thorakolumbaler Torsionsskoliose mit Osteochondrose L4/5, L5/S1, Senk- und Spreizfuß beidseits) vor. Dr. Szirtes berücksichtigte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.07.2005 als Behinderungen einen Diabetes mellitus (Teil-GdB 30), einen Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20), ein metabolisches Syndrom (Teil-GdB 10) sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks (Teil-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Das Landratsamt A. (LRA) stellte mit Bescheid vom 05.07.2005 den GdB des Klägers mit 40 ab 24.06.2005 fest.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er legte den ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik S. in D. vom 11.08.2005 (chronifiziertes Zerviko- und Lumbalsyndrom bei degenerativer Wirbelsäulenerkrankung, Bandscheibenvorfall L5/S1, Periarthritis humeroscapularis rechts bei Tendinitis calcarea rechts, anamnestisch Fersensporn rechts und rezidivierende Supinationstraumata rechts, ausgeprägtes metabolisches Syndrom mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus, Adipositas, Hypercholesterinämie, Hyperurikämie, therapiepflichtige Hypothyreose bei Zustand nach Strumektomie) vor. Dr. Sch. hielt in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 01.09.2005 die bisherige versorgungsärztliche Beurteilung aufrecht. Das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2005 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.09.2005 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG).

Das SG hörte die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Allgemeinmediziner Dr. E. teilte unter dem 13.12.2005 die Diagnosen chronisches degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit Bandscheibenvorfall L5/S1, chronische Periarthritis humeroscapularis rechts mehr als links und metabolisches Syndrom mit insulinpflichtigem Diabetes mit. Prof. Dr. H. führte unter dem 27.12.2005 aus, er habe den Kläger zuletzt Ende April 2005 behandelt. Dr. H teilte unter dem 28.12.2005 mit, er habe den Kläger lediglich im April 2005 untersucht. Der Kläger legte zuletzt den Arztbrief des Prof. Dr. K., Oberarzt an der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Universitätsklinikums U., vom 08.11.2006 (Jochbeinkomplex- und Jochbogenfraktur links, symmetrische, sensorineurale Schwerhörigkeit) mit Audiogramm vor.

Mit Urteil vom 17.11.2006 wies das SG die Klage ab. Für den Diabetes mellitus Typ IIb mit Stoffwechselentgleisung unter intensivierter Insulintherapie und das schwere metabolische Syndrom sei der GdB mit 30 zu bemessen. Darüber hinaus sei für das Wirbelsäulenleiden ein GdB von 20 in Ansatz zu bringen, da hiermit leichte bis mittelgradige Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten verbunden seien. Die allenfalls endgradig bestehende Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter sei mit einem GdB von 10 zu bewerten. Weitere Behinderungen, für welche ein GdB festzusetzen wäre, bestünden nicht.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 02.02.2007 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 07.02.2007 Berufung eingelegt. Er hat die Arztbriefe des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. B. vom 04.12.2006 (Zustand nach Jochbeinkomplexfraktur links mit Orbitabodenfraktur links und operativer Reposition mit Osteosynthese, Verdacht auf Lärmschwerhörigkeit beidseits, Diabetes mellitus) mit Audiogramm vom 01.12.2006, der Neurologin Dr. B. vom 21.12.2006 (Karpaltunnelsyndrom beidseits, diabetische Polyneuropathie, rezidivierender Wurzelreiz bei bekanntem Bandscheibenprolaps L5/S1 rechts mediolateral) und des Orthopäden Dr. E. vom 22.12.2006 (Karpaltunnelsyndrom beidseits, diabetische Polyneuropathie beidseits, Lumboischialgie bei bekanntem Bandscheibenvorfall L5/S1 mediolateral) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17.11.2006 aufzuheben und den Bescheid des Landratsamtes A. vom 05.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.09.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seinen GdB mit 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dr. W. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.05.2007 ausgeführt, für die Jochbeinfraktur links lasse sich keine dauerhafte GdB-relevante Funktionseinschränkung feststellen. Aus dem vorgelegten Tonaudiogramm lasse sich ein beidseitiger Hörverlust von 0 % entnehmen, sodass sich hieraus kein weiterer GdB ergebe. Aus dem Karpaltunnelsyndrom beidseits und der Polyneuropathie könnten keine weitere den Gesamt-GdB beeinflussenden Funktionseinschränkungen abgeleitet werden.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Dr. H., Ärztlicher Direktor an der F.-Klinik in Bad B., vom 23.10.2007 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es liege ein GdB von 30 für das metabolische Syndrom mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ II ohne Hinweise für ein kritisch relevantes diabetisches Spätsyndrom, jedoch mit sekundär eingeschränkter muskulärer Ausdauerbelastbarkeit, ein GdB von 10 für die Hyperurikämie mit rezidivierender multilokulärer schmerzhafter Gichtarthritis, ein GdB von 10 für die Hörminderung beidseits bei tonschwellenaudiometrischer Senke bei 4 kHz, ein GdB von 20 für degenerative/traumatische chronische schmerzhafte Wirbelsäulenschäden, ein GdB von 20 für degenerative/traumatische Schäden am rechten Schultergelenk sowie ein GdB von 20 für eine Sensibilitätsstörung im Gesichtsbereich nach Jochbeinkomplexfraktur mit Orbitabodenfraktur links und überwiegend sensible Störungen im Bereich beider Hände bei Druckschädigung des Nervus medianus beidseits im Karpaltunnel vor. Der Gesamt-GdB sei mit 50 zu bewerten.

Hierzu hat Dr. B. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.02.2008 ausgeführt, es bestehe Normalhörigkeit, sodass ein messbarer GdB aus der Hochtonhörminderung nicht resultiere. Die vom Sachverständigen beschriebene Schultergelenksarthrose mit Schädigung der Rotatorenmanschette des rechten Schultergelenks bedinge lediglich einen GdB von 10. Das Karpaltunnelsyndrom beiderseits und die sensiblen Störungen im Gesichtsbereich seien ebenfalls lediglich mit einem GdB von 10 zu bewerten. Ferner könne der Fersensporn rechts zusammen mit der wiederkehrenden Gichtarthritis mit einem GdB von 10 berücksichtigt werden. Der Gesamt-GdB betrage weiterhin 40.

Daraufhin hat der Senat auf weiteren Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dr. K. vom 19.11.2008 eingeholt. Der Sachverständige hat für den Diabetes und die diabetische Neuropathie den GdB mit 40, für die Lumboischialgie und die sensible Störung im rechten Oberschenkel den GdB mit 20, für die Schultergelenksstörung den GdB mit 10, für den Zustand nach Jochbeinfraktur und Orbitabogenfraktur den GdB mit 10 sowie für die Stoffwechselstörung, die Hyperurikämie, die Gicht mit Gebrauchsminderung des rechten Fußes und das ausgeprägte Karpaltunnelsyndrom mit Störung der Gebrauchsfähigkeit der Hände den GdB mit 10 bewertet und den Gesamt-GdB mit mindestens 50 eingeschätzt.

Hierzu hat Dr. R. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.02.2009 ausgeführt, für den Diabetes und die Polyneuropathie könne kein GdB von 40 berücksichtigt werden, da der GdB nach Funktionssystemen gesondert zu bewerten sei. In Analogie zu einem kompletten Ausfall des Waden- oder Schienbeinnervs, der mit einem GdB von 30 zu bewerten wäre, sei für die Polyneuropathie ein GdB von 10 abzuleiten. Somit betrage der Gesamt-GdB weiterhin 40.

Dr. Dr. K. hat in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 23.05.2009 ausgeführt, belastungsbedingte chronische Schmerzsyndrome mit lumboischialgiformen Schmerzen seien nicht immer mit einer motorisch oder sensiblen objektivierbaren Ausfallssymptomatik belegbar. Berücksichtige man noch dazu die von progredient fortschreitenden Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus und Hyperurikämie ausgehenden Beeinträchtigungen, so sei der Gesamt-GdB mit 50 einzuschätzen.

Dr. R. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 08.06.2009 an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung festgehalten.

Ferner hat der Senat die wegen eines geltend gemachten Arbeitsunfalls vom 09.04.2005 angefallenen Akten der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF) und des SG (S 2 U 3267/07) sowie die wegen eines geltend gemachten tätlichen Angriffs vom 18.10.2006 angefallenen Akten des LRA und des SG (S 10 U 907/09) beigezogen. Aktenkundig sind insbesondere das von der BGF in Auftrag gegebene Gutachten des Orthopäden Dr. M. vom 17.01.2006 (keine objektivierbaren klinisch-funktionellen Auffälligkeiten im Bereich des gesamten Bewegungsorganes, Anzeichen für massive psychogene Überlagerungen) sowie die vom SG in Auftrag gegebenen Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 21.02.2008 (pseudoradikuläres Lumbalsyndrom rechts bei klinisch und röntgenologisch sowie kernspintomographisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule sowie einem alten leicht rechtsbetonten Bandscheibenvorfall L5/S1 ohne Zeichen einer Wurzelkompression, Zervikocranialgie der Halswirbelsäule bei klinisch-röntgenologisch und kernspintomographisch nachgewiesenen beginnenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, neurologisch bestätigtes Karpaltunnelsyndrom beidseits mit noch ausstehender operativer Sanierung, mit Einlagen versorgter unterer Fersensporn rechts) und des Prof. Dr. R., Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik des Universitätsklinikums U., vom 05.09.2008 (Lumbago mit pseudoradikulär ausstrahlender Komponente rechts bei klinisch, nativ radiologisch und kernspintomographisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Osteochondrose und Spondylarthrose des Segmentes L5/S1, Protrusion und zirkumferentem Bandscheibenvorfall ohne Zeichen einer Wurzelkompression sowie angeborener Wirbelbogenschlussstörung L5/S1 ohne mobile Komponente, Zervikozephalgie der Halswirbelsäule bei klinisch, nativ radiologisch und kernspintomographisch nachgewiesenen initial beginnenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, fachärztlich-neurologisch bestätigtes Karpaltunnelsyndrom beidseits mit in Zukunft vorgesehener operativer Sanierung, mit Einlagen versorgter unterer Fersensporn rechts, metabolisches Syndrom sowie Schilddrüsenunterfunktion nach Schilddrüsenteilentfernung).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 40.

Zu Recht hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 05.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 09.09.2005 keinen höheren GdB festgestellt.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch und den GdB aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien ist hiermit - von wenigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - nicht verbunden. Vielmehr wurde an die seit Jahren bewährten Bewertungsgrundsätze und Verfahrensabläufe angeknüpft. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnistand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, Nr. 19 Abs. 1, S. 24; VG Teil A Nr. 3 a). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15.03.1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, Nr. 19 Abs. 3, S. 25; VG Teil A Nr. 3 c). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, Nr. 19 Abs. 4, S. 26; VG Teil A Nr. 3 d ee).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der GdB des Klägers nicht höher als mit 40 zu bewerten.

Die Zuckerkrankheit des Klägers ist mit einem GdB von 30 zu bewerten. Nach Teil B, Nr. 15.1, S. 73 und 74 beträgt für eine Zuckererkrankung (Diabetes mellitus) mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) eingestellt der GdB 0, mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen, der GdB 10, mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen, der GdB 20, unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend), der GdB 30 bis 40 sowie bei unter Insulintherapie instabiler Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien der GdB 50, wobei häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien zusätzlich zu bewerten sind. Der Kläger leidet ausweislich der aktenkundigen Arztbriefe und Gutachten an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II. Anhaltspunkte für eine instabile Stoffwechsellage bestehen nicht. Mithin ist der durch die VG eröffnete GdB-Rahmen zwischen 30 und 40 nicht nach oben auszuschöpfen. Diese Einschätzung korrespondiert auch mit der Bewertung des auf Antrag des Klägers gehörten Sachverständigen Dr. H. in seinem Gutachten vom 23.10.2007. Soweit Dr. Dr. K. in seinem Gutachten vom 19.11.2008 mit Stellungnahme vom 23.05.2009 die Zuckererkrankung und eine damit zusammenhängende Neuropathie insgesamt mit einem GdB von 40 bewertet hat, hat er dabei - worauf Dr. R. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.02.2009 zu Recht hingewiesen hat - nicht beachtet, dass nach den VG, Teil A, Nr. 2 e, S. 8 bei der Bewertung des GdB im Allgemeinen die Funktionssysteme Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine sowie Rumpf zusammenfassend beurteilt werden sollen. Mithin ist eine etwaige Neuropathie nicht im Rahmen der Beurteilung des GdB für den Bereich Stoffwechsel, sondern für die Bereiche Arme und Beine zu berücksichtigen.

Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist nicht mit einem höheren GdB als 20 zu bewerten. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9, S. 90 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40. Beim Kläger liegen ausweislich der Gutachten des Dr. K. vom 21.02.2008 und des Prof. Dr. R. vom 05.09.2008 ein Lumbalsyndrom rechts bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Ostechondrose und Spondylarthrose des Segmentes L5/S1, einem leicht rechtsbetonten Bandscheibenvorfall L5/S1 ohne Zeichen einer Wurzelkompression und einer Wirbelbogenschlussstörung L5/S1 ohne mobile Komponente sowie eine Zervikocranialgie der Halswirbelsäule bei beginnenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule vor. Angesichts der in den Gutachten dargestellten Befunde, insbesondere der Bewegungsmaße, handelt es sich dabei nach Überzeugung des Senats nicht um einen GdB von 30 bedingende schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder gar einen GdB zwischen 30 und 40 bedingende mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Im Übrigen sind auch die auf Antrag des Klägers gehörten Gutachter Dr. H. und Dr. Dr. K. nicht von einem höheren GdB als 10 für den Wirbelsäulenschaden ausgegangen.

Der Gesundheitsschaden in der rechten Schulter bedingt keinen höheren GdB als 10. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13, S. 93 beträgt bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei Armhebung nur bis zu 120 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit der GdB 10 sowie bei Armhebung nur bis zu 90 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit der GdB 20. Beim Kläger liegt ausweislich der Gutachten des Dr. K. vom 21.02.2008 und des Prof. Dr. R. vom 05.09.2008 keine GdB-relevante Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk vor. Der von Dr. H. in seinem Gutachten vom 23.10.2007 für angemessen erachtete GdB von 20 für die rechte Schulter trifft daher nicht zu.

Die von Dr. Dr. K. in seinem Gutachten vom 19.11.2008 beschriebenen und jeweils mit einem GdB von 10 eingeschätzten Gesundheitsschäden in den Händen (karpaltunnelsyndrombedingte Gebrauchseinschränkung) und im rechten Bein (sensible Störung im rechten Oberschenkel und fersenspornbedingte Gebrauchsminderung des rechten Fußes) bedingen keine mit einem höheren GdB zu bewertenden Funktionseinschränkungen. Dasselbe gilt für die von Dr. H. in seinem Gutachten vom 23.10.2007 beschriebene, infolge der stattgehabten Jochbeinkomplexfraktur mit Orbitabodenfraktur verbliebene Sensibilitätsstörung im Gesichtsbereich. Ferner bedingt die sich aus den aktenkundigen Arztbriefen ergebende Hyperurikämie, Hypercholesterinämie und Hypothyreose keine mit einem höheren GdB als 10 zu bewertende Behinderung.

Es liegt auch keine GdB-relevante Hörstörung vor. Nach den VG, Teil B, Nr. 5.2.4, Tabelle D, S. 35 setzt ein GdB von 10 mindestens eine geringgradige Schwerhörigkeit voraus. Aus dem Audiogramm des Dr. B. vom 01.12.2006 ergibt sich beim Kläger bei 1 kHz und 2 kHz kein Hörverlust. Nach den VG, Teil B, Nr. 5.2.3, Tabelle C, S. 35 beträgt der prozentuale Hörverlust 0 % bei einem Hörverlust von 0 dB bei der Addition der Summe der Hörverluste bei 1 kHz und 2 kHz. Mithin liegt beim Kläger kein GdB-relevanter Hörschaden vor.

Unter Berücksichtigung dieser Einzel-GdB-Werte (Teil-GdB 30 für die Zuckerkrankheit, Teil-GdB höchstens 20 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Teil-GdB jeweils höchstens 10 für die Sensibilitätsstörung im Gesichtsbereich sowie die Funktionsbehinderungen der rechten Schulter, der Hände und des rechten Fußes) kommt nach Überzeugung des Senats kein höherer Gesamt-GdB als 40 in Betracht.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der vom Kläger begehrte Gesamt-GdB von 50 beispielsweise nur angenommen werden kann, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung. Ein vergleichbares Ausmaß erreichen die vom Senat festgestellten Funktionsbehinderungen des Klägers nicht.

Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 40.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen
Rechtskraft
Aus
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