L 27 P 55/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 499/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 55/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2007 betreffend den Zeitraum vom 1. März 2004 bis zum 31. August 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten vorliegend über die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für den Zeitraum von März 2004 bis August 2006.

Der im Januar 2001 geborene Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I leidet, beantragte im März 2004 bei der Beklagten Pflegegeld. Diese holte das MDK-Gutachten der Pflegefachkraft G vom 23. Juni 2004 ein, die eine erhebliche Pflegebedürftigkeit vernein-te: Der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege betrage 165 Minuten, von denen 150 Minuten für den Hilfebedarf eines gleichaltrigen gesunden Kindes abzuziehen seien. Der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung umfasse 45 Minuten. Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 28. Juni 2006 ab. Hiergegen legte der Kläger Wider-spruch ein, den die Beklagte auf Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme der Ärztin Kai-ser (MDK) vom 11. August 2004 mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2004 zurück-wies.

Mit seiner vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger Pflegeleistungen der Pflegestufe I ab Antragstellung begehrt. Das Sozialgericht hat das Gutachten der Kinderärztin und Diabetologin Dr. K vom 26. September 2005 eingeholt, die einen täglichen Zeitaufwand für die Pflege und Betreuung des Klägers gegenüber einem gesunden Kind dieser Altersgruppe von 160 Minuten ermittelt hat. Gestützt auf die gutachterliche Stellungnahme der Ärztin Dr. N (MDK) vom 21. Dezember 2006 hat die Beklagte eingewandt, ein Mehrbedarf des Klägers im Umfang von mehr als 45 Minuten bei der Grundpflege sei nicht dokumentiert.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. September 2007 abgewiesen. Zur Begrün-dung hat es insbesondere ausgeführt, dass der Kläger nicht erheblich pflegebedürftig sei. Es sei nicht zu beanstanden, dass von dem durch die Pflegefachkraft G im MDK-Gutachten vom 23. Juni 2004 ermittelten täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 165 Minuten der Hilfebe-darf eines gesunden gleichaltrigen Kindes von pauschal 150 Minuten abgezogen werde. Ob die Begutachtungsrichtlinien (BRi) vom 21. März 1997 in der Fassung vom 22. August 2001, die einen Abzug von 150 Minuten vorsähen, oder in der Fassung vom 11. Mai 2006, nach denen 138 Minuten abzuziehen seien, herangezogen würden, sei unerheblich, da auch bei dem gerin-geren Abzug der Hilfebedarf des Klägers in der Grundpflege nicht die erforderlichen 45 Minu-ten erreiche. Für den Zeitraum nach der Gutachtenerstellung im Juni 2004 sei davon auszuge-hen, dass durch das Älterwerden des Klägers dessen Gesamthilfebedarf abgenommen habe.

Der tägliche Mehrbedarf in der Grundpflege sei für das Nachputzen der Zähne (zweimal pro Tag) mit insgesamt 2 Minuten und für das Beaufsichtigen des Händewaschens (sechsmal pro Tag) mit insgesamt 6 Minuten anzusetzen. Die Hautpflege (das Eincremen der Fingerkuppen und der Spritzstellen) sei keine Verrichtung der Grundpflege, sondern der Behandlungspflege. Beim Verlassen bzw. Wiederaufsuchen der Wohnung sei nur derjenige Hilfebedarf zu berück-sichtigen, der unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig sei. Hierzu gehören Arztbesuche, wenn sie wenigstens einmal pro Woche anfielen. Es sei nicht ersichtlich, dass dies im Falle des Klägers zutreffe. Eine ständige Begleitung, etwa zu sportli-chen Aktivitäten, sei nicht unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig. Der krankheitsbedingte zusätzliche Betreuungsaufwand sei keine Verrichtung der Grundpflege. Dies gelte auch für die übrigen Maßnahmen wie Blutzuckermessungen, Urin-wertmessungen, Tagebucheintragungen, Insulininjektionen und portionsgerechte Bemessung und Zuteilung einer Diätnahrung.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass das Sozialgericht die rechtliche Wertung des § 15 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) verkenne. Hiernach sei bei Kindern für die Zuordnung des zusätzlichen Hilfebedarfs der Ver-gleich mit einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Dieser Vergleich dürfe sich nicht nur auf die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI beschränken; vielmehr müsse es auch auf die behinderungsbedingte Überwa-chung und den besonderen Zeitaufwand der Eltern ankommen. Hierfür spreche auch Art. 6 Abs. 2 GG, wonach Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sei. Es stoße auf verfassungsrechtliche Bedenken, dass das SGB XI nur den Pflegebedarf älterer Men-schen im Blick habe, wohingegen Eltern mit einem pflegebedürftigen Kind nahezu außer Be-tracht blieben. Dies vertrage sich nicht mit dem Sozialstaatsgebot. Weiter trägt er vor: Seine Eltern müssten bei ihm mindestens einmal pro Nacht den Blutzucker messen und bei Unterzu-ckerung entsprechende Maßnahmen einleiten, beispielsweise die Gabe von Jubin, einer schnell wirkenden Zuckerlösung. Auch sei zu berücksichtigen, dass er sehr häufig zu den vorgeschrie-benen Zeiten nicht essen wolle. Es müsse sehr genau auf Hygiene geachtet werden, insbeson-dere sei ständig sorgfältiges Händewaschen notwendig, um die Blutzuckerwerte nicht zu ver-fälschen. Er müsse sich einer erheblichen Anzahl ärztlicher Untersuchungen unterziehen. Alle sechs Wochen werde der Stand seiner Diabeteserkrankung und die Einstellung überprüft.

Die Beklagte hat das MDK-Gutachten der Ärztin N vom 15. Juni 2009 vorgelegt, die u.a. aus-geführt hat, dass die nächtlichen Blutzuckermessungen nicht der Grundpflege, sondern der Behandlungspflege zuzuordnen seien. Sie hat hinsichtlich des Vorbringens des Klägers, er müsse von seinem Eltern zum regelmäßigen Essen bewegt, fast gezwungen werden, darauf hingewiesen, dass ein Mehrbedarf bei der mundgerechten Zubereitung von 2 Minuten und bei der Nahrungsaufnahme von 7 Minuten (gegenüber einem gesunden dreijährigen Kind) bzw. 12 Minuten (gegenüber einem gesunden vierjährigen Kind) berücksichtigt worden sei.

Der Kläger bringt hiergegen vor, bei Stoffwechselerkrankungen sei die mahlzeitenvorbereiten-de Blutzuckerkontrolle, die sich hieraus ergebende Berechnung der diabetesgeeigneten Mahl-zeit, deren Zusammenstellung, die hierzu notwendige Berechnung der Insulinmenge und die Insulingabe als Verrichtungen im Bereich der Ernährung zu bewerten. Zumindest seien die genannten Maßnahmen, welche die Ernährung sicherstellen sollen, als krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen nach § 15 Abs. 3 SGB XI zu berücksichtigen, da sie mit dem Bereich der Ernährung in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang ständen. Gleiches gelte auch für das häufige, vom normalen Durchschnitt abweichende Händewaschen und Ein-cremen der Hände. Die Begleitung und Fahrt zu regelmäßigen sportlichen Aktivitäten seien dem Bereich der Mobilität zuzuordnen, da eine regelmäßig sportliche Betätigung gerade auch bei jungen Diabetikern förderlich sei.

Mit Rücksicht darauf, dass der Kläger im Jahre 2006 auf Antrag der Eltern in die Grundschule eingeschult worden ist, hat der Senat mit Beschluss vom 19. November 2009 die Teile des Streitgegenstandes für die Zeit ab dem 1. September 2007 abgetrennt, für die das Berufungs-verfahren zum Aktenzeichen L 27 P 66/09 fortgeführt wird.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2007 aufzuheben und die Be-klagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juni 2004 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 1. November 2004 zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. März 2004 bis zum 31. August 2006 Leistungen der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstan-des wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist hinsichtlich des im vorliegenden Verfahren streitigen Zeitraums vom 1. März 2004 bis zum 31. August 2006 zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 20. September 2007 abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 28. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 1. November 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rech-ten. Denn er hat im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Voraussetzung ist nach § 37 Abs. 1 SGB XI u. a., dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ab-lauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigen-ständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wieder-kehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Auf-nahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für we-nigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Diese Voraussetzungen sind im streitigen Zeitraum von März 2004 bis August 2006 nicht er-füllt. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass sein Grundpflegebedarf wöchentlich im Tages-durchschnitt mehr als 45 Minuten betrug. Dies hat das Sozialgericht unter Verwertung der im Verwaltungs- und im Klageverfahren erhobenen ärztlichen und fachpflegerischen Feststellun-gen überzeugend dargelegt. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils vom 20. September 2007 wird nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Bezug genommen.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Entschei-dung:

Entgegen seiner Auffassung sind die Maßnahmen, die der Beschaffung und Zubereitung der für seine Diät benötigten Lebensmittel dienen, d.h. die Blutzuckerkontrolle, die sich hieraus ergebende Berechnung der Mahlzeit, deren Zusammenstellung, die Berechnung der Insulin-menge und die Gabe des Insulins nicht dem Bereich der Ernährung zuzuordnen.

§ 14 Abs. 4 SGB XI unterscheidet zwischen der mundgerechten Zubereitung oder der Auf-nahme der Nahrung einerseits, wobei ein Hilfebedarf bei diesen Verrichtungen der Grundpfle-ge zuzuordnen ist, sowie dem Einkaufen und Kochen andererseits, das dem Bereich der haus-wirtschaftlichen Versorgung zugewiesen ist. Die Vorschrift differenziert damit allein nach dem äußeren Ablauf der Verrichtungen; sie knüpft nicht an das mit der Verrichtung angestrebte Ziel an. Bezogen auf den allerdings existenznotwendigen Lebensbereich Ernährung bedeutet dies, dass nicht umfassend alle Maßnahmen einzubeziehen sind, die im konkreten Einzelfall im wei-testen Sinn dem Ernährungsvorgang zugeordnet werden können. Zur Grundpflege gehört nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI vielmehr nur die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme, soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krank-heits- oder behinderungsbedingt erforderlich wird (BT-Drucks 12/5262, S 96, 97). Dies schließt bei an Stoffwechselstörungen leidenden Personen die Einbeziehung solcher Hilfen in die Grundpflege aus, die nur dazu dienen, die Verträglichkeit der Nahrung sicherzustellen, et-wa durch Kontrollmaßnahmen oder durch Zuführung von Arzneimitteln (so Bundessozialge-richt -BSG-, Urteil vom 19. Februar 1998, B 3 P 3/97 R, BSGE 82, 27).

Die von dem Kläger genannten Maßnahmen, welche die Ernährung sicherstellen sollen, kön-nen auch nicht als verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen nach § 15 Abs. 3 Satz 2 SGB XI bei der Feststellung des Zeitaufwandes in der Grundpflege berücksich-tigt werden. Hierzu zählen nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB XI Maßnahmen der Behandlungspfle-ge, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf entweder untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht.

Die Einbeziehung der Behandlungspflege in die Grundpflege im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI setzt voraus, dass die konkrete Hilfeleistung mit dem Wortlaut bzw. dem Begriff der betreffen-den Katalogverrichtung des § 14 Abs. 4 SGB XI jedenfalls bei weiter Auslegung vereinbar ist, es also einen "sachlichen Zusammenhang" gibt (vgl. beispielsweise BSGE SozR 3-3300 § 14 Nr. 9 zur Hilfe beim Baden: Pflegebad an Stelle eines normalen Bades und anschließende Hautbehandlung bei einem Neurodermitis-Patienten; BSG SozR 3-2500 § 37 Nr. 3 zur Hilfe beim An- und Auskleiden: An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen als zusätzlichem krankheitsbedingten Teil der Bekleidung). Nur in diesem Falle darf der zeitliche Aufwand für eine Maßnahme der Behandlungspflege bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs für die Grund-pflege bei der jeweiligen Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI mit einbezo-gen werden Ein nur rein zeitlicher Zusammenhang zwischen Behandlungspflegemaßnahme und Grundpflege reicht indes nicht aus.

Die Medikamentengabe stellt als krankheitsspezifische Pflegemaßnahme eine Form der Be-handlungspflege dar, die vom Verrichtungskatalog des § 14 Abs. 4 SGB XI auch bei weiter Auslegung nicht erfasst wird (so BSG, Urteil vom 17. März 2005, B 3 KR 9/04 R, BSGE 94, 192 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 a.a.O., zu Insulininjektionen bei Di-abetespatienten; siehe auch Urteil vom 17. Juni 1999, B 3 P 10/98 R, SozR 3-3300 § 15 Nr. 7). Insbesondere handelt es sich nicht um eine Pflegemaßnahme im Rahmen der - hier allein in Betracht kommenden - Verrichtung der "Nahrungsaufnahme" im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI. Medikamente sind keine "Nahrung" im Sinne dieser Vorschrift; dazu zählen nur die festen und flüssigen Nahrungsmittel, die der Mensch zu seiner Ernährung, d.h. zur Aufrechter-haltung der Stoffwechselfunktionen, zu sich nimmt. Im Übrigen ist das Spritzen von Insulin zeitlich zu weit vom Vorgang des Essens entfernt, um noch unter "Aufnahme der Nahrung" (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) subsumiert zu werden; es handelt sich somit um eine selbständige Maßnahme der Behandlungspflege ohne Bezug zu einer der Verrichtungen des Katalogs in § 14 Abs. 4 SGB XI (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 17. Juni 1999 a.a.O.).

Auch bei Kindern besteht für einen Verzicht auf das Erfordernis eines Hilfebedarfs bei der Grundpflege (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI) keine Grundlage. Insbesondere kann nicht aus § 15 Abs. 2 SGB XI der Schluss gezogen werden, bei Kindern sei der gesamte Mehrbedarf, unabhängig von seiner Zuordnung zur Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung, maßgebend. Mit dieser Regelung sollte lediglich klargestellt werden, dass "der natürliche, al-tersentsprechende Pflegebedarf von Kindern" unberücksichtigt bleibt und allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen ist (BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 a.a.O., unter Hinweis auf BT-Drucks. 12/5262, S. 98 zu § 13 Abs. 2 des Entwurfs).

Die Begleitung des Klägers zu regelmäßigen sportlichen Aktivitäten kann nicht als "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" dem Bereich der Mobilität im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI zugeordnet werden. Die Hilfe bei der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung ist nur dann zu berücksichtigen, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden. Als Maßnahme der Grundpflege anerkannt worden ist demgemäß die Hilfe durch Begleitung bei durchschnittlich wenigstens einmal wöchentlich anfallenden Arztbesuchen. Gleiches gilt für die Begleitung zum Krankengymnasten, wenn die Maßnahme ärztlich verordnet ist (siehe etwa BSG, Urteil vom 26. November 1998, B 3 P 20/97 R, SozR 3-3300 § 14 Nr. 9, zur Krankengymnastik eines Kindes). Im vorliegenden Fall geht demgegen-über in erster Linie um eine durch den Diabetiker selbst vorzunehmende Ergänzung der ärztli-chen Behandlung der Diabeteserkrankung. Die sportlichen Aktivitäten stellen sich daher als Teil der ärztlichen Therapie dar. Zwar dienen dem weiteren Verbleib in der Wohnung, jedoch handelt es sich bei der dem Kläger für dessen sportliche Betätigung geleistete Hilfestellung der Sache nach um Behandlungspflege und nicht um Grundpflege. Bei der Feststellung des Pflege-bedarfs nach den §§ 14, 15 SGB XI sind – wie oben ausgeführt – Maßnahmen der Behand-lungspflege nur zu berücksichtigen, wenn sie entweder untrennbarer Bestandteil einer Maß-nahme der Grundpflege sind oder wenn sie aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmit-telbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege er-forderlich werden. Daran fehlt es hier; die Hilfeleistungen zu den sportlichen Aktivitäten des Kläger stehen mit keiner anderen Verrichtung der Grundpflege (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI) in unmittelbarem Zusammenhang (vgl. BSG, Urteil vom 10. Oktober 2000, B 3 P 15/99 R, SozR 3-3300, § 14 Nr. 16, zu der Betätigung eines Diabetikers in Form des als Teils der ärztli-chen Therapie anerkannten Spazierengehens).

Die Begrenzung des für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen maßgebenden Hilfebedarfs auf die im Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI im einzel-nen aufgeführten Verrichtungen ist nicht verfassungswidrig. Das Grundgesetz räumt kein Recht auf den Bezug bestimmter Sozialleistungen ein; eine Ausnahme stellt lediglich der durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 20 GG gewährleistete Anspruch auf das Existenzmini-mum (vgl. BVerfGE 82, 60, 80 und 364, 368) dar, den die Sozialhilfe sicherstellt. Es ist ferner nicht zu erkennen, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Regelungen des SGB XI berührt würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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