L 11 AS 828/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 841/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 828/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage des Anordnungsgrundes und des Anordnungsanspruches bei bestandskräfigem Bescheid.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 03.11.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.

Die Antragstellerin (ASt) begehrt die Übernahme von Beiträgen zu ihrer privaten Krankenversicherung für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2009.

Die ASt beantragte bei der Antragsgegnerin (Ag) am 26.05.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), nachdem sie ihre bis dahin ausgeübte Tätigkeit als selbständige Handelsvertreterin auf das Maß einer Nebenbeschäftigung reduziert hatte.

Mit Bescheid vom 09.07.2009 bewilligte die Ag der ASt - sowie dem mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partner und deren gemeinsamen Kind - Alg II für den Zeitraum 26.05.2009 bis 31.10.2009; in diesem Zusammenhang berücksichtigte die Ag Beiträge der ASt zu deren privaten Krankenversicherung in Höhe von 129,54 EUR (Pflegeversicherung: 19,87 EUR) monatlich.

Am 03.09.2009 sprach die ASt bei der Ag vor und machte geltend, sie habe Beitragsrückstände bei ihrer privaten Krankenversicherung (einschließlich Pflegeversicherung) in Höhe von 1.231,85 EUR. Hinzu komme ein Beitragsanteil von 150.- EUR für September 2009, den sie nicht aufbringen könne. Sie beantrage daher die Beitragsrückstände zumindest darlehensweise zu übernehmen.

Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.09.2009 ab, denn bei den Beitragsrückständen handle es sich nicht um einen unabweisbaren Bedarf, für den ein Darlehen gewährt werden könne.

Am 19.10.2009 hat die ASt beim Sozialgericht Würzburg (SG) beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Beiträge zur privaten Krankenversicherung rückwirkend ab Antragstellung zu gewähren. Der Basistarif ihrer privaten Krankenversicherung betrage 312,90 EUR monatlich. Die unzureichende Übernahmeregelung des
§ 12 Abs 1 c des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) führe dazu, dass sie die Differenz zwischen den Leistungen der Ag (129,54 EUR) und dem Basistarif aus der Regelleistung aufbringen müsse. Entsprechend der Regelung für freiwillig Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung seien die Beiträge ohne Begrenzung zu übernehmen. Ein Anordnungsgrund liege vor, denn die Krankenversicherung habe bereits mit Schreiben vom 19.08.2009 das Ruhen der Leistungen festgestellt.

Dem hielt die Ag entgegen, dass ein Ausgleich der von der ASt geltend gemachte Deckungslücke auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen nicht möglich sei. Insoweit bestehe lediglich die Möglichkeit, die nicht im Rahmen des Leistungsbezuges gedeckten Kosten der Krankenversicherung in vollem Umfang von vorhandenem Einkommen abzuziehen. Der ASt sei jedoch irrtümlich nicht der volle Pflichtversicherungsbeitrag von 124,32 EUR ausgezahlt worden, sondern lediglich ein Betrag von 120,12 EUR. Dies habe man zwischenzeitlich korrigiert (Bescheid vom 20.10.2009).

Das SG hat mit Beschluss 03.11.2009 den Antrag abgelehnt, weil ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht sei. Soweit Beitragsrückstände geltend gemacht werden, handele es sich um Leistungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume, für die in aller Regel - wie auch vorliegend - die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht darzulegen sei. Darüber hinaus bestehe auch keine Notwenigkeit, die Ag zur Zahlung der laufenden Krankenversicherungsbeiträge zu verpflichten, denn entgegen der Darstellung der ASt ruhe ihr privates Krankenversicherungsverhältnis nicht. § 193 Abs 6 Satz 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sei dahingehend auszulegen, dass bei bestehender Bedürftigkeit unabhängig vom Zeitpunkt ihres Eintrittes das Versicherungsvertragsverhältnis nicht ruhe. Die Beschwerde sei gemäß § 172 Abs 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen

Mit der gegen diesen Beschluss beim Bayerischen Landessozialgericht am 04.12.2009 eingelegten Beschwerde hat die ASt vorgebracht, sie habe im Antragsverfahren vor dem SG die offenen Krankenversicherungsbeiträge für den Zeitraum Mai bis Oktober 2009 in Höhe von monatlich 160,49 EUR, mithin 962,94 EUR geltend gemacht, womit der notwendige Beschwerdewert erreicht werde. Im übrigen werde auf den Sachvortrag erster Instanz Bezug genommen.

Am selben Tag hat die ASt Klage zum SG erhoben (S 10 AS 984/09) und beantragt die Ag zur Zahlung eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 160,49 EUR monatlich für die Zeit ab Mai 2009 zu verpflichten.

Die Ag hat darauf hingewiesen, dass die ASt weder gegen den Bescheid vom 09.07.2009 - in der Gestalt des Bescheides vom 20.10.2009 - noch gegen den Bescheid vom 04.09.2009 Widerspruch erhoben habe.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 SGG. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 03.11.2009 ist die Beschwerde statthaft, denn Gegenstand des Verfahrens ist der gegenüber der Ag für den Zeitraum Mai bis Oktober 2009 geltend gemachte Anspruch der ASt, die nicht gedeckten Kosten der privaten Krankenversicherung in Höhe von 160,49 EUR monatlich zu tragen. Auch wenn der ASt für den Monat Mai allenfalls ein anteiliger Anspruch - für die Zeit ab Beginn des Leistungsanspruches - zustehen kann, wird der Beschwerdewert von 750.- EUR (§ 172 Abs 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 SGG) erkennbar überschritten, so dass ein Berufungsverfahren in der Hauptsache zulässig wäre.

In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet.

Der geltend gemachte Anspruch, die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge von Mai 2009 bis Oktober 2009, ist mit Bewilligungsbescheid vom 09.07.2009 (in der Gestalt des Bescheides vom 20.10.2009) sowie Bescheid vom 04.09.2009 abgelehnt worden, womit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt, denn in der Hauptsache wäre ein Anfechtungs- und Verpflichtungswiderspruch bzw. - nach Abschluss eines Vorverfahrens - eine entsprechende Klage zu erheben.

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9.Aufl, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz - zumindest im Ergebnis - zu Recht abgelehnt. Die ASt hat weder einen Annordungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Die ASt hat weder gegen den Ablehnungsbescheid vom 09.07.2009 (in der Gestalt des Bescheides vom 20.10.2009 - Bewilligung als Zuschuss) noch gegen den vom 04.09.2009 (Bewilligung als Darlehen) Widerspruch erhoben, so dass diese Bescheide nach Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden sind und bindend zwischen den Beteiligten regeln (§ 77 SGG), dass der ASt für die Zeit vom 26.05.2009 bis 31.10.2009 materiell- rechtlich keine höheren Krankenversicherungsbeiträge zustehen, als dies (zuletzt) mit Bescheid vom 20.10.2009 geregelt ist.

Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich auch nicht durch die Klageerhebung vom 04.12.2009 (S 10 AS 984/09), denn dieser Rechtsstreit ist ohne jede Aussicht auf Erfolg. Bezüglich dieses Verfahrens ist bislang - mangels Erhebung eines Widerspruches gegen die maßgeblichen Ablehnungsbescheide - ein Vorverfahren noch nicht durchgeführt worden; zwar ließe sich dieses Vorverfahren nachholen, jedoch wäre ein noch zu erhebender Widerspruch seitens der Ag als unzulässig zu verwerfen, denn die den geltend gemachten Anspruch regelnden Bescheide vom 09.07.2009 (in der Gestalt des Bescheides vom 20.10.2009) und 04.09.2009 sind bekannt gegeben, die Widerspruchsfrist abgelaufen und Wiedereinsetzungsgründe nicht ersichtlich.

Vorliegend kann dahinstehen, ob der Auffassung des SG zu folgen ist, das Ruhen des Krankenversicherungsverhältnisses der ASt sei nicht eingetreten, denn an einem Anordnungsgrund fehlt es bereits soweit die Ablehnungsbescheide bestandskräftig geworden sind. Zwar hätte die Ag von Amts wegen diese Bescheide im Falle ihrer Rechtswidrigkeit zurückzunehmen. Solange die ASt jedoch gegenüber der Ag kein Interesse an der Korrektur der Bescheide vom 09.07.2009 (in der Gestalt des Bescheides vom 20.10.2009) und 04.09.2009 durch die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X bekundet, kann sie in einem gerichtlichen Eilverfahren auch nicht die Dringlichkeit der Angelegenheit für sich in Anspruch nehmen (vgl. Beschluss des Senats vom 25.01.2010 -
L 11 AS 796/09 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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