L 6 U 10/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 133/02
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 10/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls sowie über die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1948 geborene und als selbständiger Raumausstatter bei der Beklagten versicherte Kläger zeigte der Beklagten am 19. Juli 2000 einen am 16. Februar 1999 gegen 12 Uhr erlittenen Unfall an. Nach eigenen Angaben sei er während der Ausübung versicherter Tätigkeit beim Aufhängen von Gardinen aus einer Höhe von 4,5 m beim seitlichen Wegkippen einer Leiter gefallen und mit dem Rücken auf den Marmorfußboden gestürzt. Als Verletzung gab er einen Bandscheibenvorfall und Beschwerden an der Halswirbelsäule (HWS) an. Am 1. März 1999 suchte er die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W. auf, die ihm wegen eines Cervikalsyndroms (Schmerzen an der HWS und im Schulterbereich) eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 19. März 1999 bescheinigte. Der Kläger blieb aber auch in dieser Zeit in seinem Geschäft tätig.

Unter dem 27. Juli 2000 teilte der Kläger mit, er habe nach dem Sturz im Februar 1999 leichte Schmerzen im Bereich der Lunge und des Halses verspürt. Er sei von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W und von einem Lungenfacharzt wegen Reizhustens behandelt worden. Der Facharzt für Orthopädie Dr. E. habe im Juli 2000 in Auswertung von Röntgenaufnahmen einen Bruch an der HWS diagnostiziert.

Nach Mitteilung der Barmer Ersatzkasse war der Kläger seit dem 25. Mai 1999 wegen Affektionen des Rückens arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklagte holte einen Befundbericht von Frau Dr. W. ein, die unter dem 5. September 2000 berichtete, der Kläger habe sie am 1. März 1999 mit Schmerzen an der HWS und beiden Schultern aufgesucht. Der Kläger sei mit gleichen Beschwerden bereits am 12. November 1993, 6. März 1995 und 26. April 1995 (Schulter-Arm-Syndrom) sowie am 28. Juni 1996 und 14. Oktober 1996 (Cervikalsyndrom) bei ihr in Behandlung gewesen. Sie könne daher keine Aussage dazu treffen, ob diese Be-schwerden in Zusammenhang mit dem Unfall vom 16. Februar 1999 stünden. Sie fügte das Sozialmedizinische Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt vom 13. Juli 2000 bei, wonach der Kläger unter Beschwerden der HWS infolge degenerativer Veränderungen leide. Der Facharzt für Radiologie Dr. W. hatte berichtet, das Computerto-mogramm (CT) der HWS vom 10. Januar 2000 habe ein enges linkes Neuroforamen in Höhe von C4/5 und beidseits in Höhe von C5/6 bei degenerativen Veränderungen im Bereich der kleinen Wirbelgelenke und einer deutlichen Streckhaltung der HWS gezeigt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. P. hatte unter dem 9. Mai 2000 nach Auswertung von Röntgenaufnahmen vom 8. Mai 2000 eine Spondylose und Osteo-chondrose bei C5 bis C7, eine deutlich ausgeprägte Uncovertebralarthrose bei C4 bis C7, eine kräftige ventrale Randzackenbildung bei C6, die Einengung der Foramina intervertebralia (Zwischenwirbelloch) bei C4/5 rechts festgestellt.

Die Beklagte erhielt den Befundbericht von dem Facharzt für Orthopädie Dr. E. vom 19. Juli 2000, wonach der Kläger keinen Bruch der HWS erlitten habe. Eine Höhen-minderung des 6. Halswirbelkörpers sei nicht als Kompression des Wirbelkörpers, sondern als Folge eines nicht vollständig ausgebildeten Wirbelkörpers anzusehen.

In der fachärztlichen Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten Dr. S. vom 19. September 2000 ging dieser davon aus, dass aufgrund der erheblichen degenera-tiven Veränderungen der HWS ein kausaler Zusammenhang der angegebenen Beschwerden zu dem Unfallereignis vom 16. Februar 1999 nicht bestehe.

Der Kläger überließ der Beklagten den Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. W. vom 10. September 1999, der einen chronischen Reizhusten diagnostiziert hatte, sowie den Befundbericht vom Arzt für Orthopädie MR Dr. B. vom 17. Januar 2001, der am 19. Dezember 2000 Röntgenaufnahmen der HWS gefertigt hatte. Diese zeigten nach seiner Einschätzung Frakturen des 6. Halswirbelkörpers und der 4. und 5. Rippe links, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien.

Unter dem 14. Mai 2001 berichtete der Bruder des Klägers, er sei Zeuge des Unfalls gewesen. Er habe keine Verletzungen des Klägers festgestellt; dieser habe die Gardinen noch selbst zum Auto getragen.

Die Beklagte zog weitere Befundberichte bei. Herr Dr. W. hatte am 4. März 1999 Röntgenaufnahmen des Thorax gefertigt und vermerkt, der knöcherne Thorax sei ohne Befund. Frau Dr. W. führte unter dem 29. Juni 2001 aus, der Kläger sei am 25. Mai 1999 mit Beschwerden im Sinne einer Ischialgie mit Ausstrahlung der Beschwerden in die linke Wade erschienen. Ferner lag der Beklagten der Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. M. vom 2. April 2001 vor. Von der Landesversi-cherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA) erhielt die Beklagte das fachorthopädische Gutachten von Dr. P. vom 9. Mai 2000 sowie den Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik B. S. vom 22. November 2000.

Die Beklagte beauftragte den Facharzt für Chirurgie Dr. S. mit der Erstattung des Zusammenhangsgutachtens nach Untersuchung des Klägers am 11. September 2001 sowie den Facharzt für Radiologie Dr. K. mit der Erstattung des Zusatzgutachtens vom 5. Oktober 2001. Dr. K. führte aus, das CT der HWS vom 10. Januar 2000 zeige keine Läsion als Folge des Unfalls, bestätige aber spondylotische Randzacken-bildungen ohne wesentliche Degeneration der kleinen Wirbelgelenke. Die CTe der HWS vom 10. Juli 2000 ließen spondylotische Veränderungen besonders bei C5 bis C7 mit einer Steilhaltung der HWS sowie eine Höhenminderung des 6. Halswirbelkör-pers erkennen. Die Steilhaltung und die Höhenminderung bei spondylotischen Verän-derungen seien auch auf der Röntgenaufnahme vom 19. Dezember 2000 zu erkennen. Die Röntgenaufnahmen des knöchernen Hemithoraxes vom 19. Dezember 2000 zeigten glatte Konturen der Rippenabschnitte ohne Hinweise auf eine Fraktur. Dr. S. berichtete in seinem Gutachten, der Kläger habe ihm erzählt, nach dem Sturz sei ihm die Luft weggeblieben und er habe ziehende Schmerzen in den Schultern und im Nacken verspürt. Erst nach einer 30-minütigen Pause habe er die restlichen Gardinen abgenommen und den Kleintransporter selbst von Bremen nach Magdeburg gefahren. Der Gutachter führte weiter aus, die nach dem Unfall verspürten Schmerzen der Schulter-Nacken-Region, des Rückens und des Brustkorbes seien auf diesen zurück-zuführen und mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit im Wesentlichen abgeheilt gewe-sen. Die weiteren Beschwerden seien eindeutig in krankhaften Veränderungen der HWS und der Lendenwirbelsäule (LWS) begründet. Es handele sich um Verschleißer-scheinungen, die durch umformende Veränderungen hervorgerufen seien. Der Unfall-mechanismus sei nicht geeignet gewesen, die Veränderungen am 6. Halswirbelkörper hervorzurufen. Ein Bruch der 4. und 5. Rippe hätte den Kläger aufgrund der heftig einsetzenden Schmerzen veranlasst, seine Tätigkeit abzubrechen.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2002 erkannte die Beklagte den Unfall vom 16. Februar 1999 als Arbeitsunfall mit folgenlos ausgeheilter Rückenprellung ohne knöcherne Verletzung an, lehnte es jedoch ab, die Bandscheibenveränderungen insbesondere bei C5 bis C7 bei Steilhaltung der HWS, das Cervicobrachialsyndrom rechts, das chro-nisch-rezidivierende lumbale Pseudoradikulärsyndrom links und das chronische Schmerzsyndrom der Wirbelsäule als Unfallfolgen anzuerkennen und eine Verletzten-rente zu gewähren. Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 21. Februar 2002 Widerspruch und führte aus, es sei nicht zutreffend, dass der 6. Halswirbelkörper in seiner Struktur nicht homogen und unauffällig sei. Dieser sei höhengemindert und zeige eine deutliche Einkerbung in der vorderen Seite. Es läge daher eine Fraktur des Wirbelkörpers vor, welche durch den Unfall hervorgerufen worden sei. Er legte das Sozialmedizinische Gutachten aus dem Jahr 2002 vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2002 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück und begründete dies mit den Ergeb-nissen der Gutachten von Dr. S. und Dr. K ... Diese hätten schlüssig und überzeugend dargelegt, dass die geklagten Beschwerden auf erhebliche degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und des Brustkorbes zurückzuführen seien. Die Veränderungen am 6. Halswirbelkörper seien nicht Folge eines Bruches gewesen.

Mit der am 12. August 2002 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Anerkennung eines Bruchs des 6. Halswirbelkörpers und der 4. und 5. Rippe sowie die Gewährung einer Verletztenrente hieraus weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat das Vorerkrankungsverzeichnis der Barmer Ersatzkasse beige-zogen. Es hat ferner die gutachtliche Stellungnahme des Direktors der K. für D. R. der O. –v. –G. –U. M. Prof. Dr. D. vom 2. Mai 2005 zu den Röntgenaufnahmen der HWS vom 8. Mai 2000, vom 19. Dezember 2000 und vom 11. Juni 2002, zu den Röntgenaufnahmen des Thorax vom 26. September 1996, vom 4. März 1999, vom 21. Juni 1999 und vom 10. September 1999 sowie zu den Röntgenaufnahmen der Brust-wirbelsäule (BWS) und der LWS vom 19. Dezember 2000 und 8. Mai 2002 eingeholt. Darin hat dieser ausgeführt, die Röntgenaufnahmen ließen keine Frakturen der HWS und der Rippen erkennen. Auf den Aufnahmen der HWS falle eine gleichmäßige Höhenminderung des 6. Halswirbelkörpers auf, wobei die Gestalt des höhengeminderten Wirbelkörpers mit der zarten horizontal verlaufenden Sklerosierungslinie im Inneren des Brustwirbelkörpers einer Normvariante entspreche, die offensichtlich auf eine Entwicklungsstörung zurückzuführen sei. Eine Kompressionsfraktur liege damit nicht vor. Bei einer Kompressionsfraktur mit einer vergleichbaren Höhenminderung wären eine Ventralabflachung des Wirbelkörpers mit einer Höhendifferenz von mindestens 3 mm zwischen der Vorderkante und der Hinterkante des verletzten Wirbelkörpers, eine Verbreiterung oder Tiefenzunahme des Wirbelkörpers sowie eine breitere Verdichtung der Knochenstruktur innerhalb des Wirbelkörpers zu erwarten gewesen. Dies liege im vorliegenden Fall nicht vor. Auch sei eine Fraktur der Rippen nicht nachgewiesen, weil eine zu erwartende Kallusbildung nicht zu beobachten sei. Soweit Konturstufen an den Rippen abgebildet würden, ließen diese nicht auf eine Fraktur der Rippen schließen, weil solche Konturstufen bereits an der 5. und 7. rechten sowie an der 7. linken Rippe auf den Röntgenaufnahmen vom 26. September 1996 abgebildet würden. Es sei anzunehmen, dass es sich um Projek-tionseffekte handele. Auf den zusätzlich vorgelegten Röntgenaufnahmen der BWS und der LWS zeigten sich neben weitgehend altersentsprechenden degenerativen Verän-derungen lediglich eine rechts betonte Ventralabflachung des 8. Brustwirbelkörpers ohne zusätzliche unfallbedingte Veränderungen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht den Arzt für Orthopädie MR Dr. B. mit der Erstattung des Gutachtens vom 6. Oktober 2005 beauftragt, in dem der Gutachter ausgeführt hat, die Schmerzen in der Schulternackenregion mit Ausstrahlungen in den rechten Arm in Verbindung mit Missempfindungen unmittelbar nach dem Arbeitsunfall deuteten auf eine Traumatisierung der unteren HWS hin. Die starke Einkerbung der Vorderkante des 6. Halswirbelkörpers entspreche einem Nachgeben auf Druck und damit für eine stattgehabte Fraktur. Hierfür spreche auch der Höhenunterschied des 6. Halswirbelkörpers von 5 mm von vorn nach hinten. Eine Kallusbildung im Rippenbereich sei zu erkennen. Aufgrund des Unfallhergangs lägen auch Rippenfrakturen nahe. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei der Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Veränderungen des 6. Halswirbelkörpers gegeben. Die körperlichen und röntgenologischen Veränderungen sprächen im Einklang mit den glaubhaft geklagten Beschwerden des Klägers eindeutig für unfallbedingte Veränderungen sowie für die Verschlechterung des bereits beste-henden Cervicobrachialsyndroms bei Verschleiß der HWS und mit großer Wahrschein-lichkeit auch für unfallbedingte Veränderungen an den Rippen.

Unter dem 6. Dezember 2005 hat der Beratungsarzt der Beklagten Dr. S. ausgeführt, gegen eine frische Fraktur als Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Februar 1999 spreche der Umstand, dass der Kläger erst zwei Wochen nach dem Unfallereignis arbeitsunfä-hig geworden sei. Der Kläger habe zudem unfallunabhängig seit mehreren Jahren an offensichtlichen Verschleißerscheinungen der HWS gelitten. Die Veränderungen des 6. Halswirbelkörpers gingen auch offensichtlich auf eine Entwicklungsstörung zurück. Sämtliche radiologischen Befunde wiesen auf degenerative Veränderungen der HWS hin; insbesondere sei die Abflachung bzw. Deformierung des 6. Halswirbelkörpers typische Folge derartiger degenerativer Veränderungen.

Mit Urteil vom 15. Dezember 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Frakturen des 6. Halswirbelkörpers und der 4. und 5. Rippe seien nicht vollbeweislich gesichert. Die Interpretation der Befunde durch MR Dr. B. widerlege nicht die medizinischen Auffassungen der anderen Ärzte.

Gegen das am 27. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Januar 2006 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begrün-dung hat er sich im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. B. berufen. Dass er erst zwei Wochen nach dem Arbeitsunfall seine Arbeit eingestellt habe, liege daran, dass er noch einen wichtigen Auftrag zu erledigen gehabt habe. Andernfalls hätte er sein Geschäft aufgeben müssen. Eine Fraktur der HWS könne noch Jahre nach dem Unfallereignis unentdeckt bleiben. Der vom Landessozialgericht beauftragte Gutachter Dr. B. habe sein Gutachten erst Monate nach der Untersuchung am 1. September 2008 erstattet. Damit seien seine Belange nicht gewahrt. Im Übrigen seien das MRT und das CT nicht geeignet, Frakturen festzustellen. Auch sei er vor dem Unfall nicht mit ähnlichen Beschwerden wie nach dem Unfall in Behandlung gewesen. Vielmehr hätten vor dem Unfall nur Verspannungen der Muskulatur vorgele-gen. Er habe auch nicht den Hausarzt gewechselt. Unzutreffend sei die Mitteilung von Frau Dr. W. , er habe sie nach dem Unfall lediglich wegen des Cervikalsyndroms aufgesucht. Unzutreffend seien auch die Ausführungen von Dr. P. , wonach er im Mai 2000 seit einem halben Jahr Schmerzen in der LWS und Verkrampfungen im Nackenbereich gehabt habe. Diese Schmerzen und Verkrampfungen hätten seinerzeit bereits seit ca. einem Jahr bestanden. Gegenüber dem Gutachter Dr. B. habe er nicht erklärt, er bleibe wegen starker Schmerzen oft bis abends im Bett. Vielmehr habe er berichtet, er gehe in diesem Falle abends früh zu Bett. Auch gehe Dr. B. fehlerhaft von degenerativen Veränderungen seit 1993 aus, die jedoch nicht nachzuweisen seien. Röntgenaufnahmen, die dies belegen könnten, seien nicht gefertigt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2002 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 9. Juli 2002 abzuändern, festzustellen, dass die Fraktur des 6. Halswirbelkörpers sowie die Frakturen an der 4. und 5. Rippe links Folgen des Arbeitsunfalls vom 16. Februar 1999 sind und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 20. März 1999 an eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass sich ein Kompressionsbruch des 6. Halswirbelkörpers nicht bestätigt habe, so dass von einer Rückbildung des unfallbe-dingten Schadens ohne knöcherne Verletzung auszugehen sei. Ursache der Verände-rungen seien vielmehr degenerative Veränderungen der HWS. Auch spreche der Umstand, dass der Kläger erst zwei Wochen nach dem Arbeitsunfall arbeitsunfähig geworden sei, gegen eine Fraktur der unteren HWS.

Das Landessozialgericht hat den Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederher-stellungschirurgie des St. S. Klinikums H. Dr. B. mit der Erstattung des Gutach-tens vom 14. April 2009 nach Untersuchung des Klägers am 1. September 2008 beauftragt. Der Gutachter hat ausgeführt, der Kläger leide an erheblichen degenerati-ven Veränderungen der HWS, BWS und LWS mit entsprechenden Beschwerden. Die degenerativen Beschwerden der HWS hätten bereits nach dem Befundbericht von Frau Dr. W. seit 1993 vorgelegen. Es liege weder ein Zustand nach einer Fraktur des 6. Halswirbelkörpers noch der Rippen vor. Vielmehr fänden sich am 6. Halswirbel-körper degenerative Veränderungen auf abnutzungsbedingter Basis. Der Unfallher-gang sei nicht geeignet gewesen, degenerative Veränderungen hervorzurufen. Zu einer Fraktur des 6. Halswirbelkörpers und der Rippen sei es nach den bildgebenden Befunden nicht gekommen. Auch sei keine wesentliche Verschlimmerung der Verände-rungen durch den Unfall eingetreten. Die unfallunabhängige Abnutzung habe weiter zugenommen. Die jetzige Röntgennachuntersuchung bestätige die degenerative Basis der Veränderungen am 6. Halswirbelkörper, weil nun der 5. Halswirbelkörper beginne, eine exakt identische Form, wie sie Dr. B. für den 6. Halswirbelkörper beschrieben habe, anzunehmen.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten mit dem Aktenzeichen S 1/00/06824/6 vorgelegen. Diese waren Gegenstand der Beratung und Entschei-dungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143, 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

Nachdem die Beklagte zum 1. Januar 2010 auf Grund einer Fusion mehrerer Berufs-genossenschaften Rechtsnachfolgerin der Lederindustrie-Berufsgenossenschaft geworden ist, ist auf Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, 8. Auflage § 99 SGG RdNr. 6a).

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Veränderungen an dem 6. Halswirbelkör-per und den Zustand der 4. und 5. Rippe als Folgen des Arbeitsunfalls vom 16. Februar 1999 anzuerkennen und dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren. Dass sich der Kläger bei dem Arbeitsunfall diese Frakturen zugezogen hat, steht für den Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest. Daher kann es dahingestellt bleiben, ob diese Frakturen vollbeweislich gesichert sind.

Für die Beurteilung des kausalen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der geltend gemachten Gesundheitsstörungen gilt der Beweismaßstab der hinreichen-den Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünfti-ger Abwägung aller Umstände die für den Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht nicht mit hinreichender Wahrschein-lichkeit fest, dass die geltend gemachten Frakturen Folgen des Arbeitsunfalls sind.

So hat der Kläger noch am Unfalltag nach dem Unfall seine Tätigkeiten fortgesetzt. Nach eigenen Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. S. hat er - nach einer 30minütigen Pause - die Restarbeiten an den Gardinen erledigt und ist noch selbst mit seinem Fahrzeug von Bremen nach Magdeburg gefahren. Sein Bruder, der den Unfall unmittelbar miterlebt hat, hat bei dem Kläger keine Verletzungen als Folgen des Unfalls bemerkt. Nach dessen Angaben hat der Kläger sogar noch die Gardinen zum Auto getragen. Dabei wäre zumindest nach einer Fraktur der Rippen mit schmerzhaften Beschwerden zu rechnen gewesen. Hierauf hat der Gutachter Dr. S. hingewiesen. Dass der Kläger bei der Erledigung der Restarbeiten nach dem Unfall und beim Transportieren der Gardinen zum Fahrzeug nicht die Hilfe seines anwesenden Bruders in Anspruch genommen hat, begründet ernsthafte Zweifel, dass die Frakturen Folgen des Unfalls sind.

Auch das Verhalten des Klägers in den folgenden Tagen nach dem Unfall lässt den Senat ernsthaft an einem Ursachenzusammenhang zwischen Frakturen und Unfall zweifeln. So hat der Kläger seine Tätigkeiten bis zum 1. März 1999 fortgesetzt, ohne sich mit Schmerzen oder Beschwerden im Hals-Nackenbereich bzw. Brustbereich in ärztliche Behandlung zu begeben.

Ferner fehlt es an einem unmittelbar nach dem Unfall erhobenen Befund über Fraktu-ren des 6. Halswirbelkörpers und der 4. und 5. Rippe. Dr. W. hat den Kläger wegen eines Cervikalsyndroms behandelt und die Behandlung mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Klägers am 20. März 1999 beendet. Schmerzen des Klägers in der Brust sind in dem Befundbericht für die Behandlung ab dem 1. März 1999 nicht erwähnt. Der Kläger hat Frau Dr. W. erst wieder am 25. Mai 1999 aufgesucht, diesmal mit Beschwerden der LWS. Beschwerden im Hals-Nackenbereich hat Frau Dr. W. für die Zeit ab dem 25. Mai 1999 in ihrem Befundbericht nicht beschrieben. Auch Schmerzen in der Brust sind ab diesem Zeitpunkt nicht erwähnt. Herr Dr. W. hat nach Auswertung der am 4. März 1999 vom Thorax gefertigten Röntgenbilder keinen knöchernen Befund erhoben. MR Dr. B. kann ebenfalls den Aufnahmen von 1999 noch keine knöchernen Veränderungen entnehmen, da diese wegen ihrer Einstellung auf das Lungengewebe eine solche Beurteilung nicht zuließen.

Frakturen von Halswirbelkörpern und Rippen sind auch nicht zwangsläufige Folgen eines Sturzes, wie ihn der Kläger am 16. Februar 1999 erlebt hat. Dies hat keiner der Gutachter und der behandelnden Ärzte dargetan. MR Dr. B. hat lediglich ausge-führt, Rippenfrakturen lägen bei dem Unfallhergang nahe.

Die ersten bildgebenden Befunde der HWS datieren auf den 10. Januar 2000 (CT Dr. Wiedmann) und 9. Mai 2000 (Röntgenaufnahmen Dr. P. ) sowie auf den 10. Juli 2000 (Röntgenaufnahmen Dr. W. ). Anzeichen einer Fraktur des 6. Halswirbelkör-pers waren dem CT vom 10. Januar 2000 nicht zu entnehmen. Dr. P. hat in Auswer-tung der Röntgenaufnahmen vom 9. Mai 2000 keine Veränderungen bei C6 beschrie-ben. Erstmals in der Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 10. Juli 2000 geht Dr. K. auf Veränderungen des 6. Halswirbelkörpers ein. Während er hier keine Fraktur erkennt, hält Dr. B. eine Fraktur anhand der Röntgenbilder für nachgewiesen. Zwischen diesem ersten Befund einer Veränderung am 6. Halswirbelkörper und dem Unfallereignis lag ein zeitlicher Abstand von knapp einem Jahr und fünf Monaten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Befund liegt nach einem derart langen zeitlichen Abstand nicht nahe. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn MR Dr. B. auch den Aufnahmen vom 10. Januar und 10. Juli 2000 bereits die Darstellung eines Bruches entnehmen würde, die ihm nicht vorgelegen haben. Denn seine Argumentation beruht nicht darauf, dass die Aufnahmen dem Abbildungs-gegenstand nach Schlüsse auf die zeitliche Entstehung zuließen. Dies ist auch auszuschließen, weil in einem Zeitraum von elf Monaten Veränderungen, insbesondere durch Heilung, eintreten, die eine zeitliche Einordnung des auslösenden Ereignisses unmöglich machen.

Es haben auch keine sog. Brückensymptome vorgelegen, die auch nach diesem zeitlichen Abstand zwischen Befunderhebung und Unfall auf einen ursächlichen Zusammenhang hinweisen. Das von Frau Dr. W. behandelte Cervikalsyndrom betraf zwar Beschwerden im Hals-Schulterbereich. Derartige Beschwerden gehen aber nicht zwangsläufig ursächlich auf eine Fraktur eines Halswirbelkörpers zurück, sondern können unterschiedliche Ursachen haben (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, Stichwort Zervikobrachialsyndrom mit Angabe von Ursachen). Zudem hatte Frau Dr. W. den Kläger bereits vor dem Unfall am 12. November 1993, 6. März 1995, 26. April 1995, 28. Juni 1996 und 14. Oktober 1996 wegen eines Cervikal-syndroms bzw. Schulter-Nackenbeschwerden behandelt. Dies geht aus ihren Befund-berichten hervor. Nach alledem folgt der Senat den Kausalitätserwägungen von Dr. B. nicht. Auch wenn die vom Kläger geltend gemachten Frakturen vorliegen, ist ein Ursachenzusam-menhang zu dem Arbeitsunfall nicht hinreichend wahrscheinlich.

Da die von der Beklagten anerkannten Verletzungsfolgen vor Ablauf der 26. Woche ausgeheilt sind und die geltend gemachten Frakturen keine Unfallfolgen sind, hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Verletztenrente (§ 56 SGB VII).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

gez. Eyrich gez. Dr. Ulrich gez. Boldt
Rechtskraft
Aus
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