L 3 AL 3995/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 1266/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3995/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, in welcher Höhe der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat.

Der 1966 geborene Kläger war ab dem 01.01.1993 als Buchhaltungsleiter mit einer Kündigungsfrist von zuletzt 12 Monaten zum Jahresende beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte mit Schreiben vom 16.10.2006 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.12.2006. Durch Vergleich vor dem Arbeitsgericht Stuttgart vom 27.12.2006 einigten sich die Arbeitsvertragsparteien darauf, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger Veranlassung zum 31.12.2006 endet. Weiter vereinbarten sie eine Abfindung in Höhe von 105.000,00 EUR, fällig zum 31.01.2007.

Am 20.10.2006 meldete sich der Kläger arbeitssuchend und beantragte die Gewährung von Alg. Mit Bescheid vom 20.02.2007 stellte die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruchs wegen der Gewährung einer Entlassungsentschädigung bis zum 28.09.2007 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2007 zurück. Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben (S 3 AL 1266/07).

Den weiteren Bescheid vom 20.02.2007, mit dem die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung vom 01.01. bis 07.01.2007 festgestellt hatte, hob diese auf den Widerspruch des Klägers mit Abhilfebescheid vom 10.04.2007 auf. Mit Änderungsbescheid gleichen Datums führte sie aus, die Leistung ruhe vom 01.01.2007 bis 28.09.2007 wegen der Gewährung einer Entlassungsentschädigung gemäß § 143a SGB III.

Mit weiterem Bescheid vom 20.02.2007 bewilligte die Beklagte Alg ab dem 29.09.2007 in Höhe von kalendertäglich 63,84 EUR (Lohnsteuerklasse III, allgemeiner Leistungssatz) für 360 Tage.

Hiergegen legte der Kläger u.a. wegen der Höhe der Leistung Widerspruch ein mit der Begründung, er habe seit Jahren keine Lohnsteuer mehr bezahlt, weshalb bei der Berechnung seines Alg auch keine Lohnsteuer und kein Solidaritätszuschlag abzuziehen seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. § 129 SGB III bestimme, dass das Arbeitslosengeld 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) betrage (allgemeiner Leistungssatz). Der erhöhte Leistungssatz von 67 Prozent werde nur gewährt, wenn der Arbeitslose oder sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte oder Lebenspartner ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 - 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) habe.

Leistungsentgelt sei gemäß § 133 Abs. 1 SGB III das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Hierbei seien eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 Prozent des Bemessungsentgelts und die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei, sowie der Solidaritätszuschlag ohne Berücksichtigung von Kinderfreibeiträgen abzuziehen. Bei der Berechnung der Abzüge von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag seien Freibeträge und Pauschalen, die nicht jedem Arbeitnehmer zustünden, nicht zu berücksichtigen (§ 133 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Unbeachtlich sei deshalb, dass der Kläger seit Jahren keine Lohnsteuer mehr entrichte.

Der Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltzeiträume vom 01.01.2006 bis 31.12.2006. In diesem Zeitraum habe der Kläger in 240 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 41.825,00 EUR erzielt. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt (Bemessungsentgelt) von 174,27 EUR. Unter Zugrundelegung der Eintragungen in der Steuerkarte (Steuerklasse und Kinderfreibeträge) bestehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem allgemeinen Leistungssatz (ohne Kind) in Höhe von täglich 63,84 EUR.

Hiergegen hat der Kläger am 04.04.2007 Klage zum SG erhoben (S 3 AL 1537/07).

Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2007 berechnete die Beklagte die Beiträge zur privaten Krankenversicherung gemäß § 207a SGB III neu.

Das SG hat die Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Beschluss vom 21.07.2008) und mit Gerichtsbescheid vom 24.07.2008 die "Klage" abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch des Klägers habe bis zum 28.09.2007 wegen der Gewährung einer Entlassungsentschädigung gemäß § 143a SGB III geruht. Auch die Höhe des ab 29.09.2006 bewilligten Alg sei rechtlich nicht zu beanstanden. § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB III gehe von "pauschalierten" Abzügen aus, so dass nicht auf die individuellen Abzüge des Klägers abzustellen sei. Da das Alg kein steuerpflichtiges Einkommen darstelle und von ihm auch keine Sozialabgaben zu entrichten seien, sei es sachgerecht, für seine Bemessung grundsätzlich an den Nettolohn anzuknüpfen, den der Arbeitnehmer vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zuletzt bezogen habe. Dabei könne sich der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität für eine Pauschalierung entscheiden. Es sei deshalb rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Lohnabzüge für die Berechnung des Nettolohnes nicht individuell, sondern pauschalierend berechnet würden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 23.03.1994 - 1 Bvl 8/85 - BVerfGE 90, 226). Es sei nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass die gemäß § 133 Abs. 2 SGB III beim Kläger vorgenommenen Abzüge von den typischerweise bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer anfallenden Abzügen abwichen.

Gegen das am 29.07.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger wegen der Höhe des Arbeitslosengeldes am 19.08.2008 Berufung eingelegt.

Er trägt vor, er habe vor Eintritt der Arbeitslosigkeit für mehrere Jahre keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag mehr gezahlt. Deshalb komme bei ihm die Pauschalierung nicht zum Tragen. Die vom SG angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.1994 sei nicht einschlägig, da diese Entscheidung nicht die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag betroffen habe. In dieser Entscheidung sei davon ausgegangen worden, dass noch eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer kirchensteuererhebenden Kirche angehörten. Es sei jedoch nicht davon auszugehen, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag bezahlt hätten.

Der Kläger hat bis zum 27.06.2008 Alg in Höhe von kalendertäglich 63,84 EUR bezogen und ab dem 28.06.2008 einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in Höhe des bisherigen Alg.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. Juli 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 20. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2007 sowie der Bescheide vom 10. April 2007 und 25. September 2007 höheres Arbeitslosengeld vom 29. September 2007 bis 27. Juni 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Der Kläger macht für die Zeit vom 29.09.2007 bis 27.06.2008 eine höhere Leistung von kalendertäglich 18,76 EUR geltend. Der geltend gemachte Betrag übersteigt damit die Berufungssumme von 750,00 EUR.

Die Berufung, mit der nur noch die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes geltend gemacht wird, ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden das dem Kläger gewährte Alg zutreffend festgesetzt. Es hat das vom Arbeitgeber bescheinigte Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum der Bewilligung zugrundegelegt und den Anspruch entsprechend den gesetzlichen Regelungen berechnet. Hierzu wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und im Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Ergänzend ist folgendes auszuführen: Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet der gesetzlich angeordnete pauschalierte Abzug von Lohnsteuer und Solidaritätsbeitrag bei der Bemessung des Alg keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, der Gesetzgeber könne sich im Bereich der Berechnung des Alg für eine Pauschalierung entscheiden, die im Hinblick auf die Verwaltungspraktikabilität eine zügige Feststellung der Leistungshöhe ermögliche. Es sei deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Lohnabzüge für die Berechnung des Nettolohnes nicht individuell ermittelt würden, sondern der individuelle Bruttolohn um die durch Rechtsverordnung konkretisierten "gewöhnlich" anfallenden Abzüge zu vermindern sei. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wäre es erst dann nicht mehr vereinbar, wenn der Gesetzgeber die Höhe des Arbeitslosengeldes auf einen bestimmten Prozentsatz des Nettolohnes festlegte, die Berechnung des Nettolohnes aber so regeln würde, dass dieser auch bei typisierter Betrachtung nicht mehr dem um die "gewöhnlich" anfallenden Abzüge vom Mindestarbeitsentgelt entspräche (BVerfG, Beschluss vom 23.10.1996 - 1 BvR 70/96 - in juris).

Sowohl bei der Lohnsteuer als auch beim Solidaritätszuschlag handelt es sich um gewöhnlich anfallende gesetzliche Abzüge. Eine Berücksichtigung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes könnte danach erst fraglich sein, wenn diese von der Mehrheit der Arbeitnehmer nicht mehr zu entrichten wären. Dies ist jedoch gegenwärtig nicht der Fall. Die weit überwiegende Mehrzahl der Arbeitnehmer hat Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag zu entrichten, so dass diese Abzüge bei der Pauschalierung auch zu berücksichtigen sind.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, bei ihm komme die Pauschalierung nicht zum Tragen, da er seit mehreren Jahren keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag entrichtet habe, verkennt er das Wesen der Pauschalierung. Die Pauschalierung ist nämlich gerade dadurch gekennzeichnet, dass eine generelle Regelung unabhängig von den individuellen Verhältnissen getroffen wird, so vorliegend unabhängig von der Höhe des individuellen Steuersatzes, mag dieser auch bei Null liegen.

Soweit der Kläger weiter vorgetragen hat, es sei nicht davon auszugehen, dass die Mehrheit von Arbeitnehmern keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag mehr entrichte, ist dies gerade der Grund für den pauschalierten Abzug. Erst wenn die Mehrheit der Arbeitnehmer keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag mehr entrichtet, dürfte ein pauschalierter Abzug nicht mehr zulässig sein.

Die Berufung des Klägers ist deshalb zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 177 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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