L 10 AS 393/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 100 AS 1464/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 393/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die darlehensweise Übernahme von Schulden, die der Antragsteller aus der Gaslieferung hat.

Der 1963 geborene erwerbsfähige Antragsteller wohnt seit 01. Januar 2008 mit seiner 1980 geborenen erwerbsfähigen Ehefrau in einer Wohnung im Haus R in B-T, für die monatlich eine Bruttokaltmiete von 413,50 Euro zu zahlen ist. Die Wohnung wird mit Gas beheizt. Der Antragsteller und seine Ehefrau beziehen seit 03. August 2006 in B mit Unterbrechungen (ergänzend) Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Anrechnung von Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit in wechselnder Höhe (Antragsteller zuletzt iHv 400,00 Euro, Ehefrau zuletzt 1.075,00 Euro).

Die GASAG stellte dem Antragsteller unter dem 21. Januar 2009 für den Gasverbrauch in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis 20. Januar 2009 nach Abzug geleisteter Abschlagszahlungen einen Restbetrag von 99,74 Euro in Rechnung und setzte den ab 01. März 2009 monatlich fälligen Abschlag auf 70,00 Euro fest.

Den vom Antragsteller gestellten Antrag auf Übernahme der Heizkostennachforderung und Berücksichtigung der weiteren Heizkosten lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. Februar 2009 ab, da die in den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) vorgesehene Mietobergrenze von 444,00 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt bereits überschritten sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2009 zurück. Über die dagegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin (Az: S 100 AS 24118/09) ist noch nicht entschieden worden.

Der Antragsteller beglich die Jahresabrechnung nicht und stellte im März 2009 die Überweisung der monatlich fällig werdenden Abschlagszahlungen ein.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2009 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller und seiner Ehefrau im Leistungszeitraum vom 01. November 2009 bis 31. Januar 2010 jeweils monatliche Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 27,50 Euro. Auf der Bedarfsseite ging die Antragsgegnerin von anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) iHv 444,00 Euro aus. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Der Antragsteller hat am 23. Dezember 2009 beim SG Berlin den Antrag gestellt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm zur Begleichung der Heizkostenforderung der GASAG ein Darlehen iHv 838,74 Euro zu gewähren. Der Energieversorger habe am 19. Juni 2009 Klage auf Duldung der Sperrung des Gaszählers erhoben und fordere zuletzt einen rückständigen Betrag von 838,74 Euro (unter Einschluss von Mahnkosten und Kosten für einen Außendienstbesuch). Weder die Forderung aus der Jahresabrechnung, noch die in den Monaten März bis Dezember 2009 fälligen Abschlagszahlungen seien beglichen worden. Wegen mehrerer strittiger Sanktionen iSd § 31 SGB II sei er in massive Zahlungsschwierigkeiten geraten. Außerdem seien bei der Berechnung der bewilligten Leistungen die Pauschbeträge für vom Einkommen abzusetzende Beträge zur niedrig angesetzt worden. Er sei stark verschuldet und zahle zur Begleichung seiner Schulden je nach Möglichkeit 130,00 bis 180,00 Euro monatlich an seine Gläubiger. Seine Ehefrau befinde sich in der Wohlverhaltensphase eines Privatinsolvenzverfahrens; ihr pfändbares Einkommen sei an den Insolvenzverwalter abgetreten worden.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2010 hat die Antragsgegnerin den Antrag auf Gewährung eines Darlehens abgelehnt.

Mit Beschluss vom 15. Januar 2010 hat das SG Berlin den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen eines fehlenden Anordnungsgrundes abgelehnt. Es sei weder konkret dargelegt noch glaubhaft gemacht worden, dass die Abschaltung der Gasversorgung in nächster Zukunft drohe.

Mit Bescheid vom 26. Januar 2010 hat die Antragsgegnerin für den Leistungszeitraum vom 01. Februar 2010 bis 31. Juli 2010 dem Antragsteller und seiner Ehefrau monatliche Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 59,12 Euro bzw 59,11 Euro vorläufig bewilligt. Bei dem Antragsteller sei vom 01. Februar bis 30. April 2010 ein Minderungsbetrag aufgrund von Sanktionen von 59,12 Euro zu berücksichtige. Für diesen Zeitraum sind an den Antragsteller keine Leistungen zur Auszahlung gelangt.

Gegen den Beschluss des SG hat der Antragsteller am 22. Februar 2010 Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines nunmehr beauftragten Bevollmächtigten beantragt. Die Unterbrechung der Gasversorgung drohe unmittelbar. Mit Anerkenntnisurteil vom 15. Januar 2010 sei der Antragsteller zur Duldung der Sperrung des Gaszählers verurteilt worden. Er habe zuletzt Ende Dezember 2009 die laufende Abschlagszahlung für Januar 2010 beglichen.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den Eilantrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag zur Rege¬lung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile not¬wendig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Hier ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des § 22 Abs 5 SGB II für die – im Regelfall darlehensweise erfolgende (vgl § 22 Abs 5 Satz 3 SGB II) - Übernahme von Schulden zur Sicherung der Unterkunft liegen nicht vor. Nach § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach Satz 2 der Vorschrift sollen sie übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Eine drohende Einstellung der Gasversorgung und damit die Beendigung der regulären Beheizungsmöglichkeit kann grundsätzlich eine der Gefährdung der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage darstellen (vgl Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn 158, Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl § 22 Rn 105).

Ob der Anwendungsbereich der Norm hier überhaupt eröffnet ist, kann offen bleiben. Im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes brauchte zunächst nicht geklärt zu werden, ob der Anspruch auf Übernahme von Schulden sämtlichen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu gleichen Anteilen oder – abweichend vom Regelungskonzept des SGB II im Übrigen – nur demjenigen zusteht, der den zivilrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt ist. Im letzteren Fall wäre weiter zu prüfen, ob eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II im vorliegenden Fall in Betracht kommen kann, da dies nur möglich ist, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung "erbracht" werden. Dies ist für den Zeitraum vom 01. Februar bis 30. April 2010 hier fraglich, da die dem Antragsteller zunächst bewilligten monatlichen Leistungen für KdU iHv 59,12 Euro aufgrund verhängter Sanktionen in diesem Zeitraum nicht zur Auszahlung gelangen. Ob es einen Anspruch auf Schuldenübernahme bzw auf ermessensfehlerfreie Bescheidung eines solchen Anspruchs hindert, ist indes nicht entscheidungserheblich, denn auch die weiteren Voraussetzungen der zuletzt genannten Sollvorschrift des § 22 Abs 5 Satz 2 SGB II liegen jedenfalls deshalb nicht vor, weil dem Antragsteller (und seiner Ehefrau) keine der Wohnungslosigkeit vergleichbare Notlage droht. Dem Antragsteller stehen neben der Begleichung seiner Schulden noch andere Möglichkeiten offen, die Gasversorgung und damit die Beheizbarkeit der Wohnung sicher zustellen. Nach der Liberalisierung auch des Gasmarktes können Kunden grundsätzlich den Anbieter wechseln, ohne dass der bisherige Grundversorger die Möglichkeit hätte, wegen noch bestehender Schulden die Durchleitung zu verhindern (vgl § 36 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung iVm § 6 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz, vgl auch Gotzen, Übernahme von Energiekostenrückständen nach § 34 SGB XII, ZfF 2007, 248). Der Antragsteller hat trotz gerichtlicher Aufforderung nicht behauptet und auch nicht glaubhaft gemacht, dass Versuche, einen anderen Anbieter auf dem B Gaslieferungsmarkt zu finden, unternommen wurden und gescheitert sind (zum Vorliegen eines wettbewerblich umkämpften Markt für Gaskunden in B – Sondergutachten der Monopolkommission, Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, S 68 Nr 144, abrufbar unter www.monopolkommission.de).

Eine weitere Möglichkeit der einen Anspruch auf Schuldenübernahme ausschließenden vorrangigen Selbsthilfe stellt die Begleichung von Schulden aus anderen Geldmitteln dar. Der Antragsteller hat vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass er angesichts der nicht der Anrechnung auf ihren Bedarf unterfallenden Freibeträge und damit bereiten Geldmittel, nicht in der Lage wäre, die Schulden ggf im Wege einer Ratenzahlungsvereinbarung zu tilgen. Insoweit wären zwingende Gründe darzutun und zu belegen gewesen, warum gerade solche Schulden, bezüglich derer nach § 22 Abs 5 SGB II im Grundsatz die Möglichkeit einer Überwälzung auf öffentliche Träger besteht, von nachhaltigen Tilgungsbemühungen, die – wie behauptet – in nicht unerheblichen Umfang stattfinden, ausgenommen bleiben.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin es bereits im Februar 2009 abgelehnt hatte, die Gaskostennachforderung zu begleichen. Ob die hier erfolgte Ablehnung weiterer Heizungskosten mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Angemessenheit von Heizungskosten und zur Übernahme von Heizkostennachforderungen (vgl BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R und Urteil vom 16. Mai 2007 - B 7b AS 40/06 R) in Übereinstimmung zu bringen ist, bleibt dem bereits anhängigen Klageverfahren vorbehalten, ohne dass vorher - aus den bereits angeführten Gründen - eine einstweilige Regelung zur Schuldenübernahme gegenüber dem Gasversorger erforderlich wäre. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers kommt mangels hin¬reichender Erfolgsaussicht nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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