L 6 U 156/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 99/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 156/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall.

Der bei der Beklagten zu dieser Zeit als selbstständiger Inhaber eines Gartencenters freiwillig versicherte und 1963 geborene Kläger erlitt nach der Verkehrsunfallan-zeige des Polizeireviers Bitterfeld vom 11. November 2004 am 10. November 2004 (Mittwoch) um 22.20 Uhr ohne Fremdeinwirkung einen Unfall. Er kam auf der Land-straße von Lingenau zur B 184 nach Dessau aus ungeklärter Ursache von der Fahr-bahn nach rechts ab und streifte mehrere Bäume, so dass die Karosserie seines Transporters auseinander gerissen und er im Fahrzeug eingeklemmt wurde. Eine alkoholische Beeinflussung konnte nicht festgestellt werden. Dabei zog sich der Kläger u.a. eine Oberschenkeltrümmerfraktur rechts, eine Thoraxkontusion mit Rippenfraktur links, ein stumpfes Bauchtrauma sowie ein Schädel-Hirn-Trauma zu (Bericht der Klinik für Unfallchirurgie des K. B. –W. vom 22. November 2004).

Unter dem 25. November 2004 teilte die Ehefrau des Klägers, die Zeugin B. H. , der Beklagten mit, ihr Mann habe den Weg nach 13.00 Uhr angetreten und nach wie vor kein Erinnerungsvermögen mehr an den zeitlichen Ablauf des Unfalltages. Es sei davon auszugehen, dass er Unterlagen für seinen Betrieb habe einholen wollen. Am 19. Januar bzw. 14. Februar 2005 gab sie ergänzend an, der Kläger sei am Unfalltag um die Mittagszeit zu einem Gespräch bei der Bank gewesen und habe im Laufe des späteren Nachmittags Großmärkte in Halle und Leipzig aufgesucht, um sich Preisan-gebote für einen Auftrag einzuholen. Ein Treffen sei nicht vereinbart gewesen. Die Unfallzeit hänge mit den Öffnungszeiten der Großmärkte zusammen. Mittwochs hätten der Großmarkt in Leipzig bis 16.00 Uhr und derjenige in Halle bis 20.30 Uhr geöffnet.

In einem Telefonvermerk über ein Gespräch mit dem Verkehrsdienst Wolfen vom 19. April 2005 hielt die Beklagte fest, dass sich die zuständigen Sachbearbeiter des Polizeireviers Bitterfeld nicht daran erinnern könnten, ob im Fahrzeug des Klägers Gegenstände vorhanden gewesen seien, die auf einen Einkauf in einem Großmarkt schließen lassen würden.

Daraufhin lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2005 ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen sowie deswegen Entschädigungsleistungen zu erbringen und legte dar: Selbst wenn der Kläger den Großmarkt in Leipzig um 20.30 Uhr verlas-sen habe, sei von dort bis zur Unfallstelle eine Fahrzeit von maximal 44 Minuten anzusetzen, so dass sich der Unfall um 21.15 Uhr hätte ereignen müssen. Geschehen sei er jedoch erst circa eine Stunde später. Im verunfallten Kfz hätten sich überdies keine Waren oder Papiere befunden, die Aufschluss über eine geschäftliche Verrich-tung hätten geben können.

Zur Begründung des hiergegen am 26. Mai 2005 erhobenen Widerspruchs trug der Kläger unter dem 23. Juni 2005 vor, dass die in der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige angegebene Unfallzeit nach Auskunft des zuständigen Reviers lediglich den Zeitpunkt des Eingangs der Unfallmeldung wiedergebe und somit nicht mit dem wirklichen Unfallzeitpunkt identisch sei. Im Übrigen sei es aufgrund der völligen Zerstörung des Unfallfahrzeugs unwahrscheinlich, dass in ihm ernsthaft nach Unterlagen gesucht worden sei. Außerdem habe er nach Durchsicht seiner Papiere aus dem vierten Quartal 2004 festgestellt, dass als letzter Termin am 10. November 2004 ein Treffen mit dem Zeugen Matthias Lehmann in Leipzig stattgefunden habe. Bezüglich der eingeschlagenen Fahrstrecke sei zu beachten, dass es auf der Autobahn A 9 im Bereich des Schkeuditzer Kreuzes sowie zwischen den Abfahrten Leipzig-West und Bitterfeld-Wolfen seinerzeit infolge von Baumaßnahmen regelmäßig zu Verkehrsbeein-trächtigungen gekommen sei. Es sei davon auszugehen, dass er auf der Rückfahrt von Leipzig als ortskundiger Fahrer nicht nur allein die Landstraße, sondern sowohl sie als auch die A 9 genutzt habe. Der Kläger fügte schriftliche Bestätigungen des Geschäfts-führers der F. Med. GmbH D. sowie des Zeugen M. L. bei, wonach er am Unfalltag von 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr in Dessau einen Gesprächstermin zwecks Objektpflege von Grünanlagen für das Kalenderjahr 2005 wahrgenommen und bis gegen 20.00 Uhr in Leipzig ein Angebot zur Wohnraumbegrünung besprochen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen Matthias Lehmann könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Unfall auf dem direkten Nachhauseweg ereignet habe. Denn die Fahrzeit von der Wohnung des Zeugen bis zum Unfallort sei allenfalls mit 45 Minuten anzusetzen.

Am 15. November 2005 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Dessau Klage erhoben und geltend gemacht: Entgegen der Ansicht der Beklagten stehe nicht ausschließlich der kürzeste Weg unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das gesetzli-che Erfordernis des unmittelbaren Weges sei auch dann erfüllt, wenn die Wahl der längeren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des Versicherten z.B. der Umgehung verkehrstechnischer Hindernisse gedient habe. Die von ihm gewählte Wegstrecke von der Wohnung der Familie Lehmann im Weid-mannsweg 15 in Leipzig zu seinem damaligen Geschäftssitz in der Kochstedter Kreisstraße 5 in Dessau über Zörbig, Tornau vor der Heide und Lingenau sei nur unerheblich länger als die von der Beklagten herangezogene kürzeste Wegstrecke, was die Fahrzeit lediglich um etwa zwanzig Minuten verlängere. Damit liege schon kein Abweg oder Umweg vor. Auch der Auffindezeitpunkt spreche nicht für die Verrichtung privater Belange. Wenn er die Wohnung der Familie Lehmann nach 20.00 Uhr verlas-sen habe und bei Dunkelheit und etwaiger Nässe vorsichtig gefahren sei, sei davon auszugehen, dass er die Unfallstelle gegen 21.45 Uhr passiert habe. Jedenfalls liege keine Unterbrechung des Weges um einen Zeitraum von mehr als zwei Stunden vor. Denn bei einer Unterbrechung seien die Zeiten, die auf dem versicherten Weg zurück-gelegt würden, nicht mit einzubeziehen. Die Beklagte habe für die Zeit von der Abfahrt von der Familie L. bis zum Unfallort selbst 45 Minuten veranschlagt. Abgesehen davon lebe der Versicherungsschutz wieder auf, wenn der Versicherte den versicher-ten Weg fortsetze, gleichgültig aus welchen Gründen er ihn unterbrochen, verlassen oder sonst irgendwie umgangen habe.

Das SG hat im Termin der mündlichen Verhandlung am 29. November 2006 die Zeugen Ch. und M. L. vernommen, wegen deren Aussagen im Einzelnen ergänzend auf die Blätter 61 bis 63 der Gerichtsakten Bezug genommen wird. Die Zeugin Ch. L. , die Cousine der Mutter des Klägers, hat u.a. bekundet: Der Besuch des Klägers in ihrer Wohnung sei in den Abendstunden erfolgt, als sie und ihr Mann bereits zu Hause gewesen seien. Ob der Termin am Unfalltag stattgefunden habe, könne sie nicht mehr sicher sagen. Zu der Zeit, als ihr Mann gegenüber dem Kläger auf dessen Angebotsschreiben als Besuchstermin den 10. November 2004 be-stätigt habe, was wohl im Sommer des Jahres 2005 gewesen sei, seien sie sich hinsichtlich dieses Datums aber sicher gewesen. Kenntnis von dem Unfall hätten sie einige Wochen später erlangt. Der Zeuge M. L. hat u.a. ausgesagt, der Kläger habe ihn kurz vor seinem Geburtstag am 12. November 2004 aufgesucht. Heute könne er nicht mehr sagen, ob dies der 8., 9. oder 10. November 2004 gewesen sei. Als er von dem Kläger etwa im Juni 2005 gebeten worden sei, auf dessen Angebot vom 6. Oktober 2004 als Besuchstermin den 10. November 2004 zu bestätigen, sei er sich über dieses Datum zu 99,9 % sicher gewesen. Vom Unfall erfahren habe seine Frau wohl einen oder zwei Monate nach diesem Ereignis.

Mit Urteil vom 29. November 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Es sei nicht vollbeweislich gesichert, dass die Fahrt des Klägers zum Unfallzeitpunkt im Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit gestanden habe. Da sich im Fahrzeug keinerlei Waren oder Papiere befunden hätten, die hierüber hätten Aufschluss geben können, sei der Besuch eines Großmarktes nicht belegt. Auch die Zeugenaussagen hätten nicht mit Sicherheit bewiesen, dass der Kläger gerade am Unfalltag in Leipzig gewesen sei. Sei damit schon keine betriebliche Fahrt nachgewiesen, könne die genaue Uhrzeit des Unfalls dahinstehen.

Gegen das am 14. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Dezember 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begrün-dung gerügt, das SG habe nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Sachverhaltsaufklärung ausgenutzt. Ferner habe es die vorhandenen Ermittlungsergebnisse und insbesondere die Zeugenaussagen unzutreffend bewertet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 29. November 2006 sowie den Be-scheid der Beklagten vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 25. Oktober 2005 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall vom 10. November 2004 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das ihre angefochtenen Entscheidungen bestätigende Urteil des SG im Ergebnis für richtig.

Der Berichterstatter hat in nichtöffentlicher Sitzung am 22. April 2008 die Zeugen B. und B. H. sowie Ch. und M. L. vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Blätter 161 bis 163 der Gerichtsakte Bezug genommen. Die Zeugin B. H. hat zum Ablauf des Unfalltages angegeben, dass ihr Ehemann um die Mittagszeit den Termin bei der Stadtsparkasse Dessau wahrgenommen habe, nachmittags bei der Medizintechnik GmbH F. gewesen sei, dann Großmärkte habe aufsuchen wollen und am Abend der Termin bei der Familie L. geplant gewesen sei. Von diesem habe sie erst später durch ihren Ehemann erfahren. Am 11. November 2004 habe der Umzug ihrer Schwiegereltern stattfinden sollen. Im Geschäft ihres Ehemannes sei sie für das Büro und den Verkauf zuständig gewesen. Der Zeuge B. H. , der Vater des Klägers, hat u.a. bekundet, sein Sohn habe den Umzugs-Lkw, der bereits an den Vortagen beladen worden sei, am 11. November 2004 fahren sollen. Er habe auf die geschäftlichen Verrichtungen seines Sohnes, von denen er auch aus Gesprächen mit seiner Schwiegertochter Kenntnis erlangt habe, Rücksicht genommen und ihn nicht zu Umzugshilfstätigkeiten herangezogen. Vom Unfallereignis erfahren habe er am späten Abend des 11. November 2004 durch einen Anruf seiner Schwiegertochter. Er wisse mit Sicherheit, dass eine derjenigen Angele-genheiten, die der Kläger am Unfalltag vorgehabt habe, der Besuch der Familie L. gewesen sei. Sein Sohn habe einmal erwähnt, der Familie L. ein Angebot unterbreiten zu wollen. Die Zeugin Ch. L. hat ausgeführt, der Tag des Besuchs des Klägers müsse der 10. November 2004 gewesen sein, zumal dieser Termin ihrer im Vorfeld erlangten Kenntnis entspreche. Denn zwei Tage später habe ihr Mann Geburtstag gehabt und am 11. November 2004 sei sie zu Hause gewesen. Zum konkreten Gesprächsinhalt könne sie schon deshalb nichts sagen, weil der Kläger zum Zeitpunkt ihres Eintreffens in der Wohnung diese schon wieder verlassen gehabt habe. Das vom Kläger erstellte Angebot habe Pflanzbänke und Schalen für das Wohnzimmer sowie den Flur beinhaltet. Der Zeuge M. L. hat angegeben, er habe sich am 10. November 2004 gegen 18.00 Uhr mit dem Kläger getroffen. Etwa 20.00 Uhr sei das Gespräch dann beendet gewesen und der Kläger habe die Wohnung vor der Rückkehr seiner Frau verlassen. Wegen dieses Datums sei er sich deshalb sehr sicher, weil er zwei Tage später Geburtstag gehabt habe. Vom Unfall erfahren hätten er und seine Frau am Wochenende nach dem Unfall, als ihm die Ehefrau des Klägers zum Geburtstag gratuliert und eine entsprechende Nachricht auf dem Anruf-beantworter hinterlassen habe. Daraufhin habe seine Frau dann wegen des Unfalls nachgefragt.

Schließlich hat der Senat vom Kreiskrankenhaus B. –W. u.a. das Einsatzproto-koll des diensthabenden Notarztes vom Unfalltag beigezogen, aus dem hervorgeht, dass der Alarmruf dort um 22.29 Uhr einging. Nähere Angaben zur weiteren Konkretisierung der Unfalluhrzeit hat der Notarzt nicht machen können.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhand-lung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteilig-ten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrens-weise einverstanden erklärt haben.

Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat sein Begehren, dass er nach den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage verfolgen kann, zu Recht abgewie-sen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 25. Oktober 2005 beschwert ihn deshalb nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil der Unfall vom 10. November 2004 kein Arbeitsun-fall ist.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzli-che Unfallversicherung (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versiche-rungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Haupttätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls seiner versi-cherten Haupttätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dieses Unfallereignis einen Gesund-heitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (siehe nur Bundesso-zialgericht [BSG], Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 14; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 17; Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 18 oder Urteil vom 4. September 2007 – B 2 U 24/06 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 24, m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar war der Kläger zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Er hat am 10. November 2004 bei der Kollision seines Fahrzeugs mit den Bäumen, die u.a. zu mehreren Knochenbrüchen geführt hat, auch einen Unfall erlitten. Dieser Unfall stellt jedoch deshalb keinen Arbeitsunfall dar, weil das Zurücklegen des unfallbringenden Weges nicht nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versichert war.

Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der versicherten Haupttätigkeit, der sich im Regelfall auf zwei Anknüpfungspunkte bezieht. Zunächst muss der Weg selbst der (grundsätzlich) nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Haupttätigkeit sachlich zuzurechnen sein. Weiterhin ist erforderlich, dass die konkrete Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens ihrerseits in sachlichem Zusammenhang mit diesem versicherten Zurücklegen des Weges stand. Bei der erstgenannten Voraussetzung ist der sachliche Zusammenhang gegeben, wenn die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges auf die Ausübung der versicherten Tätigkeit gerichtet ist, dieser also wegen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Auf der gegebenenfalls heranzuziehenden zweiten Prüfebene ist maßgebliches Kriterium des sachlichen Zusammenhangs, ob sich die Handlungstendenz beim Zurücklegen des Weges auf die Ausübung einer im Wesentlichen der versicherten Tätigkeit dienenden Verrichtung bezieht, d.h. ob diese zum Weg zu oder von der Arbeits- bzw. Betriebsstät-te gehört (st. Rspr., siehe etwa BSG, Urteil vom 12. April 2005, a.a.O.; Urteil vom 7. Februar 2006 – B 2 U 30/04 RSozR 4-2700 § 135 Nr. 1; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 23; Urteil vom 4. September 2007, a.a.O.; Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 29/06 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 25; Urteil vom 2. Dezember 2008 – B 2 U 15/07 R – juris; Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 26/07 R – juris). Dabei ist auch bei Selbstständigen nicht jeder zurückgelegte Weg bzw. jede Verrichtung per se betriebsbezogen und gilt für sie – ebenso wie alle anderen gesetz-lich Versicherten (mit Ausnahme von § 10 SGB VII) – kein Versicherungsschutz "rund um die Uhr" (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 24/01 R – juris; Urteil vom 18. November 2008 – B 2 U 31/07 R – juris).

Gemessen hieran ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der unfallbringende Weg im sachlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Klägers stand, er diesen also im Wesentlichen wegen ihr zurückgelegt hat.

Ebenso wie das Unfallereignis sowie der hierdurch bedingte Gesundheitsschaden müssen die dem sachlichen Zusammenhang zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit (so genannter Vollbeweis) nachgewiesen sein. Dieser Beweisgrad ist erfüllt, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt, wenn also kein vernünftiges Zweifelsgefühl mehr besteht (BSG, Urteil vom 20. Januar 1987 – 2 RU 27/86 – SozR § 548 Nr. 84; Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 RSozR 4-5671 § 6 Nr. 2). Ausgehend hiervon verbleiben beim Senat nach der Gesamtwürdigung aller Zeugen-aussagen und sonstigen Umstände nicht lediglich unerhebliche Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich am Unfalltag beim Zeugen M. L. gewesen ist und von dort die Rückfahrt zu seinem damaligen Geschäftssitz in der Kochstedter Kreisstraße in Dessau angetreten hat. Eine alternative Sachverhaltsvariante mit einem Fahrtbeginn nach Schließung des Großmarktes in Halle gegen 20.30 Uhr kann nicht mehr zugrunde gelegt werden, nachdem der Kläger hiervon seit seiner Widerspruchsbegründung vom 23. Juni 2005 selbst abgerückt ist. Darauf, ob ein solcher Weg mit einer Fahrzeit bis zur Unfallstelle von etwa 45 Minuten (vgl. z.B. Routenplaner unter www.falk.de oder www.de.map24.com) unmittelbar im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII wäre (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 11. September 2001 – B 2 U 34/00 RSozR 3-2700 § 8 Nr. 9, m.w.N.), kommt es mithin nicht mehr an. Irrelevant ist ebenso, dass auch bei Annahme einer Unfalluhrzeit erst kurz vor dem Eingang des Notrufs im Polizeirevier Bitterfeld – also circa 22.15 Uhr – insoweit keine Wegunterbrechung von mindestens zwei Stunden vorläge (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 – B 2 U 26/06 RBSGE 102, 111).

Die Aussage der Zeugin B. H. vom 22. April 2008 ist im Hinblick auf einen am Unfalltag erfolgten Besuch der Familie L. schon nicht ergiebig. Wie sie selbst eingeräumt hat, hat sie von ihm nur durch spätere Mitteilungen des Klägers erfahren. Entsprechendes gilt für die Angaben des Zeugen B. H. , der über seine Wahrnehmungen vom Unfalltag zunächst sehr allgemein berichtet und erst auf mehrere Nachfragen konkretere Angaben im Hinblick auf ein Treffen des Klägers mit den Zeugen Lehmann gemacht hat. Zwar hat er ausgeführt, mit Sicherheit zu wissen, dass sein Sohn den Besuch der Familie L. am Unfalltag vorgehabt habe. Damit hat er aus eigener Wahrnehmung jedoch nur die Bekundung eines derartigen Vorha-bens wiedergegeben, nicht aber die Tatsache eines am 10. November 2004 durchge-führten Gesprächs in Leipzig erfahren. Abgesehen davon lässt sich aus der vom Zeugen für seine Gewissheit vorgetragenen Begründung, der Kläger habe die Unter-breitung eines Angebots für die Familie L. einmal erwähnt, eben nicht zwingend auf die Umsetzung dieses Vorhabens gerade am 10. November 2004 rückschließen. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge B. H. ebenso angegeben hat, über die geschäftlichen Aktivitäten seines Sohnes, auf die er in den Vortagen des Umzugs Rücksicht genommen habe, aufgrund von Gesprächen mit seiner Schwiegertochter informiert gewesen zu sein. Diese, welche nach eigener Aussage vom 22. April 2008 für das Büro zuständig war, hatte von einem Treffen in Leipzig allerdings erst lange Zeit nach dem Unfall – und zwar durch ihren Ehemann – erfahren, was mit ihren Angaben im Verwaltungsverfahren in Einklang steht. Denn weder unter dem 25. November 2004 noch am 19. Januar bzw. 14. Februar 2005 hatte sie einen Termin bei den Zeugen L. auch nur erwähnt. Im Gegenteil hatte sie in ihrem Schreiben vom 18. Januar 2005 ausdrücklich angegeben, dass kein Treffen vereinbart war. Dieser Umstand erstaunt auch deshalb, weil doch der Zeuge B. H. nach seiner Aussage schon am späten Abend des 11. November 2004 durch den Anruf seiner Schwiegertochter vom Unfallereignis erfuhr und vom Besuchsvorhaben in Leipzig wusste. Eine entsprechende Mitteilung an diese hätte sich geradezu aufdrängen müssen. Tatsächlich ist die Information hierüber weder durch den Vater noch die Ehefrau des Klägers, sondern erstmals durch diesen selbst am 27. Juni 2005 zum Verfahren gelangt. Der Zeuge B. H. wurde überhaupt erst im Rahmen der Berufungs-begründung vom 18. Januar 2007 – also mehr als zwei Jahre nach dem Unfall – benannt.

Auch aus den Angaben der Zeugen L. , die sich in wesentlichen Punkten nicht mit ihren zeitnäheren Bekundungen decken und dadurch erheblich an Aussagekraft verlieren, lässt sich keine vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit für einen Besuch des Klägers bei ihnen gerade am Unfalltag gewinnen. Vielmehr ist hierfür nur die Möglichkeit gegeben, wie sie in gleichem Maße aber ebenfalls für den 8. oder 9. November 2004 besteht. Ebenso wie die Zeugen B. und B. H. hat auch die Zeugin Ch. L. ein Stattfinden des Termins am 10. November 2004 nicht aus eigenem Erleben wahrnehmen können, sondern zur Begründung ihrer Erinnerung nur angeführt, von ihm im Vorfeld Kenntnis erlangt zu haben bzw. als Datum den 11. November 2004 ausgeschlossen. Denn abweichend von ihrer Angabe vom 29. November 2006 hat sie am 22. April 2008 bekundet, am Gespräch mit dem Kläger überhaupt nicht teilgenommen zu haben, wodurch auch ihre vorherige Angabe, im Juni 2005 sei sie sich hinsichtlich des Besuchsdatums sicher gewesen, erheblich relativiert wird. Indem die Zeugin in ihrer Aussage vom 22. April 2008 angibt, der Tag des Besuchs des Klägers "muss" der 10. November 2004 gewesen sein, kommt ihre in Bezug auf das genaue Besuchsdatum fehlende Sicherheit auch deutlich zum Aus-druck. Nichts anderes gilt im Ergebnis im Hinblick auf die Angaben des Zeugen M. L ... Dieser hat am 22. April 2008 zwar erklärt, der Kläger sei am 10. November 2004 bis etwa 20.00 Uhr bei ihm gewesen und habe die Wohnung vor Rückkehr der Zeugin Ch. L. verlassen. Schon der von ihm als Anknüpfungspunkt für sein sicheres Erinnerungs-vermögen mitgeteilte Grund, nämlich sein Geburtsdatum, leuchtet nicht ein. Denn auf diesen Gesichtspunkt hatte er auch im Rahmen seiner Aussage am 29. November 2006 abgestellt, als er ausdrücklich eingeräumt hat, der Besuch könne auch am 8. oder 9. November 2004 erfolgt sein. Warum er das Besuchsdatum nach nunmehr weiterem Zeitablauf mit Sicherheit benennen kann, obgleich er sich hierzu knapp eineinhalb Jahre zuvor schon nicht mehr in der Lage sah, hat er nicht erklären können. Die von ihm abweichend von seinen sowie den Bekundungen der Zeugin Ch. L. vom 29. November 2006 angegebene Kenntniserlangung vom Unfallgeschehen am Wochenende danach hat er gerade nicht als (plausiblen) Merkposten für sein unge-trübtes Gedächtnis benannt. Wenn die Zeugen Lehmann bereits durch die Mitteilung der Ehefrau des Klägers vom Unfallereignis erfuhren, wäre anlässlich der vom Zeugen M. L. geschilderten Nachfrage seiner Frau als nachvollziehbare Reaktion überdies eine Information über den am 10. November 2004 erfolgten Besuch zu erwarten gewesen. Denn für die Zeugen L. hätte sich ein überraschender Zusammenhang des Unfalls mit dem Besuch bei ihnen ergeben. Eine solche Information ist jedoch offensichtlich unterblieben. Die Ehefrau des Klägers erhielt nämlich weder durch ihren Schwiegervater noch die Zeugin Ch. L. Kenntnis vom Besuchssachverhalt, obgleich diese hierüber auch ohne Nachfrage unschwer hätten Auskunft geben können und eine solche spontane Reaktion mehr als nahe gelegen hätte. Was schließlich die Bekundung des Zeugen M. L. vom 29. November 2006 anbelangt, im Juni 2005 sei er sich über das Besuchsdatum zu 99,9 % sicher gewesen, ergibt sich allein daraus ebenfalls keine ausreichende Beweiskraft. Denn diese wird bereits durch die ausdrückliche Erklärung erschüttert, zu dieser Zeit habe der Kläger ihm genau gesagt, eine Bestätigung für den 10. November 2004 zu benötigen. Gesichtspunkte, welche Faktoren der Art nach die damalige Sicherheit begründet haben könnten, hat der Zeuge in seiner Aussage auch nicht benannt.

Insgesamt steht damit nur fest, dass der Kläger am Unfalltag bis gegen 16.00 Uhr in Dessau bei der Medizintechnik GmbH war. Da angesichts des etwa sechs Stunden später geschehenen Unfalls keine Rückkehr auf einen versicherten Weg binnen zwei Stunden nachgewiesen ist, wofür den Kläger die Beweislast trifft (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 – B 2 U 26/06 R – a.a.O.; Urteil vom 27. Oktober 2009 – B 2 U 23/08 R – juris), stellt der Unfall vom 10. November 2004 nach alledem keinen Arbeitsunfall dar. Die Berufung konnte folglich keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

gez. Eyrich gez. Dr. Ulrich gez. Boldt
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