L 1 KR 42/08

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 514/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 42/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. April 2008 aufgehoben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 7. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2005 festgestellt, dass die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungsfrei ist. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Die 1973 geborene Klägerin ist approbierte Ärztin. Ab 1. Juli 1999 übte sie eine Beschäftigung bei der D. K. AG in K. aus und war während dieser Zeit Pflichtmitglied der Ärztekammer Nordrhein sowie der Nordrheinischen Ärzteversorgung. Auf ihren Antrag hin wurde sie mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 21. November 2000 ab dem 1. Juli 1999 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Seit ihrem Umzug nach Hamburg im Jahr 2001 wird sie als Pflichtmitglied der Beigeladenen zu 1. geführt. Von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Ärztekammer Hamburg wurde sie mit Wirkung zum 1. Juli 2001 zugunsten der Beigeladenen zu 2. befreit, der sie weiterhin angehört. Seit September 2004 ist sie als selbständige Medizinjournalistin für verschiedene Auftraggeber tätig.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 7. Januar 2005 fest, dass die Klägerin versicherungspflichtig in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung nach dem KSVG sei. Die seinerzeit ausgesprochene Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht erstrecke sich nicht auf die publizistische Tätigkeit, da eine Beschäftigung oder Tätigkeit als Ärztin nicht weiterhin ausgeübt werde.

Gegen die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erhob die Klägerin Widerspruch und führte unter Hinweis auf ein Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 18. Januar 2005 aus, dass sie als Medizinjournalistin weiterhin einer ärztlichen Tätigkeit nachgehe. Sie zahle bereits Beiträge an ihre berufsständische Versorgungseinrichtung und es könne nicht sein, dass sie einer doppelten Versicherungspflicht unterliege.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25. April 2005 zurück. Die Klägerin sei aufgrund ihrer selbständigen publizistischen Tätigkeit versicherungspflichtig nach dem KSVG. Die Versicherungspflicht gelte auch für Mitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) befreit worden seien, wenn der Kammerberuf nicht mehr ausgeübt werde. Die Tatsache, dass die Versorgungskammern Fachjournalisten wegen ihrer berufsspezifischen Tätigkeit weiterhin zu Pflichtbeiträgen heranzögen, schließe die Versicherungspflicht nach dem KSVG nicht aus.

Die Klägerin hat dagegen am 29. April 2005 Klage erhoben und vorgetragen, sie übe weiterhin eine ärztliche Tätigkeit aus, da sie nur aufgrund ihres Medizinstudiums und ihrer klinischen Erfahrung medizinisch-publizistische Aufträge erhalte. Sie sei daher nach § 4 Nr. 1 KSVG in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei. Auch sei die Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI bislang nicht aufgehoben worden und deren Voraussetzungen weiterhin erfüllt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. April 2008 – zugestellt am 31. Juli 2008 – abgewiesen und ausgeführt, die Klägerin unterliege als selbständige Publizistin der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach dem KSVG. Die Voraussetzungen einer Versicherungsfreiheit nach § 4 Nr. 1 KSVG lägen dagegen nicht vor, da diese Vorschrift voraussetze, dass der Betroffene neben der selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit noch eine weitere Beschäftigung oder selbständige nicht künstlerische oder publizistische Tätigkeit ausübe, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei sei oder zur Befreiung von der Versicherungspflicht geführt habe. Dies sei bei der Klägerin aber nicht der Fall, da sie neben ihrer Tätigkeit als Medizinjournalistin keine weitere Beschäftigung oder Tätigkeit ausübe.

Die Klägerin hat dagegen am 28. August 2008 Berufung eingelegt und trägt vor, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 KSVG seien bei ihr gegeben. Sie sei als Medizinjournalistin nicht nur journalistisch, sondern zugleich als Ärztin tätig. Ihre Tätigkeit sei mit umfangreichen Recherchen und Besuchen von medizinischen Kongressen und Fachtagungen verbunden, die ohne ein Medizinstudium und eine gewisse praktische Erfahrung als Ärztin nicht zu bewältigen seien. Als Ärztin sei sie zur Mitgliedschaft in der zuständigen Ärztekammer gesetzlich verpflichtet, womit die Pflicht zur Mitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk einher gehe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der vorliegende Fall vom Wortlaut dieser Vorschrift nicht erfasst werde, sei daher eine extensive Auslegung geboten. Die Rentenversicherungspflicht nach dem KSVG würde nämlich für die Klägerin eine unzumutbare Härte darstellen, da sie entweder die Doppelbelastung der Beitragspflicht zu zwei Rentenversicherungen hinnehmen oder ihren Beruf als Medizinjournalistin aufgeben müsse.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. April 2008 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 7. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2005 festzustellen, dass die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungsfrei ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, § 4 Nr. 1 KSVG habe als logische Voraussetzung, dass neben der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit eine andere – nicht unter § 2 KSVG – fallende Tätigkeit oder Beschäftigung ausgeübt werde. Unstreitig sei aber, dass die Klägerin ausschließlich als Journalistin tätig sei, wobei unerheblich sei, dass sie ihr spezielles Fachgebiet nur aufgrund ihrer ärztlichen Ausbildung journalistisch abdecken könne. Die Mitgliedschaft in der Ärztekammer führe zu keinem anderen Ergebnis. Auch die von der Gegenseite geforderte extensive Auslegung könne keine Anwendung der Norm über den klaren Wortlaut hinaus herbeiführen.

Mit Beschluss vom 2. Juni 2009 sind die Ärztekammer Hamburg und die Nordrheinische Ärzteversorgung beigeladen worden. Die Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 25. Februar 2010 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig, wonach mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden kann. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung ihrer Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben, da die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungsfrei ist.

Bei wörtlicher Auslegung der Vorschriften des KSVG wäre die Klägerin allerdings in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig (1.). Ihre Situation entspricht jedoch in ihren sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Künstlersozialversicherung den in § 4 Nr. 1 KSVG geregelten Ausnahmen von der grundsätzlichen Versicherungspflicht, da sie Pflichtmitglied in einem anderweitigen System der Alterssicherung ist und somit des besonderen Schutzes der Künstlersozialversicherung nicht bedarf (2.). Die Nichtberücksichtigung derartiger Fallkonstellationen stellt eine planwidrige Lücke des Gesetzes dar, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen ist (3.).

1. Selbständige Künstler und Publizisten werden in der allgemeinen Rentenversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im Zusammenhang hiermit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen (§ 2 S. 1 Nr. 5 SGB VI i.V.m. § 1 KSVG). Publizist in diesem Sinne ist, wer als Schriftsteller, Journalist oder in anderer Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt (§ 2 KSVG). Die Tätigkeit der Klägerin als Medizinjournalistin ist hiernach die einer Publizistin und damit dem Grunde nach versicherungspflichtig nach dem KSVG.

Die Klägerin ist nicht aufgrund des Bescheides der BfA vom 21. November 2000 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Diese Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI wurde für die Zeit ab 1. Juli 1999 für ihre Beschäftigung bei der D. K. AG in K. ausgesprochen und war gemäß § 6 Abs. 5 S. 1 SGB VI hierauf beschränkt, worauf in dem Bescheid ausdrücklich hingewiesen wurde.

Nach § 4 Nr. 1 KSVG ist in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem KSVG versicherungsfrei, wer auf Grund einer Beschäftigung oder einer nicht unter § 2 fallenden selbständigen Tätigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit ist, es sei denn die Versicherungsfreiheit beruht auf einer geringfügigen Beschäftigung oder einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit.

Dem Sozialgericht und der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung nach ihrem Wortlaut nicht erfüllt sind. Hiernach besteht Versicherungsfreiheit nämlich nur dann, wenn der Betroffene zusätzlich zu der selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit eine Beschäftigung oder eine weitere selbständige – nicht künstlerische oder publizistische – Tätigkeit ausübt und diese versicherungsfrei ist oder zur Befreiung von der Versicherungspflicht geführt hat (Jürgensen, Ratgeber Künstlersozialversicherung, 2. Aufl., S. 58; Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 4. Aufl., § 4 Rn. 11; Berndt, Künstlersozialversicherungsrecht, S. 58). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die Klägerin übt ausschließlich eine selbständige Tätigkeit als Medizinjournalistin aus und hat daneben keine weitere selbständige Tätigkeit oder Beschäftigung inne.

2. Die Klägerin befindet sich dennoch in einer den Fällen des § 4 Nr. 1 KSVG vergleichbaren Situation. Denn bei ihr besteht die Besonderheit, dass sie über eine anderweitige Alterssicherung bereits aufgrund ihrer – ausschließlich ausgeübten – Tätigkeit als Medizinjournalistin verfügt und insoweit eine Pflichtmitgliedschaft in einem anderen Versorgungssystem besteht.

Sie ist nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Hamburgischen Kammergesetzes für die Heilberufe (HmbKGH) Pflichtmitglied der Beigeladenen zu 1., da sie approbierte Ärztin ist und ihren Hauptwohnsitz in Hamburg hat. Mitglieder der Beigeladenen zu 1. sind grundsätzlich auch Pflichtmitglieder des Versorgungswerks der Kammer. Die Klägerin konnte hiervon lediglich zugunsten der Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2. befreit werden, weil sie früher Mitglied der Ärztekammer Nordrhein war (§ 7 Abs. 1 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4a der Satzung der Beigeladenen zu 2.). Ärzte und Ärztinnen, die keine ärztliche Tätigkeit ausüben, werden zwar auf Antrag von ihrer Mitgliedschaft in der Ärztekammer bzw. im Versorgungswerk befreit (§ 2 Abs. 1 S. 2 HmbKGH, § 6 Abs. 5f der Satzung der Nordrheinischen Ärzteversorgung). Eine derartige Befreiungsmöglichkeit besteht jedoch für die Klägerin nicht, da ihre Tätigkeit als Medizinjournalistin eine ärztliche Tätigkeit im Sinne der landesrechtlichen Regelungen über die Zugehörigkeit zur Berufskammer und zum Versorgungswerk darstellt.

Nach der diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, ist insoweit eine weite Auslegung des Begriffs der Berufsausübung vorzunehmen, da die berufsständischen Kammern die Belange der Gesamtheit der von ihr vertretenen Berufsangehörigen wahrnehmen und dafür die Erfahrungen von Berufsangehörigen aus allen Tätigkeitsbereichen nutzen sollen (BVerwG, Urteil vom 30.1.1996 – 1 C 9/93; BVerwG, Urteil vom 26.1.1993 – 1 C 33/89; beide Juris). Eine ärztliche Tätigkeit wird daher immer dann angenommen, wenn die Anwendung oder Mitverwendung von ärztlichem Wissen der Tätigkeit ihr Gepräge gibt (VG Karlsruhe, Urteil vom 28.2.2008 – 9 K 79/07 – juris; ebenso zum Begriff der pharmazeutischen Tätigkeit: VG München, Urteil vom 3.6.2008 – M 16 K 07.876 – juris).

Dieser Auslegung entspricht auch § 3 Abs. 2 der Beitragsordnung der Beigeladenen zu 1., wonach die ärztliche Tätigkeit nicht nur die Behandlung von Patienten, sondern jede Tätigkeit umfasst, bei der medizinische Kenntnisse angewendet oder mitverwendet werden. Demgegenüber ist die in § 2 Abs. 5 der Bundesärzteordnung (BÄO) enthaltene Definition, wonach Ausübung des ärztlichen Berufs nur die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung "Arzt" oder "Ärztin" ist, für die Frage der Kammerzugehörigkeit nicht maßgebend, da es dort nur um die Frage der Berufszulassung und nicht um Regelungsbereiche berufsständischer Art geht (VG Karlsruhe, a.a.O.)

3. Die im Falle der Klägerin gegebene Situation der anderweitigen Alterssicherung aufgrund einer bestehenden Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk aufgrund der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit ist vom KSVG nicht erfasst. Die gesetzliche Regelung ist jedoch im Wege richterlicher Rechtsfortbildung dahin gehend zu ergänzen, dass Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem KSVG auch in einem solchen Fall besteht, da insoweit eine planwidrige Lücke des Gesetzes vorliegt.

Grundsätzlich ist allerdings davon auszugehen, dass der Wortlaut der Norm den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt. Eine Lückenfüllung durch Richterrecht ist daher bei unmissverständlichem Wortlaut nur dann zulässig, wenn besonders schwerwiegende Gründe vorliegen, die nach anderen Auslegungskriterien – der Entstehungsgeschichte, dem Zweck oder dem Inhalt der Vorschrift – für die Annahme einer gleichwohl bestehenden Gesetzeslücke sprechen. Dies ist der Fall, wenn für die anzuwendende Regelung aus ihrem Verhältnis zu der übrigen Rechtsordnung, in der sie steht, klar erkennbar ist, dass sie dem Plan des Gesetzes widersprechend unvollständig ist und dies nicht in der Absicht des Gesetzgebers liegen konnte (BSG, Urteil vom 22.7.1982 – 7 RAr 107/81 – Juris, m.w.N.).

So liegt der Fall hier. Maßgeblich für die Einführung der Künstlersozialversicherung war die erhöhte soziale Schutzbedürftigkeit von Künstlern und Publizisten, da der Gesetzgeber bei diesem Personenkreis einerseits den beruflichen Lebensweg als besonders risikoreich und andererseits die persönliche Vorsorgebereitschaft als mangelhaft eingeschätzt hat. Ziel des KSVG war es, den selbständigen Künstlern und Publizisten eine soziale Vorsorge zu ermöglichen, indem sich an den Versicherungsbeiträgen der Bund durch Zuschüsse und Unternehmen durch die Künstlersozialabgabe beteiligen (§ 34 KSVG). Durch das KSVG sollten daher alle selbständigen Künstler in die Versicherungspflicht einbezogen werden, sofern sie nicht schon anderweitig kraft Gesetzes sozial abgesichert waren (BT-Drs. 9/26 S. 16). Diesem Grundgedanken entsprechend wurden in § 4 KSVG Ausnahmen von der grundsätzlichen Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für diejenigen Künstler und Publizisten festgelegt, die dieses Schutzes nicht bedürfen, weil sie bereits anderweitig kraft Gesetzes für ihr Alter gesichert sind (ausdrücklich: BT-Drs. 9/26 S. 18; BSG, Urteil vom 19.11.1997 – 3 BK 16/97 – Juris). Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber in die Künstlersozialversicherung nur diejenigen Künstler und Publizisten einbeziehen wollte, die über keine sonstige Alterssicherung verfügen, nicht aber diejenigen, die den besonderen Schutz einer Pflichtversicherung gar nicht benötigen. Allerdings hatte er hierbei offenbar nur solche Künstler und Publizisten im Blick, die deswegen nicht schutzbedürftig sind, weil sie noch eine weitere Tätigkeit oder Beschäftigung ausüben, aufgrund derer sie für ihr Alter abgesichert sind. Der Senat geht daher davon aus, dass der Gesetzgeber bei Erlass des KSVG übersehen hat, dass es Fälle geben kann, in denen die anderweitige Alterssicherung bereits aufgrund der – ausschließlich ausgeübten – selbständigen künstlerischen bzw. publizistischen Tätigkeit ergeben kann. Dies ist auch nachvollziehbar, da derartige Fälle äußerst selten vorkommen dürften und nur in wenigen beruflichen Konstellationen überhaupt denkbar sind.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bewusst zwischen diesen beiden Personengruppen differenzieren wollte, sind nicht erkennbar und lassen sich insbesondere nicht der Gesetzesbegründung entnehmen. Auch aus Sinn und Zweck des § 4 KSVG lässt sich eine solche Differenzierung nicht herleiten, da es in beiden Fällen gleichermaßen an der besonderen Schutzbedürftigkeit fehlt. Auch die Interessenlage der betroffenen Personen ist gleichartig. Derjenige, der bereits über eine anderweitige Alterssicherung verfügt, hat ein Interesse daran, nicht Mitglied einer (weiteren) Pflichtversicherung zu sein, und zwar unabhängig davon, ob die anderweitige Absicherung aufgrund der künstlerischen bzw. publizistischen Tätigkeit oder aufgrund einer zusätzlichen Tätigkeit besteht.

Die Ungleichbehandlung wird auch nicht durch Interessen der Versichertengemeinschaft gerechtfertigt. Selbständige Künstler und Publizisten zahlen – anders als sonstige Selbständige – lediglich die Hälfte der Beiträge selbst, während die andere Hälfte von den zur Künstlersozialabgabe verpflichteten Unternehmen und dem Bund aufgebracht wird (§ 14 KSVG). Bei der Einführung einer gesetzlichen Pflichtversicherung liegt es zwar in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BSG, Urteil vom 19.11.1997, a.a.O.), es ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern die unterschiedliche Behandlung der aufgezeigten Fälle im Interesse der Versichertengemeinschaft liegen sollte. Ebenso wenig ist erkennbar, dass es im Interesse des Bundes und damit der Steuerzahler liegen könnte, den Kreis der Mitglieder besonders weit zu fassen, da dies nur eine höhere Beitragslast des Bundes zur Folge hätte.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass ein Wahlrecht des Versicherten, das es ihm ermöglichen würde, im Laufe eines Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen, nicht besteht (BVerfG, Beschluss vom 31.8.2004 - 1 BvR 1776/97). Vorliegend geht es nicht um das Wahlrecht zwischen zwei möglichen Altersversorgungssystemen, sondern die Klägerin wäre bei wörtlicher Anwendung des KSVG der Pflichtmitgliedschaft in zwei Versorgungssystemen – dem ärztlichen Versorgungswerk und der gesetzlichen Rentenversicherung – und damit der doppelten Beitragspflicht unterworfen. Unabhängig davon, ob eine solche Doppelmitgliedschaft im Hinblick auf den im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Grundgesetz (GG) begründeten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überhaupt zulässig wäre, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dies gewollt hat. Vielmehr zeigen die in § 4 Nr. 1 KSVG und § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI enthaltenen Regelungen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich Personen, die bereits über eine anderweitige Alterssicherung verfügen, für nicht schutzbedürftig hält und der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht unterwerfen will. Insofern lässt sich ein anderes Ergebnis auch nicht aus dem Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht" nach Art. 31 GG herleiten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 9.3.2005 – B 12 RA 8/03 R – Juris), wobei zusätzlich darauf hinzuweisen ist, dass eine Kollision von Bundes- mit Landesrecht auch gar nicht vorliegt. Eine derartige Kollision würde voraussetzen, dass die bundes- und die landesrechtliche Norm auf denselben Sachverhalt anwendbar sind und zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen (Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 31 Rn. 4), was hier jedoch nicht der Fall ist. Bloße Zielkonflikte werden von Art. 31 GG nicht erfasst.

Bei der Schließung einer planwidrigen Gesetzeslücke ist darauf abzustellen, welche Regelung der Gesetzgeber für diesen Fall getroffen haben würde, wenn er ein Bedürfnis hierfür erkannt hätte (BSG, Urteil vom 19.3.1970 – 5 RKn 47/67 – Juris). Da – wie ausgeführt – nichts dafür spricht, dass der Gesetzgeber den betroffenen Personenkreis in die Pflichtversicherung nach dem KSVG einbeziehen wollte, ist entsprechend dem Grundgedanken des § 4 Nr. 1 KSVG davon auszugehen, dass auch insoweit die Versicherungsfreiheit angeordnet worden wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG – grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache – vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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