L 6 SB 903/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 2462/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 903/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.01.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt die behördliche Feststellung des Vorliegens einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G).

Bei dem im Jahre 1953 geborenen Kläger wurde mit Bescheid des Versorgungsamts R. vom 04.09.2000 ab dem 01.05.2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 wegen der Folgen einer Hirnblutung, einem Anfallsleiden, einem Psychosyndrom, einer Halbseitenstörung links (Teil-GdB 70), einer Sehbehinderung (Teil-GdB 40) sowie einem chronisch rezidivierenden Lumbalsyndrom und Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20) festgestellt.

Am 25.09.2000 beantragte der Kläger erstmals u. a. die Feststellung des Merkzeichens G, was das Versorgungsamt R. mit Bescheid vom 10.11.2000 ablehnte. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch stellte das Versorgungsamt mit Abhilfebescheid vom 28.02.2001 unter zusätzlicher Einbeziehung einer Gesichtsfeldeinengung beidseits in die Sehbehinderung (Teil-GdB 70) das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G, B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und RF (Rundfunkgebührenbefreiung) ab dem 01.05.2000 fest.

Im August 2002 leitete das Versorgungsamt ein Überprüfungsverfahren ein. Nach Einholung des Gutachtens des Facharztes für Augenheilkunde Dr. R. vom 25.04.2003 (Sehvermögen mit Korrektur beidseits 1,0; Ausfall der linken Gesichtsfeldhälfte beidseits nach Schlaganfall; Teil-GdB auf augenheilkundlichem Fachgebiet 40) kam Obermedizinalrat N. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 08.05.2003 zu dem Ergebnis, die Sehbehinderung des Klägers habe sich wesentlich gebessert, insoweit liege nur eine Gesichtsfeldeinengung beidseits (Teil-GdB 40) vor, die Merkzeichen G, B und RF entfielen. Im Rahmen der Anhörung erhob der Kläger Einwendungen insbesondere gegen die beabsichtigte Entziehung des Merkzeichens B. In der daraufhin eingeholten versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 01.08.2003 kam Dr. E. zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen der Merkzeichen G, B und RF lägen nicht mehr vor. Mit Bescheid vom 05.08.2003 hob das Versorgungsamt R. daraufhin den Bescheid vom 28.02.2001 auf und stellte einen weiterhin vorliegenden GdB von 100 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Schlaganfallfolgen, Anfallsleiden, hirnorganisches Psychosyndrom, inkomplette Halbseitenlähmung links (Teil-GdB 70), Gesichtsfeldeinengung beidseits (Teil-GdB 40) und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20) fest. Die Voraussetzungen der Merkzeichen G, B und RF lägen ab 11.08.2003 nicht mehr vor.

Am 29.09.2003 beantragte der Kläger die erneute Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen G und B, was das Versorgungsamt nach Einholung der Stellungnahme der Versorgungsärztin K. vom 21.11.2003 mit Bescheid vom 24.11.2003 ablehnte. Am 17.12.2004 stellte der Kläger wiederum einen Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G; diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Obermedizinalrätin Dr. Sch. vom 24.03.2005 mit Bescheid vom 15.04.2005 ab. Der sodann am 24.02.2006 gestellte Antrag des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G wurde nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Z. vom 13.05.2006 mit Bescheid des zwischenzeitlich zuständig gewordenen Landratsamts S. vom 19.05.2006 abgelehnt. Den hiergegen erhobenen Widerspruch nahm der Kläger am 05.09.2006 zurück.

Den zuletzt am 19.03.2007 gestellten Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G lehnte das Landratsamt S. nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Obermedizinalrätin Dr. Sch. vom 29.05.2007 mit Bescheid vom 13.06.2007 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium St. auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Z. von 18.07.2007 mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2007 zurück.

Am 03.09.2007 erhob der Kläger beim Sozialgericht Konstanz Klage. Wegen des Vorbringens der Beteiligten, der von diesen vorgelegten Unterlagen und des Ergebnisses der vom Sozialgericht durchgeführten Ermittlungen wird auf das Urteil des Sozialgerichts vom 22.01.2009 verwiesen. Mit diesem Urteil wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung ist unter Darstellung der Voraussetzungen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ausgeführt, sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule, die einen GdB von wenigstens 50 bedingten, lägen beim Kläger nicht vor. Auch sei die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht wegen epileptischer Anfälle oder Anfallsäquivalenten möglich, da der Kläger selbst angegeben habe, er habe seit Jahren keinen epileptischen Anfall mehr gehabt und hinsichtlich der Anfallsäquivalente die Häufigkeit und Dauer nicht angegeben worden sei. Zudem habe der Kläger angegeben, er erleide derartige Zustände nur bei Stress und nur für die Dauer von etwa 5 bis 10 Minuten. Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führten, bestünden nicht. Insbesondere rechtfertige die Gesichtsfeldeinengung beidseits mit einem Teil-GdB von 40 die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht. So bestehe beim Kläger ein weitgehend normaler Visus. Die Gang- und Standproben seien unauffällig. Paresen und Atrophien bestünden nicht. Auch seien die grobe Kraft und die Feinmotorik intakt. Der Kläger sei nicht gehindert, selbstständig ohne Begleitung öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und zu Fuß Strecken zurückzulegen. Er sei in der Lage gewesen, sich allein zur Begutachtung und zum Sozialgericht begeben. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 03.02.2009 zugestellt.

Am 26.02.2009 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Anfallsäquivalente auf Grund der Hirnblutung träten nahezu täglich auf. Dabei komme es zu Angstzuständen mit Pelzigkeitsgefühl der Hände, dem Gefühl, zu kollabieren, einem Kribbeln im Bereich der Brust sowie einem Schweißausbruch im Bereich der oberen Körperhälfte. Er müsse sich dann hinsetzen oder, soweit dies nicht möglich sei, an eine Wand anlehnen, bis der Anfall vorüber sei. Er benötige dann einige Zeit, um sich wieder zu orientieren. Für die nur einige hundert Meter lange Strecke vom Bahnhof in K. zum Sozialgericht habe er mehr als eine Stunde benötigt. Zur weiteren Begründung hat er auf das ärztliche Attest der Oberärztin der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Kliniken Landkreis S. GmbH, Dr. D., vom 10.03.2009 (Störungen im Bereich der kognitiven Leistungen mit deutlichen Konzentrations- und Merkfähigkeitsdefiziten, leichte Tendenz zur Distanzlosigkeit und leichte Kritikminderung, beim Gehen Tendenz nach links mit Sehstörungen und Gesichtsfeldausfall nach links und hierdurch sicher bestehender Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sowie des Erlebens und der Bewältigung des Alltagsgeschehens, immer wieder kleinere depressive Einbrüche) verwiesen.

Der Beklagte hat erwidert, die vom Kläger geschilderten Zustände seien in ihren Auswirkungen nicht annähernd so gefährlich, wie echte Grand-Mal-Anfälle, da er diese rechtszeitig bemerke und sich beispielsweise setzen könne. Die Zuerkennung des Merkzeichens G sei daher nicht gerechtfertigt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat das Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychotherapeutische Medizin Dr. Z. vom 06.07.2009 eingeholt. Darin ist ausgeführt, beim Kläger bestehe ein Zustand nach Subarachnoidalblutung mit Clippung 2000, eine symptomatische Epilepsie, eine residuale beinbetonte Hemiparese links, Koordinationsstörungen, eine linksbetonte heteronyme Hemianopsie, eine Störung der Kognition und der Merkfähigkeit, ein hirnorganisches Psychosyndrom sowie eine Depression. Durch die Sehstörung mit linksbetontem Gesichtsfeldausfall müsse sich der Kläger ständig mit Körperdrehung insbesondere nach links vergewissern, wo er sich im Raum befinde und dass ihm von dort keine Gefahr drohe. Durch die beinbetonte Hemiparese komme es zu einer stärkeren Anstrengung beim Laufen, was eine raschere Erschöpf- und Ermüdbarkeit bedinge. Insbesondere beim Treppengehen sei auch die Koordinationsstörung beeinträchtigend. Hinzu komme ein nach Angabe des Klägers im Mai 2009 erlittener cerebraler Krampfanfall; im EEG seien diesbezüglich Korrelate sichtbar gewesen. Der Kläger könne auf Grund der Gesundheitsstörungen nicht mehr ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich und andere die übliche Wegstrecke im Ortsverkehr (etwa zwei Kilometer in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen).

Der Kläger hat sodann den Befundbericht der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. P. vom 17.06.2009 (Erstvorstellung am 10.06.2009; Visus mit Korrektur rechts 0,5 und links 0,6; ausgeprägte konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung rechts und links) vorgelegt.

Daraufhin hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vom 25.09.2009 (anhaltende Anfallshäufigkeit, die das Merkzeichen G begründen könnte, bisher nicht belegt; durch die leichte Hemiparese links verursachtes leicht zirkumzidiertes hinkendes Gangbild ebenfalls für das Merkzeichen G nicht ausreichend; auch unter Berücksichtigung des augenärztlichen Befundberichts von Dr. P. keine das Merkzeichen G begründende Sehbehinderung) vorgelegt.

Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr liege vor. Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.01.2009 sowie den Bescheid vom 13.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm das Merkzeichen G zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Konstanz sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts S. vom 13.06.2007 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums St. vom 16.08.2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf behördliche Feststellung des Vorliegens einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.

Wegen der Voraussetzungen des vom Kläger begehrten Merkzeichens wird auf die sowohl nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)” 2004 und 2008 - AHP - (vgl. Nr. 30 der AHP) als auch den zum 01.01.2009 in Kraft getretenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen” - VG - (vgl. Teil D Nr. 1. der VG) zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

In Anwendung dieser Grundsätze liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr nicht vor.

Dies gilt zunächst mit Blick auf die angegebenen hirnorganischen Anfälle. Insbesondere genügt der von Dr. Z. im Gutachten vom 06.07.2009 mitgeteilte einmalige cerebrale Krampfanfall nach jahrelanger Anfallsfreiheit nach Nr. 30 Abs. 4 i. V. m. Nr. 26.3 der AHP beziehungsweise Teil D Nr. 1 Buchst. e i. V. m. Teil B Nr. 3.1.2 der VG hierfür nicht. Denn eine für das Merkzeichen G erforderliche mittlere Anfallshäufigkeit setzt danach generalisierte (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen oder aber kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen und einem entsprechendem Teil-GdB von 60 bis 80 voraus. Dies ist hier aber angesichts des vereinzelten Anfalls nicht der Fall. Die vom Kläger in der Vergangenheit angegebenen anfallsähnlichen Zustände (Anfallsäquivalente) hat er im Rahmen der Begutachtung durch Dr. Z. nicht mehr behauptet.

Die residuale beinbetonte Hemiparese links führt ebenfalls nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass das hierdurch hervorgerufene linksseitige Hinken bei leicht zirkumzidiertem Gang den Kläger hindert, eine Strecke von etwa zwei Kilometern in etwa einer halben Stunde zurückzulegen. Die von Dr. Z. insoweit pauschal angegebene raschere Erschöpf- und Ermüdbarkeit genügt hierzu nicht.

Nichts anderes gilt schließlich unter Berücksichtigung der beidseitigen Gesichtsfeldeinschränkungen des Klägers. Dafür, dass er sich im Raum nicht mehr zu orientieren vermag, spricht nichts. Dass er auf Grund der besonders linksseitigen Gesichtsfeldausfälle beidseits und seiner ebenfalls linksseitigen beinbetonten Hemiparese beim Gehen unsicher ist und sich daher häufiger vergewissern muss, wo er sich im Raum befindet oder ob ihm Gefahr droht (vgl. hierzu das Gutachten von Dr. Z.) ist nachvollziehbar. Dass er hierzu allerdings Halb- bis Ganzkörperdrehungen benötigt (vgl. auch hierzu das Gutachten von Dr. Z.) ist nicht plausibel. Denn Beschwerden insbesondere der Halswirbelsäule, die den Kläger am Drehen vornehmlich des Kopfes nach links hindern könnten, liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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