Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AS 807/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1331/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10. März 2010 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller, die bei der H.U.K.-C. privat kranken- und pflegeversichert sind und den hälftigen Basistarif (jeweils KV-290,63EUR, PflV-25,10EUR) als Beitrag zu entrichten haben, begehren im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Übernahme der vollständigen Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung durch die Antragsgegnerin. Derzeit beziehen sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 1572,22 EUR. Neben den Regelsatzleistungen sind hierin Kosten für Unterkunft und Heizung sowie für jeden Antragsteller Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 124,32 EUR und zur Pflegeversicherung von 17,79 EUR enthalten (Bescheid vom 4. März 2010).
Mit Bescheid vom 25. November 2009 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 8. Oktober 2009 bis 31. März 2010 einschließlich monatlicher Zuschüsse für die private Krankenversicherung in Höhe von 124,32 EUR sowie für die Pflegeversicherung in Höhe von 17,79 EUR für jeden Antragsteller, wobei die Höhe des Zuschusses nach dem Beitrag eines Leistungsbeziehers, der in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert ist, begrenzt wurde. Am 7. Dezember 2009 beantragten die Antragsteller die volle Übernahme der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (KV-Beitrag 290,63 EUR, PflV-Beitrag 25,10 EUR). Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26. Januar 2010 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2010 zurück. Hiergegen haben die Antragsteller am 22. März 2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben (S 7 AS 1541/10).
Am 16. Februar 2010 haben die Antragsteller beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten vorläufig die vollen Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung zu übernehmen. Hierbei haben sie sich insbesondere auf den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 6. September 2009 (L 3 AS 3934/09 ER-B) bezogen. Sie seien nicht mehr in der Lage, die Beiträge zu zahlen und verlören daher den Versicherungsschutz. Mit Beschluss vom 10. März 2010 hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ab dem 16. Februar 2010 längstens bis 16. August 2010 Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich je 290,63 EUR und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich 25,10 EUR zu bezahlen. Das SG hat sich der Auffassung des LSG (a.a.O.) im Beschluss vom 6. September 2009 angeschlossen. Zwar sei nach dem Wortlaut des § 26 SGB II i.V.m. i.V.m ... § 12 Abs. 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) der geltend gemachte Anspruch nicht gegeben. Der Anspruch ergebe sich jedoch daraus, dass die planwidrige Regelungslücke durch eine entsprechende Anwendung des §§ 28 Abs.3 Satz 1 SGB II zu schließen sei. Ein Anordnungsgrund ergebe sich aus der existenzsichernden Bedeutung der Leistungen nach dem SGB II.
Hiergegen richtet sich die am 22. März 2010 erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin. Zur Begründung hat sie ausgeführt, eine Regelungslücke sei nicht erkennbar. Dies ergebe sich aus dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und der nachfolgenden Debatte zur vermeintlichen Regelungslücke.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10. März 2010 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Ergänzend führen sie aus, die meisten Sozial- und Landessozialgerichte bejahten den vom SG zugesprochenen Anspruch, ebenso die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Ferner bringen sie vor, es seien bereits offene Arztrechnungen (517,52 EUR - Mahnung vom 25. März 2010) sowie Eigenanteile für Krankengymnastikbehandlungen in Höhe von 307,20 EUR zu bezahlen. Ferner sei aufgrund des vom Antragsteller Ziff. 1 erlittenen Mittelhandbruches noch Krankenrechnungen von ca. 1300 EUR zu erwarten. Sie seien nicht in der Lage, diese zu bezahlen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Antragsgegnerin sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.
Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit insgesamt zulässig. Die Beschwerde ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht eine einstweilige Anordnung erlassen.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für den Erlass der einstweiligen Anordnung zutreffend dargelegt; der Senat nimmt hierauf ausdrücklich Bezug.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig höhere monatliche Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren, als nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG möglich ist, scheitert am Vorliegen eines Anordnungsgrundes (Eilbedürfnis; so auch der erkennende Senat, Beschluss vom 22. März 2010, L 13 AS 919/10 ER-B; Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Oktober 2009, L 7 B 196/09 AS ER, und vom 16. Oktober 2009, L 20 B 56/09 SO ER, alle veröffentlicht in Juris).
Für ein Eilbedürfnis, die Antragsgegnerin zur vollen Übernahme der Beiträge für die Pflegeversicherung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.
Die Antragsteller sind krankenversichert bei der H.U.K.-C. im Basistarif (vgl. § 12 Abs. 1a VAG). Damit ist die notwendige Versorgung der Antragsteller mit Krankenversicherungsleistungen gewährleistet. Wie in dem Beschluss des Senats vom 22. März 2010 (a.a.O.) ausgeführt, ist gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die wie hier eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, durch den Versicherer - verfassungsgemäß (s. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, 1 BvR 706/08 u.a., Rdnr. 188) - ausgeschlossen. Dies gilt auch für den Fall des Zahlungsverzugs, in dem unter den in § 193 Abs. 6 VVG näher bestimmten Voraussetzungen das Ruhen des Leistungsanspruchs eintritt. Denn das Ruhen endet u.a. dann, wenn der Versicherungsnehmer hilfebedürftig im Sinne des SGB II wird (siehe § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG). Ein Ruhen kann nach zutreffender Ansicht (siehe hierzu Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 3. Dezember 2009, L 15 AS 1048/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Oktober 2009, L 20 B 56/09 SO ER) erst recht dann nicht eintreten, wenn Versicherungsnehmer - wie hier die Antragsteller - bereits im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen (vgl. Klerks, Der Beitrag für die private Krankenversicherung im Basistarif bei hilfebedürftigen Versicherungsnehmern nach dem SGB II und dem SGB XII, info also 2009 S. 153, 158). Selbst die - verfassungsgemäße (s. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, 1 BvR 706/08 u.a. Rdnr. 191) - Notversorgungspflicht der Krankenversicherer im Falle eines Ruhens des Leistungsanspruchs gemäß § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG für akute Erkrankungen und Schmerzzustände steht jedenfalls dann einem Eilbedürfnis entgegen, wenn wie hier keine Erkrankungen dargelegt werden, die außerhalb dieses Schutzes stehen könnten. Die Behandlung des Bruchs des Mittelhandknochens des Antragstellers 1 fällt unter die Notversorgungspflicht. Eine Weigerung der H.U.K.-C., hierfür die Kosten für die ärztliche Behandlungen zu übernehmen, ist nicht ersichtlich. Auch ist eine Aufrechnung des Krankenversicherungsunternehmens mit Versicherungsleistungsansprüchen nicht möglich. Denn die Rechtsfolgen eines Zahlungsverzuges sind für die Basistarifversicherten abschließend in § 193 Abs. 6 VVG geregelt. Eine Aufrechnung nach § 394 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch bzw. § 35 VVG ist hierbei ausgeschlossen, da ansonsten der gesetzlich verfolgte Zweck einer Vermeidung des Ausschlusses vom Versicherungsschutz aufgrund Hilfebedürftigkeit gerade vereitelt würde (vgl. Klerks a.a.O. unter Hinweis auf § 12g Abs.1 Satz 3 VAG; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Oktober 2009, L 20 B 56/09 SO ER; BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, 1 BvR 706/08 u.a., Rdnr. 184, 193, 194). So gingen auch die Verfassungsbeschwerdeführer (private Krankenversicherungsunternehmen) davon aus, dass das Verbot jeder Kündigung und die Pflicht zur Notversorgung trotz Nichtzahlung von Beiträgen (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 55, 65) verfassungswidrig sei, was nahelegt, dass sie selbst eine Aufrechnung für unzulässig hielten. Der Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. hat ebenfalls empfohlen, von Aufrechnungen abzusehen (nach Klerks a.a.O.). Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass seine Krankenversicherung die Rechtslage anders bewertet und entsprechende Maßnahmen durchführt. Es ist nicht vorgetragen worden, dass Beitragsrückstände bestehen, bzw. dass sich die H.U.K.-C. geweigert hätte, Kosten für ärztliche Behandlungen zu erstatten.
Schließlich begründet auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 327) kein Eilbedürfnis, dass die Antragsteller -sofern sie die Beiträge nicht vollständig entrichten - im Falle eines ungewissen künftigen Wegfalls ihrer Hilfebedürftigkeit Beitragsschulden begleichen müssen, zumal bis dahin ein Hauptsacheverfahren ergeben kann, dass der Sozialleistungsträger zur Schuldenübernahme verpflichtet ist. Nach den in den Verwaltungsakten befindlichen Unterlagen zu den Vermögenswerten der Antragsteller dürfte im Jahre 2014 auch die Verwertung von beträchtlichen Vermögenswerten (Verkauf Dreiländerfonds) möglich sein. Entgegen der Auffassung des 3. Senates des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 16. September 2009, L 3 AS 3934/09 ER-B) begründet auch das Kostenerstattungsverfahren kein Eilbedürfnis. Denn an diesem Umstand ändert sich nichts dadurch, wenn den Antragstellern höhere Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung gewährt würden. Zudem kann der Arzt nach § 192 Abs. 7 VVG seinen Anspruch auf Leistungserstattung auch gegen den Versicherer geltend machen. Dass den Antragstellern droht, von der ärztlichen Behandlung ausgeschlossen zu werden oder dass sie bereits ausgeschlossen sind, haben sie weder dargelegt, noch glaubhaft gemacht. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Antragsteller Leistungsansprüche gegen die Krankenversicherung ebenfalls gerichtlich geltend machen können, was bislang augenscheinlich nicht erforderlich war. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller Ziff. 1 - er ist Volljurist - die Leistungsansprüche gegen die Krankenversicherung ebenfalls gerichtlich geltend machen kann.
Entgegen der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 3. Dezember 2009, L 15 AS 1048/09 B ER) ist ein Eilbedürfnis auch nicht deshalb gegeben, weil die Antragsteller zur Rechtsuntreue gezwungen würden. Das hierfür herangezogene Argument, die Antragsteller würden darauf verwiesen, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Aufrechterhaltung ihres Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes nicht nachzukommen, ist nicht überzeugend, da dieser Schutz in Anspruch genommen wird und ungefährdet ist (s. o.). Soweit darauf abgestellt wird, dass die Versicherten mit Beiträgen in Verzug kommen, ist dies rechtlich gerade in § 193 Abs. 6 VVG ohne derzeitige Folgen für den Antragsteller geregelt (s. o). Die Rechtspflicht zur Zahlung fälliger Beiträge ist für Hilfebedürftige derzeit ohne jegliche Auswirkung. Eine moralische Pflicht eines Hilfebedürftigen, sämtliche Forderung zu begleichen, kann nicht erkannt werden und könnte auch alleine ein Eilbedürfnis nicht begründen.
Da nach alledem weder die Rechtslage noch konkrete Anhaltspunkte für eine Eilbedürftigkeit sprechen, kann offenbleiben, ob ein Anordnungsanspruch der Antragsteller besteht, weil die gesetzlichen Regelungen verfassungswidrig seien (so u.a. der angefochtene Beschluss des SG und LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass eine Regelungslücke nicht besteht (Beschluss des erkennenden Senats a.a.O). Der Senat hält an dieser Rechtsauffassung fest. Die Kompetenz, eine eindeutige, dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechende gesetzliche Regelung wegen mangelnder Existenzsicherung zu verwerfen, besitzt dann nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Eine Vorlage des Verfahrens gemäß Art. 100 Grundgesetz (GG) an das BVerfG scheidet hier aus, da es auf diese Frage mangels Eilbedürfnisses nicht ankommt.
Ob die Ungleichbehandlung zu freiwillig Versicherten (s. Radüge in: jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 26 i.d.F.v. 17. Juli 2009, Rdnr. 44f.) gegen Art. 3 GG verstößt, kann ebenfalls nur das BVerfG feststellen; zudem obliegt es gegebenenfalls dann dem Gesetzgeber eine Angleichung vorzunehmen, wobei eine solche zu den freiwillig Versicherten nicht zwingend ist. Eine Vorlage des Verfahrens gemäß Art. 100 GG an das BVerfG scheidet auch insoweit aus, da es auf diese Frage mangels Eilbedürfnisses ebenfalls nicht ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller, die bei der H.U.K.-C. privat kranken- und pflegeversichert sind und den hälftigen Basistarif (jeweils KV-290,63EUR, PflV-25,10EUR) als Beitrag zu entrichten haben, begehren im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Übernahme der vollständigen Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung durch die Antragsgegnerin. Derzeit beziehen sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 1572,22 EUR. Neben den Regelsatzleistungen sind hierin Kosten für Unterkunft und Heizung sowie für jeden Antragsteller Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 124,32 EUR und zur Pflegeversicherung von 17,79 EUR enthalten (Bescheid vom 4. März 2010).
Mit Bescheid vom 25. November 2009 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 8. Oktober 2009 bis 31. März 2010 einschließlich monatlicher Zuschüsse für die private Krankenversicherung in Höhe von 124,32 EUR sowie für die Pflegeversicherung in Höhe von 17,79 EUR für jeden Antragsteller, wobei die Höhe des Zuschusses nach dem Beitrag eines Leistungsbeziehers, der in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert ist, begrenzt wurde. Am 7. Dezember 2009 beantragten die Antragsteller die volle Übernahme der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (KV-Beitrag 290,63 EUR, PflV-Beitrag 25,10 EUR). Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26. Januar 2010 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2010 zurück. Hiergegen haben die Antragsteller am 22. März 2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben (S 7 AS 1541/10).
Am 16. Februar 2010 haben die Antragsteller beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten vorläufig die vollen Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung zu übernehmen. Hierbei haben sie sich insbesondere auf den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 6. September 2009 (L 3 AS 3934/09 ER-B) bezogen. Sie seien nicht mehr in der Lage, die Beiträge zu zahlen und verlören daher den Versicherungsschutz. Mit Beschluss vom 10. März 2010 hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ab dem 16. Februar 2010 längstens bis 16. August 2010 Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich je 290,63 EUR und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich 25,10 EUR zu bezahlen. Das SG hat sich der Auffassung des LSG (a.a.O.) im Beschluss vom 6. September 2009 angeschlossen. Zwar sei nach dem Wortlaut des § 26 SGB II i.V.m. i.V.m ... § 12 Abs. 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) der geltend gemachte Anspruch nicht gegeben. Der Anspruch ergebe sich jedoch daraus, dass die planwidrige Regelungslücke durch eine entsprechende Anwendung des §§ 28 Abs.3 Satz 1 SGB II zu schließen sei. Ein Anordnungsgrund ergebe sich aus der existenzsichernden Bedeutung der Leistungen nach dem SGB II.
Hiergegen richtet sich die am 22. März 2010 erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin. Zur Begründung hat sie ausgeführt, eine Regelungslücke sei nicht erkennbar. Dies ergebe sich aus dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und der nachfolgenden Debatte zur vermeintlichen Regelungslücke.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10. März 2010 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Ergänzend führen sie aus, die meisten Sozial- und Landessozialgerichte bejahten den vom SG zugesprochenen Anspruch, ebenso die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Ferner bringen sie vor, es seien bereits offene Arztrechnungen (517,52 EUR - Mahnung vom 25. März 2010) sowie Eigenanteile für Krankengymnastikbehandlungen in Höhe von 307,20 EUR zu bezahlen. Ferner sei aufgrund des vom Antragsteller Ziff. 1 erlittenen Mittelhandbruches noch Krankenrechnungen von ca. 1300 EUR zu erwarten. Sie seien nicht in der Lage, diese zu bezahlen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Antragsgegnerin sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.
Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit insgesamt zulässig. Die Beschwerde ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht eine einstweilige Anordnung erlassen.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für den Erlass der einstweiligen Anordnung zutreffend dargelegt; der Senat nimmt hierauf ausdrücklich Bezug.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig höhere monatliche Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren, als nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG möglich ist, scheitert am Vorliegen eines Anordnungsgrundes (Eilbedürfnis; so auch der erkennende Senat, Beschluss vom 22. März 2010, L 13 AS 919/10 ER-B; Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Oktober 2009, L 7 B 196/09 AS ER, und vom 16. Oktober 2009, L 20 B 56/09 SO ER, alle veröffentlicht in Juris).
Für ein Eilbedürfnis, die Antragsgegnerin zur vollen Übernahme der Beiträge für die Pflegeversicherung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.
Die Antragsteller sind krankenversichert bei der H.U.K.-C. im Basistarif (vgl. § 12 Abs. 1a VAG). Damit ist die notwendige Versorgung der Antragsteller mit Krankenversicherungsleistungen gewährleistet. Wie in dem Beschluss des Senats vom 22. März 2010 (a.a.O.) ausgeführt, ist gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die wie hier eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, durch den Versicherer - verfassungsgemäß (s. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, 1 BvR 706/08 u.a., Rdnr. 188) - ausgeschlossen. Dies gilt auch für den Fall des Zahlungsverzugs, in dem unter den in § 193 Abs. 6 VVG näher bestimmten Voraussetzungen das Ruhen des Leistungsanspruchs eintritt. Denn das Ruhen endet u.a. dann, wenn der Versicherungsnehmer hilfebedürftig im Sinne des SGB II wird (siehe § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG). Ein Ruhen kann nach zutreffender Ansicht (siehe hierzu Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 3. Dezember 2009, L 15 AS 1048/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Oktober 2009, L 20 B 56/09 SO ER) erst recht dann nicht eintreten, wenn Versicherungsnehmer - wie hier die Antragsteller - bereits im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen (vgl. Klerks, Der Beitrag für die private Krankenversicherung im Basistarif bei hilfebedürftigen Versicherungsnehmern nach dem SGB II und dem SGB XII, info also 2009 S. 153, 158). Selbst die - verfassungsgemäße (s. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, 1 BvR 706/08 u.a. Rdnr. 191) - Notversorgungspflicht der Krankenversicherer im Falle eines Ruhens des Leistungsanspruchs gemäß § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG für akute Erkrankungen und Schmerzzustände steht jedenfalls dann einem Eilbedürfnis entgegen, wenn wie hier keine Erkrankungen dargelegt werden, die außerhalb dieses Schutzes stehen könnten. Die Behandlung des Bruchs des Mittelhandknochens des Antragstellers 1 fällt unter die Notversorgungspflicht. Eine Weigerung der H.U.K.-C., hierfür die Kosten für die ärztliche Behandlungen zu übernehmen, ist nicht ersichtlich. Auch ist eine Aufrechnung des Krankenversicherungsunternehmens mit Versicherungsleistungsansprüchen nicht möglich. Denn die Rechtsfolgen eines Zahlungsverzuges sind für die Basistarifversicherten abschließend in § 193 Abs. 6 VVG geregelt. Eine Aufrechnung nach § 394 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch bzw. § 35 VVG ist hierbei ausgeschlossen, da ansonsten der gesetzlich verfolgte Zweck einer Vermeidung des Ausschlusses vom Versicherungsschutz aufgrund Hilfebedürftigkeit gerade vereitelt würde (vgl. Klerks a.a.O. unter Hinweis auf § 12g Abs.1 Satz 3 VAG; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Oktober 2009, L 20 B 56/09 SO ER; BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, 1 BvR 706/08 u.a., Rdnr. 184, 193, 194). So gingen auch die Verfassungsbeschwerdeführer (private Krankenversicherungsunternehmen) davon aus, dass das Verbot jeder Kündigung und die Pflicht zur Notversorgung trotz Nichtzahlung von Beiträgen (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 55, 65) verfassungswidrig sei, was nahelegt, dass sie selbst eine Aufrechnung für unzulässig hielten. Der Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. hat ebenfalls empfohlen, von Aufrechnungen abzusehen (nach Klerks a.a.O.). Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass seine Krankenversicherung die Rechtslage anders bewertet und entsprechende Maßnahmen durchführt. Es ist nicht vorgetragen worden, dass Beitragsrückstände bestehen, bzw. dass sich die H.U.K.-C. geweigert hätte, Kosten für ärztliche Behandlungen zu erstatten.
Schließlich begründet auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 327) kein Eilbedürfnis, dass die Antragsteller -sofern sie die Beiträge nicht vollständig entrichten - im Falle eines ungewissen künftigen Wegfalls ihrer Hilfebedürftigkeit Beitragsschulden begleichen müssen, zumal bis dahin ein Hauptsacheverfahren ergeben kann, dass der Sozialleistungsträger zur Schuldenübernahme verpflichtet ist. Nach den in den Verwaltungsakten befindlichen Unterlagen zu den Vermögenswerten der Antragsteller dürfte im Jahre 2014 auch die Verwertung von beträchtlichen Vermögenswerten (Verkauf Dreiländerfonds) möglich sein. Entgegen der Auffassung des 3. Senates des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 16. September 2009, L 3 AS 3934/09 ER-B) begründet auch das Kostenerstattungsverfahren kein Eilbedürfnis. Denn an diesem Umstand ändert sich nichts dadurch, wenn den Antragstellern höhere Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung gewährt würden. Zudem kann der Arzt nach § 192 Abs. 7 VVG seinen Anspruch auf Leistungserstattung auch gegen den Versicherer geltend machen. Dass den Antragstellern droht, von der ärztlichen Behandlung ausgeschlossen zu werden oder dass sie bereits ausgeschlossen sind, haben sie weder dargelegt, noch glaubhaft gemacht. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Antragsteller Leistungsansprüche gegen die Krankenversicherung ebenfalls gerichtlich geltend machen können, was bislang augenscheinlich nicht erforderlich war. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller Ziff. 1 - er ist Volljurist - die Leistungsansprüche gegen die Krankenversicherung ebenfalls gerichtlich geltend machen kann.
Entgegen der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 3. Dezember 2009, L 15 AS 1048/09 B ER) ist ein Eilbedürfnis auch nicht deshalb gegeben, weil die Antragsteller zur Rechtsuntreue gezwungen würden. Das hierfür herangezogene Argument, die Antragsteller würden darauf verwiesen, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Aufrechterhaltung ihres Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes nicht nachzukommen, ist nicht überzeugend, da dieser Schutz in Anspruch genommen wird und ungefährdet ist (s. o.). Soweit darauf abgestellt wird, dass die Versicherten mit Beiträgen in Verzug kommen, ist dies rechtlich gerade in § 193 Abs. 6 VVG ohne derzeitige Folgen für den Antragsteller geregelt (s. o). Die Rechtspflicht zur Zahlung fälliger Beiträge ist für Hilfebedürftige derzeit ohne jegliche Auswirkung. Eine moralische Pflicht eines Hilfebedürftigen, sämtliche Forderung zu begleichen, kann nicht erkannt werden und könnte auch alleine ein Eilbedürfnis nicht begründen.
Da nach alledem weder die Rechtslage noch konkrete Anhaltspunkte für eine Eilbedürftigkeit sprechen, kann offenbleiben, ob ein Anordnungsanspruch der Antragsteller besteht, weil die gesetzlichen Regelungen verfassungswidrig seien (so u.a. der angefochtene Beschluss des SG und LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass eine Regelungslücke nicht besteht (Beschluss des erkennenden Senats a.a.O). Der Senat hält an dieser Rechtsauffassung fest. Die Kompetenz, eine eindeutige, dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechende gesetzliche Regelung wegen mangelnder Existenzsicherung zu verwerfen, besitzt dann nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Eine Vorlage des Verfahrens gemäß Art. 100 Grundgesetz (GG) an das BVerfG scheidet hier aus, da es auf diese Frage mangels Eilbedürfnisses nicht ankommt.
Ob die Ungleichbehandlung zu freiwillig Versicherten (s. Radüge in: jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 26 i.d.F.v. 17. Juli 2009, Rdnr. 44f.) gegen Art. 3 GG verstößt, kann ebenfalls nur das BVerfG feststellen; zudem obliegt es gegebenenfalls dann dem Gesetzgeber eine Angleichung vorzunehmen, wobei eine solche zu den freiwillig Versicherten nicht zwingend ist. Eine Vorlage des Verfahrens gemäß Art. 100 GG an das BVerfG scheidet auch insoweit aus, da es auf diese Frage mangels Eilbedürfnisses ebenfalls nicht ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
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