L 8 SB 1445/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 4521/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1445/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Der geborene Kläger ist im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung. Beim Kläger stellte das Versorgungsamt Heilbronn zuletzt mit Bescheid vom 16.07.2003 wegen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, operiertem Bandscheibenschaden, Schulter-Arm-Syndrom und chronischem Schmerzsyndrom den GdB mit 40 neu fest. Ein hiergegen eingelegter Widerspruch des Klägers blieb durch Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 04.12.2003 erfolglos. Eine daraufhin erhobene Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) - Az. S 2 SB 285/04 - nahm der Kläger nach Einholung des orthopädischen Gutachtens von Dr. R. vom 12.08.2004, der den Gesamt-GdB mit 40 bewertete, am 07.09.2004 zurück.

Am 08.04.2005 beantragte der Kläger beim zwischenzeitlich zuständig gewordenen Landratsamt Hohenlohekreis Sozialamt - Versorgungsamt - (VA) wegen Verschlimmerung der festgestellten und neu aufgetretener Gesundheitsstörungen (Schwerhörigkeit links, rechter Arm) erneut die Erhöhung des GdB. Das VA nahm medizinische Unterlagen (Reha-Entlassungsbericht der Reha-Kl. S. D. vom 02.03.2004, Befundscheine von Dr. A. vom 26.07.2005 und Dr. K.l vom 13.03.2006, Arztbrief des H. K. und Befundbericht von Dr. M. vom 15.03.2005) zu den Akten.

Nach versorgungsärztlicher Auswertung der medizinischen Unterlagen (gutachtliche Stellungnahme Dr. L. vom 26.04.2006) lehnte das VA den Neufeststellungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 04.05.2006 ab, da die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung des GdB nicht vorlägen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.05.2006 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, ein metabolisches Syndrom sei zusätzlich mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen. Hinzugetreten sei eine Behinderung durch eine eingeschränkte Hüftgelenksbeweglichkeit. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien mit einem Teil-GdB von 40 und das Schulter-Arm-Syndrom gesondert mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Das VA zog weitere Befundunterlagen bei (Dr. S. vom 10.10.2005 und 11.11.2005, Dr. Sch. vom 21.12.2005, Dr. A. vom 23.09.2006) und ließ diese versorgungsärztlich auswerten (gutachtliche Stellungnahme Dr. M.-A. vom 06.11.2006). Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 20.11.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der vorliegenden Befundunterlagen habe gezeigt, dass eine Verschlimmerung, die eine Erhöhung des GdB rechtfertigen könne, sich nicht feststellen lasse.

Hiergegen erhob der Kläger am 06.12.2006 Klage beim SG (S 2 SB 4521/06). Er trug zur Begründung vor, der Beklagte habe in seine Bewertung Beschwerden der Halswirbelsäule (Kopfschmerzen, endgradige Einschränkung der Kopfdreh- und Seitneigung bei schmerzhafter Verspannung der Nacken- und Schultermuskulatur) nicht einbezogen. In Verbindung mit dem metabolischen Syndrom sei die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt.

Das SG nahm aus dem Rentenrechtsstreit des Klägers (S 4 R 3512/05) die schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S. vom 30.03.2006 und Dr. A. vom 08.05.2006, das orthopädische Gutachten von Dr. C. vom 12.07.2006 und das nervenärztliches Gutachten von Dr. W. vom 30.06.2006 zu den Akten.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.02.2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde unter Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei nicht eingetreten. Eine krankheitsbedingte psychische Störung liege beim Kläger nicht vor. Eine Änderung der den orthopädischen Bereich betreffenden Funktionsbeeinträchtigung könne ebenfalls nicht festgestellt werden. Eine beginnende bis mittelschwere Arthrose im Bereich der mittleren Halswirbelsäule sei ebenso funktionell weitgehend kompensiert wie eine beginnende Arthrose im Bereich beider Hüftgelenke. Die Voraussetzungen des § 48 SGB X lägen nicht vor.

Am 26.02.2008 stellte der Kläger beim VA einen weiteren Antrag auf Neufeststellung des GdB sowie auf Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "G". In der zu diesem Antrag abgegebenen gutachtlichen Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten vom 15.04.2008 (Dr. L.) wird eine Erhöhung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht empfohlen. Über den Antrag vom 26.02.2008 wurde vom Beklagten noch nicht entschieden.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27.02.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25.03.2008 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, die Feststellungen des SG reichten nicht aus, seine Schwerbehinderung auszuschließen. Das SG hätte sich hinsichtlich der vom Beklagten nicht berücksichtigten Beschwerden der Halswirbelsäule zu weiteren Ermittlungen veranlasst sehen müssen. Seine Bandscheibenbeschwerden sowie die Beschwerden in der linken Schulter hätten sich zusätzlich verschlimmert. Auch hinsichtlich des metabolischen Syndroms seien weitere Ermittlungen erforderlich.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend. Selbst unter Berücksichtigung des Zwischenergebnisses des Änderungsverfahrens (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 15.04.2008) könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger als schwerbehinderter Mensch anzusehen sei.

Der Senat hat den Orthopäden Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dr. S. hat in seiner Stellungnahme vom 30.06.2008 unter Vorlage von medizinischen Befundunterlagen den Behandlungsverlauf, die erhobenen Befunde und die Diagnosen mitgeteilt. Er hat sich der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.03.2008 (richtig 15.04.2008) angeschlossen und den GdB auf 40 eingeschätzt.

Der Kläger hat weiter vorgetragen und sich auf eine zwischenzeitlich eingetretene weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auf orthopädischem sowie auf nervenärztlichem Gebiet berufen.

Der Senat hat daraufhin Dr. S. zur Frage einer Verschlimmerung sowie die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie C. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. S. hat in seiner Stellungnahme vom 12.01.2009 unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen von einer erheblichen Verschlechterung des Schmerzbildes und einer Zunahme der Bewegungseinschränkung sowie der radikulären Symptome berichtet und auf orthopädischem Gebiet den GdB nunmehr auf 50 eingeschätzt. Die Ärztin C. hat in ihrer Stellungnahme vom 14.01.2009 die von ihr bei einer einmaligen Behandlung des Klägers am 27.08.2008 erhobenen Befunde mitgeteilt.

Der Beklagte ist der Berufung des Klägers unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 01.12.2008 und Dr. K. vom 20.03.2009 weiter entgegen getreten.

Der Senat hat daraufhin das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. B., V. Kl. B. R.au, vom 16.07.2009 eingeholt. Der Sachverständige führte in seinem Gutachten nach einer ambulanten klinischen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers aus, beim Kläger bestünde eine ausgeprägte Osteochondrose und Spondylarthrose der Halswirbelkörper 5/6 und 6/7 mit rezidivierender Zervikobrachialgie beidseits sowie der Lendenwirbelkörper 2 bis zum 1. Sakralwirbel mit rechtsbetonten Lumboischialgien und intermittierenden Dysästhesien des rechten Beins bei Zustand nach einer Bandscheibenoperation in Höhe L4/5. Eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit habe nicht festgestellt werden können. Im Vergleich zum Bescheid vom 16.07.2003 liege keine wesentliche Änderung vor. Die Gesundheitsstörungen der Hals- und Lendenwirbelsäule bedingten einen GdB von 30 bis 40. Der GdB werde auf 40 beurteilt.

Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzt - SGG -), ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 04.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2006 ist rechtmäßig. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung des GdB von 50 (oder mehr) zu. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht das im Änderungsantrag des Klägers vom 26.02.2008 geltend gemachte Begehren auf Feststellung weiterer gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "G". Dieses Begehren war nicht Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Zudem ist über den Änderungsantrag vom 26.02.2008 vom Beklagten noch nicht entschieden worden. Dem entspricht auch der Berufungsantrag des Klägers, der die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht in seinen Antrag einbezogen hat.

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen - welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden. Dies ist vorliegend der mit Bescheid vom 16.07.2003 mit einem GdB von 40 bewertete Behinderungszustand.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind seit 01.07.2001 die Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Hiervon ausgehend ist beim Kläger im Vergleich zu den dem Bescheid vom 16.07.2003 zugrunde liegenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die es rechtfertigt, bei ihm den GdB nunmehr mit 50 (oder mehr) festzustellen, nicht eingetreten.

Nach den VG Teil B Nr. 18.9 bedingen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen Teil-GdB von 30 bis 40. Dass beim Kläger Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen bestehen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) oder eine schwerste Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit), die einen höheren Teil-GdB als 40 rechtfertigen, ist nach den von Prof. Dr. B. erhobenen Befunde beim Kläger nicht der Fall und kann auch den sonst den zu den Akten gelangten Unterlagen nicht entnommen werden. Ein zusätzlich zu berücksichtigendes außergewöhnliche Schmerzsyndrom besteht beim Kläger nach der überzeugenden Ansicht von Prof. Dr. B. nicht.

Sonstige Funktionseinschränkungen, die nach den oben dargestellten Grundsätzen als wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB X zu berücksichtigen sind, liegen beim Kläger auf orthopädischem Gebiet nicht vor. Nach den von Prof. Dr. B. in seinem Gutachten vom 16.07.2009 mitgeteilten Befunde, bestehen beim Kläger an den oberen und unteren Extremitäten keine krankhaften Veränderungen oder Bewegungseinschränkungen, die nach den VG einen bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigenden Teil-GdB rechtfertigen. Beim Kläger bestehen im Schultergürtel keine krankhaften Veränderungen. Die Schultergelenke sind beidseitig in allen Bewegungsebenen frei und symmetrisch beweglich. Zwischen dem aktiven und passiven Bewegungsmaß besteht kein wesentlicher Unterschied. Bei endgradigen Bewegungen hat der Kläger keine Beschwerden geäußert. Auffällige Gelenkgeräusche sind nicht vorhanden. Entsprechendes gilt nach den von Prof. Dr. B. festgestellten Befunde für die Ellenbogengelenke, Handgelenke und die Funktion beider Arme. Auch die Hüft- und Kniegelenksbeweglichkeit ist beidseitig frei, bei auch sonst unauffälligem Kniebefund beidseitig. Dies gilt auch für die Sprunggelenke des Klägers. Schließlich ist auch die Funktion beider Beine beim Kläger nicht relevant eingeschränkt. Diese Befunde entsprechen im Wesentlichen auch den von Prof. Dr. C. in seinem vom SG beigezogenen und verwerteten Gutachten vom 12.07.2006 dargestellten Befunde bezüglich der oberen und unteren Extremitäten des Klägers. Danach kann beim Kläger allenfalls von geringen Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen werden, die noch keinen Teil-GdB von 10 bedingen und die die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht rechtfertigen. Davon geht auch Prof. Dr. B. in seinem Gutachten vom 16.07.2009 überzeugend aus, dem der Senat folgt.

Der Ansicht von Dr. S. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 12.01.2009, der auf orthopädischem Fachgebiet beim Kläger den GdB auf 50 eingeschätzt hat, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dr. S. nennt in seiner Stellungnahme vom 12.01.2009 keine Funktionseinschränkung, die hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens des Kläger nach den VG einen GdB von 50 rechtfertigt, bzw. keine vom Wirbelsäulenleiden unabhängige Funktionsbeeinträchtigung auf orthopädischem Fachgebiet, die als wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB X zusätzlich - neben dem Wirbelsäulenleiden - bei der Bildung des Gesamt-GdB erhöhend berücksichtigt werden könnte.

Danach ist auf orthopädischem Fachgebiet beim Kläger eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB X, die sein Begehren rechtfertigt, nicht eingetreten. Davon geht auch Prof. Dr. B. in seinem Gutachten vom 16.07.2009 überzeugend aus, dem der Senat auch insoweit folgt.

Auch außerhalb des orthopädischen Fachgebietes bestehen beim Kläger keine neuen oder verschlimmerten Gesundheitsstörungen, die die Neufeststellung des Gesamt-GdB auf 50 (oder mehr) rechtfertigen.

Dass der Kläger durch ein im Entlassungsbericht der Reha-Klinik Sonnhalde diagnostiziertes metabolisches Syndrom (mit Hyperlipidaemie, Hyperuricaemie und Grenzwerthypertonie) in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wesentlich beeinträchtigt ist, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger im Übrigen auch nicht substanziiert dargetan. Vielmehr hat der den Kläger behandelnde Arzt Dr. A. in seiner Stellungnahme an das VA vom 23.09.2006 mitgeteilt, ein metabolisches Syndrom des Klägers sei ihm nicht bekannt.

Auch eine Schwerhörigkeit (links) des Klägers rechtfertigt es nicht, im Wege der Neufeststellung die Schwerbehinderteneigenschaft zuzuerkennen. Nach der hierzu von Dr. K. abgegebenen Stellungnahme vom 13.03.2006 an das VA und dem vorgelegten Tonaudiogramm aus dem Jahr 1998 besteht beim Kläger lediglich ein leichtgradiger Hochtonverlust links bei Normalhörigkeit rechts, der nach den VG Teil B Nr. 5.2.3 einen Teil-GdB von 10 nicht rechtfertigt. Dass eine wesentliche Verschlimmerung der Schwerhörigkeit eingetreten ist, lässt sich den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen sowie den Angaben der schriftlich als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte nicht entnehmen und wird im Übrigen auch vom Kläger nicht geltend gemacht.

Beim Kläger liegt auch keine Gesundheitsstörung auf nervenärztlichem (psychiatrischem) Fachgebiet vor, die die Annahme einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB X begründet und die Neufeststellung der Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt. Nach dem vom SG zu den Akten genommenen und verwerteten Gutachten vom Dr. W. vom 30.06.2006 bestand beim Kläger keine krankheitswertige psychische Störung. Eine Behandlung bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie C. am 27.08.2008 hat der Kläger nicht fortgesetzt, wie die Ärztin C. in ihrer sachverständigen schriftlichen Zeugenaussage an den Senat vom 14.01.2009 mitgeteilt hat, sodass beim Kläger bereits mangels abgeschlossener Behandlung nicht von einer neu aufgetretenen dauerhaften regelwidrigen Funktionsbeeinträchtigung auf psychiatrischem Gebiet ausgegangen werden kann, die einer Teil-GdB-Bewertung zugänglich ist. Unabhängig davon bestanden beim Kläger am 27.08.2008 nach den von der Ärztin C. in ihrer Stellungnahme vom 14.01.2009 mitgeteilten Befunde lediglich leichtere psychovegetative oder psychische Störungen, die nach den VG Teil B Nr. 3.7 mit einem Teil-GdB von 0 bis 20 zu bewerten sind. So zeigte sich beim Kläger ein depressive Reagibilität mit bedrückter Stimmungslage ohne Tagesschwankung. Der Antrieb war bei innerer Anspannung nur leicht vermindert. Es bestand eine allgemeine Nervosität und Unruhe bei erhöhter Besorgnis und Ängstlichkeit, besonders was den Ausgang des Sozialgerichtsverfahrens angeht, sowie eine deutliche Bahnung auf das Schmerzerleben. Diese Befunde rechtfertigen nicht, beim Kläger von stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), die nach den VG Teil B Nr. 3.7 einen Teil-GdB von 30 bis 40 rechtfertigen, auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es aber grundsätzlich nicht gerechtfertigt, allein aufgrund einer bestehenden leichten Störung/Funktionsbeeinträchtigung die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen, selbst wenn beim Kläger der nach den VG für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen vorgegebene Bewertungsrahmen mit einem Teil-GdB von 20 ausgeschöpft würde (vgl. z. B. Urteile des Senats vom 27.10.2006 - L 8 SB 2813/05 -; vom 03.04.2009 - L 8 SB 1295/08 -). Diese Rechtsprechung des Senats steht in Einklang mit den AHP und seit 01.01.2009 mit den VG (vgl. Teil A Nr. 3d, ee, S. 10), wonach es bei leichten Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen besteht nicht. Der Senat hält den entscheidungsrelevanten Sachverhalt für aufgeklärt. Dass eine Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten ist, die Anlass zu weiteren Ermittlungen gibt, ist nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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