L 9 U 2285/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 4140/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2285/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. März 2009 aufgehoben.

Die Klage gegen den Bescheid vom 11. Februar 2009 wird abgewiesen.

Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Sozialgericht Ulm (SG) die Beklagte wegen der Folgen des Arbeitsunfalls der Klägers vom 25. Juli 2006 zu Recht zu einer Rentenzahlung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mehr als 10 vH verurteilt hat.

Der 1949 geborene Kläger erlitt am 22. Juni 2005 und am 25. Juli 2006 jeweils einen Arbeitsunfall, von dem die rechte Hand betroffen war.

Nach dem vom Kläger angenommenen Anerkenntnis im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. März 2009 gewährt die Beklagte wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22. Juni 2005 "unter verstärkter Berücksichtigung der am rechten Mittel- und Ringfinger bestehenden Sensibilitätsstörungen" seit dem 25. Juli 2006 Verletztenrente nach einer MdE um 10 vH.

Am 25. Juli 2006 geriet der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Betonwerk U. in Ellwangen beim Durchtrennen von Rundstahl mit dem rechten Zeigefinger in die Maschine. Der Finger musste während des stationären Aufenthalts in der Virgrund-Klinik in Ellwangen im proximalen Drittel des Grundgliedes amputiert werden (Bericht vom 27. Juli 2006). Nach einer stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Tübingen vom 5. bis 17. November 2006 trat Arbeitsfähigkeit wieder zum 20. November 2006 ein (Bericht vom 8. Januar 2007).

Nachdem Dr. B. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17. Januar 2007 die Auffassung vertreten hatte, auch unter Berücksichtigung des Vorschadens werde eine MdE von 20 vH nicht erreicht, gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29. Januar 2007 unter Anerkennung der Unfallfolgen Verlust des Zeigefingers der rechten Hand im Bereich des Grundgliedes, unvollständiger Faustschluss im Bereich des Zeigefingers, für die Zeit vom 20. November 2006 bis zum 30. April 2007 eine Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 vH. Bei der MdE-Einschätzung sei berücksichtigt worden, dass der Unfall eine vorgeschädigte Hand getroffen habe. Nach Ablauf des Zeitraums werde die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich nicht mehr um 20 vH gemindert sein.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren erstattete PD Dr. M. das handchirurgische Gutachten vom 20. August 2007, in welchem er die Folgen der beiden Arbeitsunfälle jeweils mit einer MdE um 10 vH einschätzte. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2006 ab, weil die Erwerbsfähigkeit ab dem 1. Mai 2007 nicht mehr um 20 vH gemindert sei. Der gegen den Bescheid vom 29. Januar 2007 eingelegte Widerspruch gelte auch als Widerspruch gegen diesen Bescheid.

Ebenfalls mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 lehnte sie die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22. Juni 2005 ab, da die Erwerbsfähigkeit hierdurch um weniger als 10 vH gemindert werde. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 wies die Beklagte die Widersprüche gegen den Bescheid vom 29. Januar 2007 und gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2007 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 16. November 2007 Klage zum SG. Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2007 teilte er mit, die Klage richte sich auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2007, mit welchem die Beklagte eine Rentenzahlung wegen der Folgen des Unfalls vom 22. Juni 2005 abgelehnt habe.

Das SG holte das Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. B. vom 1. Juli 2008 ein. Dieser bewertete die Verletzungsfolgen vom 22. Juni 2005 mit einer MdE um 10 vH und die Verletzungsfolgen vom 25. Juli 2006 wegen der Sensibilitätsstörung im Stumpfende mit einer MdE um 15 vH nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums auf Dauer.

Mit Schriftsatz vom 14. August 2008, beim SG eingegangen am 20. August 2008, erhob die Beklagte Einwendungen gegen die Bewertung der Unfallfolgen vom 25. Juli 2006 mit einer MdE um 15 vH und erklärte, sie sei vergleichsweise bereit, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 22. Juni 2005 eine Rente nach einer MdE um 10 vH ab 25. Juli 2006 und wegen der Folgen des Unfalls vom 25. Juli 2006 eine Rente nach einer MdE um 10 vH ab 1. Mai 2007 zu zahlen.

Der Kläger nahm das Angebot der Beklagten nicht an. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2008, beim SG eingegangen am 4. Dezember 2008, erklärte die Beklagte, da der Kläger das Vergleichsangebot vom 14. August 2008 nicht angenommen habe, werde dieses als Teilanerkenntnis abgegeben.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. März 2009 nahm der Kläger das Anerkenntnis in Bezug auf den Arbeitsunfall vom 22. Juni 2005 an und beantragte noch, den Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Arbeitsunfall vom 25. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren.

Mit Urteil vom 19. März 2009 änderte das SG den Bescheid vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2007 ab und verurteilte die Beklagte, dem Kläger für den Arbeitsunfall vom 25. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 15 vH zu gewähren. Das SG folge dem Sachverständigen Dr. B. in seiner Einschätzung der MdE mit 15 vH.

Gegen das am 23. April 2009 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 18. Mai 2009 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen ist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die MdE-Beurteilung des SG stütze sich nicht auf einen allgemein anerkannten Erfahrungswert. Das SG erörtere auch nicht die Frage einer Abänderungsbefugnis des Gerichts der MdE nur um 5 vH.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. März 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit eine Verurteilung zu einer Rentenzahlung nach einer MdE von mehr als 10 vH erfolgt ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Nach einem rechtlichen Hinweis des Senats hat die Beklagte den Bescheid vom 11. Februar 2009 (betreffend den Arbeitsunfall vom 22. Juni 2005) und das Schreiben vom 11. Februar 2009 (betreffend dem Arbeitsunfall vom 25. Juli 2006) vorgelegt, mit welchen die Beklagte unter Bezugnahme auf ihre Prozesserklärung vom 3. Dezember 2008 dem Kläger die jeweiligen Renten nach einer MdE um 10 vH auf unbestimmte Zeit gewährt und für die Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 22. Juni 2005 einen Nachzahlungsbetrag von 4.559,26 EUR und für die Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2006 einen Nachzahlungsbetrag von 3.358,80 EUR errechnet hat.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des SG und die Senatsakte.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe i.S.d. § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist auch sachlich begründet. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht mehr der Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2007, mit welchem die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2006 im Anschluss an den Gesamtvergütungszeitraum abgelehnt hat, sondern das "Schreiben" der Beklagten vom 11. Februar 2009, mit welchem die Beklagte entsprechend ihrem Teilanerkenntnis vom 3. Dezember 2008 dem Kläger Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2006 nach einer MdE um 10 vH ab 1. Mai 2007 auf Dauer gewährt und einen Nachzahlungsbetrag von 3.358,80 EUR errechnet hat. Da der Kläger das Teilanerkenntnis der Beklagten vom 3. Dezember 2008 nicht angenommen hat, handelt sich bei dem nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Schreiben von 11. Februar 2009 nicht um einen Ausführungsbescheid ohne eigene inhaltliche Regelung (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 18. September 2003, B 9 V 82/02 B, in Juris), sondern um einen gemäß § 96 SGG Gegenstand des - erstinstanzlichen - Verfahrens gewordenen, den ursprünglichen Ablehnungsbescheid ersetzenden Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 24. Februar 1999, B 5/4 RA 57/97 R, SozR 3-2600 § 319b Nr. 2 und in Juris). Mangels Kenntnis des Bescheides hat das SG über diesen nicht entschieden. Dies hat der Senat nachzuholen (BSG SozR 4-1500 § 96 Nr. 4). Der Bescheid vom 11. Februar 2009, mit welchem die Beklagte die MdE für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2006 auf 10 vH festgesetzt hat, ist nicht rechtswidrig. Zwar hat der zuvor im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordene Sachverständige Dr. B. im Gutachten vom 1. Juli 2008 die Verletzungsfolgen mit einer MdE um 15 vH bewertet und dies damit begründet, dass zwar nach der gängigen Fachliteratur ein kompletter Verlust des Zeigefingers mit 15 vH bewertet werde, welcher im Falle des Klägers nicht gegeben sei. Am verbliebenen Stumpf, der Hälfte des Grundglieds, bestünden aber Sensibilitätsstörungen, welche eine MdE von 15 vH rechtfertigten. Demgegenüber hat PD Dr. M. in dem für die Beklagte erstatteten Gutachten die Unfallfolgen am rechten Zeigefinger unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Hypersensibilität im Stumpf mit einer MdE von 10 vH bewertet. Unterscheiden sich aber bei - wie vorliegend - unstreitigen Unfallfolgen die der Bewertung der MdE zugrunde liegenden ärztlichen Schätzungen lediglich um 5 vH, dann liegen sie innerhalb der allen ärztlichen Schätzungen eigenen Schwankungsbreite. Unter diesen Umständen kann aber nach der Rechtsprechung des BSG die Festsetzung der MdE durch den Unfallversicherungsträger grundsätzlich nicht deshalb als rechtswidrig angesehen werden, weil dieser die MdE innerhalb der allen ärztlichen Schätzungen eigentümlichen Schwankungsbreite um 5 vH abweichend von einer anderen ärztlichen Schätzung festgesetzt hat (BSGE 41, 99-102). Daher ist die Festsetzung der MdE für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2006 auf 10 vH durch die Beklagte im Bescheid vom 11. Februar 2009 nicht rechtswidrig.

Nachdem der den Bescheid vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2007 ersetzende Bescheid vom 11. Februar 2009 nicht rechtswidrig ist, ist auch kein Raum dafür, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 25. Juli 2006 eine Verletztenrente nach einer MdE um 15 vH zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 11. Februar 2009 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte den Bescheid vom 11. Februar 2009 im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgelegt und damit auch Veranlassung für das Berufungsverfahren gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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