L 8 SB 3887/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 4383/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3887/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. Juli 2008 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 10. September 2008 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G streitig.

Bei dem Kläger stellte das Versorgungsamt Stuttgart mit Neufeststellungsbescheid vom 23.09.2004 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit 01.09.2003 fest. Nachteilsausgleiche wurden nicht festgestellt. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte das Versorgungsamt eine Dickdarmerkrankung (in Heilungsbewährung), psychovegetative Störungen, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, eine Rosacea und eine Fettleber.

Den vom Kläger im Oktober 2004 gestellten und insbesondere mit Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule begründeten Antrag auf Feststellung des Nachteilsausgleiches G sowie die ebenfalls beantragte Festellung des Nachteilsausgleichs RF lehnte das Versorgungsamt nach Beiziehung des Kurentlassungsberichts der K.-K. B. R. vom 28.10.2004 mit Bescheid vom 26.11.2004 ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte unter Hinweis auf sein Wirbelsäulenleiden und die Dickdarmerkrankung, die aufgrund der erfolgten Operationen zu einer akuten Blasenschwäche und ständigem Stuhldrang geführt habe, (nur noch) den Nachteilsausgleich G geltend. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.02.2005).

Am 09.03.2005 beantragte der Kläger erneut die Feststellung des Nachteilsausgleiches G. Er begründete sein Begehren mit einer weiteren Operation am 18.01.2005, die zu einer Hernie im Bereich der Bauchoperationsnarbe geführt habe, und einer am 30.03.2005 ärztlicherseits festgestellten Polyneuropathie, die mit fast unerträglichen Schmerzen in beiden Beinen verbunden sei und wegen denen er ein TENS-Gerät tragen müsse. Aufgrund der Schmerzen sei es ihm unmöglich, selbst kurze Strecken zurückzulegen. Er sei hierzu auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. In dem vom Landratsamt Böblingen (LRA) eingeholten Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 08.04.2005 wurde eine beinbetonte Polyneuropathie mit Herabsetzung der Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfindungen und des Vibrationsempfindens diagnostiziert, für die am ehesten eine äthyltoxische Genese angenommen werden müsse. Die Gang- und Standproben seien leicht breitbasig und mäßig unsicher durchführbar und der Knie-Hackeversuch beidseitig mäßig unsicher gewesen. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu, lehnte das LRA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 31.05.2005 ab.

Dagegen legte der Kläger am 16.06.2005 Widerspruch ein und verwies auf sein bisheriges Vorbringen. Sein Hausarzt habe in einem Antrag auf eine erneute Nachsorgekur eine erhebliche Beeinträchtigung seines Gehvermögens bestätigt. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme, wonach für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, den operierten Bandscheibenschaden und die Polyneuropathie ein GdB von 30 anzunehmen sei, wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2005 zurück.

Am 15.07.2005 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der er sein Ziel weiterverfolgte. Er machte geltend, bei ihm liege eine erhebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vor. Er leide an einem erheblichen chronischen degenerativen Wirbelsäulenleiden und einer Dickdarmerkrankung mit akuter Blasenschwäche und ständigem Harndrang sowie an den Folgen einer erneuten Operation einer Hernie im Bereich der Bauchoperationsnarbe (Januar 2005), die es nicht mehr zuließen, eine ortsübliche Wegstrecke von zwei km in etwa einer halben Stunde zurückzulegen. Der Kläger legte das Attest des Internisten Dr. H. vom 05.09.2005, nach dem der Kläger max. einen km in langsamer Gangweise zurücklegen könne und sich dann immer wieder ausruhen müsse, und den Untersuchungsbericht des Orthopäden Dr. Z. vom 28.03.2007 sowie die Behandlungspläne der Sportklinik Stuttgart zu den ärztlichen Verordnungen (von Massagen) von Dr. H. vom 20.02.2006, 24.07.2006 und 22.03.2007 vor.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und machte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 22.06.2006 und 05.02.2007 geltend, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G lägen weiterhin nicht vor. Ein GdB von wenigstens 50 seitens der Lendenwirbelsäule und/oder der unteren Gliedmaßen - wie hierfür erforderlich - ergebe sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht.

Das SG hörte Dr. H. und Dr. Z. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. H. schilderte am 24.04.2006 den Krankheits- und Behandlungsverlauf und gab an, er gehe davon aus, dass der Kläger ohne erhebliche Schwierigkeiten noch 800 bis 1000 m bewältigen könne. Bei weiterer Gehdauer dürften zunehmende Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden auftreten. Es handele sich um eine nahezu vollständige orthopädische Problematik. Vom SG nochmals befragt, gab Dr. H. am 22.09.2006 an, der Kläger leide an einer Sprunggelenksarthrose bds., einer leichten Kniegelenksarthrose und einem chronischen degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom. Er schätze die vom Kläger ohne erhebliche Schwierigkeiten und Gefahren zu Fuß zurücklegbare Wegstrecke auf 400-800 m, wobei er gelegentlich Pausen einlegen müsse. Eine Gehstrecke von zwei km könne er seines Erachtens - wegen der erforderlichen Erholungspausen - nicht in etwa einer halben Stunde zurücklegen. Die Hauptbeschwerden gingen vom linken Sprunggelenk aus. Dr. Z. teilte am 23.08.2007 mit, der Kläger leide unter einer muskulären Insuffizienz. Ferner bestünde eine zeitweilige synoviale Reizung im Bereich der Sprung- und Kniegelenke bei Arthrose. Die Wegstrecke, die der Kläger ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich oder andere zu Fuß bewältigen könne, könne aufgrund der von ihm erhobenen Befunde nicht eingeschätzt werden. Eine Wegstrecke von zwei km könne nach seiner Ansicht in einer halben Stunde zurückgelegt werden.

Am 08.11.2007 stellte der Kläger beim LRA erneut einen Antrag auf Feststellung des Nachteilsausgleiches G. Er machte geltend, die von ihm aufgeführten Gesundheitsstörungen hätten in einem Maße zugenommen, dass sie ihn in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigten. Schon die Bewältigung kleinster Wegstrecken im Ortsverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückzulegen wären, sei für ihn selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten verbunden. Die Bewertung der Funktionsbehinderung im Bereich der Wirbelsäule sei von 30 auf mindestens 50 zu erhöhen. Hierzu legte er das Attest von Dr. H. vom 31.10.2007 vor, wonach die Bewegungsstörung beim Kläger seit Juli 2007 infolge einer relativ therapieresistenten Fibromyalgie deutlich zugenommen habe. Diese sei im August rheumatologischerseits bestätigt worden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfte jetzt 50% betragen. Wegen belastungsindizierter Wirbelsäulenbeschwerden könne der Kläger keine längeren Gehstrecken bewältigen. Das LRA befragte Dr. H., der unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen angab, der Kläger leide infolge chronischer Brust- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden an Gehbeschwerden, die nach 200 bis 300 m aufträten. Versorgungsärztlicherseits wurden die Funktionsstörungen des Klägers sowohl im Einzelnen als auch insgesamt unverändert bewertet. Die arterielle Verschlusskrankheit beider Beine, die Polyarthrose im Bereich der Hüft-, Knie- und Fußgelenke sowie die Leukopenie bedingten keinen GdB von wenigstens 10. Daraufhin lehnte das LRA den Antrag des Klägers vom 08.11.2007 mit Bescheid vom 10.09.2008 ab. Dagegen legte der Kläger am 29.09.2008 Widerspruch ein.

Mit Urteil vom 03.07. 2008 wies das SG die Klage im Wesentlichen aus den Gründen des Widerspruchsbescheides ab.

Dagegen hat der Kläger - das Urteil war seiner Prozessbevollmächtigten am 29.07.2008 zugestellt worden - am 13.08.2008 Berufung eingelegt, mit der er einen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G ab 09.03.2005 geltend macht. Zu Unrecht habe das SG die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G verneint und sich nicht mit der Beurteilung von Dr. H., der die erforderlichen Voraussetzungen bejaht habe, auseinandergesetzt. Der Sachverhalt sei auch nur mangelhaft aufgeklärt worden, da erstinstanzlich vorgetragen worden sei, dass bei ihm über die Lendenwirbelsäulenproblematik hinaus weitergehende erhebliche Beeinträchtigungen des Gehvermögens vorlägen. Das SG hätte daher den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Im Übrigen habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Er leide an Dauerschmerzen im Bereich des Bewegungsapparates und der Gelenke, die beim Gehen erheblich zunähmen und zu einer Einschränkung der Gehstrecke auf wenige 100 m führten. Er verweist auf die Beurteilung im vorgelegten Kurentlassungsbericht der Kraichgau-Klinik vom 09.12.2008, wonach nach wie vor eine deutliche Einschränkung der Gehstrecke bestehe. Insbesondere außer Haus könne er sich danach nur ca. 100 bis 200 m fortbewegen und müsse dann aufgrund der Schmerzsymptomatik eine längere Pause einlegen. Der Kläger hat ferner den Untersuchungsbericht des Internisten und Rheumatologen Dr. W. vom 11.09.2007 (Diagnose: Fibromyalgie), und die Rückfahrtbescheinigung der Kraichgau-Klinik vom 03.11.2008, wonach der Kläger aufgrund schmerzbedingter Einschränkungen der Gehfähigkeit die Rückfahrt von der Rehabilitation nur mit dem Privatauto antreten könne, sowie den pathalogisch-anatomischen Bericht von Dr. O. vom 21.09.2009 und das ärztliche Attest von Dr. H. vom 20.10.2009 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. Juli 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2005 und den Bescheid vom 10. September 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ab 9. März 2005 den Nachteilsausgleich G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und legt die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Köhler vom 22.06.2009 vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Beklagte hat die Feststellung des Nachteilsausgleichs G zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G.

Streitgegenstand sind der Bescheid vom 31.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2005 und der gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordene Bescheid vom 10.09.2008, mit denen die Anträge des Klägers auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G vom 09.03.2005 und 08.11.2007 abgelehnt worden sind. Der trotz laufendem Berufungsverfahren in der Sache ergangene Bescheid des Beklagten vom 10.09.2008, über den der Senat auf Klage des Klägers zu entscheiden hatte, hat den ursprünglichen Ablehnungsbescheid vom 31.05.2005 in zeitlicher Hinsicht, mithin ab 10.09.2008 mit der Folge ersetzt, dass dieser Bescheid insoweit an die Stelle des Bescheides vom 31.05.2005 getreten ist. Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG in der ab 01.04.2008 geltenden, den Anwendungsbereich dieser Norm einschränkenden Fassung ("nur") sind deshalb erfüllt.

Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Feststellung des Nachteilsausgleiches G erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen verneint. Der Senat kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung des Berufungsvorbringens der Beteiligten und der vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen zum gleichen Ergebnis.

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Ob die Regelungen der VG zum Merkzeichen G mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig sind, weil die Verordnungsermächtigung in § 30 Abs. 17 BVG nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), lässt der Senat dahinstehen. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben die Grundsätze zum Merkzeichen G aus den AHP übernommen (vgl. Teil D Nr. 1 S. 114f) und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -). Der Senat sieht derzeit keinen Anlass, von diesen in ständiger Übung angewandten Bewertungsgrundsätzen abzuweichen, die im maßgebenden Verkehrskreis nach allgemeiner, von ständiger Rechtsprechung geprägten Überzeugung als rechtsverbindlich im oben dargelegten Sinne beurteilt wurden und damit einer gewohnheitsrechlichten Übung entsprachen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG in SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2) gelten als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten. Die VG haben diesen Maßstab übernommen und geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit tragen sie dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen (vgl. Gebauer, MedSach 1995, 350). Von diesen Faktoren filtern die maßgebenden Bewertungsgrundsätze all jene heraus, die nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des Schwerbehinderten im Straßenverkehr nicht in Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die VG beschreiben dazu in Teil D Nr.1 S. 114, 115 solche Fälle, bei denen nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG SozR 3 3870 § 60 Nr. 2 zu den AHP).

Danach kann eine Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks.

Hiervon ausgehend liegt beim Kläger keine erhebliche Beeinträchtigung seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX iVm den zu berücksichtigenden Beurteilungsmaßstäben vor. Die hierfür in erster Linie in Betracht zu ziehenden Funktionsstörungen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule reichen nicht aus, um die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G als erfüllt ansehen zu können. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger im Berufungsverfahren als sein Gehvermögen zusätzlich beeinträchtigend geltend gemachten Funktionsstörungen ergibt sich kein anderes Ergebnis.

Entgegen der Auffassung des Klägers haben die sein Gehvermögen beeinträchtigenden Wirbelsäulenveränderungen nicht das für den Nachteilsausgleich G erforderliche Ausmaß. Nach Teil D Nr. 1 S. 114 der VG ist hierfür Voraussetzung, dass die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Hier ist für das Wirbelsäulenleiden des Klägers allenfalls ein GdB von 30 anzusetzen, wobei hervorgehoben werden muss, dass für den Nachteilsausgleich G nur die Beeinträchtigung seitens der Lendenwirbelsäule berücksichtigt werden kann. Da im Untersuchungsbericht des Orthopäden Dr. Z. vom 28.03.2007 von einer deutlichen Rotationseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule die Rede ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden allein durch die Beeinträchtigung seitens der Lendenwirbelsäule bedingt ist. Damit ist der erforderliche GdB - bezogen auf die sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen - von wenigstens 50 auch nicht annähernd erreicht. Dem entspricht auch die Beurteilung von Dr. Z. gegenüber dem SG, der insoweit (lediglich) eine muskuläre Insuffizienz angegeben und ausgeführt hat, es sei seiner Ansicht nach möglich, dass der Kläger eine Wegstrecke von zwei km in einer halben Stunde zurücklegt. Auch Dr. H. sah in seiner Auskunft vom 22.09.2006 im Wirbelsäulenleiden des Klägers nicht den Hauptgrund für das nach seinen Angaben im maßgeblichen Ausmaß eingeschränkte Gehvermögen, sondern gibt insoweit (nur) Beschwerden bei noch längerem Gehen an.

Hinzu kommt eine beidseitige Sprunggelenksarthrose, die sich ebenfalls auf das Gehvermögen des Klägers auswirkt. Allerdings hat Dr. Z. gegenüber dem SG insoweit nur von einer zeitweiligen synovialen Reizung im Bereich der Sprung- und Kniegelenke bei Arthrose gesprochen und damit eine ständige Beeinträchtigung insoweit verneint. Ähnlich hat sich Dr. H. am 24.04.2006 geäußert, in dem er angegeben hat, es bestünden rezidivierende arthrotische Reizzustände in beiden Sprunggelenken und im linken Kniegelenk. Nur zeitweilige erheblicheBeeinträchtigungen - wie offensichtlich hier - vermögen aber die gesundlheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G nicht zu.begründen.

Ferner hat Dr. B. gegenüber dem Beklagten am 08.04.2005 über eine beinbetonte Polyneuropathie mit Herabsetzung der Berührungs-, Schmerz-, Temperatur- und Vibrationsempfindens berichtet, für die er am ehesten eine äthyltoxische Genese angenommen hat und die der Beklagte seit dem Widerspruchsbescheid vom 01.07.2005 auch als Funktionsstörung berücksichtigt. Ob dadurch das Gehvermögen des Klägers jedoch nennenswert beeinträchtigt war, hält der Senat für fraglich. Jedenfalls haben Dr. H. und Dr. Z. in ihren schriftlichen Angaben gegenüber dem SG über eine Polyneuropathie des Klägers nicht berichtet und auch im Kurentlassungsbericht vom 09.12.2008 ist eine Polyneuropathie nicht (mehr) erwähnt.

Soweit der Kläger unter Hinweis auf den von ihm vorgelegten Untersuchungsbericht von Dr. W. vom 11.09.2007 und dem bereits genannten Kurentlassungsbericht vom 09.12.2008 zusätzlich ein chronisches kombiniertes Schmerzsyndrom bzw. eine Fibromyalgie (insgesamt elf von standardisierten Tenderpoints positiv) geltend macht und sich dadurch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sieht, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Die diesbezüglichen Ausführungen im Kurentlassungsbericht (Dr. T.) - insoweit in Übereinstimmung mit Dr. H. -, wonach der Kläger insbesondere außer Haus - so sein Bericht - sich nur ca. 100 bis 200 m fortbewegen könne und dann aufgrund der Schmerzsymptomatik eine längere Pause einlegen müsse, sind nicht überzeugend. Insgesamt konnte durch die vom 01.10. bis 29.10.2008 durchgeführte Kur das Schmerzniveau nämlich deutlich abgesenkt werden. Es bestanden bei Abschluss der Kur nur noch belastungsabhängige Schmerzen, insbesondere in der linken Hüfte, an beiden Handgelenken und auch an der Halswirbelsäule mit jeweils deutlicher Einschränkung der Beweglichkeit. Mit Ausnahme der linken Hüfte betreffen die schmerzbedingt beeinträchtigten Körperregionen damit nicht solche, die funktionell für die Gehfähigkeit von Bedeutung sind. Allein mit der Diagnose einer Fibromyalgie ist eine relevante Beeinträchtigung der Gehfähigkeit nicht zu begründen. Die Fibromyalgie ist als Ausschlussdiagnose (vgl. die Befundbeschreibung von Dr. W. in seinem Arztbrief vom 11.09.2007 und von Dr. T. im Entlassungsbericht vom 09.12.2008) hauptsächlich auf die Schmerzangaben des Betroffenen gestützt, jedenfalls hinsichtlich der Ausprägungsart (welche Körperregionen vorwiegend betroffen sind) und dem Ausmaß der Erkrankung. Allein aufgrund Schmerzangaben des Betroffenen ohne entsprechende objektive Befunde können die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G jedoch nicht als nachgewiesen betrachtet werden. Schmerzen werden subjektiv unterschiedlich empfunden und sind daher einer Feststellung durch Dritte nur sehr eingeschränkt zugänglich. Erst glaubhafte Angaben und der damit korrelierende objektive Krankheitsbefund machen die geklagten Schmerzen in der Regel im erforderlichen Maße nachvollziehbar und plausibel. Vorliegend ist eine entsprechende Schmerzzunahme und damit einhergehend eine verschlimmerte Funktionseinschränkung der Gehfähigkeit nicht überzeugend nachgewiesen. Der den Kläger langjährig seit Dezember 1996 bis Juli 2007 behandelnde Orthopäde Dr. Z. hat ausweislich seiner schriftlichen Zeugenaussage vor dem Sozialgericht eine Fibromyalgie nicht diagnostiziert, sondern im Juli 2007 nur eine muskuläre Insuffizienz beschrieben. Auch während der stationären Behandlung des Klägers in Klinikum Stuttgart – Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie – vom 13. bis 16.06.2008 wurde außer chronischen Gelenkbeschwerden - bei klinisch unauffälligem Gelenkbefund - keine Fibromyalgie diagnostiziert (Entlassungsbericht des Klinikums Stuttgart vom 18.06.2008). Demgegenüber wurde von Dr. W. bei der Erstvorstellung des Klägers bei ihm im August 2007 - somit nur einen Monat nach der letzten Untersuchung bei Dr. Z. - aufgrund der Beschwerdeangaben des Klägers, seit Jahren an Gliederschmerzen zu leiden, eine Fibromyalgie diagnostiziert unter dem Befund: keine Schwellung der Gelenke, Gelenke ohne Druckschmerz oder synovitische Schwellungen, generalisierter Druckschmerz, alle Tenderpoints positiv. Ein damit übereinstimmender Befund ergibt sich aus dem Entlassungsbericht von Dr. T. vom 09.12.2008, der zwar keine relevante Diskrepanz zwischen diagnostischen Befunden und subjektiver Beschwerdeschilderung angibt, was aber aus seinem Bericht für die ungeprüfte Beschwerdeangabe des Klägers zur Gehfähigkeit nicht nachzuvollziehen ist. Einerseits ist die dokumentierte Beschwerdeschilderung des Klägers nicht stimmig, wonach ein Dauerschmerz, der durch Bewegung gesteigert werde, vorliege, aber insbesondere nachts mit unerträglichen Schmerzen einhergehen soll. Andererseits betrafen nach zuletzt gemachten Angaben des Klägers die Hauptbeschwerden – mit Ausnahme der linken Hüfte - keine für die Gehfähigkeit verantwortliche Organe. Zudem berichtet Dr. T. selbst über die Auffälligkeit, dass der Kläger im Gespräch konkreter Fragestellung auswich und auf einige Fragen keine Antworten gab. Bei dieser Ausgangslage sind die Angaben des Klägers nicht überzeugend, es liege eine gesteigerte Schmerzhaftigkeit, die die Gehfähigkeit beeinträchtige, vor.

Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ergibt sich auch nicht aus einer Gesamtschau der das Gehvermögen des Klägers einschränkenden Funktionsstörungen. Dasselbe gilt auch für die Dickdarmerkrankung im Stadium der Heilungsbewährung (GdB 80). Zwar kann das Gehvermögen auch durch innere Leiden eingeschränkt sein. Die erforderliche Einschränkung des Gehvermögens - wie in Teil D Nr. 1 S. 114 der VG im einzelnen aufgeführt - besteht aber hier nicht. Die Blasenschwäche und der ständige Stuhldrang, an dem der Kläger wegen dieser Erkrankung leidet, schränken das Gehvermögen nicht ein.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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