Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 1 AL 22/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AL 22/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.04.2009 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld dem Grunde nach zu zahlen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Anspruch auf Insolvenzgeld eines bei einer inländischen Zweigstelle eines ausländischen Unternehmens beschäftigten Arbeitnehmers.
Am 07.03.2006 wurde in Bosnien-Herzegowina die Q GmbH nach bisnischem Recht (im Folgenden GmbH) in das Gerichtsregister in A eingetragen. Firmensitz war die Wohnung des Direktors (Geschäftsführers), eines 21-jährigen Studenten. Die GmbH meldete am 05.10.2006 in der Q-straße 0, N, einen Betrieb für Maurer- und Betonbauarbeiten an, der nicht in das Handelsregister eingetragen wurde. Mit letzterem Betrieb schloss der Kläger am 04.12.2006 einen Arbeitsvertrag als Einschaler ab. Der Betrieb stellte zum 30.03.2007 seine Tätigkeit vollständig ein, nachdem sein einziger Auftraggeber in Deutschland das Vertragsverhältnis gekündigt hatte. Nachdem am 26.04.2007 die GmbH und am 05.07.2007 die AOK Rheinland/Hamburg Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt hatten, bestellte das Amtsgericht N mit Beschluss vom 29.06.2007 einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Die Generalbevollmächtigte der GmbH gab im Insolvenzverfahren an, bei der Niederlassung N handele es sich um den Hauptsitz der Verwaltung der Firma. Diese habe in Bosnien-Herzegowina im Jahr 2006 nur wenige, vollkommen untergeordnete Aufträge abgewickelt, für die es keiner Organisation und Verwaltung bedurft hätte. Da der Geschäftsführer keine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland gehabt habe, seien die Geschäfte dort von Herrn F L geführt worden. Dieser habe sich abgesetzt, nachdem ihm die Abwicklung der Geschäfte über den Kopf gewachsen sei. Die Verwaltungsunterlagen befänden sich vollständig in der Bundesrepublik Deutschland. Die Verbindlichkeiten wurden auf ca. 500.000,- EUR beziffert. Nachdem der vorläufige Insolvenzverwalter zu dem Ergebnis gelangt war, dass das Amtsgericht N für das Verfahren nicht zuständig sei, da auch ein Partikularverfahren aufgrund der vollständigen Betriebseinstellung vor Eingang der Insolvenzanträge ausscheide, wies das Amtsgericht N mit Beschluss vom 13.09.2007 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig zurück und hob seinen Beschluss vom 29.06.2007 auf.
Den Antrag des Klägers auf Insolvenzgeld, den dieser bereits am 23.03.2007 gestellt hatte, lehnte die Beklagte ab, weil ein Insolvenzereignis nicht festgestellt werden könne. Eine offensichtliche Masselosigkeit der GmbH liege mangels Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bosnien-Herzegowina nicht vor (Bescheid vom 05.12.2007, Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008).
Der Kläger hat am 18.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben. Er hat geltend gemacht, es sei offenkundig, dass die Firma wegen Zahlungsunfähigkeit ihren Betrieb eingestellt habe, so dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld erfüllt seien.
Die Beklagte hat eine Auskunft der Agentur für Arbeit und Beschäftigung Bosnien- Herzegowina vom Januar 2008 vorgelegt, wonach die Geschäftstätigkeit der Firma nicht eingestellt, aber vermindert worden sei, die Firma über kein Kapital verfüge und kein Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Bosnien-Herzegowina gestellt worden sei.
Mit Urteil vom 23.04.2009 hat das SG die Klage abgewiesen, weil sich eine offensichtliche Masselosigkeit der GmbH nicht feststellen lasse. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihm am 07.05.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.05.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, entgegen der Beurteilung des SG stehe die offensichtliche Masselosigkeit der Arbeitgeberin fest. Aus dem Fehlen eines Insolvenzantrages in Bosnien-Herzegowina könne nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Das Grundkapital der Gesellschaft habe lediglich 2000 KM (Konvertible Mark) betragen, was einen Betrag von weniger als 1000,- EUR ausmache. Insbesondere aufgrund der Angaben der Generalbevollmächtigten sei auszuschließen, dass die GmbH noch über nennenswertes Vermögen verfüge. Der vorliegende Sachverhalt zeichne sich auch nicht dadurch aus, dass der Arbeitgeber Schulden gemacht und sich in das Ausland abgesetzt habe. Vielmehr sei die Firma gegründet worden, um als Subunternehmen im Baugewerbe im Inland tätig zu werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.04.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld dem Grunde nach zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere übersteigt die streitige Forderung den für eine zulassungsfreie Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen Betrag von 750,- EUR.
Die Berufung ist auch begründet.
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld dem Grunde nach im Hinblick auf das Vorliegen eines Insolvenzereignisses im Sinne des § 183 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III). Da Zeitraum und Höhe des ausgefallenen Arbeitsentgelts, das als Insolvenzgeld zu zahlen ist, zwischen den Beteiligten unstreitig sind, macht der Senat von der Möglichkeit eines Grundurteils gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 SGG Gebrauch.
Anspruch auf Insolvenzgeld haben nach § 183 Abs. 1 S. 1 in der Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) Arbeitnehmer, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Da weder die Voraussetzungen nach Nr. 1 noch nach Nr. 2 der genannten Bestimmung hinsichtlich des Vermögens der GmbH erfüllt sind, kann vorliegend allein Maßstab § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III sein, wovon auch das SG zu Recht ausgegangen ist. Der Kläger war Beschäftigter bei der Betriebsniederlassung der GmbH in Deutschland, da für diese das Arbeitsverhältnis am 04.12.2006 durch den Arbeitsvertrag begründet worden ist.
Die inländische Niederlassung der GmbH, bei der der Kläger beschäftigt gewesen ist, war einem Insolvenzverfahren im Inland zugänglich. Dies ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Fall, wenn die äußeren Umstände für die beteiligten Verkehrskreise ergeben, dass der Schuldner auf seinen Namen und Rechnung an einem bestimmten inländischen Ort ein Gewerbe im weitesten Sinne in der Weise dauerhaft betrieben hat, dass durch die Art der Geschäftsausstattung, der Organisation und der Tätigkeit ein gewerblicher Mittelpunkt mit einer im Wesentlichen selbstständigen Leitung besteht (BSG Urt. v. 08.02.2001 - B 11 AL 30/00 R = www.juris.de Rn 18, BSG Urt. v. 29.06.2000 - B 11 AL 75/99 R = www.juris.de Rn 19). Ob in Ansehung der Bestimmung hinsichtlich des Partikularverfahrens über das Inlandsvermögen (§ 354 Insolvenzordnung - InsO) und des Art. 2 lit. h der Europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) es schon als ausreichend angesehen werden kann, dass der Schuldner im Inland einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal- und Vermögenswerten voraussetzt (zum Meinungsstand vgl. Reinhard in Münchener Kommentar zur InsO, § 354 Rn 7) kann dahin stehen, weil auch die Voraussetzungen in ersterem Sinne offensichtlich erfüllt sind.
Die Betriebsniederlassung war zwar nicht im Handelsregister eingetragen, das Gewerbe war jedoch angemeldet. Die Geschäftstätigkeit war auf einen dauerhaften Betrieb im Inland mit namhafter wirtschaftlicher Bedeutung ausgerichtet. Der Betrieb ist in erheblichem Umfang am Baumarkt aufgetreten. Die wesentlichen betrieblichen und personellen Mittel des Unternehmens befanden sich in Deutschland. Dies gilt auch für die Verwaltungsorganisation. Der Direktor der GmbH war gehindert, nach Deutschland zu reisen und hat nach den Erklärungen seiner Generalbevollmächtigten auch keinerlei Einfluss auf das Unternehmen genommen. Dieses wurde vielmehr ausschließlich vor Ort geführt. Insbesondere waren sämtliche Beschäftigte (mehr als 30) in Deutschland angestellt und ausschließlich dort beschäftigt. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Die Betriebstätigkeit der Niederlassung ist spätestens am 31.03.2007 vollständig eingestellt worden. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Ermittlungen im Insolvenzverfahren und den Erklärungen der Beteiligten. Nach den Erkenntnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters hatte die Niederlassung bereits Ende März 2007 jegliche wirtschaftliche Tätigkeit vollständig eingestellt. Nach den Angaben der Generalbevollmächtigten sind lediglich die Büroräume erst Ende Juni 2007 aufgegeben worden. Sämtlichen Beschäftigten ist zum 31.03.2007 gekündigt worden. Vermögensgegenstände, Personal und Betriebsmittel, die eine Fortsetzung des Betriebs ermöglicht hätten, waren nicht mehr vorhanden, der Betriebsleiter hatte sich in das Ausland abgesetzt. Danach besteht kein Zweifel, dass die Betriebstätigkeit der Niederlassung im Inland vollständig am 31.03.2007 beendet worden war.
Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III sind nicht gestellt worden. Hierunter fallen nur solche Anträge, über die das Insolvenzgericht noch nicht entschieden hat oder denen es gefolgt ist oder die es mangels Masse abgewiesen hat, nicht aber solche Anträge, die weder zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch zur Abweisung der Eröffnung mangels Masse geführt haben (BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 3; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 7). Daher sind die von der GmbH und der AOK Rheinland/Hamburg im April und Juli 2007 gestellten Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Bedeutung, weil sie das Insolvenzgericht als unzulässig im Hinblick auf das seiner Meinung nach ausgeschlossene Partikularverfahren und die Unzuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit abgelehnt hat.
Schließlich kam auch ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht. Offensichtlichkeit in diesem Sinne verlangt nicht die zweifelsfreie Feststellung der Masseunzulänglichkeit, vielmehr genügt der aus äußeren Tatsachen resultierende Eindruck eines unvoreingenommenen Betrachters, d.h. wenn alle äußeren Tatsachen (und insofern der Anschein) für Masseunzulänglichkeit sprechen (vgl. BSG Urt. v. 04.03.1999 - B 11/10 AL 3/98 R; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 7; BSG SozR 4100 § 141b Nr. 21; Krodel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., Rn 47 mwN). Ob bei einem ausländischen Unternehmen insoweit allein auf die Vermögensverhältnisse im Inland oder auf sein gesamtes Vermögen abzustellen ist (in letzterem Sinne BSG SozR 4100 § 141a Nr. 6), kann dahinstehen, weil auch unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse der GmbH alle Tatsachen für eine Masseunzulänglichkeit sprechen.
Die Schulden der GmbH im Inland sind mit etwas mehr als 500.000,- EUR beziffert worden. Die Gegenforderungen, die sich nach der Aufstellung der GmbH auf ca. 200.000,- EUR beliefen, waren nach den Feststellungen des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht realisierbar. Relevantes Betriebsvermögen in Gestalt von sächlichen Betriebsmitteln oder in anderer Form war nicht vorhanden. Auch im Ausland verfügte die GmbH über keinerlei Kapital, wie die dortige Arbeitsagentur bzw. die Polizeiverwaltung auf Nachfrage der Beklagten bescheinigt hat. Anhaltspunkte für das Vorhandensein nennenswerter Betriebsmittel in Bosnien-Herzegowina liegen nicht vor. Die Betriebstätigkeit ist nach den entsprechenden Mitteilungen nur noch in vermindertem Umfang in Bosnien-Herzegowina aufrechterhalten worden. Berücksichtigt man die Angaben der Generalbevollmächtigten der Gmbh im Insolvenzverfahren, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, dass schon während der Betriebstätigkeit in Deutschland kaum Geschäfte in Bosnien-Herzegowina und nur solche von völlig untergeordneter Bedeutung getätigt worden sind, folgt daraus, dass die aufrechterhaltene Geschäftstätigkeit in Bosnien-Herzegowina nach dem 31.03.2007 gegen Null tendiert. Angesichts dieser Verhältnisse fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die GmbH im Ausland noch über ausreichende Mittel verfügte, um eine Massezulänglichkeit anzunehmen. Allein der Umstand, dass überhaupt noch eine Betriebstätigkeit stattfindet, worauf das SG abgestellt hat, ist angesicht dieser Verhältnisse nicht geeignet, Zweifel an der Masseunzulänglichkeit aufkommen zu lassen.
Da dem Kläger für die letzten beiden Monate seiner Beschäftigung bei der Betriebsniederlassung der GmbH (Februar und März 2007) vor der vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit zum 31.03.2007 noch Lohnansprüche zustehen, ist insoweit sein Anspruch auf Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III begründet.
Demzufolge ist das Urteil des SG zu ändern und die Beklagte antragsgemäß zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Anspruch auf Insolvenzgeld eines bei einer inländischen Zweigstelle eines ausländischen Unternehmens beschäftigten Arbeitnehmers.
Am 07.03.2006 wurde in Bosnien-Herzegowina die Q GmbH nach bisnischem Recht (im Folgenden GmbH) in das Gerichtsregister in A eingetragen. Firmensitz war die Wohnung des Direktors (Geschäftsführers), eines 21-jährigen Studenten. Die GmbH meldete am 05.10.2006 in der Q-straße 0, N, einen Betrieb für Maurer- und Betonbauarbeiten an, der nicht in das Handelsregister eingetragen wurde. Mit letzterem Betrieb schloss der Kläger am 04.12.2006 einen Arbeitsvertrag als Einschaler ab. Der Betrieb stellte zum 30.03.2007 seine Tätigkeit vollständig ein, nachdem sein einziger Auftraggeber in Deutschland das Vertragsverhältnis gekündigt hatte. Nachdem am 26.04.2007 die GmbH und am 05.07.2007 die AOK Rheinland/Hamburg Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt hatten, bestellte das Amtsgericht N mit Beschluss vom 29.06.2007 einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Die Generalbevollmächtigte der GmbH gab im Insolvenzverfahren an, bei der Niederlassung N handele es sich um den Hauptsitz der Verwaltung der Firma. Diese habe in Bosnien-Herzegowina im Jahr 2006 nur wenige, vollkommen untergeordnete Aufträge abgewickelt, für die es keiner Organisation und Verwaltung bedurft hätte. Da der Geschäftsführer keine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland gehabt habe, seien die Geschäfte dort von Herrn F L geführt worden. Dieser habe sich abgesetzt, nachdem ihm die Abwicklung der Geschäfte über den Kopf gewachsen sei. Die Verwaltungsunterlagen befänden sich vollständig in der Bundesrepublik Deutschland. Die Verbindlichkeiten wurden auf ca. 500.000,- EUR beziffert. Nachdem der vorläufige Insolvenzverwalter zu dem Ergebnis gelangt war, dass das Amtsgericht N für das Verfahren nicht zuständig sei, da auch ein Partikularverfahren aufgrund der vollständigen Betriebseinstellung vor Eingang der Insolvenzanträge ausscheide, wies das Amtsgericht N mit Beschluss vom 13.09.2007 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig zurück und hob seinen Beschluss vom 29.06.2007 auf.
Den Antrag des Klägers auf Insolvenzgeld, den dieser bereits am 23.03.2007 gestellt hatte, lehnte die Beklagte ab, weil ein Insolvenzereignis nicht festgestellt werden könne. Eine offensichtliche Masselosigkeit der GmbH liege mangels Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bosnien-Herzegowina nicht vor (Bescheid vom 05.12.2007, Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008).
Der Kläger hat am 18.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben. Er hat geltend gemacht, es sei offenkundig, dass die Firma wegen Zahlungsunfähigkeit ihren Betrieb eingestellt habe, so dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld erfüllt seien.
Die Beklagte hat eine Auskunft der Agentur für Arbeit und Beschäftigung Bosnien- Herzegowina vom Januar 2008 vorgelegt, wonach die Geschäftstätigkeit der Firma nicht eingestellt, aber vermindert worden sei, die Firma über kein Kapital verfüge und kein Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Bosnien-Herzegowina gestellt worden sei.
Mit Urteil vom 23.04.2009 hat das SG die Klage abgewiesen, weil sich eine offensichtliche Masselosigkeit der GmbH nicht feststellen lasse. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihm am 07.05.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.05.2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, entgegen der Beurteilung des SG stehe die offensichtliche Masselosigkeit der Arbeitgeberin fest. Aus dem Fehlen eines Insolvenzantrages in Bosnien-Herzegowina könne nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Das Grundkapital der Gesellschaft habe lediglich 2000 KM (Konvertible Mark) betragen, was einen Betrag von weniger als 1000,- EUR ausmache. Insbesondere aufgrund der Angaben der Generalbevollmächtigten sei auszuschließen, dass die GmbH noch über nennenswertes Vermögen verfüge. Der vorliegende Sachverhalt zeichne sich auch nicht dadurch aus, dass der Arbeitgeber Schulden gemacht und sich in das Ausland abgesetzt habe. Vielmehr sei die Firma gegründet worden, um als Subunternehmen im Baugewerbe im Inland tätig zu werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.04.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2008 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld dem Grunde nach zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere übersteigt die streitige Forderung den für eine zulassungsfreie Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen Betrag von 750,- EUR.
Die Berufung ist auch begründet.
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld dem Grunde nach im Hinblick auf das Vorliegen eines Insolvenzereignisses im Sinne des § 183 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III). Da Zeitraum und Höhe des ausgefallenen Arbeitsentgelts, das als Insolvenzgeld zu zahlen ist, zwischen den Beteiligten unstreitig sind, macht der Senat von der Möglichkeit eines Grundurteils gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 SGG Gebrauch.
Anspruch auf Insolvenzgeld haben nach § 183 Abs. 1 S. 1 in der Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) Arbeitnehmer, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Da weder die Voraussetzungen nach Nr. 1 noch nach Nr. 2 der genannten Bestimmung hinsichtlich des Vermögens der GmbH erfüllt sind, kann vorliegend allein Maßstab § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III sein, wovon auch das SG zu Recht ausgegangen ist. Der Kläger war Beschäftigter bei der Betriebsniederlassung der GmbH in Deutschland, da für diese das Arbeitsverhältnis am 04.12.2006 durch den Arbeitsvertrag begründet worden ist.
Die inländische Niederlassung der GmbH, bei der der Kläger beschäftigt gewesen ist, war einem Insolvenzverfahren im Inland zugänglich. Dies ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Fall, wenn die äußeren Umstände für die beteiligten Verkehrskreise ergeben, dass der Schuldner auf seinen Namen und Rechnung an einem bestimmten inländischen Ort ein Gewerbe im weitesten Sinne in der Weise dauerhaft betrieben hat, dass durch die Art der Geschäftsausstattung, der Organisation und der Tätigkeit ein gewerblicher Mittelpunkt mit einer im Wesentlichen selbstständigen Leitung besteht (BSG Urt. v. 08.02.2001 - B 11 AL 30/00 R = www.juris.de Rn 18, BSG Urt. v. 29.06.2000 - B 11 AL 75/99 R = www.juris.de Rn 19). Ob in Ansehung der Bestimmung hinsichtlich des Partikularverfahrens über das Inlandsvermögen (§ 354 Insolvenzordnung - InsO) und des Art. 2 lit. h der Europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) es schon als ausreichend angesehen werden kann, dass der Schuldner im Inland einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal- und Vermögenswerten voraussetzt (zum Meinungsstand vgl. Reinhard in Münchener Kommentar zur InsO, § 354 Rn 7) kann dahin stehen, weil auch die Voraussetzungen in ersterem Sinne offensichtlich erfüllt sind.
Die Betriebsniederlassung war zwar nicht im Handelsregister eingetragen, das Gewerbe war jedoch angemeldet. Die Geschäftstätigkeit war auf einen dauerhaften Betrieb im Inland mit namhafter wirtschaftlicher Bedeutung ausgerichtet. Der Betrieb ist in erheblichem Umfang am Baumarkt aufgetreten. Die wesentlichen betrieblichen und personellen Mittel des Unternehmens befanden sich in Deutschland. Dies gilt auch für die Verwaltungsorganisation. Der Direktor der GmbH war gehindert, nach Deutschland zu reisen und hat nach den Erklärungen seiner Generalbevollmächtigten auch keinerlei Einfluss auf das Unternehmen genommen. Dieses wurde vielmehr ausschließlich vor Ort geführt. Insbesondere waren sämtliche Beschäftigte (mehr als 30) in Deutschland angestellt und ausschließlich dort beschäftigt. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Die Betriebstätigkeit der Niederlassung ist spätestens am 31.03.2007 vollständig eingestellt worden. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Ermittlungen im Insolvenzverfahren und den Erklärungen der Beteiligten. Nach den Erkenntnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters hatte die Niederlassung bereits Ende März 2007 jegliche wirtschaftliche Tätigkeit vollständig eingestellt. Nach den Angaben der Generalbevollmächtigten sind lediglich die Büroräume erst Ende Juni 2007 aufgegeben worden. Sämtlichen Beschäftigten ist zum 31.03.2007 gekündigt worden. Vermögensgegenstände, Personal und Betriebsmittel, die eine Fortsetzung des Betriebs ermöglicht hätten, waren nicht mehr vorhanden, der Betriebsleiter hatte sich in das Ausland abgesetzt. Danach besteht kein Zweifel, dass die Betriebstätigkeit der Niederlassung im Inland vollständig am 31.03.2007 beendet worden war.
Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III sind nicht gestellt worden. Hierunter fallen nur solche Anträge, über die das Insolvenzgericht noch nicht entschieden hat oder denen es gefolgt ist oder die es mangels Masse abgewiesen hat, nicht aber solche Anträge, die weder zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch zur Abweisung der Eröffnung mangels Masse geführt haben (BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 3; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 7). Daher sind die von der GmbH und der AOK Rheinland/Hamburg im April und Juli 2007 gestellten Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Bedeutung, weil sie das Insolvenzgericht als unzulässig im Hinblick auf das seiner Meinung nach ausgeschlossene Partikularverfahren und die Unzuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit abgelehnt hat.
Schließlich kam auch ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht. Offensichtlichkeit in diesem Sinne verlangt nicht die zweifelsfreie Feststellung der Masseunzulänglichkeit, vielmehr genügt der aus äußeren Tatsachen resultierende Eindruck eines unvoreingenommenen Betrachters, d.h. wenn alle äußeren Tatsachen (und insofern der Anschein) für Masseunzulänglichkeit sprechen (vgl. BSG Urt. v. 04.03.1999 - B 11/10 AL 3/98 R; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 7; BSG SozR 4100 § 141b Nr. 21; Krodel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., Rn 47 mwN). Ob bei einem ausländischen Unternehmen insoweit allein auf die Vermögensverhältnisse im Inland oder auf sein gesamtes Vermögen abzustellen ist (in letzterem Sinne BSG SozR 4100 § 141a Nr. 6), kann dahinstehen, weil auch unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse der GmbH alle Tatsachen für eine Masseunzulänglichkeit sprechen.
Die Schulden der GmbH im Inland sind mit etwas mehr als 500.000,- EUR beziffert worden. Die Gegenforderungen, die sich nach der Aufstellung der GmbH auf ca. 200.000,- EUR beliefen, waren nach den Feststellungen des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht realisierbar. Relevantes Betriebsvermögen in Gestalt von sächlichen Betriebsmitteln oder in anderer Form war nicht vorhanden. Auch im Ausland verfügte die GmbH über keinerlei Kapital, wie die dortige Arbeitsagentur bzw. die Polizeiverwaltung auf Nachfrage der Beklagten bescheinigt hat. Anhaltspunkte für das Vorhandensein nennenswerter Betriebsmittel in Bosnien-Herzegowina liegen nicht vor. Die Betriebstätigkeit ist nach den entsprechenden Mitteilungen nur noch in vermindertem Umfang in Bosnien-Herzegowina aufrechterhalten worden. Berücksichtigt man die Angaben der Generalbevollmächtigten der Gmbh im Insolvenzverfahren, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, dass schon während der Betriebstätigkeit in Deutschland kaum Geschäfte in Bosnien-Herzegowina und nur solche von völlig untergeordneter Bedeutung getätigt worden sind, folgt daraus, dass die aufrechterhaltene Geschäftstätigkeit in Bosnien-Herzegowina nach dem 31.03.2007 gegen Null tendiert. Angesichts dieser Verhältnisse fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die GmbH im Ausland noch über ausreichende Mittel verfügte, um eine Massezulänglichkeit anzunehmen. Allein der Umstand, dass überhaupt noch eine Betriebstätigkeit stattfindet, worauf das SG abgestellt hat, ist angesicht dieser Verhältnisse nicht geeignet, Zweifel an der Masseunzulänglichkeit aufkommen zu lassen.
Da dem Kläger für die letzten beiden Monate seiner Beschäftigung bei der Betriebsniederlassung der GmbH (Februar und März 2007) vor der vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit zum 31.03.2007 noch Lohnansprüche zustehen, ist insoweit sein Anspruch auf Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III begründet.
Demzufolge ist das Urteil des SG zu ändern und die Beklagte antragsgemäß zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.
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