L 28 AS 2153/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 AS 1798/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 2153/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschuss des Sozialgerichts Neuruppin vom 22. Dezember 2009 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass an die Antragstellerin zu 1) Leistungen in Höhe von monatlich 322 EUR und an die Antragstellerin zu 2) von monatlich 78 EUR zu zahlen sind. 2. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Antragstellerinnen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. Ein glaubhaft gemachter Anordnungsanspruch liegt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers vor.

a) Das Sozialgericht ist auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerinnen mit Herrn R S keine Bedarfsgemeinschaft bilden und insofern sein Einkommen keine Berücksichtigung findet. Es kann nicht angenommen werden, dass zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn R S eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft besteht. Eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft geht über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus (BVerfGE 87, 234, 264). Als Hinweistatsachen, die sich nicht erschöpfend aufzählen lassen, kommen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Betracht die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt sowie die Befugnis über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (BVerfGE 87, 234, 265). Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Vermutungsregelungen des § 7 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) geschaffen, nach dessen Nr. 1 ein wechselseitiger Wille, Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet wird, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen leben. Greift diese Regelung, kann jedoch das Gegenteil bewiesen oder die Vermutung entkräftet werden.

Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerinnen die gesetzliche Vermutung entkräftet oder widerlegt haben, da sich nicht ergibt, dass die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB II vorliegen. Die Antragstellerin zu 1) und Herr R S lebten in dem hier relevanten Zeitraum zwar länger als ein Jahr in einem Haus zusammen. Dies allein reicht als Voraussetzung jedoch nicht aus. Es muss sich vielmehr um ein Zusammenleben von Partnern handeln. Davon kann bei der Antragstellerin zu 1) und Herrn R S nicht ausgegangen werden. Das bloße Zusammenleben wie etwa von Studenten, Arbeitskollegen etc. in einer Wohnung macht diese nicht zu Partnern (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 7 Rn. 45). Dies gilt auch beim Zusammenleben von Personen verschiedenen Geschlechts. Nach den Gesetzesmaterialien ging es dem Gesetzgeber nicht darum, jegliche zusammenlebenden Personen als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zu erfassen. Er wollte vielmehr die eheähnliche Gemeinschaft um die (homosexuelle) lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft erweitern (BT-Drucksache 16/1410, Seite 19).

Für eine Partnerschaft könnte im vorliegenden Fall zwar sprechen, dass Herr S zumindest in der ersten Zeit von den Antragstellerinnen keine Nettokaltmiete forderte und sie sich nur an den Betriebskosten beteiligen sollten. Andererseits sprechen eine Vielzahl anderer Umstände gegen ein partnerschaftliches Zusammenleben. Die Antragstellerinnen haben ebenso wie Herr S neben ihren eigenen Zimmern eine eigene Küche, eine eigene Waschmaschine und einen eigenen Telefonanschluss. Dies sind Umstände, die bei Partnern, die in einer Wohnung leben, in aller Regel nicht gegeben sind und darauf schließen lassen, dass die Antragstellerinnen eigenständig leben und wirtschaften, wofür auch das eigene Konto der Antragstellerin zu 1) spricht, was für sich allein genommen allerdings kein entscheidender Umstand wäre.

b) Soweit der Beschwerdeführer ausführt, dass die Gewährung eines Darlehens ausscheidet, weil dies nicht dem Regelungssystem des SGB II entspricht, kann offen bleiben, ob im Rahmen einer Eilentscheidung eine Verpflichtung des Leistungsträgers zu einer darlehensweisen Gewährung der begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht kommt (zum Meinungsstand vgl. einerseits LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007, L 7 SO 5672/06 ER B, Groth NJW 2007, 2294, 2296 – andererseits LSG Baden-Württemberg, Beschuss vom 5. Dezember 2005, L 8 AS 3441/05 ER B; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn 25c). Selbst wenn hier die vorläufige Leistungsgewährung als Zuschuss und nicht nur als Darlehen nahe liegend gewesen wäre, ist eine solche Änderung dem Senat verwehrt, da dies eine Verschlechterung (reformatio in peius) für den Beschwerdeführer bedeutet hätte und die Antragstellerinnen keine Beschwerde gegen die sozialgerichtliche Entscheidung erhoben haben.

c) Der darlehensweise gewährte Betrag ist auch nicht hinsichtlich der Höhe zu beanstanden. Dieser Betrag liegt unter dem Betrag der von den Antragstellerinnen beanspruchten Leistungen. Ein geringfügiges Unterschreiten der Leistungen wäre zwar nicht erforderlich gewesen, ist im Rahmen einer einstweiligen Anordnung jedoch möglich. Das Sozialgericht hat sich offensichtlich an den den Antragstellerinnen zuletzt gewährten ungekürzten Leistungen von insgesamt 401 EUR orientiert und diese auf (glatte) 400 EUR gekürzt. Dieser Betrag liegt unter dem den Antragstellerinnen in dem hier relevanten Zeitraum zu gewährenden Leistungen, da sich die Regelleistungen für die Antragstellerinnen zwischenzeitlich insgesamt um 47 EUR (von 351 EUR auf 359 EUR und von 212 EUR auf 251 EUR) erhöht haben. Dem steht nicht entgegen, dass sich zwischenzeitlich auch das Kindergeld (um 10 EUR von 154 EUR auf 164 EUR) erhöht hat, da die Erhöhung der Regelleistungen die Erhöhung des Kindergeldes übertrifft. Etwaige Kosten für die Unterkunft sind dabei nicht berücksichtigt.

d) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt auch jedenfalls ein sinngemäß gestellter Weitergewährungsantrag der Antragstellerinnen spätestens mit der Beantragung der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht, wenn nicht bereits mit dem am 14. September 2009 beim Beschwerdeführer eingegangenen Schreiben vom 11. September 2009 vor.

e) Zutreffend ist jedoch, dass nicht die aus den Antragstellerinnen bestehende Bedarfsgemeinschaft Anspruchsinhaberin ist, sondern die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (vgl. BSG, Urteil vom 07. November 2006, B 7b AS 8/06 R). Insofern dürfen Leistungen nicht an eine Bedarfsgemeinschaft bewilligt werden, sondern nur an die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Dies berücksichtigt die ausgesprochene Maßgabe.

Ausgehend von einem Gesamtbedarf von 446 EUR (359 EUR + 251 EUR - 164 EUR) ergibt sich für die Antragstellerin zu 1) prozentual ein Anteil von 85,5 % und für die Antragstellerin zu 2) von 19,5 %. Bezogen auf den zugesprochenen Betrag von 400 EUR beträgt danach der Anteil der Antragstellerin zu 1) 322 EUR und der der Antragstellerin zu 2) 78 EUR.

II.

Unabhängig von der Frage der Krankenversicherung ist auch ein Anordnungsgrund zu bejahen. Die einstweilige Anordnung ist zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig. Da zur Überzeugung des Senats keine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit Herrn S besteht, fehlt es den Antragstellerinnen an Mitteln, die ihr Existenzminimum sichern. Zur Sicherung des Existenzminimums benötigen sie dringend mindestens den vom Sozialgericht zugesprochenen Gesamtbetrag. Das Kindergeld in Höhe von 164 EUR monatlich reicht dafür bei weitem nicht aus.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

IV.

Mit der getroffenen Entscheidung hat sich die Entscheidung über den von dem Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung (§ 199 Abs. 2 SGG) erledigt.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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