S 18 (22) AS 21/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 (22) AS 21/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 19.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2009 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Absenkung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von 30 % für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis zum 30.04.2009.

Die Klägerin bezieht gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter seit Anfang 2005 Leistungen nach dem SGB II von der Beklagten.

Mit Schreiben vom 30.09.2008 erhielt die Klägerin einen Vermittlungsvorschlag als Helferin im Gastgewerbe bei der Firma "C" durch die Beklagte übersandt. Ausweislich eines am 06.02.2009 gefertigten weiteren Ausdruckes des vorgenannten Vermittlungsvorschlages war die vorgeschlagene Stelle wie folgt beschrieben: Tätigkeit: Helfer - Gastgewerbe; Arbeitszeit: flexibel - Teilzeit; befristet für sechs Monate. Die Tätigkeit sollte in I ausgeübt werden. Dem Vorschlag war ausweislich des Ausdruckes vom 06.02.2009 eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, die über eine DIN A4-Seite mit insgesamt 12 Ziffern über verschiedene Pflichtverletzungen, die zu einer Absenkung des Arbeitslosengeldes II führen können, informierte. Einen konkreten Bezug zum Vermittlungsvorschlag ergab sich aus ihr nicht. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den erneuten Ausdruck des Vermittlungsvorschlages vom 06.02.2009 (Blatt 228-232 der Verwaltungsakte) Bezug genommen.

Ebenfalls am 30.09.2008 wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten eine Eingliederungsvereinbarung vereinbart. Sie enthielt unter anderem für die Klägerin die Verpflichtung sich auf Vermittlungsvorschläge innerhalb von drei Tagen zu bewerben. Der Eingliederungsvereinbarung war ebenfalls eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Diese umfasste ebenfalls eine DIN A4-Seite und war, bis auf eine Nummer, inhaltlich identisch mit der Rechtsfolgenbelehrung, welche dem Vermittlungsvorschlag beigefügt war.

Die Klägerin bewarb sich in der Folgezeit nicht auf die angebotene Stelle. Nachdem die Beklagte durch die Firma "C" von der ausgebliebenen Bewerbung erfuhr, hörte sie die Klägerin zu einer beabsichtigten Absenkung des Arbeitslosengeldes II an. Die Klägerin gab in der Anhörung an, dass sie sich nicht beworben habe, da sie keine Spätschicht machen könne, denn der Fußweg zwischen ihrer Wohnung und dem Betrieb betrage 1 1/2 Stunden und in der Nacht führen auch keine Busse.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin in der Folgezeit gemeinsam mit ihrer Tochter und dem Lebensgefährten mit Bescheid vom 16.12.2008 Leistungen nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009.

Mit Bescheid vom 19.01.2009 senkte die Beklagte das Arbeitslosengeld II der Klägerin gemäß § 31 SGB III um 30 % ab, da sich die Klägerin auf einen Vermittlungsvorschlag nicht beworben habe. Die Beklagte errechnete hieraus einen konkreten Absenkungsbetrag von 95,00 EUR. Den Bewilligungsbescheid vom 16.12.2008 hob sie entsprechend für die Zeit vom 01.02.2009 bis zum 30.04.2009 teilweise auf.

Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2009 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Absenkung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II gerechtfertigt sei. In der Eingliederungsvereinbarung vom 30.09.2008 habe sich die Klägerin verpflichtet, sich innerhalb von drei Tagen auf Vermittlungsvorschläge zu bewerben. Einen wichtigen Grund für die fehlende Bewerbung habe die Klägerin nicht dargelegt.

Am 09.03.2009 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.

Sie ist der Auffassung die Absenkung sei zu Unrecht erfolgt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid vom 19.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.02.2010 ist die Klägerin nicht erschienen. Einen Verlegungsantrag hat sie nicht gestellt.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte auch in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen wurde und sie mit der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch in ihrer Abwesenheit hingewiesen wurde (§ 110 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtene Entscheidung der Beklagten, mit der sie das Arbeitslosengeld II der Klägerin abgesenkt hat, erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten entsprechend § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II ist unter den Voraussetzungen des § 31 SGB II möglich. Dies erfordert, dass dem Leistungsempfänger eine der in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Pflichtverletzungen vorzuwerfen ist, eine Belehrung über die Rechtsfolgen erteilt wurde und der Leistungsempfänger keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweisen kann. Im Fall der ersten Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II wird das Arbeitslosengeld II um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung gemindert.

Die Voraussetzungen für eine Absenkung um 30 % der maßgeblichen Regelleistung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II, wegen einer Weigerung eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, liegen nicht vor. Denn es fehlt an der vorherigen Erteilung einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 60/07 R) muss die Rechtsfolgenbelehrung inhaltlich - entsprechend den zu den unterschiedlichen Sperrzeittatbeständen entwickelten Grundsätzen - konkret, verständlich, richtig und vollständig sein. Nur eine derartige Belehrung vermag dem Zweck der Rechtsfolgenbelehrung - nämlich der Warn- und Steuerungsfunktion - zu genügen. Erforderlich ist vor diesem Hintergrund insbesondere, dass eine konkrete Umsetzung auf den jeweiligen Einzelfall erfolgt. Es genügt demgegenüber nicht, dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein Merkblatt an die Hand zu geben, aus dem er die für seinen Fall maßgebenden Voraussetzungen und Rechtsfolgen selbständig ermitteln muss (BSG, aaO; ebenso SG Dortmund, Beschluss vom 05.01.2010, S 22 AS 369/09 ER und Urteil vom 03.03.2009, S 31 AS 317/07). Diesen Anforderungen wird die dem Vermittlungsvorschlag vom 30.08.2008 beigefügte Belehrung nicht gerecht. Diese Belehrung stellt vielmehr eine allgemeine Übersicht, vergleichbar einem Informationsblatt, dar, welche nach der Rechtsprechung des BSG gerade nicht ausreichend ist. Die Belehrung enthält über eine Seite und in insgesamt zwölf Ziffern eine Zusammenstellung vieler verschiedener Pflichtverletzungen und Meldeversäumnisse sowie der denkbaren Rechtsfolgen in den verschiedenen nach § 31 SGB II zulässigen Abstufungen. Ihre Warn- und Erziehungsfunktion kann eine Belehrung nur erfüllen, wenn sie dem Hilfebedürftigen eindeutig und konkret vor Augen führt, welches Verhalten von ihm erwartet wird und wie ein davon abweichendes Verhalten sanktioniert werden kann. Welche konkrete Rechtsfolge bei welcher Pflichtverletzung droht, ist der Rechtsfolgenbelehrung des Vermittlungsvorschlages jedoch nicht eindeutiger zu entnehmen als einem allgemeinen Informationsblatt. Es fehlt einer konkreten Zuordnung auf den Einzelfall. Dass die Klägerin in anderen Zusammenhang konkret über eine möglicher Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 % der Regelleistung im Fall der ausbleibenden Bewerbung auf die angebotene Stelle belehrt worden ist, hat die Beklagte nicht behauptet noch ergibt sich dies für das Gericht aus den vorgelegten Verwaltungsakten.

Nachdem bereits aufgrund der fehlerhaften Rechtsfolgenbelehrung die Voraussetzungen für eine Absenkung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II nicht vorliegen, muss die Kammer nicht klären, ob es sich bei dem Vermittlungsangebot um ein hinreichend bestimmtes Angebot handelt. Insbesondere war nicht zu klären, ob im Rahmen des SGB II die Vermittlungsangebote in jedem Fall erfordern, dass in ihm Angaben zum zu erwartenden Lohn gemacht werden (vgl. Niesel SGB III, § 144 Rdnr. 63). Weiterhin musste die Kammer auch nicht beurteilen, ob durch die vorgelegten Unterlagen seitens der Beklagten überhaupt die Erteilung eines ausreichend konkreten Vermittlungsvorschlages und einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung belegt werden kann. Die Kammer sieht jedoch Veranlassung darauf hinzuweisen, dass Zweifel bestehen, ob durch die Vorlage von zeitlich später nachgedruckten Vermittlungsvorschlägen nebst Rechtsfolgenbelehrung tatsächlich der entsprechende Nachweis erbracht werden kann. Jedenfalls in solchen Fällen, in denen seitens der Kläger nicht bestätigt werden könnte, dass sie einen mit dem vorgelegten Vermittlungsvorschlag identischen Vermittlungsvorschlag erhalten habe, dürfte die Beklagte mit lediglich nachträglich erstellten Ausdrucken der Vermittlungsvorschlägen nicht die Ordnungsgemäßheit des ursprünglichen Vermittlungsvorschlages nachweisen können. Denn es ist der Kammer aus weiteren Verfahren mit anderen Leistungsträgern bekannt, dass nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sichergestellt ist, dass zwischen dem ursprünglichen Ausdruck des Vermittlungsvorschlages und eines späteren Nachdrucks Änderungen an den zugrundeliegenden Daten ausgeschlossen sind.

Auch eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II der Klägerin gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II scheidet aus. Es ist bereits zweifelhaft, ob überhaupt eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II aufgrund der nicht erfolgten Bewerbung auf den Vermittlungsvorschlag vom 30.09.2008 möglich ist, indem, wie die Beklagte es in der Begründung des Widerspruchsbescheides unternimmt, aus der unterbliebenen Bewerbung auf den Vermittlungsvorschlag ein Verstoß gegen die Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung konstruiert wird. Zwar ist unstreitig in der Eingliederungsvereinbarung vom 30.09.2008 die Verpflichtung der Klägerin festgehalten, sich innerhalb von 3 Tagen nach Erhalt eines Stellenangebotes auf dieses zu bewerben. Jedoch dürfte vorliegend die spezielle Regelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II vorgehen. Im Ergebnis kann dies dahinstehen, da es auch im Fall von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II am Vorliegen einer konkreten und zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung fehlt. Denn auch die Eingliederungsvereinbarung enthält keine konkrete und auf den Einzelfall abgestellte Rechtsfolgenbelehrung. Für die Einzelheiten wird auf die obigen Ausführungen zu den Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung umfassend Bezug genommen.

Ebenso scheidet eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II der Klägerin unter Anwendung von § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II ("Sperrzeitfiktion") aus. Ungeachtet der Frage, ob es sich bei dieser Regelung um eine Spezialregelung handelt, die keine Anwendung findet, wenn der Betroffene Leistungsempfänger bereits im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung im laufenden SGB II - Bezug stand, kommt eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II nicht in Betracht. Denn es fehlt auch hier an der erforderlichen Rechtsfolgenbelehrung. Auch im Fall einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) wäre erforderlich, dass der Vermittlungsvorschlag mit einer entsprechenden Rechtsfolgenbelehrung versehen ist. Die dem vorliegenden Vermittlungsvorschlag beigefügte Rechtsfolgenbelehrung erfüllt jedoch aus den vorgenannten Gründen nicht die Anforderungen an eine konkrete, individuelle Rechtsfolgenbelehrung.

Nachdem bereits die Absenkung des Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 SGB II dem Grunde nach rechtswidrig ist, kam es nicht mehr darauf an, ob die Beklagte den konkreten Absenkungsbetrag korrekt errechnet hat. Zweifel hieran sind jedenfalls im Hinblick auf die Anwendung der Rundungsvorschrift aus § 41 Abs. 2 SGB II gegeben. Denn die Beklagte hat vorliegend den Absenkungsbetrag von 30 vom Hundert der auf die Klägerin entfallende Regelleistung von 316,00 EUR mit 95,00 EUR monatlich beziffert. Der konkrete Absenkungsbetrag von 30 vom Hundert beträgt jedoch lediglich 94,80 EUR. Die Anwendung der Rundungsvorschrift dürfte in diesem Zusammenhang unzulässig sein, da gemäß § 41 Abs. 2 SGB II lediglich eine Rundung der Endzahlbeträge vorgesehen ist (LSG NRW, Beschluss vom 30.10.2009, L 20 B 135/09 AS; a.A. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.06.2009, L 5 AS 79/08).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe die Berufung zuzulassen liegen nicht vor. Die Berufung ist zulassungsbedürftig, da der Berufungsstreitwert von 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) nicht erreicht wird. Zulassungsgründe im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen jedoch nicht vor, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht die Entscheidung von der Rechtssprechung der Obergerichte ab.
Rechtskraft
Aus
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