S 12 AY 89/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AY 89/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind nicht erstattungsfähig.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in diesem Verfahren um die Gewährung von Leistungen entsprechend den Regelungen des SGB XII für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 28.02.2009.

Die am 00.00.1943 geborene Klägerin stammt aus dem Kosovo. Sie ist Roma. Die Klägerin reiste am 25.08.1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Erteilung einer Duldung. Seither wird die Klägerin ausländerrechtlich geduldet.

Die Klägerin lebt seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik in Haushaltsgemeinschaft mit mindestens einem ihrer Söhne, seit geraumer Zeit auch mit der Lebensgefährtin eines Sohnes und ihren Enkeln. Die Beklagte gewährte der Klägerin seit ihrer Einreise bis zum 30.11.2007 Leistungen gem. § 3 AsylbLG für einen Haushaltsvorstand. Seit Dezember 2007 bis einschließlich April 2008 gewährte sie ihr Leistungen gem. § 3 AsylbLG für einen erwachsenen Haushaltsangehörigen. Seit Mai 2008 gewährte die Beklagte der Klägerin wieder Leistungen gem. § 3 AsylbLG für einen Haushaltsvorstand. Vor dem hier streitbefangenen Zeitraum entschied die Beklagten zuletzt durch Bescheid vom 22.12.2008 über die Hilfeleistungen an die Klägerin für Januar 2009.

Mit Schreiben vom 06.03.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr ab dem Anfang des laufenden Monats und für die vergangenen vier Jahre unter entsprechender Abänderung etwaiger bestandskräftiger Bescheide Leistungen gem. § 2 AsylbLG zu gewähren.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin für die Zeit ab dem 01.04.2009 Leistungen gem. § 2 AsylbLG unter Zugrundelegung des Regelsatzes in Höhe von 90 % des Haushaltsvorstands.

Durch Bescheid vom 16.07.2009 gewährte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.03.2009 Leistungen gem. § 2 AsylbLG in Höhe von insgesamt 1.477,98 EUR. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das Bundessozialgericht (BSG) habe in mehreren Entscheidungen vom 17.06.2008 seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 2 AsylbLG liege nunmehr nur noch dann vor, wenn der Ausländer vorsätzlich eine Maßnahme treffe, die seine Aufenthaltsdauer beeinflusse. Es reiche nicht aus, dass der Ausländer sich weigere freiwillig auszureisen. Ferner habe das BSG durch Urteil vom 17.6.2008 die Anwendung des § 44 SGB X im Asylbewerberleistungsrecht bestätigt. Dabei habe es allerdings auch deutlich gemacht, dass bei der nachträglichen Erbringung von Leistungen der Aktualitätsgrundsatz zu beachten sei. Nicht mehr bestehende Bedarfe seien danach nicht mehr zu decken. Unter Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes könne es nicht zu einer vollständigen Nachzahlung der Differenzbeträge zwischen den Leistungen nach § 3 AsylbLG und den Leistungen gem. § 2 AsylbLG kommen. Denn in den Regelsatzleistungen seien Beträge für Bedarfe enthalten, deren Deckung jetzt nicht mehr möglich sei. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass die Hilfebedürftigen bei regelmäßiger Zahlung der Leistungen nach § 2 AsylbLG in der Vergangenheit in der Lage gewesen wären, Regelsatzbestandteile für den Kauf von Gütern anzusparen. Es sei deshalb zu prüfen, welche Bedarfe mit den Leistungen nach § 3 AsylbLG bereits abgedeckt worden seien und in welchen Bereichen ein Nachholbedarf bestehe. Die Aufschlüsselung des Regelsatzes in die darin enthaltenen Bedarfspositionen zeige, dass ein Nachholbedarf nur in Bezug auf die Anschaffung von Bekleidung und Schuhen, von Möbeln, Haushaltsgeräten und anderen Einrichtungsgegenständen, von Fahrrädern, für den Kauf von Telekommunikationsmitteln und die Anschaffung von Gegenständen für Freizeit, Unterhaltung und Kultur bestehe. Insgesamt bestehe für den Haushaltsvorstand ein Nachholbedarf in Höhe von 32,19 EUR monatlich. Die Klägerin habe als Mitglied einer Haushaltsgemeinschaft einen Anspruch auf Gewährung von 90 % dieses Betrags, mithin in Höhe von 28,98 EUR monatlich. Hieraus ergebe sich für 51 Monate ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.477,98 EUR.

Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zu dessen Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Rechtsprechung des BSG stütze die Berechnungsweise der Nachzahlungen der Beklagten nicht. Die Nachzahlung in Höhe von noch ca. 30 % des Differenzbetrags zwischen den Leistungen nach § 3 AsylbLG und den Leistungen nach § 2 AsylbLG führe dazu, dass rechtswidriges Verwaltungshandeln im Nachhinein noch belohnt werde. Es entstehe eine durch nichts gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu den Ausländern, denen von vornherein Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt worden seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 23.09.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Vertiefung der Gründe der Ausgangsbescheids zurück.

Die Klägerin hat daraufhin am 14.10.2009 Klage erhoben. Zu deren Begründung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen. In der mündlichen Verhandlung machte die Klägerin ergänzend geltend, die Leistungen nach § 3 AsylbLG seien in dem hier streitbefangenen Zeitraum ihrer Höhe nach schon nicht geeignet gewesen, ihr Existenzminimum zu sichern. Die Leistungen nach dieser Vorschrift seien seit 1993 nicht mehr der Teuerungsrate angepasst worden. Die Regelung des § 3 AsylbLG sei deshalb verfassungswidrig. Dann aber verbiete es sich im Rahmen der Nachzahlung von Leistungen nach § 2 AsylbLG von einem zwischenzeitlich entfallenen Bedarf an derartigen Leistungen auszugehen.

In der mündlichen Verhandlung bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Monat März 2009 Leistungen gem. § 2 AsylbLG unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen nach § 3 AsylbLG und des Nachzahlungsbetrags für diesen Monat in Höhe von 28,98 EUR. Ferner bewilligte sie der Klägerin für die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 30.04.2008 Leistungen gem. § 3 AsylbLG für einen Haushaltsvorstand.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 16.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2009 Analogleistungen gem. § 2 AsylbLG entsprechend dem SGB XII nach Maßgabe des § 44 SGB X unter Anrechnung der gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und unter entsprechender Abänderung der früheren Verwaltungsakte für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 28.02.2009 zu gewähren und den Nachzahlungsbetrag mit 4% zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung vertieft sie die Gründe der angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Begehren der Klägerin beurteilt sich für bestandskräftig abgeschlossene Zeiträume der Hilfegewährung an die Klägerin nach § 44 SGB X in Verbindung mit § 2 AsylbLG.

§ 44 SGB X ist vorliegend gem. § 9 Abs. 3 AsylbLG anwendbar (vgl. Urteil des BSG vom 17.06.2008, B 8/9b AY 5/07 R).

Die Beklagte ist gem. § 44 Abs. 3 SGB X für die Entscheidung über die Rücknahme nach Unanfechtbarkeit der im streitbefangenen Zeitraum ergangenen Verwaltungsakte zuständig. Sie ist die gem. § 10 Satz 1 AsylbLG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AG AsylbLG NRW sachlich und gem. § 10 a Abs. 1 AsylbLG örtlich zuständige Behörde. Dabei kann hier offen bleiben, ob die Regelung des § 44 Abs. 3 SGB X bei einem zwischenzeitlichen Ortswechsel des Betroffenen dazu führt, dass nunmehr die dann für ihn örtlich zuständige Behörde über seinen Anspruch nach § 44 SGB X zu entscheiden hat oder ob es bei der Zuständigkeit der Behörde bleibt, die für den Erlass der dem Abänderungsanspruch des Betroffenen unterliegenden Verwaltungsakte in der Vergangenheit zuständig war (so: OVG NRW, Urteil vom 22.01.1998, 8 A 940/96).

Gem. § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X liegen hier vor. Denn bei Erlass der für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.01.2009 bestandskräftig ergangenen Verwaltungsakte wurde das Recht unrichtig angewandt.

Die Beklagte gewährte der Klägerin für den gesamten streitbefangenen Zeitraum Leistungen gem. § 3 AsylbLG. Die Klägerin hatte aber im streitbefangenen Zeitraum einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen gem. § 2 AsylbLG. Nach dieser Regelung ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten bzw. ab dem 28.08.2007 über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin gehört zum leistungsberechtigten Personenkreis des § 1 AsylbLG. Die Beklagte gewährte der Klägerin auch bis zum 31.12.2004 bereits mehr als 48 Monate Leistungen gem. § 3 AsylbLG. Schließlich hat die Klägerin ihren Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Hiervon gehen die Beteiligten unstreitig aus. Die Klägerin wurde seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik geduldet. Anhaltspunkte dafür, dass die fortlaufende Duldung der Klägerin darauf beruht, dass diese ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat, bestehen nicht. Dazu reicht es nach der Rechtsprechung des BSG nicht aus, dass der Ausländer die Möglichkeit hatte, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen. Vielmehr setzt der Rechtsmissbrauch im Sinne des § 2 AsylbLG ein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes vorsätzliches, sozialwidriges Verhalten, d. h. im Einzelfall unentschuldbares Verhalten voraus (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 8 /9b AY 1/07 R). Ein derartiges Verhalten der Klägerin lässt sich hier nicht feststellen.

Die Klägerin hatte mithin seit dem 01.01.2005 einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG.

Fraglich ist zunächst, ob in Fällen wie diesem der Rechtsgedanke des § 330 Abs. 1 SGB III heranzuziehen ist. § 330 Abs. 1 SGB III regelt Folgendes: Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist, so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Hier wurde die Regelung des § 2 AsylbLG durch die Beklage so ausgelegt, dass derjenige sich rechtsmissbräuchlich verhält, der von der Möglichkeit freiwillig auszureisen keinen Gebrauch macht. Erst durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17.06.2008, B 8/9b AY 1/07 R, war klar, dass die freiwillige Ausreisemöglichkeit für sich gesehen keinen Rechtsmissbrauch begründet. Die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 330 Abs. 1 SGB III hätte also zur Folge, dass eine Aufhebung bzw. entsprechende Abänderung der Bescheide der Beklagten mit Blick auf den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG erst ab dem 17.06.2008 in Betracht käme.

Für eine Anwendung der Regelung des § 330 Abs. 1 SGB III könnte zwar sprechen, dass diese Regelung bei Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gem. § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II anwendbar ist und Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ebenso wie die Leistungen nach dem 3. und dem 4. Kapitel des SGB XII und die Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

§ 44 Abs. 1 SGB X enthält aber seinem Wortlaut nach keine Einschränkung dergestalt, dass es für die Frage, ob das Recht unrichtig angewandt wurde, darauf ankommt, wie das Recht im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts höchstrichterlich ausgelegt wurde. Auch das AsylbLG enthält keine Vorschriften, die auf eine entsprechende Anwendbarkeit des § 330 Abs. 1 SGB III verweisen. Gleiches gilt für das SGB XII. Schließlich hat das BSG in dem Urteil vom 17.06.2008, B 8 AY 5/07 R, keinerlei Beschränkung der Anwendbarkeit des § 44 SGB X mit Blick auf den Rechtsgedanken des § 330 Abs. 1 SGB III vorgenommen. Der Rechtsgedanke des § 330 Abs. 1 SGB III ist nach allem hier nicht anzuwenden.

Gem. § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist.

Ein Anspruch auf die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts für die Vergangenheit und die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen besteht allerdings nur "nach den Vorschriften der besonderen Teile des Gesetzbuchs". Es muss also den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung getragen werden. Im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts ist insoweit zu berücksichtigen, dass diese Leistungen nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen und nicht als nachträgliche Geldleistungen ausgestaltet sind. Insoweit gilt nichts anderes als im Sozialhilferecht (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 16/08 R, mit weiteren Nachweisen). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz mit dem Ziel eingeführt wurde, ein eigenes Leistungsgesetz für solche Ausländer zu schaffen, die sich in aller Regel nur vorübergehend und mit einem ausländerrechtlich nicht gefestigten Status in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Das Bundessozialhilfegesetz, dessen Ziel es war, ein existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen, sollte auf die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG nicht mehr angewendet werden. Dadurch sollten auch die leistungsrechtlichen Anreize für einen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland abgebaut werden (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 12/4451). Dieser – auch heute noch bestehenden – Zielsetzung des AsylbLG würde es entgegenstehen, über § 44 SGB X für Bedarfe, die in der Vergangenheit entstanden sind, mehr als den jetzt noch gegenwärtigen Bedarf an Leistungen zu gewähren. Die Regelung des § 2 AsylbLG war wegen einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren in das AsylbLG 1993 aufgenommen worden und verfolgte das Ziel, nach einem längeren Aufenthalt in der Bundesrepublik die Integration des Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse zu fördern (vgl. BT-Drucksache 12/5008, S. 15). Dieses Ziel verfolgt die Gewährung höherer Leistungen nach § 2 AsylbLG bis heute. Dieses Ziel gebietet es nicht, über § 44 Abs. 4 SGB X für die Vergangenheit selbst dann noch Leistungen zu gewähren, wenn der Bedarf an diesen Leistungen nicht mehr gegenwärtig bzw. aktuell ist. Denn die Integration eines Leistungsberechtigten lässt sich für die Vergangenheit durch derartige Leistungen nicht mehr herstellen.

Ausgehend hiervon besteht ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach § 44 Abs. 1 und 4 SGB X in Verbindung mit § 2 AsylbLG nur insoweit, als der Leistungsberechtigte dieser Leistungen gegenwärtig noch bedarf. Geltend gemacht wird hier der volle Differenzbetrag zwischen dem Wert der nach § 3 AsylbLG gewährten Grundleistungen und den Regelsatzleistungen nach dem SGB XII. Dies macht im Falle der Klägerin einen Betrag in Höhe von 120,03 EUR monatlich für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2007, in Höhe von 122,03 EUR für die Zeit vom 01.07.1007 bis zum 30.06.2008 und in Höhe von 126,03 EUR für die Zeit ab dem 01.07.2008 aus. Die Klägerin ist auf die Nachzahlung der vollen Differenz der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu den Leistungen nach § 2 AsylbLG gegenwärtig nicht mehr angewiesen.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 17.06.2008, B 8 AY 5/07 R, zur Höhe des Nachzahlungsbetrags Folgendes ausgeführt: Höhere Leistungen sind nur gerechtfertigt, wenn die den Klägern nach §§ 3 ff. AsylbLG gewährten Leistungen der Höhe nach niedriger sind als die Leistungen, die ihnen nach dem SGB XII zugestanden hätten. Bei dem erforderlichen Vergleich ist ohne Bedeutung, ob den Klägern nach den §§ 3 ff. AsylbLG Einmalleistungen gewährt wurden, die bei entsprechender Anwendung des SGB XII als Pauschalleistungen abgegolten würden. Andererseits ist zu beachten, dass ggf. Bedarfe, die durch das SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten. Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG, die durch das SGB XII nicht gedeckt werden, sind demgegenüber nicht in die Vergleichsberechnung mit einzubeziehen. Dies gilt beispielsweise für die Krankenbehandlung nach § 4 AsylbLG (wird näher ausgeführt).

Unter Berücksichtigung dieser Urteilsgründe scheint es nahe zu liegen, eine Differenzberechnung zwischen den nach §§ 3 ff AsylbLG zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts gewährten Leistungen und den Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII durchzuführen, d.h. die der Klägerin gewährten Grundleistungen zuzüglich der einmaligen Hilfeleistungen, insbesondere unter Anwendung des § 6 AsylbLG, von den Regelsatzleistungen nach dem SGB XII abzuziehen. Hierzu neigt offenbar auch das BSG, wenn es in dem o.a. Urteil vom 29.09.2009 zum Sozialhilferecht ausführt, dass es bei pauschalierten Leistungen, die – wie der Regelsatz – typisierend von einer Bedarfsdeckung ausgehen und nicht nur die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalieren, nicht des Nachweises anderweitiger Bedarfsdeckung bedürfe, wenn sie nicht nur der Befriedigung eins aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienen. Diese Pauschalen würden daher nicht an der von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen "Existenzschwäche" des Sozialhilfeanspruchs teilnehmen und seien bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen des § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen.

Andererseits enthält das o.a. Urteil des BSG vom 17.06.2008, B 8 R 5/07 R, die Einschränkung, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken zu seien. Da die Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG der Höhe nach deutlich von der Regelsatzleistung nach dem SGB XII differieren, macht diese Einschränkung nur Sinn, wenn das BSG letztlich eine einschränkende Nachzahlung der Regelsatzleistungen ins Auge gefasst hatte. Denn neben den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG werden sonstige Leistungen zum Lebensunterhalt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gewährt (vgl. dazu die Regelung des § 6 AsylbLG). Regelmäßig werden die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und etwaige sonstige Leistungen nach § 6 AsylbLG daher nicht die Regelsatzhöhe des SGB XII erreichen sondern weit darunter bleiben.

Die Klägerin beruft sich im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe ihr die Leistungen nach § 2 AsylbLG über den hier streitbefangenen Zeitraum rechtswidrig vorenthalten. Die Begründung für die Nachzahlung des vollen Differenzbetrags läuft damit im Wesentlichen darauf hinaus, dass es der Klägerin um einen Schadensersatz für ein rechtswidrig vorenthaltenes höheres Lebensniveau als das des § 3 AsylbLG geht. Die nach § 44 SGB X nachträglich zu erbringende Leistung soll aber unter Berücksichtigung des Gegenwärtigkeits- bzw. Aktualitätsgrundsatzes des AsylbLG keine Entschädigungsleistung darstellen, sondern der Deckung des aus der Vergangenheit noch vorhandenen Bedarfs bzw. des Surrogats dieses Bedarfs dienen (vgl. BSG, o.a. Urteil vom 29.09.2009). Auch die Ausführungen der Klägerin zu der Verfassungswidrigkeit des § 3 AsylbLG führen zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn die Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit ab dem 01.01.2005 nicht existenzsichernd gewesen sein sollten, hat dies nicht zur Folge, dass die Differenz zwischen den bislang gewährten Leistungen und den hier beanspruchten Leistungen nach § 2 AsylbLG ein gegenwärtig noch vorhandener Bedarf wäre.

Ausgehend von diesen Überlegungen besteht nach Überzeugung der Kammer trotz der pauschalierten Regelsatzleistungen kein Anspruch auf Nachzahlung der vollen Differenz zwischen dem Wert der nach § 3 AsylbLG und gegebenenfalls weiteren zum Lebensunterhalt gewährten Leistungen (insbesondere unter Anwendung des § 6 AsylbLG) zu den Regelsatzleistungen nach dem SGB XII.

Die Regelsatzleistungen nach dem SGB XII sollen zwar pauschal den notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des SGB XII abdecken. Insoweit gilt nichts anderes als bei den Regelleistungen nach dem SGB II, weil beide Leistungen auf dem gleichen Berechnungsmodus nach dem Statistikmodell beruhen. Dem Statistikmodell liegt dabei die Überlegung zugrunde, dass der individuelle Bedarf eines Hilfesuchenden in einzelnen Ausgabepositionen vom durchschnittlichen Verbrauch abweichen kann, der Gesamtbetrag der Regelleistung es aber ermöglicht, einen überdurchschnittlichen Verbrauch in einer Position durch einen unterdurchschnittlichen Verbrauch in einer anderen auszugleichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Dies allein rechtfertigt es indessen nicht, bei einer Nachzahlung von Hilfeleistungen gem. § 44 Abs. 4 SGB X Regelsatzleistungen pauschal in voller Höhe bzw. – wie hier – in Höhe des Differenzbetrags zwischen den Leistungen nach § 3 AsylbLG und denen nach § 2 AsylbLG nachzugewähren. Denn die Gewährung des vollen Differenzbetrags würde letztlich auf eine Entschädigung des Hilfesuchenden für vorenthaltene Leistungen hinauslaufen und im Übrigen in einer Vielzahl von Fällen dazu führen, dass dem Hilfesuchenden über die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X Beträge in einer Höhe nachbewilligt würden, die er bei rechtmäßiger Hilfegewährung von vornherein nicht hätte ansparen können. Derartiges ist mit den Zielsetzungen der Leistungen nach dem AsylbLG nicht vereinbar. Denn die Leistungen nach § 2 AsylbLG sollen zwar die Integration des Leistungsberechtigten fördern, d.h. ihm Lebensverhältnisse ermöglichen, die denen der übrigen Sozialhilfeempfänger zumindest nahe kommen. Bei einer nachträglichen Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG kann dieses Ziel nicht mehr für die Vergangenheit erreicht werden. Die Lebensverhältnisse des Berechtigten können allenfalls durch die nachträgliche Erbringung von Leistungen den Lebensverhältnissen desjenigen Ausländers, der von vornherein Leistungen nach § 2 AsylbLG bezogen hat, insoweit gleichgestellt werden, als dem Berechtigten ein Ansparvermögen zugebilligt wird. Denn allenfalls insoweit kann ein noch gegenwärtiger Bedarf an den pauschalierten Regelsatzleistungen bestehen.

Die Höhe des zuzubilligenden Ansparvermögens ist dabei in Anbetracht der pauschalierten Deckung des Lebensunterhalts durch die Regelsätze des SGB XII ebenfalls pauschal festzusetzen.

Seit dem 01.01.2005 wird der notwendige Lebensunterhalt bis auf gesetzlich definierte Sonderbedarfe und die Kosten der Unterkunft und Heizung pauschal durch die Regelsatzleistungen abgedeckt. Bis zum 31.12.2004 wurden neben den Regelsatzleistungen zusätzliche einmalige Leistungen für die Bedarfe des notwendigen Lebensunterhalts erbracht, die durch die Regelsatzleistungen nicht gedeckt waren. Aus der Gesetzesbegründung zum SGB XII (BT-Drucksache 15/1514, S. 59) ergibt sich dabei, dass der Hilfeempfänger durch die Regelungen des SGB XII in die Lage versetzt werden sollte, einen Teil der Regelsatzleistungen anzusparen, um diesen Ansparbetrag dann für etwaige einmalige Bedarfslagen (z.B. Bekleidung, Ersatzbeschaffung von Hausrat und Mobiliar) zu verwenden. Die Regelsatzleistungen nach dem SGB XII setzen sich also unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung aus dem pauschalierten laufenden Regelsatzbedarf und dem pauschalierten Bedarf an einmaligen Leistungen zusammen.

Wie das Bundesverfassungsgericht in dem o.a. Urteil vom 09.02.2010 zu den Regelleistungen nach dem SGB II, die der Höhe nach zumindest den Regelsatzleistungen für das Land Nordrhein-Westfalen entsprechen, feststellte, ist die Festsetzung der Höhe der ab dem 01.01.2005 geltenden Regelleistungen nicht verfassungsgemäß erfolgt bzw. nicht nachvollziehbar begründet. Insbesondere die in einigen Abteilungen vorgenommen Abschläge lassen sich nicht nachvollziehen, sondern sollen willkürlich sein. Gleichwohl (oder auch gerade deshalb) ist es aus der Sicht des Gerichts möglich, die in den Regelsatzleistungen enthaltenen Ansparbeträge für einmalige Bedarfslagen für Zeit ab dem 01.01.2005 der Höhe nach zu bestimmen.

Laut dem vierten Existenzminimumsbericht der Bundesregierung (BT-Drucksache 14/7765) für das Jahr 2003 wurde das steuerfrei zu stellende Existenzminimum unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Regelsatzleistung zuzüglich der statistisch ermittelten Durchschnittausgaben der Sozialhilfeträger für einmalige Bedarfslagen zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung festgelegt. Die Regelsatzleistung eines Haushaltsvorstands lag ab dem 01.07.2003 bis zum 31.12.2004 im Bundesgebiet bei durchschnittlich 297,- EUR. Die durchschnittlichen Ausgaben der Sozialhilfeträger für einmalige Bedarfslagen eines Haushaltsvorstands lagen bei ca. 48,- EUR monatlich. Die Summe dieser Leistungen ergibt den Betrag von 345,- EUR (Höhe der Regelleistung für einen alleinstehenden Hilfeempfänger nach dem SGB II ab dem 01.01.2005 und Höhe der Regelsatzleistung eines Haushaltsvorstands nach dem SGB XII in Nordrhein-Westfalen ab dem 01.01.2005).

Dass die Regelsatzleistungen ab dem 01.01.2005 rechnerisch letztlich im beschriebenen Sinne festgelegt wurden, klingt auch in dem o.a. Urteil des BVerfG vom 09.02.2010, Randziffer 152, bei der Diskussion der Frage an, ob eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums angenommen werden kann. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Tatsache, dass die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erfassten Ausgaben zu einem teilweise nicht nachvollziehbaren Anteil in die Bemessung der Regelsatzleistungen eingeflossen ist (vgl. BVerfG, o.a. Urteil vom 09.02.2010, Randziffer 170 bis 182), darauf zurückzuführen ist, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe der Regelleistungen das o.g. rechnerische Ergebnis erreichen wollte. Dies war unter Zugrundelegung der Daten der EVS nur möglich, indem er den regelsatzrelevanten Anteil an den Ausgaben in einzelnen Abteilungen begrenzte. Zwar hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales seine Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII – Regelsatzverordnung – ausführlich begründet (vgl. BR-Drucksache 206/04). Allerdings hat das BVerfG in dem o.a. Urteil vom 09.02.2010 deutlich gemacht, dass diese Ausführungen des Bundesministeriums letztlich die Höhe des festgelegten Regelsatzes bzw. der festgesetzten Regelleistung nicht tragfähig begründen könnten. Die Abschläge seien vielmehr (sinngemäß) willkürlich erfolgt.

Festzuhalten bleibt deshalb, dass die pauschalierte Höhe der Regelsatzleistungen keine nachvollziehbare Grundlage in der herangezogenen EVS findet. Festzuhalten bleibt aber auch, dass sich die Höhe der ab dem 01.01.2005 festgelegten Regelsätze zwanglos aus dem Vierten Existenzminimumsbericht ableiten lässt.

Nach allem geht das Gericht davon aus, dass der Regelsatz ab dem 01.01.2005 einen pauschalen Ansparbetrag für den Haushaltsvorstand in Höhe von maximal 48,- EUR enthielt. Unter Berücksichtigung der Regelsatzerhöhungen ergibt dies einen Ansparbetrag von 48,28 EUR ab dem 01.07.2007 und von 48,83 EUR ab dem 01.07.2008 bis zum 30.06.2009 (jeweils für den Haushaltsvorstand bzw. Alleinstehenden). Für Haushaltsangehörige ist dieser Betrag entsprechend den Vorgaben der Regelsatzverordnung entsprechend zu mindern. Zwar lagen für erwachsene Haushaltsangehörige die durchschnittlichen Ausgaben für einmalige Leistungen laut dem Vierten Existenzminimumsbericht bei 17 % des maßgeblichen Regelsatzes, mithin bei 40,- EUR monatlich, für Kinder bei 20 % des maßgeblichen Regelsatzes. Allerdings leitet sich der Regelsatz der Haushaltsangehörigen vom Regelsatz des Haushaltsvorstandes ab, so dass konsequenterweise auch die Ansparbeträge aus dem Ansparbetrag des Haushaltsvorstands abgeleitet werden müssen.

Die Nachzahlungsbeträge sind also in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich dergestalt zu ermitteln, dass die Anzahl der Monate, für die ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG bestand, mit der Höhe des pauschalierten Ansparbetrags multipliziert werden. Die Berücksichtigung eines pauschalierten Ansparbetrags hat dabei den Vorteil, dass eine genaue Berechnung der nach § 3 AsylbLG gewährten Leistungen zuzüglich etwaiger Zahlungen für sonstige Leistungen im Sinne des § 6 AsylbLG nicht durchgeführt werden muss, gleichwohl aber das Ziel der pauschalierten Regelsatzleistungen über die Deckung des monatlich wiederkehrenden Bedarfs hinaus auch eine Ansparung von Leistungen zu erreichen, erfüllt wäre.

Diesem Ansatz werden die Berechnungen der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte hat die Regelsatzleistung nach Bedarfspositionen aufgeschlüsselt daraufhin untersucht, ob die Bedarfspositionen der Deckung eines Bedarfs für die Vergangenheit dienen oder der Deckung eines Bedarfs, der gegenwärtig noch vorhanden sein kann. Die Berechnungen der Beklagten sind zwar gut nachvollziehbar. Sie orientieren sich aber letztlich an der Aufschlüsselung der Regel(satz)leistungen, die nach o.a. Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 nicht nachvollziehbar ist. Ferner löst die Berechnungsweise der Beklagten nicht das Problem, dass der Hilfeempfänger selbst die Möglichkeit haben soll, mit Hilfe der Regelsatzleistungen seinen gesamten Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt bis auf die Sonderbedarfe und die Kosten der Unterkunft und Heizung dauerhaft zu decken. Der Hilfeempfänger kann dabei einzelne statistisch durch die Regelsatzleistungen gedeckten Durchschnittskosten (z.B. für den regel-mäßigen Besuch eines Friseurs oder für den Kauf von Tabak) zu Gunsten anderer Bedarfe einsparen bzw. auch ansparen. Der jeweilige Kläger könnte also der Berechnung der Beklagten entgegenhalten, er hätte bei rechtmäßiger Hilfegewährung bestimmte Bedürfnisse, die statistisch durch die Regelsatzleistungen abgedeckt wurden, laufend nicht gedeckt und hätte deshalb bei rechtmäßiger Hilfegewährung auch die für diese Bedürfnisse in den Regelsatzleistungen enthaltenen Beträge monatlich ansparen können. So könnte er beispielsweise geltend machen, seine Haare stets selbst zu schneiden, so dass laufend keine Kosten für den Friseur entstanden wären, oder er rauche nicht, so dass er den im Regelsatz enthaltenen Anteil für Tabakwaren nicht hätte aufwenden müssen. Gegen die Anwendung des Berechnungsmodells der Beklagten spricht ferner, dass die im Einzelnen nach der EVS aufgeschlüsselten Bedarfe nach altem Recht teilweise als einmalige Leistungen gewährt worden wären, teilweise als laufender Bedarf (z.B. die Reparaturleistungen von Haushaltgeräten, die im geringen Umfang durch die Regelsatzleistungen gedeckt waren; für kostenträchtigere Reparaturen waren einmalige Leistungen vorgesehen, die in die Berechnung der oben angeführten Pauschale für einmalige Leistungen eingeflossen sind). Daher ist es denkbar, dass bei einzelnen Positionen noch ein Nachholbedarf vorhanden ist, bei anderen in die Berechnung eingeflossenen Positionen dagegen nicht bzw. nicht in der angenommenen Höhe. Schließlich enthält die Regelsatzaufschlüsselung in der Abteilung 03 Bekleidung und Schuhe Bedarfspositionen, die auf einen Hilfe-suchenden zugleich nicht entfallen können (Damen- Herren und Kinderbekleidung sowie –schuhe), die aber gleichwohl in die Festsetzung der Höhe des ab dem 01.01.2005 geltenden Eckregelsatzes eingeflossen sein sollen.

Unter Berücksichtigung des pauschalierten Ansparbetrags eines Haushaltsvorstandes hätte die Klägerin in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.01.2009 (bestandskräftig geregelter Zeitraum) maximal 2.361,17 EUR ansparen können.

Selbst dieser Ansparbetrag ist der Klägerin jedoch bei einer nachträglichen Bewilligung von Leistungen nach § 44 Abs. 4 SGB X nicht in voller Höhe zu gewähren. Es muss nämlich berücksichtigt werden, dass der Betroffene durch die nachträgliche Gewährung von Leistungen nicht besser gestellt werden darf, als er es bei einer fortlaufenden Bewilligung der Leistungen nach § 2 AsylbLG gewesen wäre. Bei einer fortlaufenden Bewilligung von Leistungen wäre aber davon auszugehen, dass der Betroffene den Ansparbetrag nicht über die gesamte Dauer des Hilfebezugs zur Seite gelegt hätte sondern typischerweise zumindest teilweise zur Deckung seines Bedarfs an einmaligen Bedarfslagen verbraucht hätte.

Das Gericht hält es deshalb für notwendig, die Summe der rückwirkend zu gewährenden Nachzahlung der Höhe nach auf einen Maximalbetrag von 750,- EUR pro Hilfesuchenden zu beschränken. Diese Grenze ergibt sich unter Berücksichtigung der Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II. Diese Regelung setzt für Leistungsberechtigte nach dem SGB II einen Betrag in Höhe von 750,- EUR für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen als vom Vermögen abzusetzenden Freibetrag für notwendige Anschaffungen fest. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1516, S. 53) zu dieser Freistellung lautet: "Der Freibetrag korrespondiert mit der Konzeption der Regelleistung, die künftig alle pauschalierbaren Leistungen im Rahmen der von der Regelleistung zu deckenden Bedarfe umfasst. Da davon ausgegangen wird, dass der Leistungsberechtigte aus dieser Regelleistung Ansparungen für größere Anschaffungen, wie z.B. für Haushaltsgeräte oder den Wintermantel, erbringt, müssen diese Ansparungen konsequenterweise bei der Vermögensanrechnung unberücksichtigt bleiben." Der Gesetzgeber geht also im Rahmen des SGB II davon aus, dass angesparte Regelleistungen bis zum einem Betrag von 750,- EUR keinen Einfluss auf die Hilfegewährung an einen Leistungsberechtigten haben sollen. Er bringt damit zugleich zum Ausdruck, dass der jeweils gegenwärtige und schützenswerte Bedarf eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II an der Anschaffung von Bedarfsgegenständen sich maximal auf einen Wert von 750,- EUR beschränkt.

Der Vermögensfreibetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung dieser Vorschrift sieht dagegen zwar bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ein geschütztes Barvermögen in Höhe von 1.600,- EUR für den erwachsenen Hilfesuchenden vor sowie von 614 EUR für den mit ihm zusammenlebenden Ehegatten oder Lebenspartner und weiteren 256,- EUR für jede weitere Person, die von ihm oder seinem Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten wird. Je nach Anzahl der vom erwachsenen Hilfesuchenden unterhaltenen Personen liegt der Betrag des Schonvermögens einer Haushaltsgemeinschaft nach dieser Vorschrift oberhalb bzw. unterhalb der Grenze des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II.

Das Gericht hält es indessen nicht für sachgerecht, die Schongrenze des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII anzuwenden. Denn diese Schongrenze soll den wirtschaftlichen Ausverkauf des Hilfesuchenden vermeiden und beinhaltet damit den Schutz von Barvermögen, das nicht zur Deckung notwendigen Lebensunterhalts gedacht ist sondern anderen Zwecken dienen soll. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zielt also nicht speziell darauf ab, das aus den Regelsatzleistungen angesparte Vermögen von einer Verwertung freizustellen und ist deshalb nicht geeignet, die Grenze der Beträge zu bestimmen, die im Laufe der Zeit aus den Regelsatzleistungen angespart werden können.

Deshalb greift das Gericht auf den in der Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II festgelegten Ansparbetrag zurück. Auch wenn diese Regelung hier nicht unmittelbar anwendbar ist, enthält diese Regelung doch für die in gleicher Weise wie die Regelleistung nach dem SGB II festgelegte Regelsatzleistung die allgemeingültige Feststellung, dass Regel(satz)leistungen maximal bis zur Höhe des Ansparbetrags von 750,- EUR gegenwärtig zur Deckung einmaligen Bedarfs benötigt werden.

Die Beklagte gewährte der Klägerin durch die angegriffenen Bescheide bereits einen Betrag, der über den Ansparbetrag von 750,- EUR hinausgeht. Die Klägerin hat deshalb keinen Anspruch auf eine weitere Nachzahlung.

Eine über diesen Ansparbetrag hinausgehende Leistung für die Vergangenheit kommt nur dann in Betracht, wenn der Betroffene in der Vergangenheit mit Hilfe von Dritten den hier geltend gemachten Bedarf gedeckt hat, wenn also festgestellt werden kann, dass an die Stelle des damaligen Bedarfs nunmehr ein Surrogat in Form entsprechender Schulden besteht. Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin erklärte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, in der Zeit ab dem 01.01.2005 bis heute keine Schulden gemacht zu haben.

Außerdem kommt eine höhere Bewilligung von Leistungen in Betracht, wenn der Betroffene aus anderen Gründen einen Anspruch auf die Gewährung höherer Leistungen für die Vergangenheit hat. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn schon die Hilfegewährung nach § 3 AsylbLG rechtswidrig in dem Sinne war, dass dem Hilfesuchenden ein höherer Leistungsanspruch zustand. Sollte der Hilfesuchende aus solchen Gründen ein ausgleichsfähiges Interesse an der Nachbewilligung von Leistungen geltend machen (Bedarfsdeckung durch Dritte, Schuldenaufnahme), so wären ihm auch heute noch die entsprechenden Leistungen zu bewilligen. Auch diese Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

Schließlich ist bei der Nachgewährung von Leistungen unter Berücksichtigung des o.a. Urteil des BSG vom 29.09.2009 zu berücksichtigen, ob die Bedürftigkeit des Betroffenen deshalb entfallen ist, weil er zwischenzeitlich erwerbstätig ist und deshalb nicht mehr auf die Nachzahlung von Leistungen für die Vergangenheit angewiesen ist. Auch dieser Fall liegt hier nicht vor, weil die Klägerin niemals erwerbstätig war und bis heute nicht erwerbstätig ist.

Die Klägerin hat auch nicht deshalb einen Anspruch auf die Gewährung höherer Leistungen als die bisher von der Beklagten bewilligten, weil die mit der Auszahlung der Leistungen für den Monat Februar 2009 getroffene Regelung der Beklagten, der Klägerin für diesen Monat Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren, im Zeitpunkt des Antrags der Klägerin auf Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG noch nicht bestandskräftig war. Die Klägerin hatte zwar im Februar 2009 bereits einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG. Der Gesamtbetrag der von der Beklagten gewährten Leistungen deckt aber den Differenzbetrag zwischen den Leistungen nach § 3 AsylbLG und denen nach § 2 AsylbLG unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin für den bestandskräftig abgeschlossenen Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.01.2009 lediglich einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen in Höhe von insgesamt 750,- EUR hatte, ab.

Ein Anspruch auf Verzinsung der Nachzahlungsbeträge besteht nicht. § 44 SGB I ist auf Leistungsansprüche nach dem AsylbLG nicht anwendbar. Eine Anwendbarkeit ergibt sich auch nicht über § 44 SGB X. Denn § 44 SGB X enthält keine eigene Verzinsungsregelung. Die Anwendung des § 44 Abs. 1 SGB I müsste deshalb im AsylbLG selbst geregelt sein, was nicht der Fall ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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