L 4 KR 1598/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4646/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1598/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. März 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten aller Beigeladener.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf EUR 12.115,18 festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagen nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) für die Beigeladenen zu 2) und 3) für die Zeit vom 01. April 2003 bis zum 31. Dezember 2004.

Der Kläger ist als niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin tätig. Er ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er hatte mit Urkunde vom 17. April 1998 des Notariats III P. (3 UR 871/98) die Beigeladene zu 1), eine GmbH, gegründet. Er war alleiniger Gesellschafter. Geschäftsgegenstand der Beigeladenen zu 1) ist die Trägerschaft und der Betrieb eines Instituts für biologische Therapien sowie die Behandlung von Menschen mit den Methoden der Bioenergetik und anderen Arten der Biomedizin sowie die wissenschaftlich fundierte Psychotherapie mittels angestellter Ärzte und angestellter approbierter psychologischer Psychotherapeuten. Alleinige Geschäftsführerin war zunächst bis zum 24. September 1998 seine damalige Ehefrau (Handelsregisterauszug HRB 504403 des Amtsgerichts Mannheim vom 27. August 2009). Ab dem 27. Oktober 1998 war ein in der Praxis des Klägers beschäftigter Physiotherapeut alleiniger Geschäftsführer. Mit Urkunde vom 31. Juli 2003 des Notariats I P. (1 UR 1611/2003) übertrug der Kläger einen Geschäftsanteil von 30 v.H. auf seine damalige Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau. Außerdem berief die Beigeladene zu 1) nunmehr den Kläger selbst zum alleinigen Geschäftsführer, seine Lebensgefährtin erhielt Prokura (Eintragungen in das Handelsregister am 14. August 2003). Die Beigeladene zu 1) errichtete ihre Geschäftsräume in der Praxis des Klägers. Eine räumliche Abtrennung mit eigenem Zugang erfolgte nicht.

Die Beigeladenen zu 2) (seit dem 01. März 1998) und 3) (seit dem 15. Juli 2001) waren auch im hier streitigen Zeitraum beim Kläger mit einer Beschäftigung oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze als Arzthelferinnen tätig. Die beiden Arbeitsverträge des Klägers mit den Beigeladenen zu 2) und 3) vom 16. Juli 2001 und 25. Februar 1998 enthalten jeweils eine Anlage mit dem Inhalt: "Sollten währen der Praxisarbeitszeit regelmäßig Tätigkeiten für das IBT (die Beigeladene zu 1)) anfallen, werden diese vom Institut bezahlt und das Gehalt dementsprechend gekürzt. Dieses darf jedoch nicht zu einer Verminderung des Gesamtnettogehalts führen".

Zum 01. April 2003 schloss die Beigeladene zu 1), vertreten durch den damaligen Geschäftsführer, mit den Beigeladenen zu 2) und 3) jeweils die Arbeitsverträge vom 01. März 2003. Darin verpflichteten sich die Beigeladenen zu 2) und 3), durchschnittlich zwölf Stunden pro Woche als Mitarbeiterinnen der Beigeladenen zu 1) tätig zu werden. Ihre monatliche Vergütung hierfür betrug je EUR 400,00. Die Beigeladene zu 1 meldete die Beigeladenen zu 2) und 3) als geringfügig Beschäftigte bei der damaligen Bundesknappschaft an. Die Beigeladene zu 1) kündigte die Arbeitsverträge zum 24. Februar 2005.

Am 20. September und 07. November 2005 führte die Beklagte in der Arztpraxis des Klägers eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 01. Januar 2001 bis 31. Dezember 2004 durch. Hierbei wurden unter anderem die genannten Verträge und Lohn- und Gehaltsabrechnungen aus den Jahren 2003 und 2004 ausgewertet. Aus diesen ergab sich, dass die Gehälter der Beigeladenen zu 2) und 3) für ihre Tätigkeit für den Kläger ab April 2003 so vermindert worden waren, dass diese zusammen mit ihrem Gehalt von der Beigeladenen zu 1) auf ein Gesamtnettogehalt kamen, das EUR 50,00 über dem zuvor allein vom Kläger bezogenen Gehalt lag (vgl. Bl. 145 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten). Weiterhin stellte die Betriebsprüferin fest, dass sich Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit der Beigeladenen zu 2) und 3) ab dem 01. April 2003 nicht verändert hatten und dass der Kläger in der Vorzeit (Telefax vom 02. Oktober 2002 an seinen Steuerberater) Anweisungen hinsichtlich der Lohnabrechnungen für die Beigeladene zu 1) erteilt hatte. Die Betriebsprüferin stellte sich auf den Standpunkt, der Kläger betreibe "Lohnsplitting".

Nach vorangegangener Anhörung (Schreiben vom 09. November 2005) erließ die Beklagte daraufhin unter dem 06. Februar 2006 einen Bescheid, mit dem sie von dem Kläger restliche Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden LFZG von EUR 12.115,18 für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) und 3) für die Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 01. April 2003 bis zum 31. Dezember 2004 nachforderte. Der Kläger und die Beigeladene zu 1) seien derselbe Arbeitgeber, sodass einheitliche Beschäftigungsverhältnisse vorlägen. Die Arbeitsverträge der Beigeladenen zu 2) und 3) mit dem Kläger hätten (die genannten) Zusätze im Hinblick auf Tätigkeiten für die Beigeladene zu 1) enthalten. Vor dem 01. April 2003 habe der Kläger jeweils das volle Bruttogehalt gezahlt. Aus den Lohnabrechnungen sei nicht ersichtlich, welcher Beschäftigungsanteil (damals) für die Arztpraxis und welcher für die Beigeladene zu 1) geleistet worden sei. Die Arbeitsverträge zwischen der Beigeladenen zu 1) und den Beigeladenen zu 2) und 3) ab dem 01. April 2003 hätten keine genauen Tätigkeitsbeschreibungen aufgeführt. Der Kläger habe im Prüfzeitraum das Direktionsrecht auch über die Beschäftigten der Beigeladenen zu 1) ausgeübt. Die Beigeladenen zu 2) und 3) hätten vom 01. April 2003 bis zum 31. Dezember 2004 keine anderen Tätigkeiten als vor bzw. nach diesem Zeitraum ausgeübt. Die Tätigkeiten seien unter der gleichen Adresse durchgeführt worden. Die Aufgabengebiete hätte sich nicht geändert. Die Benutzung zweier getrennter Betriebsnummern sei kein Indiz für eine zweite Arbeitgebereigenschaft. Der in den Meldungen (zur damaligen Bundesknappschaft) ausgewiesene Tätigkeitsschlüssel (856 - Sprechstundenhelfer) stimme in beiden Fällen mit der Arztpraxis überein. Vor einem anderen Arbeitgeber sei nur dann auszugehen, wenn ein anderer Arbeitsvertrag mit einer anderen rechtlichen Person abgeschlossen worden sei. Dabei komme es gleichzeitig darauf an, dass der andere Arbeitgeber sein Weisungsrecht auch tatsächlich in eigener Verantwortung ausübe. Dies sei nicht der Fall gewesen. Zumindest seit August 2003 sei der Kläger auch Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) gewesen. Aus dem vorliegenden Schriftverkehr sei ersichtlich, dass er (schon zuvor) in Personalangelegenheiten als Arbeitgeber bzw. zeichnungsbefugt aufgetreten sei.

Der Kläger erhob am 27. Februar 2006 Widerspruch. Die Beigeladene zu 1) habe die Pauschalbeiträge für die geringfügigen Beschäftigungen der Beigeladenen zu 2) und 3) ordnungsgemäß abgeführt. Es sei von zwei getrennten Arbeitsverhältnissen auszugehen. Seine Arztpraxis und die Beigeladene zu 1) erfüllten unterschiedliche Aufgaben, die nicht miteinander vermengt werden dürften. Arbeitsrechtlich seien die Beigeladenen zu 2) und 3) auf Grund ihrer Arbeitsverträge mit der Arztpraxis nicht verpflichtet gewesen, für die Beigeladene zu 1) tätig zu werden. Es sei eine klare Trennung zwischen den Tätigkeiten für die Praxis und für die Beigeladene zu 1) gewünscht und erforderlich gewesen. Nachdem der Arbeitsanfall in der Praxis Anfang 2003 eher rückläufig gewesen sei, habe es sich angeboten, den Beigeladenen zu 2) und 3) entsprechende Arbeitsverträge mit der Beigeladenen zu 1) anzubieten. Die Praxis und die Beigeladene zu 1) seien unter derselben Adresse untergebracht, jedoch nicht in den selben Räumlichkeiten. Das Arbeitsentgelt hätten unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten geschuldet. Der Kläger legte einen Grundriss der Räumlichkeiten vor. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04. September 2006 zurück. Sie wiederholte die Ausführungen aus dem Bescheid vom 06. Februar 2006. Ergänzend führte sie aus, aus dem eingereichten Grundriss ergebe sich, dass der Warteraum, die Anmeldung und die sanitären Einrichtungen gemeinsam genutzt würden, da diese Räume nicht doppelt zur Verfügung stünden.

Der Kläger erhob am 05. Oktober 2006 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er hielt an der Ansicht fest, die Tätigkeiten der Beigeladenen zu 2) und 3) für seine Praxis und für die Beigeladene zu 1) seien streng zu trennen. Beides habe er auch getrennt gehalten. Dies habe dazu geführt, dass die Beigeladenen zu 2) und 3) nicht hätten verpflichtet werden können, für die Beigeladene zu 1) zu arbeiten. Die Beigeladene zu 1) und er übten ihre Tätigkeiten in verschiedenen Räumlichkeiten aus, einige würden aber, wie in einer Bürogemeinschaft, auch gemeinsam benutzt. Da der Umfang der bei der Beigeladenen zu 1) anfallenden Tätigkeiten die Anstellung von Vollzeitkräften nicht erfordert habe, der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften auch nur vorübergehend für die Dauer einer von der Beigeladenen zu 1) durchgeführten Studie bestanden habe sowie ferner die Beigeladenen zu 2) und 3) in ihren Tätigkeiten für ihn nicht ausgelastet gewesen seien, seien er und die Beigeladene zu 1) übereingekommen, über die gemeinsame Nutzung bestimmter Räumlichkeiten hinaus auch das bei ihm bereits vorhandene Personal bei der Beigeladenen zu 1) einzusetzen. Beide Arbeitgeber hätten getrennte Buchhaltungen. Es handle sich bei ihnen sowohl aus arbeits- als auch aus steuerrechtlicher Hinsicht um zwei verschiedene Rechtssubjekte. Dies müsse auch bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung anerkannt werden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Beigeladene zu 1) könne nicht eigenständig handeln, sondern übe ihr Direktionsrecht durch den Kläger aus. Aus den während der Betriebsprüfung aufgefundenen Unterlagen ergebe sich, in welcher Höhe der Kläger Einsparungen durch das Lohnsplitting erzielt hätte.

Das SG lud mit Beschluss vom 08. März 2007 die Beigeladenen zu 1) bis 3) bei. Die Beigeladene zu 3) trat der Klage ebenfalls entgegen. Sie schloss sich den Ausführungen des Klägers an. Sie trug ergänzend vor, der Kläger betreibe die Beigeladene zu 1), um weiterführende medizinische Dienstleistungen anzubieten, was ohne Weiteres in der Arztpraxis nicht möglich wäre. Einer Trennung der Arbeitsverhältnisse stehe nicht entgegen, dass die Tätigkeiten von einem Arbeitsplatz aus ausgeübt würden und dass die Arbeiten für die Beigeladene zu 1) grob subsumiert unter den Begriff der medizinischen Dienstleistungen fielen. Eine getrennte Betrachtung liege auch im ihrem Interesse. Sie könne ihr Arbeitsverhältnis aufteilen, etwa den einen Arbeitsvertrag mit dem Kläger kündigen, wenn sie nicht mehr in Vollzeit arbeiten wolle, und nur noch für die Beigeladene zu 1) tätig sein. Da sie sich derzeit in Erziehungszeit befinde und gegebenenfalls später nicht mehr in Vollzeit arbeiten könne, müsse sie zwingend an beiden Arbeitsverhältnissen festhalten. Die beiden übrigen Beigeladenen beteiligten sich nicht am Verfahren.

Mit Urteil vom 10. März 2008 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 06. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. September 2006 auf. Ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis setze voraus, dass die Tätigkeiten für denselben Arbeitgeber ausgeübt würden. Tätigkeiten für verschiedene Arbeitgeber seien dagegen versicherungsrechtlich getrennt zu betrachten. Die Beigeladenen zu 2) und 3) seien für zwei verschiedene Arbeitgeber tätig gewesen. Der Kläger und die Beigeladene zu 1) als juristische Person seien rechtlich voneinander zu trennen. Über die Rechtsfigur der juristischen Person dürfe nicht leichtfertig hinweggegangen werden. Selbst bei einer Ein-Mann-GmbH seien die beteiligten Rechtssubjekte zu unterscheiden, nämlich zum einen die GmbH und zum anderen der Gesellschafter-Geschäftsführer. Dies gelte erst recht, wenn – wie hier seit dem 31. Juli 2003 - mehrere natürliche Personen am Stammkapital der GmbH beteiligt seien. Es könne dahin gestellt bleiben, ob die rechtliche Selbstständigkeit einer GmbH bei einem Missbrauch dieser Rechtsform unbeachtlich wäre. Hier liege kein solcher Missbrauch vor. Der Kläger habe die Beigeladene zu 1) nicht allein zum Zwecke des Lohnsplittings gegründet. Bei den Angeboten der Beigeladenen zu 1) handle es sich offensichtlich um Therapien, die der Kläger vertragsärztlich nicht erbringen und abrechnen dürfe. Es sei nicht zu entscheiden, ob der Kläger den Betrieb der Beigeladenen zu 1) auch als Einzelunternehmen betreiben könne, weil auch andere legitime Gründe für die Gründung einer GmbH, z.B. die Haftungsbegrenzung, sprächen. Der Kläger habe auch nicht lediglich die Lohnnebenkosten in seiner Praxis senken wollen. Dagegen spreche bereits, dass zwischen der Gründung der Beigeladenen zu 1) und dem Beginn der Beschäftigung der Beigeladenen zu 2 und 3 (für die Beigeladene zu 1)) fast fünf Jahre lägen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) und 3) für die Beigeladenen zu 1) tatsächlich nicht stattgefunden habe.

Gegen das Urteil des SG hat die Beklagte am 03. April 2008 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie trägt vor, die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger hätten sich mehrmals mit der Frage beschäftigt, wann eine Tätigkeit für denselben Arbeitgeber vorliege. Von einer Trennung sei auszugehen, wenn ein Arbeitsvertrag mit einer anderen rechtlichen Person abgeschlossen werde. Dabei komme es darauf an, ob der andere Arbeitgeber auch selbstständige Arbeitgeberfunktionen ausübe, also u.a. das Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer ausübe. Entscheidend sei somit die eigenständige Ausübung des Direktionsrechts. Werde dieses wie hier letztlich, ggfs. auch mittelbar, nur von einem Arbeitgeber ausgeübt, liege ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vor. Dies sei zumindest seit 2003, seitdem der Kläger Geschäftsführer (der Beigeladenen zu 1)) geworden sei, gegeben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des SG. Die Beigeladene zu 1) sei eine selbstständige rechtsfähige juristische Person. Wie die Beklagte selbst ausführe, sei von getrennten Beschäftigungsverhältnissen auszugehen, wenn ein anderer Arbeitsvertrag mit einer anderen rechtlichen Person abgeschlossen werde. So sei es hier. Die Beigeladenen zu 2) und 3) seien lediglich für die Dauer einer bestimmten Studie bei der Beigeladenen zu 1) beschäftigt gewesen. Nach deren Abschluss seien die Beschäftigungsverhältnisse mit Kündigungen vom 24. Februar 2005 beendet worden. Dies sei zeitlich vor der Betriebsprüfung gewesen. Die Beigeladenen zu 2) und 3) seien die einzigen Mitarbeiterinnen gewesen, die zeitweise von der Beigeladenen zu 1) gesondert bezahlt worden seien. Das Geld hierfür habe aus dem Mehrertrag einer Studie gestammt.

Der Berichterstatter des Senats hat mit Beschluss vom 03. März 2009 zusätzlich die Beigeladenen zu 4) bis 8) (die betroffenen Kranken- und Pflegekassen sowie die Bundesagentur für Arbeit) beigeladen. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Ferner hat der Berichterstatter die Beigeladenen zu 2) und 3) schriftlich (Schreiben vom 27. Juli 2008 und 19. September 2008) und sie sowie den Kläger mündlich angehört. Wegen der Anhaben des Klägers und der Beigeladenen zu 2) und 3) im Einzelnen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 24. November 2009 verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber nicht begründet. Das angegriffene Urteil ist nicht zu beanstanden. Ebenso wie das SG ist der Senat der Auffassung - auch nach der schriftlichen und persönlichen Anhörung der Beigeladenen zu 2) und 3) im Berufungsverfahren -, dass die Anfechtungsklage des Klägers (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) zulässig und begründet ist, dass die Beklagte also von dem Kläger keine zusätzlichen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden LFZG für die Beigeladenen zu 2) und 3) für die Zeit vom 01. April 2003 bis 31. Dezember 2004 nachfordern kann.

1. Die Beklagte war für den Erlass des angefochtenen Bescheids zuständig. Die Beklagte ist nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen von Prüfungen bei den Arbeitgebern nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

2. Der Kläger schuldet keine zusätzlichen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden LFZG für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) und 3) für die streitige Zeit.

a) Gemäß § 28d Satz 1 SGB IV werden die Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten oder Hausgewerbetreibenden sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung (Satz 2). Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber zu zahlen (vgl. § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Versicherungspflichtig sind in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V), in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI), in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB III) und in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung werden nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden § 14 Abs. 1 LFZG durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht.

b) Die Beigeladenen zu 2) und 3) waren in der streitigen Zeit auch in ihrer zusätzlichen Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) abhängig beschäftigt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch inhaltlich nicht zu bezweifeln.

c) Arbeitgeber der Beigeladenen zu 2) und 3) in dieser Tätigkeit war jedoch nicht der Kläger, sondern die Beigeladene zu 1). Nur diese wäre - ggfs. - verpflichtet, zusätzliche Gesamtsozialversicherungsbeiträge (statt der gezahlten Pauschalbeiträge) nachzuentrichten, wenn die Tätigkeit nicht geringfügig war oder die Beigeladenen zu 2) und 3) neben ihrer Hauptbeschäftigung für den Kläger und die eine geringfügige Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) noch weitere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu anderen Arbeitgebern ausgeübt hätten (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB IV).

aa) Wer Arbeitgeber eines Beschäftigten ist, ist grundsätzlich formal zu bestimmen. Es ist die jeweilige natürliche oder juristische Person, die mit dem Beschäftigten den der Beschäftigung zu Grunde liegenden Arbeitsvertrag (§§ 145 ff., 611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -) geschlossen hat und das darin verankerte Dispositionsrecht (§ 315 BGB) ausübt, ggfs. durch ihre Organe oder sonstigen Vertreter.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Februar 1983 (12 RK 26/81, SozR 2200 § 168 Nr. 7), auf das sich die Beklagte im Widerspruchsbescheid gestützt hat, ist von einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis - nur - auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer bei demselben Arbeitgeber gleichzeitig mehrere Beschäftigungen ausübt. In diesem Urteil hatte das BSG entschieden, dass mehrere Beschäftigungsverhältnisse bei der selben natürlichen Person als einheitliches Beschäftigungsverhältnis gelten, und zwar unabhängig von ihrem Inhalt. Auch dies deutet auf eine formale Betrachtungsweise hin (ebenso Bayerisches LSG, Beschluss vom 09. Juni 2005, L 5 KR 113/04, veröffentlicht in Juris). Folgerichtig hat das BSG - in anderen Zusammenhängen - betont, dass die zivilrechtliche Anerkennung juristischer Personen - selbst bei Ein-Mann-GmbHs - hinzunehmen sei und dass diese Selbstständigkeit nicht leichtfertig überspielt bzw. "hinwegfingiert" werden dürfe (SozR 4-2600 § 2 Nr. 7).

Auch der Senat folgt dieser formal-rechtlichen und nicht etwa einer wirtschaftlich orientierten Betrachtungsweise. Grundlage der sozialrechtlichen Figur des Beschäftigungsverhältnisses ist das Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Daher sind die zivilrechtlichen Entscheidungen grundsätzlich auch im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit hinzunehmen. Es wäre den Prüf- und auch den Einzugsstellen auch kaum möglich, in jedem Einzelfall zu überprüfen, welchen genauen Inhalt der Gesellschaftsvertrag einer GmbH hat und wer zurzeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter Arbeitgeberfunktionen ausübt, um herauszufinden, wer "wirtschaftlich" der Arbeitgeber eines bei der GmbH Beschäftigten ist. Die Ermittlungen über die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der einzelnen Gesellschafter bereiten nicht nur erhebliche Schwierigkeiten, sondern bieten auch hinsichtlich des Ergebnisses häufig Anlass zu Meinungsverschiedenheiten (vgl. BSG SozR 2200 § 723 Nr. 4). Besondere Ausnahmefälle, in denen trotz einer rechtlichen Trennung zwischen zwei Arbeitgebern aus wirtschaftlichen Gründen ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis anzunehmen ist, können mit der Figur des Formenmissbrauchs, die auch das Zivil- und Handelsrecht anerkennt, erfasst werden (dazu sogleich).

bb) Ein solcher Formenmissbrauch, in dem aus dem alle Rechtsgebiete beherrschenden Rechtsgedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Gesellschafter einer GmbH selbst als Arbeitgeber eines bei der GmbH Beschäftigten anzusehen ist, liegt nur in den Fällen der zivilrechtlichen "Durchgriffshaftung" vor. Nur bei einer solchen Rechtslage bleibt gewährleistet, dass das zivilrechtliche Arbeits- und das sozialrechtliche Beschäftigungsverhältnis so weit wie möglich gleich behandelt werden. Die zivil- und handelsrechtliche Rechtsprechung lässt einen solchen Durchgriff im Wesentlichen nur zu, wenn die Berufung auf die Selbstständigkeit der juristischen Person mit Treu und Glauben unvereinbar ist, weil diese Rechtsfigur missbraucht oder dem Zweck der Rechtsordnung zuwider verwendet worden ist. Dies kann in Fällen der Gläubigertäuschung, der ungerechtfertigten Vermögensverschiebung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft und der Unterkapitalisierung der Gesellschaft der Fall sein (vgl. BSG SozR 4-2600 § 2 Nr. 7 m.w.N.). In allen Fällen ist - wie immer in den Fällen des zivilrechtlichen Treuwidrigkeitsvorwurfs - Vorsatz notwendig. Außerdem erfasst die Durchgriffshaftung meist Fälle der Benachteiligung einzelner Gläubiger oder der Gläubigergefährdung allgemein.

cc) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die Beigeladene zu 1) war eine wirksam gegründete und im Handelsregister eingetragene GmbH. Sie hatte die zusätzlichen Arbeitsverträge mit den Beigeladenen zu 2) und 3) geschlossen. Der Kläger dagegen - als Arbeitgeber der anderen Beschäftigungsverhältnisse - ist eine freiberuflich tätige natürlich Person. Angesichts der beschriebenen formalen rechtlichen Betrachtungsweise ist es daher unerheblich, dass sich die Tätigkeiten der Beigeladenen zu 2) und 3) für den Kläger einer- und für die Beigeladene zu 1) andererseits inhaltlich nicht unterschieden (Betreuung der jeweiligen Patienten) und auch an der selben Arbeitsstelle und zu denselben Arbeitszeiten ausgeübt wurden.

Ebenso wie das SG ist auch der Senat der Ansicht, dass hier eine missbräuchliche Verwendung der GmbH-Form noch nicht vorliegt, sodass auch ausnahmsweise der Kläger nicht als wirklicher Arbeitgeber in den zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen angesehen werden kann. Für eine echte Benachteiligung oder Gefährdung von Gläubigern (des Klägers) ist nichts ersichtlich. Auch eine Täuschung irgendeiner Art liegt nicht vor. Vielmehr hatte der Kläger bereits in seinen eigenen Arbeitsverträgen mit den Beigeladenen zu 2) und 3) darauf hingewiesen, dass etwaige Nebentätigkeiten für die Beigeladene zu 1) auf Grund eines gesonderten Arbeitsvertrags und mit eigener Vergütung erfolgen sollten. Warum dies vor dem 01. April 2003 nicht geschehen war, ist nicht geklärt, ggfs. wäre aber die Handhabung vor diesem Datum fehlerhaft gewesen. Auch ein vorsätzliches Handeln kann nicht unterstellt werden. Vor allem aber war die Beigeladene zu 1) im Streitzeitraum nicht als "klassische" Ein-Mann-GmbH anzusehen: Bis zum 30. Juni 2003 war nicht der Kläger, sondern der bei ihm angestellte Physiotherapeut alleiniger Geschäftsführer und übte insoweit das Weisungsrecht gegenüber den Beigeladenen zu 2) und 3) aus. Und ab dem 01. Juli 2003 war zwar der Kläger Alleingeschäftsführer, aber nicht mehr Alleingesellschafter der Beigeladenen zu 1). Ganz unabhängig davon vermag der Senat noch legitime Interessen des Klägers für die Gründung der GmbH und die zu Beschäftigung der Beigeladenen zu 2) und 3) dort zu erkennen: Die Beigeladene zu 1) bot nach ihrem Unternehmensgegenstand Therapien an (biologische Therapien, Psychotherapie), die der Kläger als niedergelassener Arzt möglicherweise im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit nicht hätte erbringen dürfen (vgl. § 3 Abs. 2 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg [BWBOÄ] i.d.F. d. Bek. v. 19. September 2007, http://www.aerztekammer-bw.de/20/arztrecht/05kammerrecht/bo.pdf, abgerufen am 29. März 2010). Gegenüber den Patienten der Beigeladenen zu 1) musste nicht nach den (vertrags- oder privat-)ärztlichen Abrechnungsvorschriften abgerechnet werden, sodass ggfs. auch die Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) und 3) den Patienten gesondert in Rechnung gestellt werden konnte.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsrechtszugs beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), hinsichtlich der Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO. Anders als in der ersten Instanz erschien auch eine Kostenerstattung zu Gunsten der - anwaltlich vertretenen - Beigeladenen zu 3) nicht billig, nachdem sie in der Berufungsinstanz keine Anträge gestellt hat (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 197a Rn. 29).

4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich, nachdem der Senat seiner Entscheidung die genannten Urteile des BSG zu Grunde gelegt hat.

5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 SGG, §§ 1 Nr. 4, 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Die Beklagte verteidigte hier ihren Bescheid vom 06. Februar 2006, mit dem sie zusätzliche Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 12.115,18 gegen den Kläger geltend gemacht hatte. Dieser Betrag bestimmt den Streitwert.
Rechtskraft
Aus
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