L 6 SB 4468/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 3727/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4468/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.08.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1942 geborene Klägerin begehrt die Feststellung, dass bei ihr schon seit 01.11.2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorlag.

Am 19.12.2005 beantragte sie die Feststellung ihres GdB rückwirkend zum 01.11.2000, damit sie ihre Altersrente ohne Abschläge in Anspruch nehmen könne. Zur Begründung machte sie den Verlust der dritten Zehe an beiden Füßen, eine Migräne, Zittern des Kopfes, Arthrose, Hypertonus mit Linksherzhypertrophie und eine Schilddrüsenerkrankung geltend. Die behandelnde Hausärztin Dr. B. berichtete dem Landratsamt Sch. (LRA) unter dem 18.07.2006, in erster Linie handle es sich um einen Zustand nach Strumektomie, der medikamentös substituiert werde. Daneben bestehe ein arterieller Hypertonus, der ebenfalls medikamentös behandelt werde. Aktuelle Blutdruckwerte, ein Labordatenblatt und der Arztbrief der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses C. vom 15.05.2006 waren beigefügt. Gestützt auf die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme von Dr. L. vom 15.08.2006 stellte das LRA mit Bescheid vom 23.08.2006 den GdB der Klägerin seit 19.12.2005 mit 30 fest. Hierbei berücksichtigte es eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks und eine Polyarthrose sowie den Bluthochdruck jeweils mit GdB-Sätzen von 20.

Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch rügte die Klägerin, das LRA habe Dr. B. nicht gezielt nach Befunden aus der Zeit vor dem 01.11.2000 befragt. Sie benannte ferner den Augenarzt Dr. H. und den Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Arzt Dr. Sch. als behandelnde Ärzte. Auf die Rückfrage des LRA teilte Dr. B. unter dem 27.03.2007 mit, zu den von der Klägerin angegebenen Diagnosen Migräne, Arthritis/Arthrose könne sie nur wenig Angaben machen. Die Klägerin habe sich seit 2000 wegen Rückenschmerzen im Juli 2003 und März 2005, wegen Beinschmerzen im Dezember 2005 und wegen Beschwerden im Halswirbelsäulen(HWS)-Bereich mit Schwindelattacken im Sommer 2006 in ihrer Behandlung befunden. Beigefügt war der Arztbrief des Chirurgen Dr. Sch. vom 07.05.2005 (HWS-Brustwirbelsäulen[BWS]-Syndrom). Die HNO-Ärzte Dr. Sch./G. teilten unter dem 29.10.2007 mit, bei der Klägerin liege eine auf Grund der Untersuchung am 19.02.1999 erhobene gering- bis mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits vor. Im Februar 1999 habe sie über einen seit einem Jahr bestehenden Tinnitus links berichtet, mit dem sie aber gut zurecht komme. Über Schwindel habe sie nicht geklagt. Die Augenärztin Dr. Pf. teilte dem Beklagten das Sehvermögen bei den Untersuchungen am 18.12.2003 und 23.06.2005 (rechts 0,4 bzw. 0,5, links jeweils 0,8 bei beginnender Linsentrübung) mit. In der vä Stellungnahme vom 08.01.2008 wurden daraufhin neben der Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks und der Polyarthrose und dem Bluthochdruck noch degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30), Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Teil-GdB 20) und Sehminderung (Teil-GdB 10) berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 50 eingeschätzt. Hierauf gestützt setzte das LRA den GdB der Klägerin mit dem Abhilfebescheid vom 09.01.2008 seit 07.03.2005 mit 50 fest. Nachdem die Klägerin noch angeregt hatte, von den behandelnden Ärzten Befunde aus den Jahren 1993 bis 2000 beizuziehen und außerdem ein Kopfzittern geltend gemacht hatte, dessentwegen sie bei der Nervenärztin Dr. C. in Behandlung gewesen sei, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Übrigen mit dem Widerspruchsbescheid vom 03.11.2008 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 17.11.2008 Klage bei dem Sozialgericht Heilbronn (SG). Sie trug vor, zur Aufklärung des Sachverhalts seien weitere Ermittlungen erforderlich.

Der Beklagte trat der Klage entgegen.

Auf die Anfrage des SG gab der Arzt für Neurologie und Psychiatrie B. zunächst an, die Klägerin sei noch nie in seiner Behandlung gewesen. Im April 2009 gab er an, die Klägerin sei nur zweimal (am 07.04.1999 und am 16.11.2005) bei seiner Praxisvorgängerin Dr. C. in Behandlung gewesen. Aufgrund der Aktenlage könne er keine Aussage machen und Befunde lägen nicht vor. Das SG hörte den Chirurgen Dr. Sch. sowie Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. Sch. legte im März 2009 eine Aufstellung seiner Untersuchungstermine ab 17.05.1993 und der daraufhin eingeleiteten Therapien vor, die sich fast ausschließlich auf die beiden unteren Extremitäten, insbesondere auf das rechte Kniegelenk bezogen. Dr. B. legte unter dem 06.04.2009 ebenfalls eine Aufstellung ihrer Konsultationsdaten ab 17.02.1993 vor und merkte hierzu an, weitere Angaben könnten auf Grund der Aktenlage nicht mehr gemacht werden.

Die Klägerin trug hierzu vor, nunmehr sei nachgewiesen, dass bei ihr seit 19.02.1999 wegen Schwerhörigkeit mit Tinnitus ein Teil-GdB von 20, wegen eines Bluthochdrucks ein Teil-GdB von 20 seit 16.03.1993 und wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen, welche ausweislich der Auskunft von Dr. B. bereits seit 1993 vorlägen, ein Teil-GdB von 30 vorliege. Bei unabhängig nebeneinander stehenden Werten von 30, 20 und 20 sei ein Gesamt-GdB von 50 möglich. Sie legte zuletzt noch das an ihren Prozessbevollmächtigten gerichtete Schreiben Dr. Z. vom 30.07.2009 vor, wonach der Gemeinschaftspraxis Dres. Z., Brix und Fetzer aus der Zeit vor dem 01.11.2000 keine Befunde bzw. Facharztberichte mehr vorlägen.

Der Beklagte legte die vä Stellungnahme Dr. Wolfs vom 18.05.2009 vor.

Mit Urteil vom 20.08.2009 - dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 25.09.2009 - wies das SG die Klage ab. Unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Befunde sei die Klägerin im November 2000 nicht schwerbehindert gewesen. Bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft treffe der Beklagte eine Statusentscheidung, die generell nur für die Zukunft wirke. Eine nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) auf den Zeitpunkt der Antragstellung beschränkte Rückwirkung trage dem Interesse der behinderten Menschen daran Rechnung, dass sie nicht durch die Dauer eines Verwaltungsverfahrens unzumutbar beeinträchtigt würden. Die weitere Rückwirkung, wie sie in § 6 Abs. 1 Satz 2 SchwbAwV vorgesehen sei, müsse auf offenkundige Fälle beschränkt bleiben, in denen auch bei Anwendung des § 44 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung gebieten könnte (Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.05.1991 - 9 a /9 RVs 11/89). Hier sei jedoch nicht offenkundig, dass die Klägerin bereits vor dem vom Beklagten angenommenen Zeitpunkt des 07.03.2005 schwerbehindert gewesen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.09.2009 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, von Anfang an habe das LRA seine Ermittlungen mit einer falschen Fragestellung betrieben. Nach ihren Informationen müssten Hausärzte eingelaufene Facharztberichte mindestens 10 Jahre lang aufbewahren. Es stelle sich die Frage, welche Rechtsfolgen es habe, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkämen. Hinsichtlich des von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie B. mitgeteilten Arztbesuchs vom 07.04.1999 bei Dr. C. könnte man von der AOK in C. die Diagnose erfahren. Zu Unrecht sei das SG im Übrigen davon ausgegangen, ein besonderes Interesse an der Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit vor dem 07.03.2005 sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Hierzu habe sie in ihrem Schreiben an das SG vom 17.08.2009 hinreichend vorgetragen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.08.2009 aufzuheben, die Bescheide des Landratsamts Schwäbisch Hall vom 23.08.2006 und 09.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihren GdB ab 01.11.2000 mit 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das SG habe den vorliegenden Sachverhalt im angefochtenen Urteil zutreffend gewürdigt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch und den GdB aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Seit 01.01.2009 sind hierbei die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 30 Abs. 17 BVG erlassenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 1 BVG) anzuwenden. Da die Klägerin eine Entscheidung über ihren GdB ab 01.11.2000 begehrt, sind hier jedoch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", Ausgabe 1996 (AHP) heranzuziehen. Im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten orientiert sich der Senat an den Bewertungsmaßstäben, welche darin niedergelegt sind. Die AHP haben zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken. Sie haben deshalb normähnliche Auswirkungen und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB oder eines Nachteilsausgleichs. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Ebenso wie - konkludent - der Beklagte und das SG bejaht auch der Senat ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, ihren GdB rückwirkend für die Zeit ab 01.11.2000 feststellen zu lassen. Denn nur wenn die Klägerin am Stichtag des 16.11.2000 schwerbehindert im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX war, hat sie gemäß § 236 a Abs. 4 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß § 236 a SGB VI an Stelle ihrer nur mit Abschlägen bewilligten Altersrente für Frauen nach § 237 a SGB VI. Anders als das SG lässt der Senat offen, ob die weitere Rückwirkung des Antrages in die Zeit vor der Antragstellung, wie sie in § 6 Abs. 1 Satz 2 SchwbAwV vorgesehen ist, auf offenkundige Fälle zu beschränken ist. In diesem Sinne hat sich zwar das BSG in seiner Entscheidung vom 29.05.1991 - 9a / 9 RVs 11/89 = SozR 3 - 1300 § 44 Nr. 3 geäußert. Diese Auffassung ist jedoch in der Literatur auf Kritik gestoßen (vgl. Steinecker, Behindertenrecht 2006, 98, 99 und Dau, Juris PR-SozR 12/2009 Anmerkung 6), welche das BSG nach den Ausführungen von Dau aaO im Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH als "beachtlich" angesehen hat.

Die Berufung führt aber letztlich deshalb nicht zum Erfolg, weil sich auch nach Durchführung aller nach Sachlage gebotener Ermittlungen nicht feststellen lässt, dass die Klägerin schon in der Zeit ab 01.11.2000 schwerbehindert mit dem hierfür erforderlichen GdB von 50 war. Entsprechend dem Grundsatz, dass jeder Prozessbeteiligte im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen, trägt die Klägerin hierfür die sogenannte objektive Beweislast. Hierbei kommen ihr auch keine Beweiserleichterungen wie z. B. bei der Feststellung des Kausalzusammenhangs in der gesetzlichen Unfallversicherung und im Sozialen Entschädigungsrecht zugute. Für das Vorliegen der die Schwerbehinderteneigenschaft begründenden Funktionseinschränkungen ab 01.11.2000 ist deshalb eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Urteil vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3 - 3900 § 15 Nr. 4).

Zutreffend hat im vorliegenden Fall der Beklagte mit dem Abhilfebescheid vom 09.01.2008 einen GdB von 50 für die Zeit ab 07.03.2005 festgestellt. Hierfür waren vor allem die Funktionseinschränkungen von Seiten der HWS und BWS erheblich, welche der Chirurg Dr. Sch. in dem von Dr. B. übersandten Arztbrief vom 07.03.2005 auf Grund seiner an diesem Tag durchgeführten klinischen und röntgenologischen Untersuchung der Klägerin beschrieben hat, die in der vä Stellungnahme vom 08.01.2008 mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden sind. Die diesbezüglichen Beschwerden waren offensichtlich erst im März 2005 so erheblich, dass sie Dr. B. zum Anlass genommen hat, die Klägerin an den Chirurgen Dr. Sch. zu überweisen. Ausweislich des Befundberichts von Dr. B. vom 27.03.2007 befand sich die Klägerin zuvor nur einmal im Juli 2003 wegen Rückenschmerzen bei ihr in Behandlung. Als sachverständige Zeugin hat Dr. B. diese Angaben zwar unter dem 06.04.2009 dahingehend ergänzt, dass sich die Klägerin vor dem Jahr 2000 schon am 29.03. und am 01.06.1993 wegen Schmerzen im Bereich der HWS und der Schulter, am 09.01.1997 wegen Wirbelsäulenbeschwerden und am 19.02.1999 wegen Beschwerden in der LWS bei ihr vorgestellt hat. Offensichtlich hielt sie jedoch deswegen noch keine Überweisung an einen Chirurgen oder Orthopäden für erforderlich. Dass die Wirbelsäulenbeschwerden vor dem Jahr 2000 nicht sehr erheblich waren, ergibt sich für den Senat auch aus der Aufstellung Dr. Sch.s vom März 2009, in der Behandlungen der Klägerin im Zeitraum vom 17.05.1993 bis 1999 lediglich im Bezug auf die beiden unteren Extremitäten, insbesondere auf das rechte Kniegelenk dokumentiert sind. Im Befund vom 12.03.1999 heißt es beiläufig: "Wirbelsäule frei". Nach der Nr. 26.18 der AHP 1996 waren jedoch Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 20 und erst Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 30 und solche mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Wie schon das SG zutreffend ausgeführt hat, liegen für die Zeit vor März 2005 keine aussagekräftigen Befundparameter vor, welche die Bejahung eines diesbezüglichen GdB von mehr als 10 zulassen.

Inwieweit die Klägerin im November 2000 durch ein "Kopfzittern" beeinträchtigt war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Nach ihren eigenen Angaben ist die Klägerin deswegen von der Nervenärztin Dr. C. behandelt worden. Diese hat jedoch inzwischen ihre Praxis an den Arzt für Neurologie und Psychiatrie B. abgegeben, der auf Grund der übernommenen Akten und Unterlagen keine Aussage über die damaligen Befunde und den Erfolg der daraufhin durchgeführten Behandlung machen konnte. Die von der Klägerin vorgeschlagene Anfrage bei der AOK in C. ist nicht erfolgsversprechend, weil die Klägerin selbst nicht geltend gemacht hat, wegen ihres Kopfzitterns arbeitsunfähig krank gewesen zu sein und Diagnosen in den Erkrankungsverzeichnissen der gesetzlichen Krankenkassen nur bei bestehender Arbeitsunfähigkeit angegeben werden.

Weitere Ermittlungsmöglichkeiten vermag der Senat ebenso wenig wie das SG zu erkennen. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, welche Rechtsfolgen es habe, wenn Hausärzte bei ihnen "eingelaufene" Facharztberichte nicht mindestens 10 Jahre lang aufbewahrten, ist mit dem Hinweis auf die oben dargelegte objektive Beweislast der Klägerin zu beantworten. Die Frage, ob die Klägerin zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen behandelnde Ärzte wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag hat, steht im vorliegenden Rechtsstreit nicht zur Debatte.

Ob die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks und die Polyarthrose schon im November 2000 einen GdB von 20 und ob dieselbe Bewertung hinsichtlich des in der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. B. vom 06.04.2009 dokumentierten labilen arteriellen Hypertonus sowie hinsichtlich der von Dr. Sch. berichteten gering- bis mittelgradigen beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen gerechtfertigt war, kann letztlich offen bleiben, weil ein Gesamt-GdB von 50 aufgrund dieser Funktionseinschränkungen nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so dürfen diese nach Nr. 19 der AHP 1996 ebenso wie jetzt nach Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht addiert werden. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Danach kann der bei der Klägerin im November 2000 vorliegende GdB nicht höher als mit 40 eingeschätzt werden. Eine entsprechende Feststellung hat die Klägerin nicht beantragt; hierfür hätte auch kein Rechtsschutzbedürfnis bestanden.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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