L 8 SB 5912/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3261/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5912/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. November 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Mit Bescheid vom 16.01.2004 stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) bei der 1947 geborenen Klägerin unter Berücksichtigung einer seelischen Störung, Depression, eines Bluthochdrucks, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einer Fettstoffwechselstörung und eines chronischen Ekzems einen GdB von 20 seit 01.08.2003 fest. Dieser Entscheidung lag hauptsächlich der Behandlungsbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin J. vom 29.10.2003 zugrunde. Der von der Klägerin dagegen eingelegte Widerspruch, mit dem sie einen GdB von mindestens 50 geltend machte, hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28.05.2004).

Am 22.03.2006 stellte die Klägerin beim VA einen weiteren Antrag und verwies zur Begründung auf psychosomatische Störungen und einen Bluthochdruck. Das VA wertete den Antrag der Klägerin als Neufeststellungsantrag und holte von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. einen Befundbericht ein. Diese berichtete unter dem 07.04.2006 von einer Dysthymie und einer rezidivierenden depressiven Störung (mittelgradige Episode). Seit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes im Juni 2002 habe die depressive Verstimmtheit zugenommen. Die Erkrankung ihres Ehemannes belaste sie erheblich. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme, in der die seelische Störung, Depression nunmehr mit einem GdB von 30 bewertet und insgesamt ebenfalls ein GdB von 30 angenommen wurde, erließ das inzwischen zuständige Landratsamt Rems-Murr-Kreis am 24.05.2006 - bei unveränderter Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen - einen entsprechenden Neufeststellungsbescheid (GdB 30 seit 22.03.2006).

Dagegen legte die Klägerin am 21.06.2006 Widerspruch ein und brachte vor, eine aktuelle und vollständige Überprüfung ihres Gesundheitszustandes sei nicht erfolgt. Mit Ausnahme der kurzen handschriftlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 07.04.2006 datierten alle anderen ärztlichen Unterlagen aus dem Jahr 2003 und spiegelten daher nicht ihren aktuellen Gesundheitszustand, der sich signifikant verschlechtert habe, wider. Es seien daher aktuelle Befunde bei den behandelnden Ärzten einzuholen. Das LRA befragte den Orthopäden Dr. S., Dr. L. und die Fachärztin für Allgemeinmedizin J ... Dr. S. teilte am 21.08.2006 als Diagnose ein dorsolumbales Schmerzsyndrom und röntgenologisch eine milde linkskonvexe Skoliose mit bei ansonsten altersentsprechend unauffälligem radiologischem Befund. Dr. L. wiederholte in ihrem Bericht vom 21.08.2006 ihre Angaben vom 07.04.2006. Ihre Hausärztin J. schilderte am 30.10.2006 den Krankheits- und Behandlungsverlauf und gab an, sie habe die Klägerin vom 26.04.2002 bis 21.04.2006 regelmäßig quartalsmäßig behandelt. Mittlerweile habe sie einen anderen Hausarzt. Der von der Klägerin als neuer Hausarzt benannte Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. teilte am 01.12.2006 unter Vorlage weiterer Untersuchungsberichte (Dr. S. und HNO-Arzt Dr. D.) und des Ergebnisses (Profil) der am 10.10.2006 erfolgten Langzeitblutdruckmessung mit, bei der Klägerin liege eine nicht sicher stabil einstellbare Hypertonie mit Blutdruckspitzen bis 200 (systolisch) ohne krisenhafte Entgleisungen und ein chronisch rezidivierendes Handekzem, das mit topischen Präparaten behandelt werde, vor. Nachdem der hierzu sich äußernde Versorgungsarzt keinen Grund für eine Änderung der bisherigen Beurteilung sah, wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2007 den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin sei mit der Erhöhung des GdB von 20 auf 30 ausreichend Rechnung getragen worden. Ein höherer GdB sei nicht gerechtfertigt.

Am 24.04.2007 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der sie einen GdB von mindestens 50 geltend machte. Sie brachte vor, ihr seelisches Leiden, das sie erheblich beeinträchtige, sei mit einem GdB von mindestens 50, ihr Wirbelsäulenleiden mit einem GdB von 20, das bei ihr vorliegende chronisch rezidivierende Handekzem, das regelmäßig an beiden Händen auftrete und jeweils längere Zeit anhalte, mit einem GdB von 20 bis 30 und die chronisch-rezidivierenden Magenbeschwerden mit einem GdB von 10 zu bewerten. Daraus folge, dass ein GdB von insgesamt mindestens 50 vorliege.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und machte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.05.2008 geltend, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 30 angemessen bewertet seien.

Das SG hörte Dr. L. und Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. L. gab am 15.11.2007 an, die von ihr im Laufe der Behandlung erhobenen Befunde stimmten im Wesentlichen mit denjenigen überein, die in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.12.2006 niedergelegt seien. Sie schließe sich auch der Beurteilung des GdB durch den Beklagten an. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehe kein weiterer Klärungsbedarf. Dr. K. nannte am 21.12.2007 unter Beifügung weiterer ärztlicher Unterlagen die von ihm seit Behandlungsbeginn im August 2006 gestellten Diagnosen und gab an, die Blutdruckeinstellung habe sich eher verschlechtert und die Wirbelsäulensymptomatik habe deutlich zugenommen. Ferner sei eine zunehmende Betonung der depressiven Symptome (mittlerweile mittelgradige Ausprägung) zu verzeichnen. Beherrschend sei die Wirbelsäulensymptomatik und in zweiter Linie die zunehmende depressive Symptomatik.

Mit Urteil vom 06.11.2008 wies das SG die Klage ab. Ein GdB von 50 - wie von der Klägerin geltend gemacht - könne nicht angenommen werden. Hierfür fehle auch angesichts der im gerichtlichen Verfahren eingeholten Arztauskünfte jedweder konkreter Anhaltspunkt. Der klägerische Hinweis auf eine Multimorbidität, der zudem befundmäßig nicht weiter substantiiert worden sei, könne den Nachweis des hierfür erforderliche Umfangs der Funktionsbeeinträchtigungen nicht ersetzen.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 25.11.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.12.2008 Berufung eingelegt, mit der sie an ihrem Ziel festhält. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht ergänzend geltend, die Angaben von Dr. K. vom 21.12.2007 gegenüber dem SG enthielten einen eindeutigen Hinweis auf eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes. Die bislang eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte böten noch keine ausreichende Grundlage für die Bewertung der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen und die Bildung des Gesamt-GdB. Obwohl Dr. K. die Wirbelsäulenproblematik als beherrschenden Schwerpunkt ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen bezeichnet habe, sei auf diesem Fachgebiet noch keine Untersuchung erfolgt. Auch eine im Hinblick auf den geltenden Amtsermittlungsgrundsatz erforderliche zusammenhängende und zielorientierte fachmedizinische Untersuchung sei im Laufe des gesamten Verfahrens nicht durchgeführt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. November 2008 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen, hilfsweise nach § 109 SGG ein Gutachten gemäß Schriftsatz vom 24. Februar 2010 einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den Orthopäden Dr. H. und Dr. L. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. H. hat am 28.05.2009 ausgeführt, auf orthopädischem Fachgebiet liege ein Halswirbelsäulensyndrom und ein generalisiertes Wirbelsäulenleiden vor. Im Bereich der Halswirbelsäule sei ein Bewegungsdefizit mit Myogelosen nachweisbar. Ebenso finde sich ein Druck- und Rotationsschmerz über der Hals- und Lendenwirbelsäule. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule betrage für Seitneigung rechts/links je 30 ° und für Rotation je 35 °. Ferner finde sich ein Senkfuß rechts und links. Hierdurch komme es zu einer Überlastungssymptomatik, insbesondere an der rechten unteren Extremität. Dr. L. hat am 29.06.2009 angegeben, sie sei von der Klägerin vom 14.12.2007 bis 08.04.2009 fünfmal konsultiert worden. Sie stimme sowohl den in den Akten des Beklagten niedergelegten Befunden als auch der Beurteilung des GdB auf ihrem Fachgebiet zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der von der Klägerin angegriffene Neufestellungsbescheid des Beklagten ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 24.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2007, mit dem der Beklagte wegen wesentlicher Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin den GdB von bisher 20 auf 30 erhöht, eine weitergehende Erhöhung aber abgelehnt hat. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass eine Erhöhung des GdB auf mindestens 50 gerechtfertigt sei.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" 2004 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) nun heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Beurteilungsgrundsätze der AHP zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet sind. Der Senat kommt unter zusätzlicher

Berücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen keinen höheren GdB als 30. Diese Beurteilung des Senats gründet sich im Wesentlichen auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte und die im Berufungsverfahren als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin Dr. H. und Dr. L ...

Eine Würdigung der genannten Angaben und der weiteren ärztlichen Unterlagen ergibt, dass die Klägerin vor allem durch ihr psychisches Leiden beeinträchtigt ist. Hinzu kommen noch - in wesentlich geringerer Ausprägung - die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, ein Bluthochdruck, ein chronisches Handekzem und eine Fettstoffwechselstörung.

Bei der Klägerin liegt eine psychische Beeinträchtigung (seelische Störung, Depression) vor, die mit einem GdB von 30 nicht zu niedrig bewertet ist. Hierbei handelt es sich um eine stärker behindernde psychische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die nach Teil B Nr. 3.7 der VG mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten ist. Diesem vorgegebenen Rahmen entspricht die Bewertung durch den Beklagten, der einen GdB von 30 angenommen hat. Gründe, den vorgegebenen Bewertungsrahmen nach oben auszuschöpfen (GdB 40), sieht der Senat nicht, zumal die die Klägerin behandelnde Nervenärztin Dr. L. den vom Beklagten zugrunde gelegten Befunden und der Beurteilung des GdB sowohl am 15.11.2007 gegenüber dem SG als auch am 29.06.2009 im Berufungsverfahren zugestimmt hat. Hinzu kommt noch, dass sich die Klägerin nach den Angaben von Dr. L. im Zeitraum vom 14.12.2007 bis 08.04.2009 nur fünfmal in deren Behandlung begeben hat. Eine so relativ geringe Behandlungshäufigkeit in einem Zeitraum von fast 16 Monaten bei einem Leiden, das eigentlich eine laufende, in kurzen Abständen erfolgende ärztliche Behandlung notwendig macht, spricht jedenfalls gegen ein stärkeres, einen GdB von 40 bedingendes Ausmaß der Störung. Soweit die Klägerin geltend macht, ihr seelisches Leiden, das sie erheblich beeinträchtige, bedinge einen GdB von mindestens 50, kann ihr nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass sie sich hierfür auf keine ärztliche Einschätzung stützen kann, würde dies nach Teil B Nr. 3.7 der VG schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdB 50 bis 70) voraussetzen, die bei der Klägerin nicht vorliegen.

Ferner liegt bei der Klägerin eine Wirbelsäulenerkrankung vor, die in einem Halswirbelsäulensyndrom und einem generalisierten Wirbelsäulenleiden zum Ausdruck kommt. Nach den Angaben von Dr. H. vom 28.05.2009 gegenüber dem Senat ist im Bereich der Halswirbelsäule ein Bewegungsdefizit mit Myogelosen nachweisbar. Über neurologische Ausfallerscheinungen hat weder Dr. H. noch die behandelnde Neurologin/Psychiaterin Dr. L. berichtet. Das Ausmaß der Beweglichkeitseinschränkung (Seitneigung rechts/links je 30 ° und Rotation je 35 °) ist nicht der Art, dass mittelgradige funktionelle Auswirkungen (mit der Folge eines GdB von 20) anzunehmen sind. Vielmehr ist insoweit von Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen auszugehen, die nach Teil B Nr. 18.9 der VG mit einem GdB von 10 zu bewerten sind. Eine höhere Bewertung des Wirbelsäulenleidens lässt sich auch nicht mit den Angaben des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. begründen, der am 21.12.2007 gegenüber dem SG angegeben hat, die Wirbelsäulensymptomatik habe deutlich zugenommen. Beherrschend sei die Wirbelsäulensymptomatik und in zweiter Linie die zunehmende depressive Symptomatik. Entscheidend ist das Ausmaß der jeweiligen Funktionseinschränkung, die sich bei Wirbelsäulenschäden insbesondere aus dem Maß der Bewegungseinschränkung und/oder der Instabilität ergibt. Dass die Klägerin insoweit stärker eingeschränkt ist als von Dr. H. am 28.05.2009 beschrieben, lässt sich den wenig konkreten Angaben von Dr. K. jedenfalls nicht entnehmen.

Der Bluthochdruck, der bei der Klägerin ferner vorliegt, bedingt keinen höheren GdB als 10. Ein mit keiner oder geringer Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) verbundener Bluthochdruck ist nach Teil B Nr. 9.3 der VG mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Dr. K. hat am 01.12.2006 gegenüber dem Beklagten unter Vorlage des Ergebnisses der am 10.10.2006 erfolgten Langzeitblutdruckmessung angegeben, bei der Klägerin liege eine nicht sicher stabil einstellbare Hypertonie mit Blutdruckspitzen bis 200 (systolisch) ohne krisenhafte Entgleisungen vor. Ein dauerhafter Bluthochdruck mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades, der einen GdB von 20 bis 40 bedingen würde, ist diesem Befund nicht zu entnehmen. Die Angabe von Dr. K. vom 21.12.2007 gegenüber dem SG, wonach sich die Blutdruckeinstellung eher verschlechtert habe, ist zu unspezifisch, um einen Bluthochdruck mittelschwerer Form zu belegen. Seine Aussage enthält weiterhin nur die Diagnose einer "benignen essentiellen Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise". Eine Organbeteiligung oder relevante Leistungsbeeinträchtigungen - Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurden nicht ausgestellt - sind nicht ersichtlich. Das nach den Angaben von Dr. K. vom 01.12.2006 mit topischen Präparaten behandelte chronisch rezidivierende Handekzem bedingt ebenso wie die Fettstoffwechselstörung einen GdB von 10. Für eine Bewertung des Ekzems mit einem GdB von 20 bis 30 - wie von der Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren geltend gemacht - findet sich in den vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine befundmäßige Grundlage.

Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 30. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist von der schwerwiegendsten Funktionsbeeinträchtigung - hier der seelischen Störung, Depression (GdB 30) - auszugehen. Die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen (Wirbelsäulenleiden, Bluthochdruck, Ekzem, Fettstoffwechselstörung) bedingen jeweils keinen höheren GdB als 10, so dass eine weitere Erhöhung im Hinblick auf die Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) der VG) nicht gerechtfertigt ist. Ein Ausnahmefall, der mit der in dieser Vorschrift der VG genannten Art vergleichbar wäre, liegt nicht vor.

Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen hat der Senat nicht gesehen.

Dem Antrag der Klägerin im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 24.02.2010, nach § 109 SGG von Prof. Dr. H. ein Gutachten einzuholen, war nicht stattzugeben.

Der Antrag war nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Durch die Einholung des Gutachtens hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, denn der Senat hätte nicht am 05.03.2010 über die Berufung entscheiden können. Das Gutachten einschließlich der Äußerung der Beteiligten zum Beweisergebnis hätte nicht vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 05.03.2010 vorgelegen.

Der Antrag ist nicht innerhalb angemessener Frist gestellt worden, was auf grober Nachlässigkeit beruht. Eine grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 109 Anm. 11). Es entspricht keiner ordnungsgemäßen Prozessführung, wenn ein Beteiligter erkennen muss, dass vom Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, er gleichwohl nicht innerhalb einer Frist von einem Monat, was in der Regel als angemessene Überlegungsfrist anzusehen ist (vgl. Keller, a.a.O. § 109 Rdnr. 11), einen ordnungsgemäßen Antrag nach § 109 SGG stellt. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin war mit richterlicher Verfügung vom 01.07.2009 mit Gelegenheit zur Äußerung binnen Frist mitgeteilt worden, dass nach dem Ergebnis der erfolgten Beweisaufnahme durch Anhörung von Dr. H. und Dr. L. sich die behauptete wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes wohl nicht feststellen lasse. Mit richterlicher Verfügung vom 19.08.2009 wurde unter Erinnerung an die erbetene Stellungnahme beim Klägerbevollmächtigte angefragt, ob im Hinblick auf das mitgeteilte Beweisergebnis an der Berufung festgehalten wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war erkennbar, dass keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen erfolgen werden und der Rechtsstreit als entscheidungsreif beurteilt wird. Bei dieser Ausgangslage hätte sich dem Bevollmächtigten des Klägers aufdrängen müssen, dass ein Antrag nach § 109 SGG in angemessener Frist, d.h. bis spätestens Ende September 2009, erfolgen muss. Der Antrag wurde jedoch erst nach der Terminsbestimmung vom 09.02.2010 am 24.02.2010 und damit nach Ablauf einer angemessenen Frist gestellt.

Überdies liegen Umstände vor, die die Absicht der Prozessverschleppung nahe legen. Nachdem die Beweisaufnahme des Senats das Berufungsvorbringen, eine Gesundheitsverschlechterung habe sich eingestellt, nicht bestätigt hatte, worauf mit richterlichen Verfügung nochmals ausdrücklich hingewiesen worden ist, lag es im klägerischen Interesse, ein etwaiges akzentuiertes Beschwerdevorbringen bei Arztbesuchen zum Gegenstand erneuten Berufungsvorbringens machen zu können. Angesichts der Legaldefinition einer Behinderung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bedarf es des Nachweises einer Gesundheitsverschlechterung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (vgl. auch VG Teil A Nummer 2 f, früher AHP Teil A Nr. 17), um als Dauerzustand beurteilt zu werden. Auf die richterlichen Hinweise vom 01.07. und 19.08.2009 hat sich die anwaltlich vertretene Klägerin nicht geäußert. Erst nach der Ankündigung des Vorsitzenden, den auf die Terminsbestimmung vom 09.02.2010 gestellten Verlegungsantrag mangels hinreichend glaubhaft gemachter Hinderungsgründe abzulehnen, ist der Antrag nach § 109 SGG gestellt worden. Ob nach der freien Überzeugung des Senats von der Absicht der Prozessverschleppung im Hinblick auf das dargelegte klägerische Interesse und das dargelegte Prozessverhalten auszugehen ist, kann offen bleiben, weil für die Ablehnung des Antrags nach § 109 SGG bereits der Ablehnungsgrund der verspäteten Antragstellung aus grober Nachlässigkeit vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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