L 6 R 621/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 973/09 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 R 621/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. Mai 2009 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander Kosten, die nach dem 24. Oktober 2008 entstanden sind, nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten (nur noch) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. Januar 2005; streitig ist insbesondere, ob der Rechtsstreit am 24. Oktober 2008 durch Vergleich vor dem Sozialgericht (SG) Berlin beendet worden ist.

Die 1954 geborene Klägerin war zuletzt als Erzieherin beruflich tätig. Ihren am 07. Dezember 2004 gestellten Antrag, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2005 ab.

Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem SG Berlin hat die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 01. August 2007 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 01. Januar 2005 auf Dauer unter Zugrundelegung eines am 07. Dezember 2004 eingetretenen Versicherungsfalls gewährt. Grundlage hierfür war ein vom SG eingeholtes psychiatrisches Gutachten vom 25. April 2007.

Nach Einholung eines allgemeinmedizinischen Gutachtens vom 18. März 2008 hat das SG mit Schreiben vom 24. Juni 2008 den Beteiligten zur Beendigung des Rechtsstreits eine vergleichsweise Regelung vorgeschlagen, wonach die Beklagte, der in dem vorgenannten Gutachten ausgesprochenen Empfehlung folgend, der Klägerin ein medizinisches stationäres Heilverfahren auf psychotherapeutisch/psychosomatischem Gebiet bewilligen sollte, die Klägerin im Gegenzug ohne Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten die Klage zurücknehmen sollte und der Rechtsstreit damit erledigt sei. Diesen Vorschlag hat die Klägerin abgelehnt (Schreiben vom 04. August 2008).

Vor dem SG hat am 24. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, zu der ein Protokollführer nicht hinzugezogen worden ist, sind nach Aufruf der Sache die Klägerin und der sie damals vertretende Rechtsanwalt, der nach der von ihr am 18. November 2005 unterschriebenen und am 05. Dezember 2005 beim SG eingegangener Vollmacht ua die Befugnis hatte, den Rechtsstreit durch Vergleich beizulegen (Nr 10 der Prozessvollmacht), sowie eine – sich auf die bei Gericht hinterlegte Generalterminsvollmacht berufende - Vertreterin der Beklagten erschienen. Auf Seite 2 der Niederschrift ist Folgendes protokolliert worden:

"Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage schließen die Beteiligten zur Beendigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich:

1. Die Beklagte bewilligt der Klägerin ein medizinisches stationäres Heilverfahren auf psychotherapeutisch/psychosomatischem Fachgebiet. Bei der Rehabilitation werden auch die vorliegenden organmedizinischen Krankheiten der Klägerin berücksichtigt. Die Klägerin bittet darum, dass das Heilverfahren in B oder in der Nähe von B durchgeführt wird. 2. Die Klägerin nimmt ihre Klage zurück. 3. Die Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten (des Widerspruchsverfahrens und des Klageverfahrens). 4. Der Rechtsstreit ist damit erledigt.

vorgespielt und genehmigt."

Das Protokoll ist von der Kammervorsitzenden unterschrieben, die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit der Übertragung der vorläufigen Aufzeichnung vom Tonträger bestätigt. Die Protokollabschriften sind am 27. Oktober 2008 an die Beteiligten versandt worden.

Daraufhin wurde der Rechtsstreit vom SG als erledigt angesehen und aus dem Prozessregister ausgetragen.

Mit am 06. November 2008 beim SG eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat die Klägerin unter Hinweis auf die Sitzungsniederschrift mitgeteilt, dass sie nur der Ziffer 1 des Vergleichs zugestimmt habe, nicht aber der Rücknahme der Klage.

Mit Schreiben vom 27. Februar 2009 hat das SG den Beteiligten mitgeteilt, dass das Verfahren wieder aufgenommen worden sei und es beabsichtigte, über die wieder aufgenommene (Feststellungs-)Klage gemäß § 105 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Feststellungsklage dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben, da das Klageverfahren durch den in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2008 geschlossenen Vergleich im vollen Umfang erledigt sei.

Nachdem der die Klägerin damals vertretende Rechtsanwalt mit Schreiben vom 20. April 2009 dem SG mitgeteilt hatte, dass er zu der beabsichtigten Verfahrensweise des SG nichts mehr vortragen werde, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 05. Mai 2009 festgestellt, dass das Klageverfahren durch den am 24. Oktober 2008 in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleich beendet worden sei.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Berufung verfolgt die – nunmehr unvertretene - Klägerin weiterhin das Ziel, die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. Januar 2005 zu gewähren.

Sie ist auch weiterhin der Auffassung, am 24. Oktober 2008 keinen verfahrensbeendenden Vergleich geschlossen zu haben. Von Anfang an sei ihr gesagt worden, dass sie einem medizinischen Heilverfahren zustimmen müsse und sie eine Mitwirkungspflicht habe. Für den Fall, dass sie das Heilverfahren nicht anträte, würde ihre Klage sofort abgewiesen. Deswegen habe sie dem Heilverfahren zugestimmt. Die Bewilligung eines medizinischen Heilverfahrens sei aber kein Grund für eine Klagerücknahme, da sie die Klage nicht wegen der Bewilligung eines Heilverfahrens, sondern wegen einer Rentenbewilligung erhoben habe. Zwar habe sie erstmals am 24. Oktober 2008 an einer Gerichtsverhandlung teilgenommen, sie wisse aber auf jeden Fall, dass sie keinem Vergleich "mit 4 Punkten" zugestimmt habe. Sie habe auch – entgegen den Ausführungen des SG im Rahmen der Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids - weder ein Tonband genehmigt, noch habe sie sich mit ihrem Rechtsanwalt zur Beratung über den Vergleichsvorschlag zurückgezogen. Den ihr im Juni 2008 vom SG unterbreiteten Vergleichsvorschlag habe sie abgelehnt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. Mai 2009 aufzuheben, festzustellen, dass der Rechtsstreit nicht am 24. Oktober 2008 durch Vergleich vor dem Sozialgericht Berlin beendet worden ist, den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. Januar 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit über den von ihr (noch) geltend gemachten Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. Januar 2005 durch den gerichtlichen Vergleich vom 24. Oktober 2008 beendet worden ist. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Klägerin bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens im Schriftsatz vom 06. November 2008 (§ 123 SGG) die Feststellung beantragt hatte, dass der Rechtsstreit nicht durch den am 24. Oktober 2008 in der mündlichen Verhandlung "geschlossenen Vergleich" beendet worden und dementsprechend der Rechtsstreit über den von ihr vor Abschluss des "Vergleichs" noch erhobenen – bereits umrissenen – Anspruch fortzusetzen ist. Denn bei einem Streit über die Unwirksamkeit eines Vergleichs muss der ursprüngliche Rechtsstreit fortgeführt werden. Macht ein Kläger geltend, es sei überhaupt kein Vergleich abgeschlossen worden, oder erhebt er Einwände gegen die Wirksamkeit eines Vergleichs, so lebt die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Verfahrens rückwirkend wieder auf. Das Gericht, vor dem der Vergleich geschlossen worden ist, entscheidet dann entweder dahin, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich durch Endurteil festgestellt wird oder, wenn die Beendigung verneint wird - etwa weil der Vergleich zu Recht angefochten worden ist - in der Sache selbst (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28. November 2002 – B 7 AL 26/02 R, juris RdNr 20 mwN).

Das SGG enthält keine Definition des Vergleichs, insbesondere bestimmt auch § 101 Abs 1 SGG, wonach die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder des ersuchten Richters einen Vergleich schließen können, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können, den Begriff des Vergleichs nicht. Das SGG setzt den Vergleich vielmehr als bekannt voraus. Eine Definition findet sich in § 779 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und in § 54 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Der gerichtliche Vergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur. Er ist sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt (§ 779 BGB und § 54 SGB X sind entsprechend anwendbar (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 – 10 RKg 16/88, juris RdNrn 19 und 23; BSG SozR 1500 § 101 Nr 8)), als auch Prozesshandlung der Beteiligten (Prozessvertrag), die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach Grundsätzen des Prozessrechts richtet (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 3 zu § 101 mwN). Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nicht wirksam zustande gekommen, nichtig oder wirksam angefochten worden ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen worden sind. Materiell-rechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind nicht ersichtlich.

Die Beteiligten haben einen Vergleichsvertrag iS der §§ 54 SGB X, 779 BGB geschlossen, denn es liegen zwei sich in der Sache deckende Erklärungen der Beteiligten mit dem nach den bezeichneten Vorschriften notwendigen Inhalt vor. Eine entsprechende Willenserklärung ist jedenfalls von dem – auch insoweit bevollmächtigten – damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin als ihrem Vertreter nach § 164 Abs 1 Satz 1 BGB abgegeben worden. § 164 Abs 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass die Willenserklärung, die der Bevollmächtigte für den Vertretenen innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, unmittelbar für und gegen diesen wirkt.

Die Sitzungsniederschrift vom 24. Oktober 2008 erbringt den vollen Beweis dafür, dass der Vergleich mit dem dort niedergelegten Inhalt zwischen den Beteiligten abgeschlossen worden ist. Für die Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung als einer öffentlichen Urkunde ist § 415 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGG maßgebend, soweit nicht die speziellere Vorschrift des § 165 ZPO iVm § 122 SGG eingreift. Letzteres ist hier nicht der Fall, denn die Feststellung von Abschluss und Inhalt des gerichtlichen Vergleichs gehört nicht zu den für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten iS jener Bestimmung, deren Einhaltung nach § 165 ZPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Juni 1999 - V ZR 40/98, juris RdNr 12 mwN). Demnach beweist die Niederschrift vom 24. Oktober 2008, dass der Vergleich so, wie er protokolliert worden ist, zwischen den Beteiligten abgeschlossen worden ist, wobei aber der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden ist, möglich ist (§ 415 Abs 2 ZPO). Dass der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Vergleichsvertrag geschlossen hat, wird von der Klägerin selbst aber gar nicht in Abrede gestellt. Den Vorwurf der Unrichtigkeit des Protokolls in dieser Hinsicht hat sie nicht erhoben. Für die Feststellung, dass der Vergleich mit dem protokollierten Inhalt abgeschlossen wurde, ist der Vortrag der Klägerin, sie habe sich nicht in einer Unterbrechung der Sitzung mit ihrem damaligen Bevollmächtigten beraten, nicht von Bedeutung. Aus dem Schweigen des Protokolls ist im Übrigen nicht auf eine fehlende Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu schließen. Denn die Anordnung einer kurzen Sitzungsunterbrechung ist kein wesentlicher Vorgang der mündlichen Verhandlung (§ 122 SGG ivm § 160 Abs 2 ZPO), der somit zwingend zu protokollieren wäre (Roller in Lüdke, Handkomm zum SGG, 3. Aufl 2009, RdNr 4 aE zu § 122 mwN).

Der (materiell-rechtliche) Vergleichsvertrag ist auch nicht nachträglich durch eine Anfechtung unwirksam geworden, selbst wenn man die Erklärung der Klägerin vom 06. November 2008 als Anfechtung der von ihrem früheren Prozessbevollmächtigten abgegebenen Zustimmung zum Vergleich auslegen würde, denn ihr steht kein Anfechtungsrecht bzw Anfechtungsgrund zur Seite.

Da der Vergleichsvertrag vom früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin als deren Vertreter geschlossen worden ist, der Vertreter aber eine eigene Willenserklärung abgibt, mithin er der rechtsgeschäftlich Handelnde ist, ist wegen eventueller Willens- oder Erklärungsmängel iS der §§ 116 bis 123 BGB gemäß der Regelung des § 166 Abs 1 BGB allein auf die Person des Vertreters und nicht die Person des Vertretenen (hier die Klägerin) abzustellen. Dass bei dem früheren Prozessbevollmächtigte der Klägerin zum Zeitpunkt der Abgabe seiner zum Vergleichsschluss führenden Willenserklärung entsprechende Willens- oder Erklärungsmängel vorgelegen haben könnten, wird noch nicht einmal von der Klägerin selbst vorgetragen. Damit scheidet aber die Anfechtung der von dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin abgegebenen Willenserklärung aus.

Die Erklärung der Klägerin vom 06. November 2008 kann auch nicht als wirksamer Widerruf angesehen werden. Denn der von den Beteiligten geschlossene Vergleich enthält keinen Widerrufsvorbehalt. Ohne einen solchen ist ein Widerruf aber rechtlich ausgeschlossen.

Es lag auch ein gegenseitiges Nachgeben iS der §§ 54 SGB X, 779 BGB vor. Es ist nicht erforderlich, dass sich das Nachgeben auf den mit der Klage (zuletzt noch) verfolgten materiellen Anspruch – hier ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. Januar 2005 – bezieht. Vielmehr genügt jedes prozessuale Nachgeben. Da ein Beteiligter schon durch einen Verzicht auf ein Urteil prozessual nachgibt (BSG SozR 1500 § 101 Nr 8), steht einem Vergleich nicht entgegen, dass sich eine Seite – hier die Beklagte mit ihrer ablehnenden Entscheidung hinsichtlich eines Anspruches auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung - materiell vollständig durchgesetzt hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Vergleich auch nicht deshalb unwirksam, weil unter Ziff 1 ein Anspruch geregelt worden ist, der nicht Gegenstand der Klage war (vgl nur Roller in Lüdke, Handkomm zum SGG, 3. Aufl 2009, RdNr 3 zu § 101). Die Berechtigung der Beteiligten auch Ansprüche zum Gegenstand des Vergleichs zu machen, die außerhalb des Streitgegenstandes des Rechtsstreits liegen, folgt unmittelbar aus dem Umstand, dass der Prozessvergleich auch ein materiell-rechtlicher Vergleichsvertrag ist und demnach die Beteiligten über den Umfang ihrer Einigung entscheiden dürfen. Der anhängige Prozess beschränkt dieses Recht ebenso wenig wie die prozessuale (erledigende) Wirkung des Prozessvergleichs nach § 101 Abs 1 SGG, die sich naturgemäß nur auf den Streitgegenstand des anhängigen Prozesses beziehen kann (vgl Dolderer in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl 2006, RdNr 14 zu § 106).

An der Wirksamkeit des Vergleichs bestehen auch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten keine Zweifel.

Der Vergleich ist in der mündlichen Verhandlung des SG vom 24. Oktober 2008 ordnungsgemäß auf einem Tonträger vorläufig aufgezeichnet, den Beteiligten vorgespielt und von diesen genehmigt worden (§ 122 SGG iVm §§ 160a Abs 1, 160 Abs 3 Nr 1, 162 Abs 1 ZPO). Dies ist in der unverzüglich (§ 122 SGG iVm § 160a Abs 2 Satz 1 ZPO) gefertigten Sitzungsniederschrift vom 24. Oktober 2008, die von der Kammervorsitzenden und der Urkundsbeamtin unterschrieben worden ist (§ 122 SGG iVm § 163 Abs 1 Satz 2 ZPO), beurkundet. Die zur Beendigung des Verfahrens führende Prozesserklärung ihres früheren Prozessbevollmächtigten bindet die Klägerin in gleicher Weise als hätte sie sie selbst vorgenommen (§ 73 Abs 6 Satz 6 SGG iVm § 85 Abs 1 Satz 1 ZPO). Da der gerichtliche Vergleich bereits das Verfahren beendet, war die untere Ziff 2 des Vergleichs festgehaltene Klagerücknahme, deren Folge die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG), nicht notwendig. Lediglich klarstellende Wirkung kommt auch der Ziff 4 des Vergleichs zu.

Auf Prozesshandlungen – wie die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich – finden die Anfechtungsgründe des BGB keine Anwendung finden (BSG SozR 1500 § 102 Nr 2; Bundesverwaltungsgericht, NVwZ-RR 1999, 407, 408; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 12 zu Vor § 60). Sie können nur unter engen Voraussetzungen (also in extremen Ausnahmefällen) widerrufen werden, zum Beispiel beim Vorliegen eines Wiederaufnahmegrunds iS von § 179 SGG iVm §§ 578 ff ZPO. Selbst wenn aber die Erklärung der Klägerin vom 06. November 2008, mit der sie sich vom Vergleich lösen will, als Widerruf der ihr zu zurechenden Prozesshandlung des sie in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2008 vertretenden Prozessbevollmächtigten auszulegen wäre, könnte dieser den Prozessvergleich nicht zu Fall bringen. Denn eine solche extreme Ausnahmesituation liegt hier nicht vor, insbesondere liegt kein Wiederaufnahmegrund iS von § 179 SGG iVm §§ 578 ff ZPO vor, was von der Klägerin auch nicht behauptet wird.

Da der Prozessvergleich wirksam ist, ist dem Senat eine inhaltliche Prüfung des von der Klägerin zuletzt noch geltend gemachten Anspruchs auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01. Januar 2005 aus Rechtsgründen verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved