Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 120/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 U 87/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist zwischen den Beteiligten ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls des Klägers vom 11. Februar 1977.
Der im Jahr 1959 geborene Kläger geriet in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Betonbauer auf einer Baustelle in B am 11. Februar 1977 mit seinem rechten Daumen in eine Kreissäge. Zwei Drittel des Daumenendgliedes wurden amputiert. Im Juli 2002 beantragte der Kläger eine Unfallrente und begründete diesen Anspruch mit dem Arbeitsunfall vom 11. Februar 1977. Er habe seit mehreren Jahren stetig heftig werdende Schmerzen und habe bedingt durch die seelische Anspannung einen Tinnitus erhalten.
Nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Arztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) L und einer Stellungnahme der Fachärzte für Chirurgie Dres. G und T lehnte die Bau BG Hannover mit Bescheid vom 22. November 2002 einen Anspruch auf Rente wegen des Arbeitsunfalls ab. Als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt:
Hochgradige Bewegungseinschränkung im Endgelenk sowie geringgradige Bewegungseinschränkung im Grundgelenk des rechten Daumens, Sensibilitätsstörungen des radialen und palmaren Anteils sowie starke elektrisierende Druckschmerzhaftigkeit des ulnaren Anteils der Lappenplastik des rechten Daumens, Arthrose des Endgelenkes des rechten Daumens nach Kreissägenverletzung mit 2/3-Endgliedamputation des rechten Daumens.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Bau BG Hannover mit Bescheid vom 31.Januar 2003 zurück.
Mit der am 27. Februar 2003 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenen Klage verfolgte der Kläger sein Anliegen auf Entschädigung von Folgen seines Arbeitsunfalls weiter. In der Begründung wurde insbesondere ausgeführt, er habe inständig in der Intensität zunehmenden Phantomschmerz verbunden mit starker Berührungsempfindlichkeit am Stumpf sowie einer stark elektrisierenden Druckschmerzhaftigkeit entwickelt. Die vom Daumen ausgehenden Schmerzen strahlten in die rechte Hand bis in den Unterarm aus. Die Beweglichkeit des rechten Daums sei mäßig bis stark eingeschränkt. Infolge der Berührungs- und Druckempfindlichkeit des Daumens leide er unter erheblichen Beeinträchtigungen im beruflichen und privaten Alltag und führte diese beispielhaft auf. Im Ergebnis laufe die Funktionsbeeinträchtigung schmerzbedingt darauf hinaus, dass der Daumen nicht mehr gebraucht werden könne und die Unfallfolgen dem Verlust des ganzen Daumens gleichgestellt werden müsse. Die Funktionsbeeinträchtigungen gingen sogar noch darüber hinaus. Er seine Schuhe nicht mehr zubinden und sei beim Kraftfahrzeug führen auf einen Lenkradknopf angewiesen. Hinzu komme der starke Tinnitus.
Der Arzt für Chirurgie-Unfallchirurgie- Handchirurgie Dr. W erstattete am 21. Mai 2004 ein handchirurgisches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 05. Mai 2004. Die unfallbedingte MdE bewertete er ab Januar 1998 bis fortlaufend mit 10 v. H.
Der Arzt für HNO-Heilkunde Dr. A erstattete am 11. Dezember 2004 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 25. November 2004. Der Gutachter gelangte zu der Beurteilung, beim Kläger bestünden auf seinem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 zurückgeführt werden könnten.
Der Kläger legte eine Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Orthopädie Dr. G vom 05. Januar 2005 vor und ein Attest des Facharztes für HNO-Heilkunde P vom 30. Mai 2005.
Der Kläger beantragte erstinstanzlich,
den Bescheid vom 22. November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm, dem Kläger, eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. ab dem 01. Januar 1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 27. Januar 2006 wies das SG die Klage ab. Es folgte den vorliegenden Gutachten von Dr. W und Dr. A. Die Kammer vertrat die Auffassung, der Kläger hätte schon weit früher einen Rentenantrag gestellt, wenn er wie nun behauptet, schon seit Jahren unter erheblichen Schmerzzuständen wegen der Daueramputation leide. Hiergegen spreche auch der Umstand, dass das Hautrelief durchaus für eine zumindest zeitweise Benutzung des Daumenendgliedes spreche.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 14. Februar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. März 2006 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung des Klägers. Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, dass der Kläger seit dem Unfall starke Schmerzen im Daumenendglied habe. Es falle ihm schwerer, den Schmerzzustand zu akzeptieren, was ihm in jüngeren Jahren einigermaßen gelungen sei. Der noch vorhandene Daumen hindere ihn stärker als der Verlust des Daumens. Bis Ende der 80er Jahre habe er bei der Beklagten nachgefragt, ob er einen Antrag auf Entschädigungsleistungen stellen solle. Es sei mitgeteilt worden, es sei kein Unfall unter seinem Namen registriert. Die verstärkte Aufklärung über seine Rechte wäre notwendig gewesen, da er zum Zeitpunkt des Unfalls erst 18 Jahre alt gewesen wäre. Er habe seinen Beruf als Betonbauer wegen des Unfallschadens aufgeben müssen, jede andere handwerkliche Tätigkeit sei für ihn verschlossen. Zudem sei die vorliegende depressive Störung ebenso Unfallfolge wie der Tinnitus. Der Kläger meint, die Depressionen seien als außergewöhnliche psychische Belastungsreaktion auf die Arbeitsunfallfolgen anzusehen und ursächlich auf diese zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Januar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 22.November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 20 Prozent ab 01. Januar1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, der Kläger argumentiere mit Schmerzzuständen, die für sich allein im Gegensatz zu Funktionsbeeinträchtigungen keine MdE-Relevanz besitzen würden.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers übereichte "kurzorthopädisches Gutachten" des Facharztes für Orthopädie Dr. G, einen Arztbrief von Dr. K vom 31. März 2006, eine Bescheinigung des psychologischen Psychotherapeuten R vom 11. Juni 2006, ein ärztliches Attest des Facharztes für Innere Medizin J vom 12. Januar 2006 und einen Arztbrief der Fachärztin für Neurologie K vom 05. Oktober 2006. Der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B erstellte einen Befundbericht vom 05. Juli 2007.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M erstattete anlässlich der Untersuchung des Klägers vom 02. Juli 2008 ein Gutachten am selben Tage. Nach seiner Beurteilung liegen keine Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zweifelsfrei vor, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 im Sinne der Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden zurückzuführen sind.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete der Arzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. M am 01. März 2009 ein Gutachten nach Untersuchung des Klägers vom 22. Januar 2009 und ergänzte dies mit Stellungnahme vom 22. Mai 2009. Als Unfallfolgen benannte er: mäßig ausgeprägte depressive Episode (ICD-10: F 32.1), sozialphobische Angststörung (ICD-10: F 40.1), posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1; F 60.1), posttraumatische Belastungsstörung mit einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0).
Die Beklagte überreichte eine Stellungnahme von Dr. W. Am 29. Juni 2009 nahm Dr. M ergänzend Stellung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten und den Inhalt der Akten des Landesamts für Gesundheit und Soziales Berlin zum Aktenzeichen: , die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für Folgen des streitgegenständlichen Arbeitsunfalls.
Dahinstehen kann, ob der Anspruch noch nach dem Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder bereits nach den Vorschriften des am 01. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII zu beurteilen ist. Denn die für den Anspruch des Klägers maßgeblichen Vorschriften des alten und neuen Rechts stimmen in den streitigen Punkten inhaltlich überein. Anspruch auf Rente haben gemäß § 56 Abs.1 Satz 1 SGB VII (früher § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. (früher die 13. Woche) um wenigstens 20 v. H. gemindert ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier insoweit vor, als dass der Kläger hat am 11. Februar 1977 als Versicherter nach § 2 Abs. 1 Nr.1 SGB VII bzw. § 539 Nr.1 RVO einen von der Beklagten bindend (§ 77 SGG) als Arbeitsunfall anerkannten Unfall erlitten hat. Auch hat dieser hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Gesundheitsstörungen wesentlich verursacht, die die Beklagte anerkannt hat.
Allerdings ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht infolge dieses Versicherungsfalls über die 13. Woche und auch nicht die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert.
Soweit die Beklagte im Bescheid vom 22. November 2002 eine hochgradige Bewegungseinschränkung im Grundgelenk des rechten Daumens, Sensibilitätsstörungen des radialen und palmaren Anteils sowie starke elektrisierende Druckschmerzhaftigkeit des ulnaren Anteils der Lappenplastik des rechten Daumens, Arthrose des Endgelenkes des rechten Daumens anerkannt hat, rechtfertigt dies nicht die Beurteilung einer MdE mit 20 v. H. Die Beurteilung der Höhe der MdE mit unter 20 v. H. durch den gerichtlich bestellten Gutachter auf chirurgischem Fachgebiet ist überzeugend.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ).
Die Bemessung des Grades der MdE wird vom BSG als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (z. B. BSG Urteil vom 02. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallversicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; zuletzt BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Die nach dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallversicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sehen bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 1998, 6. Auflage die folgenden Werte vor:
20 v. H. bei Verlust des Daumens 15 v. H. bei 1 ½ Glied bis 1 1/3 Glied 10 v. H. Nagelglied
In der 7. Auflage 2009 und 8. Auflage 2010 bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit ist vorgesehen
10 v. H. für Verlust des Daumenendgliedes 20 v. H. für Verlust des ganzen Daumens.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Amputationsstümpfe gut einsetzbar sind, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Neurome nicht vorliegen, vorhandene Gelenke der teilamputierten Finger sowie nicht betroffene Nachbarfinger frei in der Bewegung sind.
Nach allem ist unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde ab 1998 keine MdE in Höhe von 20 v. H. sondern eine solche unter 20 v. H. gerechtfertigt. Zwar liegen bei dem Kläger ein Neurom und die von der Beklagten anerkannten Folgen wie starke elektrisierende Druckschmerzhaftigkeit des ulnaren Anteils der Lappenplastik des rechten Daumens, Sensibilitätsstörungen und Arthrose des Endgelenkes sowie die Bewegungseinschränkungen vor. Allerdings führt dies nicht zur Erhöhung der MdE.
Der Senat folgt dem Sachverständigen Dr. W der die unfallbedingte MdE ab Januar 1998 bis fortlaufend mit unter 20 v. H. bewertet. Seine Begründung ist überzeugend. Danach findet sich eine gute Stumpfbildung und gute Weichteildeckung trotz extremer Druckschmerzhaftigkeit auf der Beugeseite des rechten Daumengrundgelenkes und bei erfolgter Neurombildung als Unfallfolge, das je nach Lage zu sehr starken Druck- und Berührungsschmerzen führen kann. Er bezieht sich nachvollziehbar auf die unfallversicherungsmedizinische Literatur und zitiert Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, Berlin/New York 1999, wo in der Amputationstafel I Abb. 1 die vollständige Amputation des Daumenendgliedes in Endgelenkshöhe beschrieben und mit einer MdE von 10 v. H. eingestuft wird. Er verweist darauf, dass vom klinischen Aspekt her die Amputationssituation beim Kläger noch günstiger ist, weil er noch immerhin ein 1 cm langes knöchernes Endglied hat. Normalerweise könne mit einem solchen Daumenstumpf ein Spitzgriff zu den Langfingern erreicht werden. Beim Kläger sei dies nicht der Fall, was an der (vom Kläger angegebenen) extremen Überempfindlichkeit liege, die ihn zumindest bei seiner Untersuchung am 05. Mai 2004 daran gehindert habe, den Daumen tatkräftig einzusetzen. Die Tatsache, dass bei dem Kläger ein normal tiefes Hautfaltenrelief in der Stumpfkuppe und damit eine unauffällige Haut an der Stumpfkuppe vorliege, lasse darauf schließen, dass der Daumen nicht völlig bei jeder Benutzung der rechten Hand unbenutzt bleibe. Zwar finde sich das Neurom auf der funktionell wichtigeren ellenwärtigen Seite des Daumens, es sei aber bei dieser Amputationssituation durchaus ein Spitzgriff zum Zeigefinger möglich, bei dem der Daumen auf seiner speichenwärtigen Seite die Zeigefingerkuppe benutze. Er wies darauf hin, dass der Kläger auf der speichenwärtigen Greifseite des Stumpfes keine Beschwerden hat, so dass auch die Neurombildung keine Beurteilung der MdE mit 20 v. H. rechtfertigt, zumal die Neurombildung nicht unbedingt zu Schmerzen führt. Eine solche Fähigkeit müsste vom Kläger trotz der Bewegungseinschränkung im Daumengrundgelenk erreicht werden können. Würde man für die Unfallfolgen die Höhe der MdE auf 20 v. H. einschätzen, so würde dies einer Gleichsetzung des Klägers mit einem Verletzten entsprechen, der den ganzen Daumen verloren habe. Hierfür werde nach Mehrhoff/Muhr eine MdE von 20 v. H. zuerkannt. Der Verlust des gesamten Daumens sei wesentlich gravierender als der Teilverlust, insbesondere dann, wenn noch ein Teil des Endglieds stehe und der Daumenstumpf verhältnismäßig lang sei. Die Einstufung der Unfallfolgen trotz der Neuromschmerzen mit 20 v. H. wäre ungerechtfertigt überhöht. Die Beurteilung ist überzeugend schon aufgrund der von Dres. Wund M erhobenen Lokalbefunde. Letzterer stellte eine Beschwielung fest und fand wie Dr. W keine Hinweise auf eine Schonung des Daumens. Danach ist der Daumen gleichwohl gut einsetzbar. Der Kläger berichtet zwar von Schmerzen. Allerdings folgt hieraus nichts für den Gebrauch des Daumens. Zudem ist eine zur Ermöglichung der Benutzbarkeit des Daumens erfolgte Einnahme von Schmerzmitteln weder vorgetragen noch sonst dokumentiert.
Dr. M hat darauf hingewiesen, dass die Schmerzattacken nicht messbar sind oder durch Untersuchungen feststellbar, so dass insoweit eine weitere Beweiserhebung nicht veranlasst ist.
Für die Zeit vor den gutachterlichen Untersuchungen liegen keine Lokalbefunde vor, so dass sich eine für den Kläger günstigere Beurteilung nicht begründen lässt.
Weitere Gesundheitsstörungen, die sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall als wesentliche Ursache (mit)zurückführen lassen, sind nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht feststellbar.
Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge eines Versicherungsfalls muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder mittels eines Gesundheitserstschadens oder direkt ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.
Der Begriff der rechtlich wesentlichen Bedingung ist ein Wertbegriff. Die Frage, ob eine Bedingung für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 12, 242, 245). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Gewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung als Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Ursachen geben, sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Bei dieser Einzelfall bezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so, wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2007, 242 ff., 244).
Nach diesen Maßstäben, die der Senat zugrunde legt, lassen sich die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht auf den Arbeitsunfall als wesentliche (Mit-)Ursache hinreichend wahrscheinlich zurückzuführen.
Keines der vorliegenden Gutachten begründet dies überzeugend.
Dr. A hat auf seinem Fachgebiet den Tinnitus, Gleichgewichtsstörung und eine Höreinschränkung nicht auf den Arbeitsunfall als wesentliche Ursache zurückgeführt. Insbesondere auch Infektionen können die Ursache sein. Insoweit ist eine ärztliche Behandlung des Klägers vom 20. Juli 1993 nachgewiesen und Hörstürze ab 1995. Für einen Kausalzusammenhang mit dem Arbeitsunfall sprechende Umstände hat der Gutachter nicht benannt.
Auch eine Berufskrankheit hinsichtlich der Hörstörung kommt nicht in Betracht. Der Gutachter hat Lärm als Ursache ausgeschlossen.
Auch Dr. M hat auf seinem Fachgebiet einen Unfallzusammenhang mit dem Tinnitus nicht für wahrscheinlich erachtet. Insoweit fehlt es nach seiner Beurteilung, der der Senat folgt, bereits an einem zeitlichen Zusammenhang. Zwischen dem Auftreten des Ohrgeräusches und dem Arbeitsunfall liegen 18 Jahre. Die Angabe des Klägers, dass er das Ohrgeräusch bei innerer Anspannung, etwa wenn er über entgangene Chancen im Leben und im Beruf nach grübele, verstärkt wahrnehme, mag zwar auf einen psychosomatischen Zusammenhang in der aktuellen Symptomverarbeitung hindeuten, beweist aber keinen Zusammenhang zum Unfall von 1977, weil für einen psychosomatischen Zusammenhang eine enge zeitliche Verknüpfung zu fordern ist. Diese ist bei dem zeitlichen Abstand von 18 Jahren zwischen dem Unfallereignis 1977 und dem ersten Auftreten des Ohrgeräusches nicht hinreichend gegeben. Ein Unfallzusammenhang kann deshalb seitens dieses Fachgebietes nicht wahrscheinlich gemacht werden.
Auch liegen keine sonstigen Gesundheitseinschränkungen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zweifelsfrei vor, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 im Sinne der Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden zurückzuführen sind.
Nach der Beurteilung von Dr. M sind psychische Unfallfolgen oder durch psychische Unfallfolgen psychosomatisch vermittelte körperliche Störungen oder eine durch den Unfall hervorgerufene Verschlimmerung vorbestehender psychischer oder psychosomatischer Leiden nicht festzustellen. Soweit vom Kläger Störungen berichtet werden, die sich als rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F. 33.0) und als Agoraphobie bewerten lassen, sind diese nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Arbeitsunfall als wesentliche (Mit-)Ursache zurückzuführen.
Dr. M hat auf seinem Fachgebiet diese Diagnosen zwar erhoben, aber er hat diese Gesundheitsstörungen für den Senat nachvollziehbar nicht auf den Arbeitsunfall als wesentliche (Mit-)Ursache zurückgeführt. Der Sachverständige hat in Übereinstimmung mit der Aktenlage darauf hingewiesen, dass diese Störungen mit einem langen zeitlichen Abstand nach dem Unfall vom Februar 1977 aufgetreten sind. Überzeugend ist, dass sie deswegen aber auch aufgrund fehlender Brückensymptome keinen Unfallzusammenhang erkennen lassen. Darüber hinaus bemerkt der Sachverständige, dass in diesen Störungen das Unfallereignis thematisch aufgegriffen und phobisch bzw. depressiv weiterverarbeitet werde, während der vom Kläger subjektiv hergestellte Unfallzusammenhang jedoch vor allem darauf beruhe, dass er alle wichtigen Lebensprobleme auf den Unfall projiziere.
Das Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. M überzeugt den Senat nicht davon, dass Gesundheitseinschränkungen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zweifelsfrei vorliegen, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 im Sinne der Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden zurückzuführen sind.
Als Diagnosen benannte dieser Sachverständige in seinem Gutachten am 01. März 2009 nach Untersuchung des Klägers vom 22. Januar 2009 auf Seite 22 seines Gutachtens:
mäßig ausgeprägte depressive Episode (ICD-10: F 32.1) sozialphobische Angststörung (ICD-10: F 40.1) Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1; F 60.1).
Letztere bezeichnete er aus Seite 21 seines Gutachtens auch als Persönlichkeitsstörung. (Erst) in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Mai 2009 meint er, die unter ICD-10 F 62.0 beschriebene Symptomatik entspreche "im wesentlichen" dem beim Kläger erhobenen Befund. Bei ihm bestehe eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0).
Bereits die Diagnose einer Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1; F 60.1) - auch als Persönlichkeitsstörung bezeichnet- als auch die der Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0) sind nicht zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei feststellbar schon aufgrund der von Dr. M geäußerten Bedenken.
Hinsichtlich der Persönlichkeitsstörung hat Dr. ausgeführt, er habe bei seiner Untersuchung nicht feststellen könne, dass beim Kläger überhaupt eine manifeste Persönlichkeitsstörung vorliege. Dazu würden gravierende Einbußen in den sozialen Kontakten seit der Jugend gehören, die aus damaliger und aus jetziger Schilderung des Klägers nicht vorlägen. Diesbezüglich bleibe Dr. M den notwendigen Nachweis schuldig. In der von Dr. M darauf erfolgten Erwiderung hat er seine Beurteilung weiterhin nicht überzeugend begründet.
Auch die von Dr. M angenommene posttraumatische Belastungsstörung ICD 10: F 43.1 ist bereits nicht zweifelsfrei feststellbar. Nach der ICD-10, Internationale Klassifikation der Krankheiten 10. Revision, ab dem 01. Januar 2010 als ICD-10-GM Version 2010 ist ICD 10: F 43.1 wie folgt definiert: F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über. Inkl.: Traumatische Neurose
Insoweit hat Dr. M überzeugend darauf hingewiesen, dass aus keinem Untersuchungsergebnis hervorgeht und auch sonst nicht erkennbar ist, dass die genannten Umstände vorliegen. Er hat in Übereinstimmung mit der ICD-10 ausgeführt, dass die Latenz Wochen bis Monate betrage. In Ausnahmefällen könne es auch einmal zu einem späteren Auftreten einer solchen Störung kommen, ggf. auch noch nach Jahren. Dies sei allerdings fast ausschließlich nach schwerwiegenden Traumatisierungen nach so genannten Typ 2-Traumata. Auch dann wären zum genauen Nachweis Brückensymptome wünschenswert oder eine Begründung, warum diese in dem speziellen Fall nicht aufgetreten seien. Dr. M argumentiere mit Traumafolgen, wie sie nach Typ 2-Trauma (Folter, Geiselhaft, Konzentrationslager) aufträten. Der Einwand dieses Sachverständigen ist überzeugend. Soweit in der von Dr. M vorgelegten Fassung der F 43.1 ausgeführt wird, die Störung folge dem Trauma mit einer Latenz, die Wochen bis Monate dauern könne (doch selten mehr als 6 Monate nach dem Trauma), enthält die aktuelle Fassung diesen Hinweis auf 6 Monate zwar nicht, gleichwohl ist auch hier enthalten, dass der Beginn dem Trauma mit einer Latenz folge, die wenige Wochen bis Monate dauern könne. Von mehreren Jahren ist nicht die Rede.
Dr. M hat keine Umstände benannt, die erklären könnten, aus welchen Gründen heraus im Fall des Klägers der Beginn der Störung erst nach 25 Jahren einsetzt und gleichwohl als Störung im Sinne der ICD 10 F. 43.1 zu diagnostizieren ist. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2009 als Antwort auf die vorgebrachten Einwendungen eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung heranzieht (F. 62.0), ist auch dies nicht überzeugend. Nach der ICD-10, Internationale Klassifikation der Krankheiten 10. Revision, ab dem 01. Januar 2010 als ICD-10-GM Version 2010 ist ICD 10: F. 62.0 wie folgt definiert:
F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung Eine andauernde, wenigstens über zwei Jahre bestehende Persönlichkeitsänderung kann einer Belastung katastrophalen Ausmaßes folgen. Die Belastung muss extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl, gekennzeichnet. Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung vorausgegangen sein. Inkl.: Persönlichkeitsänderungen nach: • andauerndem Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen, etwa als Opfer von Terrorismus • andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr • Folter • Katastrophen • Konzentrationslagererfahrungen Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
Insoweit hat Dr. darauf zutreffend hingewiesen, dass eine Belastung katastrophalen Ausmaßes nicht vorliegt, der Arbeitsunfall ist als solcher nicht zu beurteilen. Nachvollziehbar führte Dr. dazu aus, zwar gäbe es in der Literatur eine so genannte "Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung", es sei auch richtig, dass traumatische Ereignisse sich bei jungen Menschen gravierender auswirken könnten als bei älteren. Eine solche Störung liege bei dem Kläger aber nicht sicher vor, weil damit eine völlig andere Kategorie von Traumata gemeint sei, nämlich ein so genanntes Typ-II-Trauma. Diese Diagnose sei ursprünglich für Überlebende aus Konzentrationslagern geschaffen. Entsprechend seien damit gravierende psychische Folgen gemeint, wie sie nach Geiselhaft, langanhaltender Todesbedrohung, Folter und Erlebnissen in einem Konzentrationslager aufträten. Es sei eine Qualität, mit der sich auch eine schmerzhafte Kreissägenverletzung, die ein so genanntes Typ-I-Trauma sei, nicht vergleichen lasse.
Auch Dr. M billigte in seiner Stellungnahme zu, dass das Trauma an sich "sicherlich" nicht so schwerwiegend sei wie Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder ähnliches wie in der ICD-10 aufgeführt. Soweit er zur Begründung seiner gleichwohl erfolgten Einordnung in die Kategorie ICD 10: F. 62.0 ausführt, die Bewertung eines solches Traumas sei aber, wie ebenfalls in der ICD-10 aufgeführt von der Vulnerabilität der Persönlichkeit, die das Trauma treffe, abhängig, steht er bereits nicht im Einklang mit dem Wortlaut der ICD 10: F. 62.0. Soweit Dr. M auf eine erhöhte Vulnerabilität des Klägers verweist, besagt F 62.0: "Die Belastung muss so extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person nicht in Erwägung gezogen werden muss."
Die Diagnose einer Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung überzeugt nach allem nicht.
Auch hat Dr. M nicht überzeugend begründet, dass der Arbeitsunfall bzw. dessen Folgen hinreichend wahrscheinlich wesentliche (Mit-)Ursache der von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen des Klägers ist. Das Gutachten selber überzeugt bereits nicht von dem Kausalzusammenhang, da es bereits an einer nachvollziehbaren Begründung mangelt. Dem Gutachten ist für eine Begründung des Kausalzusammenhangs kein objektiver Umstand zu entnehmen. Die Beurteilung des Gutachters, die auf den Zeitpunkt des Arbeitsunfalls als in einer für den Kläger wichtigen Lebensphase der Berufsausbildung abstellt, beruht auf einer denkbaren Möglichkeit, die dahinstehen lassen kann, inwieweit dieser Umstand in den Risikobereich der gesetzlichen Unfallversicherung fiele. Die Möglichkeit ist bereits durch keinen Umstand derart unterlegt, dass sie sich zu einer Wahrscheinlichkeit verdichten könnte.
Zudem ist Dr. Mauch von daher nicht überzeugender als die Beurteilung Dr. M. Insoweit führte Dr. M mit Stellungnahme vom 29. Juni 2009 überzeugend aus, es fehle der Nachweis, dass die zum Teil Jahrzehnte später festgestellten psychischen Störungen mit Wahrscheinlichkeit oder auch nur plausibel auf den Unfall zu beziehen wären. Im Gutachten von Dr. M werde der zeitliche Zusammenhang zwischen der sozialphobischen Angststörung und der depressiven Störung, die Jahrzehnte nach dem Unfall aufgetreten seien, nicht hinreichend begründet. Nach dessen Darstellung seien erste depressive Verstimmungen lange nach dem Unfall aufgetreten, so werde der Anfang der 90er Jahr genannt, für den Tinnitus die Jahre 2000 und 2005.
Auch werde der Kläger im psychischen Befund schwerfälliger und depressiver geschildert als bei seiner Untersuchung. Dort referierte starke Affektreaktionen seien bei seiner Untersuchung nicht aufgetreten. Es handele sich dabei demnach offenbar um aktuelle und nicht um durchgehende Phänomene. Für den Unfallzusammenhang sei unerheblich, dass der Kläger heute über Schlafstörungen klage und bei der Untersuchung durch Dr. M wohl auch zeitweilige Konzentrationsstörungen gehabt habe. Richtig sei, dass keine Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen in zeitlicher Nähe zum Unfallereignis berichtet oder anderweitig festgestellt worden seien. Seit dem Unfall seien 32 Jahre vergangen, mannigfaltigen anderen Umständen u. a. ein natürlicher Alterungsprozesses dürften solche Konzentrationsstörungen hervorgerufen haben.
Zutreffend ist auch der Hinweis von Dr. M, Dr. M argumentiere ohne Rücksicht auf die zeitlichen Zusammenhänge weitgehend mit den subjektiven Angaben des Klägers. Richtig sei, dass die posttraumatische Belastungsstörung eine Diagnose sei, bei der die subjektiven Angaben Traumatisierten gegenüber den objektiven Feststellungen eine etwas größere Rolle spielten. Dies könne aber nicht heißen, dass deswegen ohne den Versuch eines objektiven Abgleichs uneingeschränkt den subjektiven Angaben des Traumatisierten zu folgen sei.
Auch soweit der Gutachter meine, das jugendliche Alter des Klägers sei für das psychische Trauma entscheidend, weicht Dr. M davon ab. Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Im Streit ist zwischen den Beteiligten ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls des Klägers vom 11. Februar 1977.
Der im Jahr 1959 geborene Kläger geriet in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Betonbauer auf einer Baustelle in B am 11. Februar 1977 mit seinem rechten Daumen in eine Kreissäge. Zwei Drittel des Daumenendgliedes wurden amputiert. Im Juli 2002 beantragte der Kläger eine Unfallrente und begründete diesen Anspruch mit dem Arbeitsunfall vom 11. Februar 1977. Er habe seit mehreren Jahren stetig heftig werdende Schmerzen und habe bedingt durch die seelische Anspannung einen Tinnitus erhalten.
Nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Arztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) L und einer Stellungnahme der Fachärzte für Chirurgie Dres. G und T lehnte die Bau BG Hannover mit Bescheid vom 22. November 2002 einen Anspruch auf Rente wegen des Arbeitsunfalls ab. Als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt:
Hochgradige Bewegungseinschränkung im Endgelenk sowie geringgradige Bewegungseinschränkung im Grundgelenk des rechten Daumens, Sensibilitätsstörungen des radialen und palmaren Anteils sowie starke elektrisierende Druckschmerzhaftigkeit des ulnaren Anteils der Lappenplastik des rechten Daumens, Arthrose des Endgelenkes des rechten Daumens nach Kreissägenverletzung mit 2/3-Endgliedamputation des rechten Daumens.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Bau BG Hannover mit Bescheid vom 31.Januar 2003 zurück.
Mit der am 27. Februar 2003 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenen Klage verfolgte der Kläger sein Anliegen auf Entschädigung von Folgen seines Arbeitsunfalls weiter. In der Begründung wurde insbesondere ausgeführt, er habe inständig in der Intensität zunehmenden Phantomschmerz verbunden mit starker Berührungsempfindlichkeit am Stumpf sowie einer stark elektrisierenden Druckschmerzhaftigkeit entwickelt. Die vom Daumen ausgehenden Schmerzen strahlten in die rechte Hand bis in den Unterarm aus. Die Beweglichkeit des rechten Daums sei mäßig bis stark eingeschränkt. Infolge der Berührungs- und Druckempfindlichkeit des Daumens leide er unter erheblichen Beeinträchtigungen im beruflichen und privaten Alltag und führte diese beispielhaft auf. Im Ergebnis laufe die Funktionsbeeinträchtigung schmerzbedingt darauf hinaus, dass der Daumen nicht mehr gebraucht werden könne und die Unfallfolgen dem Verlust des ganzen Daumens gleichgestellt werden müsse. Die Funktionsbeeinträchtigungen gingen sogar noch darüber hinaus. Er seine Schuhe nicht mehr zubinden und sei beim Kraftfahrzeug führen auf einen Lenkradknopf angewiesen. Hinzu komme der starke Tinnitus.
Der Arzt für Chirurgie-Unfallchirurgie- Handchirurgie Dr. W erstattete am 21. Mai 2004 ein handchirurgisches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 05. Mai 2004. Die unfallbedingte MdE bewertete er ab Januar 1998 bis fortlaufend mit 10 v. H.
Der Arzt für HNO-Heilkunde Dr. A erstattete am 11. Dezember 2004 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 25. November 2004. Der Gutachter gelangte zu der Beurteilung, beim Kläger bestünden auf seinem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 zurückgeführt werden könnten.
Der Kläger legte eine Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Orthopädie Dr. G vom 05. Januar 2005 vor und ein Attest des Facharztes für HNO-Heilkunde P vom 30. Mai 2005.
Der Kläger beantragte erstinstanzlich,
den Bescheid vom 22. November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm, dem Kläger, eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. ab dem 01. Januar 1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 27. Januar 2006 wies das SG die Klage ab. Es folgte den vorliegenden Gutachten von Dr. W und Dr. A. Die Kammer vertrat die Auffassung, der Kläger hätte schon weit früher einen Rentenantrag gestellt, wenn er wie nun behauptet, schon seit Jahren unter erheblichen Schmerzzuständen wegen der Daueramputation leide. Hiergegen spreche auch der Umstand, dass das Hautrelief durchaus für eine zumindest zeitweise Benutzung des Daumenendgliedes spreche.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 14. Februar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. März 2006 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung des Klägers. Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, dass der Kläger seit dem Unfall starke Schmerzen im Daumenendglied habe. Es falle ihm schwerer, den Schmerzzustand zu akzeptieren, was ihm in jüngeren Jahren einigermaßen gelungen sei. Der noch vorhandene Daumen hindere ihn stärker als der Verlust des Daumens. Bis Ende der 80er Jahre habe er bei der Beklagten nachgefragt, ob er einen Antrag auf Entschädigungsleistungen stellen solle. Es sei mitgeteilt worden, es sei kein Unfall unter seinem Namen registriert. Die verstärkte Aufklärung über seine Rechte wäre notwendig gewesen, da er zum Zeitpunkt des Unfalls erst 18 Jahre alt gewesen wäre. Er habe seinen Beruf als Betonbauer wegen des Unfallschadens aufgeben müssen, jede andere handwerkliche Tätigkeit sei für ihn verschlossen. Zudem sei die vorliegende depressive Störung ebenso Unfallfolge wie der Tinnitus. Der Kläger meint, die Depressionen seien als außergewöhnliche psychische Belastungsreaktion auf die Arbeitsunfallfolgen anzusehen und ursächlich auf diese zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Januar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 22.November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 20 Prozent ab 01. Januar1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, der Kläger argumentiere mit Schmerzzuständen, die für sich allein im Gegensatz zu Funktionsbeeinträchtigungen keine MdE-Relevanz besitzen würden.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers übereichte "kurzorthopädisches Gutachten" des Facharztes für Orthopädie Dr. G, einen Arztbrief von Dr. K vom 31. März 2006, eine Bescheinigung des psychologischen Psychotherapeuten R vom 11. Juni 2006, ein ärztliches Attest des Facharztes für Innere Medizin J vom 12. Januar 2006 und einen Arztbrief der Fachärztin für Neurologie K vom 05. Oktober 2006. Der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B erstellte einen Befundbericht vom 05. Juli 2007.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M erstattete anlässlich der Untersuchung des Klägers vom 02. Juli 2008 ein Gutachten am selben Tage. Nach seiner Beurteilung liegen keine Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zweifelsfrei vor, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 im Sinne der Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden zurückzuführen sind.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete der Arzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. M am 01. März 2009 ein Gutachten nach Untersuchung des Klägers vom 22. Januar 2009 und ergänzte dies mit Stellungnahme vom 22. Mai 2009. Als Unfallfolgen benannte er: mäßig ausgeprägte depressive Episode (ICD-10: F 32.1), sozialphobische Angststörung (ICD-10: F 40.1), posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1; F 60.1), posttraumatische Belastungsstörung mit einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0).
Die Beklagte überreichte eine Stellungnahme von Dr. W. Am 29. Juni 2009 nahm Dr. M ergänzend Stellung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten und den Inhalt der Akten des Landesamts für Gesundheit und Soziales Berlin zum Aktenzeichen: , die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für Folgen des streitgegenständlichen Arbeitsunfalls.
Dahinstehen kann, ob der Anspruch noch nach dem Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder bereits nach den Vorschriften des am 01. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII zu beurteilen ist. Denn die für den Anspruch des Klägers maßgeblichen Vorschriften des alten und neuen Rechts stimmen in den streitigen Punkten inhaltlich überein. Anspruch auf Rente haben gemäß § 56 Abs.1 Satz 1 SGB VII (früher § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. (früher die 13. Woche) um wenigstens 20 v. H. gemindert ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier insoweit vor, als dass der Kläger hat am 11. Februar 1977 als Versicherter nach § 2 Abs. 1 Nr.1 SGB VII bzw. § 539 Nr.1 RVO einen von der Beklagten bindend (§ 77 SGG) als Arbeitsunfall anerkannten Unfall erlitten hat. Auch hat dieser hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Gesundheitsstörungen wesentlich verursacht, die die Beklagte anerkannt hat.
Allerdings ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht infolge dieses Versicherungsfalls über die 13. Woche und auch nicht die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert.
Soweit die Beklagte im Bescheid vom 22. November 2002 eine hochgradige Bewegungseinschränkung im Grundgelenk des rechten Daumens, Sensibilitätsstörungen des radialen und palmaren Anteils sowie starke elektrisierende Druckschmerzhaftigkeit des ulnaren Anteils der Lappenplastik des rechten Daumens, Arthrose des Endgelenkes des rechten Daumens anerkannt hat, rechtfertigt dies nicht die Beurteilung einer MdE mit 20 v. H. Die Beurteilung der Höhe der MdE mit unter 20 v. H. durch den gerichtlich bestellten Gutachter auf chirurgischem Fachgebiet ist überzeugend.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ).
Die Bemessung des Grades der MdE wird vom BSG als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (z. B. BSG Urteil vom 02. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallversicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; zuletzt BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Die nach dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallversicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sehen bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 1998, 6. Auflage die folgenden Werte vor:
20 v. H. bei Verlust des Daumens 15 v. H. bei 1 ½ Glied bis 1 1/3 Glied 10 v. H. Nagelglied
In der 7. Auflage 2009 und 8. Auflage 2010 bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit ist vorgesehen
10 v. H. für Verlust des Daumenendgliedes 20 v. H. für Verlust des ganzen Daumens.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Amputationsstümpfe gut einsetzbar sind, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Neurome nicht vorliegen, vorhandene Gelenke der teilamputierten Finger sowie nicht betroffene Nachbarfinger frei in der Bewegung sind.
Nach allem ist unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde ab 1998 keine MdE in Höhe von 20 v. H. sondern eine solche unter 20 v. H. gerechtfertigt. Zwar liegen bei dem Kläger ein Neurom und die von der Beklagten anerkannten Folgen wie starke elektrisierende Druckschmerzhaftigkeit des ulnaren Anteils der Lappenplastik des rechten Daumens, Sensibilitätsstörungen und Arthrose des Endgelenkes sowie die Bewegungseinschränkungen vor. Allerdings führt dies nicht zur Erhöhung der MdE.
Der Senat folgt dem Sachverständigen Dr. W der die unfallbedingte MdE ab Januar 1998 bis fortlaufend mit unter 20 v. H. bewertet. Seine Begründung ist überzeugend. Danach findet sich eine gute Stumpfbildung und gute Weichteildeckung trotz extremer Druckschmerzhaftigkeit auf der Beugeseite des rechten Daumengrundgelenkes und bei erfolgter Neurombildung als Unfallfolge, das je nach Lage zu sehr starken Druck- und Berührungsschmerzen führen kann. Er bezieht sich nachvollziehbar auf die unfallversicherungsmedizinische Literatur und zitiert Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, Berlin/New York 1999, wo in der Amputationstafel I Abb. 1 die vollständige Amputation des Daumenendgliedes in Endgelenkshöhe beschrieben und mit einer MdE von 10 v. H. eingestuft wird. Er verweist darauf, dass vom klinischen Aspekt her die Amputationssituation beim Kläger noch günstiger ist, weil er noch immerhin ein 1 cm langes knöchernes Endglied hat. Normalerweise könne mit einem solchen Daumenstumpf ein Spitzgriff zu den Langfingern erreicht werden. Beim Kläger sei dies nicht der Fall, was an der (vom Kläger angegebenen) extremen Überempfindlichkeit liege, die ihn zumindest bei seiner Untersuchung am 05. Mai 2004 daran gehindert habe, den Daumen tatkräftig einzusetzen. Die Tatsache, dass bei dem Kläger ein normal tiefes Hautfaltenrelief in der Stumpfkuppe und damit eine unauffällige Haut an der Stumpfkuppe vorliege, lasse darauf schließen, dass der Daumen nicht völlig bei jeder Benutzung der rechten Hand unbenutzt bleibe. Zwar finde sich das Neurom auf der funktionell wichtigeren ellenwärtigen Seite des Daumens, es sei aber bei dieser Amputationssituation durchaus ein Spitzgriff zum Zeigefinger möglich, bei dem der Daumen auf seiner speichenwärtigen Seite die Zeigefingerkuppe benutze. Er wies darauf hin, dass der Kläger auf der speichenwärtigen Greifseite des Stumpfes keine Beschwerden hat, so dass auch die Neurombildung keine Beurteilung der MdE mit 20 v. H. rechtfertigt, zumal die Neurombildung nicht unbedingt zu Schmerzen führt. Eine solche Fähigkeit müsste vom Kläger trotz der Bewegungseinschränkung im Daumengrundgelenk erreicht werden können. Würde man für die Unfallfolgen die Höhe der MdE auf 20 v. H. einschätzen, so würde dies einer Gleichsetzung des Klägers mit einem Verletzten entsprechen, der den ganzen Daumen verloren habe. Hierfür werde nach Mehrhoff/Muhr eine MdE von 20 v. H. zuerkannt. Der Verlust des gesamten Daumens sei wesentlich gravierender als der Teilverlust, insbesondere dann, wenn noch ein Teil des Endglieds stehe und der Daumenstumpf verhältnismäßig lang sei. Die Einstufung der Unfallfolgen trotz der Neuromschmerzen mit 20 v. H. wäre ungerechtfertigt überhöht. Die Beurteilung ist überzeugend schon aufgrund der von Dres. Wund M erhobenen Lokalbefunde. Letzterer stellte eine Beschwielung fest und fand wie Dr. W keine Hinweise auf eine Schonung des Daumens. Danach ist der Daumen gleichwohl gut einsetzbar. Der Kläger berichtet zwar von Schmerzen. Allerdings folgt hieraus nichts für den Gebrauch des Daumens. Zudem ist eine zur Ermöglichung der Benutzbarkeit des Daumens erfolgte Einnahme von Schmerzmitteln weder vorgetragen noch sonst dokumentiert.
Dr. M hat darauf hingewiesen, dass die Schmerzattacken nicht messbar sind oder durch Untersuchungen feststellbar, so dass insoweit eine weitere Beweiserhebung nicht veranlasst ist.
Für die Zeit vor den gutachterlichen Untersuchungen liegen keine Lokalbefunde vor, so dass sich eine für den Kläger günstigere Beurteilung nicht begründen lässt.
Weitere Gesundheitsstörungen, die sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall als wesentliche Ursache (mit)zurückführen lassen, sind nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht feststellbar.
Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge eines Versicherungsfalls muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder mittels eines Gesundheitserstschadens oder direkt ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen.
Der Begriff der rechtlich wesentlichen Bedingung ist ein Wertbegriff. Die Frage, ob eine Bedingung für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 12, 242, 245). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Gewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung als Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Ursachen geben, sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Bei dieser Einzelfall bezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so, wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2007, 242 ff., 244).
Nach diesen Maßstäben, die der Senat zugrunde legt, lassen sich die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht auf den Arbeitsunfall als wesentliche (Mit-)Ursache hinreichend wahrscheinlich zurückzuführen.
Keines der vorliegenden Gutachten begründet dies überzeugend.
Dr. A hat auf seinem Fachgebiet den Tinnitus, Gleichgewichtsstörung und eine Höreinschränkung nicht auf den Arbeitsunfall als wesentliche Ursache zurückgeführt. Insbesondere auch Infektionen können die Ursache sein. Insoweit ist eine ärztliche Behandlung des Klägers vom 20. Juli 1993 nachgewiesen und Hörstürze ab 1995. Für einen Kausalzusammenhang mit dem Arbeitsunfall sprechende Umstände hat der Gutachter nicht benannt.
Auch eine Berufskrankheit hinsichtlich der Hörstörung kommt nicht in Betracht. Der Gutachter hat Lärm als Ursache ausgeschlossen.
Auch Dr. M hat auf seinem Fachgebiet einen Unfallzusammenhang mit dem Tinnitus nicht für wahrscheinlich erachtet. Insoweit fehlt es nach seiner Beurteilung, der der Senat folgt, bereits an einem zeitlichen Zusammenhang. Zwischen dem Auftreten des Ohrgeräusches und dem Arbeitsunfall liegen 18 Jahre. Die Angabe des Klägers, dass er das Ohrgeräusch bei innerer Anspannung, etwa wenn er über entgangene Chancen im Leben und im Beruf nach grübele, verstärkt wahrnehme, mag zwar auf einen psychosomatischen Zusammenhang in der aktuellen Symptomverarbeitung hindeuten, beweist aber keinen Zusammenhang zum Unfall von 1977, weil für einen psychosomatischen Zusammenhang eine enge zeitliche Verknüpfung zu fordern ist. Diese ist bei dem zeitlichen Abstand von 18 Jahren zwischen dem Unfallereignis 1977 und dem ersten Auftreten des Ohrgeräusches nicht hinreichend gegeben. Ein Unfallzusammenhang kann deshalb seitens dieses Fachgebietes nicht wahrscheinlich gemacht werden.
Auch liegen keine sonstigen Gesundheitseinschränkungen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zweifelsfrei vor, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 im Sinne der Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden zurückzuführen sind.
Nach der Beurteilung von Dr. M sind psychische Unfallfolgen oder durch psychische Unfallfolgen psychosomatisch vermittelte körperliche Störungen oder eine durch den Unfall hervorgerufene Verschlimmerung vorbestehender psychischer oder psychosomatischer Leiden nicht festzustellen. Soweit vom Kläger Störungen berichtet werden, die sich als rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F. 33.0) und als Agoraphobie bewerten lassen, sind diese nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Arbeitsunfall als wesentliche (Mit-)Ursache zurückzuführen.
Dr. M hat auf seinem Fachgebiet diese Diagnosen zwar erhoben, aber er hat diese Gesundheitsstörungen für den Senat nachvollziehbar nicht auf den Arbeitsunfall als wesentliche (Mit-)Ursache zurückgeführt. Der Sachverständige hat in Übereinstimmung mit der Aktenlage darauf hingewiesen, dass diese Störungen mit einem langen zeitlichen Abstand nach dem Unfall vom Februar 1977 aufgetreten sind. Überzeugend ist, dass sie deswegen aber auch aufgrund fehlender Brückensymptome keinen Unfallzusammenhang erkennen lassen. Darüber hinaus bemerkt der Sachverständige, dass in diesen Störungen das Unfallereignis thematisch aufgegriffen und phobisch bzw. depressiv weiterverarbeitet werde, während der vom Kläger subjektiv hergestellte Unfallzusammenhang jedoch vor allem darauf beruhe, dass er alle wichtigen Lebensprobleme auf den Unfall projiziere.
Das Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. M überzeugt den Senat nicht davon, dass Gesundheitseinschränkungen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zweifelsfrei vorliegen, die nachweislich und mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis vom 11. Februar 1977 im Sinne der Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung vorbestehender Leiden zurückzuführen sind.
Als Diagnosen benannte dieser Sachverständige in seinem Gutachten am 01. März 2009 nach Untersuchung des Klägers vom 22. Januar 2009 auf Seite 22 seines Gutachtens:
mäßig ausgeprägte depressive Episode (ICD-10: F 32.1) sozialphobische Angststörung (ICD-10: F 40.1) Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1; F 60.1).
Letztere bezeichnete er aus Seite 21 seines Gutachtens auch als Persönlichkeitsstörung. (Erst) in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Mai 2009 meint er, die unter ICD-10 F 62.0 beschriebene Symptomatik entspreche "im wesentlichen" dem beim Kläger erhobenen Befund. Bei ihm bestehe eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0).
Bereits die Diagnose einer Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1; F 60.1) - auch als Persönlichkeitsstörung bezeichnet- als auch die der Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0) sind nicht zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei feststellbar schon aufgrund der von Dr. M geäußerten Bedenken.
Hinsichtlich der Persönlichkeitsstörung hat Dr. ausgeführt, er habe bei seiner Untersuchung nicht feststellen könne, dass beim Kläger überhaupt eine manifeste Persönlichkeitsstörung vorliege. Dazu würden gravierende Einbußen in den sozialen Kontakten seit der Jugend gehören, die aus damaliger und aus jetziger Schilderung des Klägers nicht vorlägen. Diesbezüglich bleibe Dr. M den notwendigen Nachweis schuldig. In der von Dr. M darauf erfolgten Erwiderung hat er seine Beurteilung weiterhin nicht überzeugend begründet.
Auch die von Dr. M angenommene posttraumatische Belastungsstörung ICD 10: F 43.1 ist bereits nicht zweifelsfrei feststellbar. Nach der ICD-10, Internationale Klassifikation der Krankheiten 10. Revision, ab dem 01. Januar 2010 als ICD-10-GM Version 2010 ist ICD 10: F 43.1 wie folgt definiert: F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über. Inkl.: Traumatische Neurose
Insoweit hat Dr. M überzeugend darauf hingewiesen, dass aus keinem Untersuchungsergebnis hervorgeht und auch sonst nicht erkennbar ist, dass die genannten Umstände vorliegen. Er hat in Übereinstimmung mit der ICD-10 ausgeführt, dass die Latenz Wochen bis Monate betrage. In Ausnahmefällen könne es auch einmal zu einem späteren Auftreten einer solchen Störung kommen, ggf. auch noch nach Jahren. Dies sei allerdings fast ausschließlich nach schwerwiegenden Traumatisierungen nach so genannten Typ 2-Traumata. Auch dann wären zum genauen Nachweis Brückensymptome wünschenswert oder eine Begründung, warum diese in dem speziellen Fall nicht aufgetreten seien. Dr. M argumentiere mit Traumafolgen, wie sie nach Typ 2-Trauma (Folter, Geiselhaft, Konzentrationslager) aufträten. Der Einwand dieses Sachverständigen ist überzeugend. Soweit in der von Dr. M vorgelegten Fassung der F 43.1 ausgeführt wird, die Störung folge dem Trauma mit einer Latenz, die Wochen bis Monate dauern könne (doch selten mehr als 6 Monate nach dem Trauma), enthält die aktuelle Fassung diesen Hinweis auf 6 Monate zwar nicht, gleichwohl ist auch hier enthalten, dass der Beginn dem Trauma mit einer Latenz folge, die wenige Wochen bis Monate dauern könne. Von mehreren Jahren ist nicht die Rede.
Dr. M hat keine Umstände benannt, die erklären könnten, aus welchen Gründen heraus im Fall des Klägers der Beginn der Störung erst nach 25 Jahren einsetzt und gleichwohl als Störung im Sinne der ICD 10 F. 43.1 zu diagnostizieren ist. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2009 als Antwort auf die vorgebrachten Einwendungen eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung heranzieht (F. 62.0), ist auch dies nicht überzeugend. Nach der ICD-10, Internationale Klassifikation der Krankheiten 10. Revision, ab dem 01. Januar 2010 als ICD-10-GM Version 2010 ist ICD 10: F. 62.0 wie folgt definiert:
F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung Eine andauernde, wenigstens über zwei Jahre bestehende Persönlichkeitsänderung kann einer Belastung katastrophalen Ausmaßes folgen. Die Belastung muss extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl, gekennzeichnet. Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung vorausgegangen sein. Inkl.: Persönlichkeitsänderungen nach: • andauerndem Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen, etwa als Opfer von Terrorismus • andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr • Folter • Katastrophen • Konzentrationslagererfahrungen Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
Insoweit hat Dr. darauf zutreffend hingewiesen, dass eine Belastung katastrophalen Ausmaßes nicht vorliegt, der Arbeitsunfall ist als solcher nicht zu beurteilen. Nachvollziehbar führte Dr. dazu aus, zwar gäbe es in der Literatur eine so genannte "Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung", es sei auch richtig, dass traumatische Ereignisse sich bei jungen Menschen gravierender auswirken könnten als bei älteren. Eine solche Störung liege bei dem Kläger aber nicht sicher vor, weil damit eine völlig andere Kategorie von Traumata gemeint sei, nämlich ein so genanntes Typ-II-Trauma. Diese Diagnose sei ursprünglich für Überlebende aus Konzentrationslagern geschaffen. Entsprechend seien damit gravierende psychische Folgen gemeint, wie sie nach Geiselhaft, langanhaltender Todesbedrohung, Folter und Erlebnissen in einem Konzentrationslager aufträten. Es sei eine Qualität, mit der sich auch eine schmerzhafte Kreissägenverletzung, die ein so genanntes Typ-I-Trauma sei, nicht vergleichen lasse.
Auch Dr. M billigte in seiner Stellungnahme zu, dass das Trauma an sich "sicherlich" nicht so schwerwiegend sei wie Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder ähnliches wie in der ICD-10 aufgeführt. Soweit er zur Begründung seiner gleichwohl erfolgten Einordnung in die Kategorie ICD 10: F. 62.0 ausführt, die Bewertung eines solches Traumas sei aber, wie ebenfalls in der ICD-10 aufgeführt von der Vulnerabilität der Persönlichkeit, die das Trauma treffe, abhängig, steht er bereits nicht im Einklang mit dem Wortlaut der ICD 10: F. 62.0. Soweit Dr. M auf eine erhöhte Vulnerabilität des Klägers verweist, besagt F 62.0: "Die Belastung muss so extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person nicht in Erwägung gezogen werden muss."
Die Diagnose einer Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung überzeugt nach allem nicht.
Auch hat Dr. M nicht überzeugend begründet, dass der Arbeitsunfall bzw. dessen Folgen hinreichend wahrscheinlich wesentliche (Mit-)Ursache der von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen des Klägers ist. Das Gutachten selber überzeugt bereits nicht von dem Kausalzusammenhang, da es bereits an einer nachvollziehbaren Begründung mangelt. Dem Gutachten ist für eine Begründung des Kausalzusammenhangs kein objektiver Umstand zu entnehmen. Die Beurteilung des Gutachters, die auf den Zeitpunkt des Arbeitsunfalls als in einer für den Kläger wichtigen Lebensphase der Berufsausbildung abstellt, beruht auf einer denkbaren Möglichkeit, die dahinstehen lassen kann, inwieweit dieser Umstand in den Risikobereich der gesetzlichen Unfallversicherung fiele. Die Möglichkeit ist bereits durch keinen Umstand derart unterlegt, dass sie sich zu einer Wahrscheinlichkeit verdichten könnte.
Zudem ist Dr. Mauch von daher nicht überzeugender als die Beurteilung Dr. M. Insoweit führte Dr. M mit Stellungnahme vom 29. Juni 2009 überzeugend aus, es fehle der Nachweis, dass die zum Teil Jahrzehnte später festgestellten psychischen Störungen mit Wahrscheinlichkeit oder auch nur plausibel auf den Unfall zu beziehen wären. Im Gutachten von Dr. M werde der zeitliche Zusammenhang zwischen der sozialphobischen Angststörung und der depressiven Störung, die Jahrzehnte nach dem Unfall aufgetreten seien, nicht hinreichend begründet. Nach dessen Darstellung seien erste depressive Verstimmungen lange nach dem Unfall aufgetreten, so werde der Anfang der 90er Jahr genannt, für den Tinnitus die Jahre 2000 und 2005.
Auch werde der Kläger im psychischen Befund schwerfälliger und depressiver geschildert als bei seiner Untersuchung. Dort referierte starke Affektreaktionen seien bei seiner Untersuchung nicht aufgetreten. Es handele sich dabei demnach offenbar um aktuelle und nicht um durchgehende Phänomene. Für den Unfallzusammenhang sei unerheblich, dass der Kläger heute über Schlafstörungen klage und bei der Untersuchung durch Dr. M wohl auch zeitweilige Konzentrationsstörungen gehabt habe. Richtig sei, dass keine Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen in zeitlicher Nähe zum Unfallereignis berichtet oder anderweitig festgestellt worden seien. Seit dem Unfall seien 32 Jahre vergangen, mannigfaltigen anderen Umständen u. a. ein natürlicher Alterungsprozesses dürften solche Konzentrationsstörungen hervorgerufen haben.
Zutreffend ist auch der Hinweis von Dr. M, Dr. M argumentiere ohne Rücksicht auf die zeitlichen Zusammenhänge weitgehend mit den subjektiven Angaben des Klägers. Richtig sei, dass die posttraumatische Belastungsstörung eine Diagnose sei, bei der die subjektiven Angaben Traumatisierten gegenüber den objektiven Feststellungen eine etwas größere Rolle spielten. Dies könne aber nicht heißen, dass deswegen ohne den Versuch eines objektiven Abgleichs uneingeschränkt den subjektiven Angaben des Traumatisierten zu folgen sei.
Auch soweit der Gutachter meine, das jugendliche Alter des Klägers sei für das psychische Trauma entscheidend, weicht Dr. M davon ab. Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
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