L 10 AS 386/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 AS 32010/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 386/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2010 durch einstweilige Anordnung auszusetzen, wird als unzulässig verworfen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Aussetzungsverfahren nach § 199 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe:

Nach § 199 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Vorsitzende des Gerichts, das über ein Rechtsmittel zu entscheiden hat, welches keine aufschiebende Wirkung hat, durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aussetzen. Er kann die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (Satz 2).

Die hier erhobene Beschwerde hat aufschiebende Wirkung nach § 154 Abs 2 SGG. Die Beklagte hat deshalb die Rechtsposition, die ihr durch eine einstweilige Anordnung nach § 199 Abs 2 SGG eingeräumt werden kann, bereits inne, so dass dem Antrag auf Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Auffassung, dass in Fällen dieser Art "klarstellend" ein Ausspruch nach § 199 Abs 2 SGG zu erfolgen hat (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 199 RdNr 11 aE), wird hier nicht gefolgt, da kein Grund dafür gesehen wird, einen der Rechtslage nicht entsprechenden Beschluss an die Stelle der Erläuterung der maßgeblichen Gesichtspunkte zu setzen.

Nach § 154 Abs 2 SGG bewirken die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs 1 (SGG) (gemeint § 145 SGG – dazu, dass insoweit ein Reaktionsversehen in Form einer fehlenden Anpassung vorliegt vgl Behn in Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, § 154 RdNr 1; Knecht in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 154 RdNr 2) eines Versicherungsträgers oder in der Kriegsopferversorgung eines Landes" (insoweit ist das gesamte soziale Entschädigungsrecht gemeint, die redaktionelle Anpassung ist unterblieben, Behn, aaO, RdNr 9; Knecht aaO) Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachge¬zahlt werden sollen. § 154 Abs 2 SGG findet auch dann Anwendung, wenn ein Leistungsträger nach dem SGB II Rechtsmittelführer ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v 22. Juni 2007 – L 18 B 970/07 AS, zit nach juris-Datenbank; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 154 RdNr 3 mwN; Hk-SGG/Binder § 154 RdNr 10; Knecht in Breitkreuz/Fichte aaO § 154 RdNr 6). Soweit aktuell für das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die gegenteilige Auffassung vertreten wird (angesichts der Thematik außerhalb des Instanzenzugs stehender Beschluss des Vorsitzenden des 8. Senats des BSG vom 08. Dezember 2009 – B 8 SO 17/09 R), überzeugt dies nicht. Soweit in diesem Beschluss da¬von ausgegangen wird, die Erstreckung des § 154 Abs 2 SGG auf Träger des SGB XII könne nur im Wege der analogen Anwendung (nicht aber durch erweiternde Auslegung) erfolgen; dafür fehle es aber an einer Gesetzeslücke, bleibt das nahe liegende Gegenargument außer Betracht, dass notwendige Anpassungen der Vorschrift geradezu regelhaft unterblieben sind (dazu die bereits bezeichneten "Ungenauigkeiten"). Es hätte mithin aktiv begründet werden müssen, dass dem "Schweigen des Gesetzgebers" im vorliegenden Zusammenhang positiver Erklärungswert zukommt. Zudem vermag die Aussage, es bestehe (im Vergleich zu Versicherungsleistungen und Leistungen des sozialen Entschädigungsrechts) keine gleichartige Interessenlage, wenn es um Leistungen der Existenzsicherung gehe, ohne weitere Begründung nicht zu überzeugen. Auch die von § 154 Abs 2 SGG ausdrücklich umfassten Leistungen sind regelmäßig existenzsichernd und nur im Spitzbetrag darüber hinausgehend. Die entscheidende Wertung des § 154 Abs 2 SGG liegt darin, die Zeiträume zu scheiden. Die typischerweise höhere Richtigkeitsgewähr der mit dem Rechtsmittel angegriffenen gerichtlichen Entscheidung im Vergleich zur vorangegangenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung soll zur Konsequenz haben, dass diese Entscheidung zukünftig zu befolgen ist. Daran soll aber nicht die weitergehende Folge knüpfen, auch für zurückliegende Zeiträume (die der Kläger "wie auch immer überstanden hat") das Sozialleistungsverhältnis vorläufig, dh mit dem Risiko der Rückabwicklung behaftet, umzugestalten. Bezüglich dieses Gesichtspunktes unterscheiden sich aber Versicherungs- und Fürsorgeleistungen nicht. Insoweit sei auch darauf hingewiesen, dass Problemstellungen der vorliegenden Art auch bereits vor Inkrafttreten des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und SGB XII bestanden haben und in der Weise gelöst worden sind, dass § 154 Abs 2 SGG zur Anwendung gelangte. Dies betrifft die ebenfalls nicht als Versicherungs- oder Entschädigungsleistungen anzusehenden Leistungen der Familienkasse sowie Erziehungsgeldangelegenheiten (dazu Berndorff in Henning, SGG, § 154 RdNr 36; Behn, aaO, RdNr 7, 8 unter ausdrücklicher Annahme einer zu schließenden Regellungslücke).

Bei dem ausgeurteilten Zahlungsanspruch handelt es sich um "Beträge, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen". Der erhobene Anspruch kann allein als Anspruch auf angemessene Kosten der Unterkunft iSv § 22 SGB II begründet sein und ist dann auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der von der Wohnungseigentümergemeinschaft beschlossenen Umlage im Mai 2008 bezogen (vgl dazu die Ausführungen des Berichterstatters im Erörterungstermin am 09. April 2010). Dabei ist für die Anwendbarkeit des § 154 Abs 2 SGG nicht von Belang, dass das Sozialgericht (SG) zu dieser zeitlichen Gebundenheit des Anspruchs nichts ausgeführt hat. Abweichendes würde nur gelten, wenn aus den Ausführungen des SG zu ersehen wäre, dass es die Sach- und Rechtslage dahingehend würdigt, dass es sich bei dem von ihm zugesprochenen Anspruch um einen solchen handelt, der – ggf unter tatsächlicher Anknüpfung an in der Vergangenheit liegende Sachverhalte auf – gemäß der anspruchsbegründenden Norm erst gegenwärtig und zukunftsgerichtet im Zeitpunkt der Rechtsanwendung und nicht bezogen auf einen bereits vergangenen Fälligkeitszeitpunkt entsteht. Dies ist indes nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG (vgl BSG Beschluss des Vorsitzenden des 4. Senats v 06. August 1999 – B 4 RA 25/98 B = SozR 3-1500 § 199 Nr 1).

Dieser Beschluss ist nicht beschwerdefähig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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