Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 651/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Regress wegen der Verordnung des Medikaments Cellcept® im Quartal II/2005.
Die Klägerin ist Trägerin des Universitätsklinikums. – Universitätsmedizin B. Sie ist zugleich Trägerin der fortgeführten und damit gesetzlich gemäß § 311 Abs. 2 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachambulanz für Nephrologie mit Dispensaire-Auftrag. In der Fachambulanz behandelte sie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung die bei der Beigeladenen zu 2) gesetzlich krankenversicherte Patientin M K, die an Wegenerscher Granulomathose mit Nierenbeteiligung litt. Am 10. Juni 2006 verordnete sie auf Kassenrezept das Medikament CellCept® (Wirkstoff Mycophenolatmofetil), das arzneimittelrechtlich in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zur Prophylaxe von akuten Transplantatabstoßungsreaktionen bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation zugelassen ist. Eine Zulassung bei Wegenerscher Granulomathose besteht nicht.
Wegen der genannten Verordnung beantragte die Beigeladene zu 2) mit Schreiben vom 9. März 2006 beim damaligen Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 458,09 EUR. Nach schriftlicher Anhörung der Klägerin beriet der Prüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 11. Januar 2007 den Regressantrag, vertagte die Entscheidung jedoch. Eine Entscheidung traf der Prüfungsausschuss nicht mehr.
Mit Beschluss vom 5. September 2008 (schriftlicher Bescheid ausgefertigt am 31. Oktober 2008, zugestellt per Einschreiben vom selben Tage) setzte die Beklagte zu 1) wegen der Verordnung einen Regress in Höhe von 458,09 EUR fest. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Verordnung von Cellcept zulassungsüberschreitend erfolgt sei. Zulassungsüberschreitende Verordnungen seien nur in begründeten Fällen eines so genannten Off-Label-Use von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst (Wirtschaftlichkeitsgebot §§ 2, 12 SGB V). Diese Anforderung knüpfe regelmäßig an die arzneimittelrechtliche Zulassung (§ 21 Abs. 2 AMG) und deren Ausführungen zu Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels an. Das BSG habe im Urteil vom 19. März 2002 (-B 1 KR 37/00 R-) klare Kriterien festgelegt, die einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV gestatteten. Diese Kriterien seien vorliegend nicht als erfüllt anzusehen, da nicht erkennbar sei, ob vor der Behandlung alle zur Verfügung stehenden, zugelassenen therapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft gewesen seien bzw. andere Therapieoptionen diskutiert oder in Erwägung gezogen worden seien. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids lautete, dass die Klage zulässig sei.
Am 3. Dezember 2008 hat die Klägerin Klage erhoben, weil vorliegend die vom BSG im Urteil vom 19. März 2002 aufgestellten Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Verordnung von CellCept® zu Lasten der Beigeladenen zu 2) erfüllt seien.
Auf Hinweis der Kammer vom 23. Juni 2009, dass die Klage derzeit unzulässig und zunächst das Vorverfahren vor dem Beklagten zu 2) durchzuführen sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Juli 2009 erklärt, dass der Klage auch die Erhebung des Widerspruchs beizumessen sei. Die Kammer hat den Beklagten zu 2) daraufhin aufgefordert, das Widerspruchsverfahren durchzuführen.
Mit Beschluss vom 25. August 2009 wies der Beklagte zu 2) den Widerspruch als unzulässig zurück, weil die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten zu 1) bereits Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits sei. Deshalb sei eine neue Klage gegen seine – des Beklagten zu 2) – Entscheidung wegen der bereits bestehenden Rechtshängigkeit unzulässig. Die Klägerin könne ihr Ziel, die Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu erwirken, damit nicht erreichen. Weil die Klägerin dieses Klageziel mit dem Rechtsbehelf nicht erwirken könne, sei der Widerspruch unzulässig.
Der am 16. Oktober 2009 ausgefertigte schriftliche Bescheid des Beklagten zu 2) ging bei der Klägerin am 20. Oktober 2009 ein. Er enthält eine Rechtsmittelbelehrung, nach der gegen diesen Bescheid die Klage zum Sozialgericht Berlin zulässig sei.
Mit am 8. Januar 2010 beim SG Berlin eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Klage gegen den Beschluss des Beklagten zu 2) vom 25. August 2009 erweitert. Eine gesonderte Klage hat sie gegen den Beschluss nicht erhoben.
Die Klägerin beantragt, den Beschluss der Beklagten zu 1) vom 5. September 2008 (schriftlicher Bescheid vom 31. Oktober 2008) und den Beschluss des Beklagten zu 2) vom 25. August 2009 (schriftlicher Bescheid vom 16. Oktober 2009) aufzuheben.
Die Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) beantragen, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten zu 1) und zu 2) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist sowohl gegenüber der Beklagten zu 1) als auch dem Beklagten zu 2) unzulässig.
A) Die Klage gegen den Beschluss der Beklagten zu 1) vom 5. September 2008 (Bescheid vom 31. Oktober 2008) ist unzulässig, weil sie der unzutreffende Rechtsbehelf ist. Vielmehr ist gegen die Entscheidung der Beklagten zu 1) der Beklagte zu 2) anzurufen.
Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz [GKV-WSG]) vom 26. März 2007 hat der Gesetzgeber die Aufgabenwahrnehmung in der Wirtschaftlichkeitsprüfung zum 1. Januar 2008 neu geregelt. So wurde der bisher von Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen gebildete Prüfungsausschuss durch die Prüfungsstelle ersetzt (§ 106 Abs. 4 S. 1 SGB V i.d.F. des GKV-WSG). Sie ist nach den Grundsätzen des intertemporären Verfahrensrechts (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 26. November 2008, -L 7 KA 13/05-, zit. n. juris, Rn. 54) für die Entscheidung des zuvor beim Prüfungsausschuss anhängigen Prüfantrags der Beigeladenen zu 2) zuständig. Die Prüfungsstelle bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet gemäß Absatz 5 Satz 1 (§ 106 Abs. 4a S. 6 SGB V i.d.F. des GKV-WSG). Mit der Einrichtung der Prüfungsstelle beabsichtigte der Gesetzgeber, die Wirtschaftlichkeitsprüfung zu professionalisieren und die Effizienz und Effektivität zu verbessern (Begründung zum Fraktionsentwurf des GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100, S. 137).
Der durch das GKV-WSG neu gefasste § 106 Abs. 5 SGB V beinhaltet den Ablauf des Prüfverfahrens. Er lautet in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung:
1Die Prüfungsstelle entscheidet, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. 2Dabei sollen gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. 3Gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkasse, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen die Beschwerdeausschüsse anrufen. 4Die Anrufung hat aufschiebende Wirkung. 5Für das Verfahren sind § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes anzuwenden. 6Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren (§ 78 des Sozialgerichtsgesetzes). 7Die Klage gegen eine vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Honorarkürzung hat keine aufschiebende Wirkung. 8Abweichend von Satz 3 findet in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt.
Der ursprünglich in § 106 Abs. 5 S. 1 SGB V bezogen auf die ermächtigte Einrichtung enthaltene Zusatz "ärztlich geleitet" ist durch Art. 6 Nr. 16 des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28. Mai 2008 mit Wirkung ab 1. Juli 2008 gestrichen worden, um auch die regelmäßig nicht ärztlich geleiteten stationären Pflegeeinrichtungen in die Vorschrift einzubeziehen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/7439, S. 98).
Nach § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V hat vor der Klageerhebung grundsätzlich ein Vorverfahren vor dem Beklagten zu 2) stattzufinden, das als Widerspruchsverfahren gem. § 78 SGG gilt (§ 106 Abs. 5 S. 6 SGB V). Der mit dem GKV-WSG eingeführte Ausschluss des Vorverfahrens in bestimmten Konstellationen (§ 106 Abs. 5 S. 8 SGB V) ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die anderslautende Auffassung der Beklagten zu 1), zum Ausdruck gekommen durch die in ihrem Bescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung, teilt die Kammer nicht.
Zwar handelt es sich bei dem vorliegenden Arzneimittelregress um die Festlegung eines Ausgleichs bei Mehraufwand für Leistungen. Als weitere Voraussetzung ist jedoch in § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V bestimmt, dass die Leistungen durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 ausgeschlossen sein müssen. Dies betrifft nach Auffassung der Kammer nur Leistungen bzw. Arzneimittel oder Wirkstoffe, die ausdrücklich, also namentlich, unmittelbar und ausnahmslos durch gesetzliche Regelungen, Verordnungen oder Richtlinien nach § 92 SGB V, insbesondere die Arznei-, Hilfs- und Heilmittel-Richtlinien, ausgeschlossen sind. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, aus Sinn und Zweck der Regelung sowie der bisherigen Kommentierung.
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/3100, S. 138) betrifft der Ausschluss des Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss Arzneimittelverordnungen, die durch Gesetz oder die Richtlinien aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen sind. Der Ausschluss bewirke, dass der Beschwerdeausschuss von einer Vielzahl gleichartig zu bewertender Einzelvorgänge entlastet werde. Der vergleichsweise leicht überprüfbare Sachverhalt, ob ein Arzneimittel grundsätzlich Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei, könne sachgerecht durch die Prüfungsstelle abschließend geklärt werden.
Mithin geht der Gesetzgeber für die von § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V erfassten Konstellationen von leicht überprüfbaren Sachverhalten und davon aus, dass die betroffenen Einzelvorgänge gleichartig zu bewerten seien. Es soll für die Regressentscheidung also nicht auf eine medizinische Bewertung des Einzelfalls ankommen. Dies ist auch sachgerecht, denn in Fällen des unmittelbaren, ausnahmslosen Ausschlusses besteht kein Bedarf für die Befassung des Beschwerdeausschusses, weil es auf eine fachliche Bewertung der Verordnung nicht ankommt. Hier ist tatsächlich eine Entlastung des Gremiums geboten. Dagegen ist es in Fällen, in denen die medizinischen Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen und für die Entscheidung ausschlaggebend sind – in denen also eben gerade keine gleichartig zu bewertende Vorgänge vorliegen – weiterhin sachgerecht, dass der aufgrund seiner Besetzung mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung (typischerweise Vertragsärzte) und der Krankenkassen (§ 106 Abs. 4 S. 2 SGB V) mit besonderer medizinischer Fachkunde ausgestattete Beschwerdeausschuss im Rahmen des Vorverfahrens die Entscheidung der Prüfungsstelle überprüft.
Dies wird auch in der bisherigen Kommentierung so gesehen. So spricht Clemens (in jurisPK-SGB V, 1. Aufl. 2008, § 106, Rn 279) davon, dass das Vorverfahren nicht mehr stattfindet im Falle eines Regresses bei Leistungen, die aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherungen generell ausgeschlossen sind. Dies ist so zu verstehen, dass ein ausnahmsloser Ausschluss vorliegen muss. Wenner (Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 25, Rn. 10) scheint jedenfalls für den Fall eines Off-Label-Use skeptisch zu sein, ob ein Vorverfahren ausgeschlossen ist, wenn er formuliert: "Der Schwerpunkt der Regresse wegen in der GKV grundsätzlich nicht verordnungsfähiger Arzneimittel liegt heute aber im Bereich des "Off-Label-Use" [ ]. Wenn derartige Konstellationen auch von dem Ausschluss des Vorverfahrens erfasst sein sollten, wäre das kaum sachgerecht: Komplizierte Sachverhalte sind zu klären und schwierige Wertungen in medizinischen Grenzfragen erforderlich. Wenn dazu nicht der paritätisch besetzte Beschwerdeausschuss das geeignete Gremium sein sollte, könnte man das gesamte Widerspruchsverfahren auf eine hauptamtlich besetzte Behörde verlagern oder ganz entfallen lassen". Engelhard (in Hauck/Noftz, SGB V, Erg-Lfg 4/08; IV/08, § 106, Rn. 599c) schließlich geht davon aus, dass Voraussetzung für den Ausschluss des Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss ist, dass die betroffenen Leistungen als solche durch das Gesetz oder durch die Richtlinien ausgeschlossen sind. Ein gesetzlicher Ausschluss sei insbesondere durch § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V und die dort aufgeführten Arzneimittel erfolgt. Zudem gehörten zu den gesetzlich ausgeschlossenen Leistungen solche, die aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung durch Rechtsverordnung ausgeschlossen seien, etwa aufgrund des § 34 Abs. 2 bis 5 SGB V.
Sinn und Zweck des Vorverfahrens ist die Selbstkontrolle der Verwaltung, die Verbesserung des Rechtsschutzes des betroffenen Bürgers, Schutz der Gerichte vor Überlastung, eine Beilegung des Streits im Wege gütlicher Einigung und – für den Fall, dass der Widerspruch unbegründet ist – die Möglichkeit der Verwaltung, den Betroffenen zu überzeugen, dass sein Begehren nicht berechtigt ist (vgl. zu weiteren Einzelheiten Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, vor § 77, Rn. 1a). Letzteres wird insbesondere der Fall sein, wenn eine übergeordnete Behörde oder ein Ausschuss über den Widerspruch entscheidet und wenn dem Betroffenen rechtliches Gehör gewährt und ihm der Eindruck vermittelt wird, dass seine Sache sorgfältig geprüft ist (Leitherer a.a.O.).
Für die Kammer ist angesichts der Gesetzesbegründung zu § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber in allen Fällen der Festsetzung eines Einzelregresses von diesen Wirkungen des Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss abrücken wollte. Gerade weil mit dem Beschwerdeausschuss ein mit Kollegen und besonderem Fachverstand besetztes Gremium über den Widerspruch entscheidet, bestehen gute Aussichten, dass im Bereich medizinisch problematischer und schwer zu bewertender Einzelverordnungen Rechtsfrieden bereits im Vorverfahren hergestellt werden kann. Sowohl Vertragsärzte als auch Krankenkassen dürften die Entscheidungen der Prüfgremien nach mündlicher Verhandlung und Entscheidung des Beschwerdeausschusses eher akzeptieren als einen Bescheid der Prüfungsstelle, der nur aufgrund eines schriftlichen Verwaltungsverfahrens ergeht. Im Übrigen hat die Praxis der Berliner Prüfungsstelle, jeden Bescheid über einen Verordnungsregress mit einer Rechtmittelbelehrung zu versehen, nach der die Klage zulässig sein soll, zu einem spürbaren Anstieg von entsprechenden Klageverfahren geführt, und zwar gerade auch im Bereich eher niedriger Regressforderungen. Dabei sind in diesen Fällen (z.B. Off-Label-Use, Verordnungsmenge, Verordnungsalternativen, Verordnung verschreibungspflichtiger oder Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente, Fertig- oder Rezepturarzneimittel und ähnliches) im Regelfall weitere medizinische Ermittlungen durch das Gericht notwendig. Es ist zu einer deutlichen Mehrbelastung des Gerichts in diesem Bereich gekommen. Dies dürfte nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein. Daher ist – zur Wahrung der Funktionen des Vorverfahrens in sachgerechten Fällen – § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V als Ausnahmeregelung zu § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V eng auszulegen.
Die Kammer geht nach alledem davon aus, dass insbesondere in folgenden Konstellationen nach wie vor ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss stattzufinden hat, wobei die Aufzählung aufgrund der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen nicht abschließend ist:
• Off-Label-Use: Kläger macht Verordnungsfähigkeit nach den Grundsätzen des Urteils BSGE 89,184, -B 1 KR 37/00 R- (Sandoglobulin), oder nach den Grundsätzen des Urteils BSGE 96, 170, -B 1 KR 7/05 R- (Tumodex), i.V.m. dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 115, 25, -1 BvR 347/98-, vom 6. Dezember 2005, geltend • Verordnung nicht in Deutschland zugelassener Präparate: Kläger macht Verordnungsfähigkeit nach den Grundsätzen des Urteils BSGE 96, 170, -B 1 KR 7/05 R- (Tumodex), i.V.m. dem Beschluss des BVerfG BVerfGE 115, 25, 1 BvR 347/98, vom 6. Dezember 2005, geltend • Regress, weil anstelle des verordneten verschreibungspflichtigen Präparats ein nicht verschreibungspflichtiges hätte eingesetzt werden sollen (§ 12 Abs. 11 der Arzneimittel-Richtlinien [AMR] in der seit dem 1. April 2009 geltenden Fassung vom 18. Dezember 2008 / 22. Januar 2009 [n.F.] bzw. Nr. 16.10 der AMR a.F.) • Regress, weil anstelle eines günstigeren Fertigarzneimittels ein Rezepturarzneimittel verordnet wurde • Regress wegen Überschreitung der in der Arzneimittelinformation angegebenen Verordnungs- bzw. Anwendungsmenge (§ 9 Abs. 3 AMR n.F. bzw. Nr. 38 und 39 der AMR a.F.) • sonstige Regresse auf Grundlage des § 9 AMR n.F. • Regresse wegen Ausschluss der Arzneimittel nach § 16 Abs. 3 i.V.m. Anlage III AMR n.F. bzw. Nr. 20.2 AMR a.F. (in Fällen, in denen ein Ausschluss besteht, wenn nicht zuvor andere nicht medikamentöse Maßnahmen erfolglos durchgeführt wurden)
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Regressfestsetzung wegen des Einsatzes von CellCept® im Off-Label-Use, für den die Prüfungsstelle die Kriterien zur ausnahmsweisen Zulässigkeit der Verordnung zu Lasten der Beigeladenen zu 2) verneint hat. Zwar beruht die Unzulässigkeit der Verordnung eines zugelassenen Medikaments auch auf dem Gesetz (§ 12 Abs. 1 SGB V [Wirtschaftlichkeitsgebot] und vor allem § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben, was das BSG ohne entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung regelmäßig verneint [BSGE 89, 184]). Ein namentlicher, genereller und ausnahmsloser Ausschluss geht damit aber gerade nicht einher. Im Gegenteil: Das Arzneimittel ist – im Rahmen der zugelassenen Anwendungsgebiete – grundsätzlich zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Somit greift § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V nicht ein. Gegen die Entscheidung der Beklagten zu 1) ist vor Klageerhebung zunächst das Vorverfahren gegen den Beklagten zu 2) gem. § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V durchzuführen.
Im Übrigen ist die Klage – nachdem der Beklagte zu 2) über den Widerspruch der Klägerin mittlerweile entschieden hat (dazu sogleich) – auch deswegen unzulässig, weil der Beschluss des Beklagten zu 2) den Beschluss der Beklagten zu 1) ersetzt hat und alleiniger Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung wird. Die ständige Rechtsprechung des BSG zum Verhältnis von Beschlüssen des Prüfungsausschusses zu Beschlüssen des Beschwerdeausschusses (z.B. BSG SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22, S. 118 f; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 95, Rn. 2b mit weiteren Beispielen zur BSG-Rspr.) ist auf das Verhältnis zwischen Prüfungsstelle und Beschwerdeausschuss zu übertragen, weil sich an der besonderen Ausgestaltung des Vorverfahrens als eigenständiges Verwaltungsverfahren, das als Widerspruchsverfahren nach § 78 SGG gilt, nichts geändert hat.
B) Die Klage gegen den Beklagten zu 2) ist wegen Bestandskraft (§ 77 SGG) des Beschlusses vom 25. August 2009 unzulässig.
Die Kammer durfte die ursprünglich nur gegen den Beschluss der Beklagten zu 1) erhobene Klage nicht wegen des fehlenden Vorverfahrens als unzulässig abweisen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG hatte die Kammer – wie geschehen – der Klägerin zunächst die Möglichkeit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen und auf diese Weise die Spruchreife herzustellen. In der Klage ist zugleich die Einlegung des Widerspruchs zu sehen (vgl. BSGE 25, 66, 68; BSGE 25, 120, 122; BSGE 26, 174, 176; BSGE 26, 199, 200f.; Leitherer, a.a.O., § 78 Rn. 3a-3b). Dies gilt auch für das besondere Vorverfahren im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die vom Beklagten zu 2) in der schriftlichen Begründung des Beschlusses vom 25. August 2009 geäußerte Auffassung, der Widerspruch sei mangels seiner – des Beklagten zu 2) –Beteiligung am gerichtlichen Verfahren und wegen potentieller doppelter Rechtshängigkeit unzulässig, ist unzutreffend. Zum einen stünde die Rechtshängigkeit nur bei identischem Streitgegenstand einer weiteren Klageerhebung entgegen (vgl. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG). Bei den Beschlüssen der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) handelt es sich aber um Entscheidungen verschiedener Behörden und somit um unterschiedliche Streitgegenstände. Zum anderen hat der 6. Senat des BSG im Urteil vom 13. Dezember 2000, -B 6 KA 1/00 R-, SozR 3-1500 § 78 Nr. 5, entschieden, dass ein Gericht auch dann Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben hat, wenn das Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss durchzuführen ist. Damit ist die Auffassung des Beklagten zu 2), der Widerspruch sei aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig, nicht zu vereinbaren.
Unabhängig davon, dass der Beklagte zu 2) zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Widerspruchs ausging, ist durch seinen Beschluss das Vorverfahren gem. § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V durchgeführt und abgeschlossen worden, so dass die Sachurteilsvoraussetzungen grundsätzlich vorlägen und die Kammer die Möglichkeit hätte, über den Rechtsstreit in der Sache – also über die Rechtmäßigkeit des ausgesprochenen Regresses – zu befinden. Denn Sachurteilsvoraussetzung ist nur, dass eine das Vorverfahren abschließende, für den Kläger erfolglose Entscheidung vorliegt, nicht aber unbedingt eine inhaltliche Entscheidung. Auch Fehlerfreiheit des Vorverfahrens ist nicht Prozessvoraussetzung (vgl. zum Ganzen Leitherer, a.a.O., § 78 Rn. 2).
Der Bescheid des Beklagten zu 2) wird allerdings nicht gem. § 96 SGG automatisch Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits zwischen Klägerin und Beklagter zu 1). Zunächst war der Beklagte zu 2) zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht Beteiligter an dem anhängigen Rechtsstreit. Ob von Gesetzes wegen ein Prozessrechtsverhältnis zwischen bisher nicht in einem gerichtlichen Verfahren befindlichen Parteien begründet werden kann, ist äußerst fraglich. Des Weiteren muss der Verwaltungsakt von der an dem Rechtsstreit bereits beteiligten Behörde erlassen worden sein (Leitherer, a.a.O., § 96 Rn. 6). Schließlich, und dies ist letztendlich entscheidend, ist § 96 Abs. 1 SGG durch das SGGArbGÄndG v. 26. März 2008 neu gefasst worden. Gemäß der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung der Vorschrift wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Beschluss des Beklagten stellt aber den Widerspruchsbescheid selbst dar, wird also vom Wortlaut des § 96 Abs. 1 SGG nicht erfasst. Eine analoge Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG scheidet nach der Änderung der Vorschrift durch das SGGArbGGÄndG aus (Leitherer a.a.O., Rn. 1; vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/7716 S. 18 f.).
Weil § 96 Abs. 1 SGG nicht eingreift, ist eine ausdrückliche Klageerhebung gegen den Beschluss des Beklagten zu 2) notwendig. Diese ist mit der von der Klägerin erklärten Erweiterung der Klage gegen den Beschluss des Beklagten zu 2) erfolgt. Hierin ist eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG zu sehen. Die Klageänderung wird vom Gericht als sachdienlich bewertet und ist damit zulässig (§ 99 Abs. 1 SGG). Denn es prozessökonomisch, über die Klagen gegen die Entscheidungen der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) in demselben Gerichtsverfahren zu entscheiden, weil sie beide denselben Lebenssachverhalt zum Gegenstand haben. Ein gesondertes Gerichtsverfahren gegen den Beklagten zu 2) kann so vermieden werden. Letztlich ist die Zulassung der Klageerweiterung die logische Folge der vom Gericht veranlassten Durchführung des Vorverfahrens. Dass der Beklagte zu 2) der Klageerweiterung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich. Dies hätte nur Bedeutung, wenn die Kammer die Klageerweiterung nicht für sachdienlich hielte.
Allerdings ist die Klage gegen den Beklagten zu 2) unzulässig, weil die Klägerin die Klageerweiterung erst am 8. Januar 2010 und damit nach Ablauf der Klagefrist erklärt hat. Der Beschluss des Beklagten war zu diesem Zeitpunkt bereits unanfechtbar. Gem. § 87 Abs. 1 S. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Der schriftliche Bescheid des Beklagten zu 2) vom 16. Oktober 2009 ist mit Schreiben vom selben Tage übersandt worden und der Klägerin – erkennbar an dem auf dem Bescheid befindlichen Eingangsstempel – am 20. Oktober 2009 zugegangen. Die Frist begann am 21. Oktober 2009 zu laufen und endete am 20. November 2009, einem Freitag. Der Beschluss des Beklagten zu 2) war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen (§ 106 Abs. 5 S. 5 SGB V i.V.m. § 85 Abs. 3 S. 4 SGG), so dass eine Verlängerung der Klagefrist gem. § 66 Abs. 2 SGG ausscheidet. Zu Recht ist in der Belehrung die Klage als das zulässige Rechtsmittel bezeichnet, weil – wie oben ausgeführt – kein Fall des § 96 Abs. 1 SGG vorliegt. Soweit die Rechtsmittelbelehrung über den nach §§ 66 Abs. 1 und 85 Abs. 3 S. 4 SGG notwendigen Inhalt hinausgehende Informationen enthält, ist sie ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar ist in der Belehrung formuliert, die Klage müsse den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Dies entspricht wörtlich den Vorgaben des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG, ist allerdings angesichts der Regelung des § 92 Abs. 2 S. 1 SGG, wonach die Nachholung fehlender Angaben möglich ist, jedenfalls im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht zwingend notwendig. Dennoch hat dies keinen Einfluss auf den Lauf und die Dauer der Klagefrist. Denn fehlerhafte oder unvollständige zusätzliche Angaben verlängern die Klagefrist nur, wenn sie nach Lage der Dinge abstrakt Einfluss auf eine verspätete oder formwidrige Einlegung des Rechtsbehelfs gehabt haben können (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 66, Rn. 12 unter Bezugnahme auf die Kommentierung bei Zeihe). Dies ist bei dem genannten Zusatz, der gesetzlich definierte notwendige Bestandteile der Klageschrift bezeichnet, nicht der Fall. Eine aufgrund dieses Zusatzes verfristete Klageerhebung ist nicht denkbar, weil die Klageerhebung dadurch nicht erschwert wird. Denn eine Klageschrift ohne Angabe der Hauptbeteiligten und des Klagegegenstands ergibt keinen Sinn und könnte vom Gericht schon gar nicht als Klageschrift anerkannt werden. Jede Klageerhebung wird unabhängig davon, ob der Betroffene darüber belehrt wurde oder nicht, stets Kläger, Beklagten und Gegenstand bezeichnen, und sei es dadurch, dass der Betroffene seinem Anschreiben nur den angegriffenen Bescheid beifügt.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG hat die Klägerin nicht beantragt. Sie hat auch keine Tatsachen vorgetragen, aus denen geschlossen werden könnte, dass sie die Klagefrist ohne Verschulden versäumt hat, so dass auch von Amts wegen keine Wiedereinsetzung zu gewähren war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht die Klägerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 explizit darauf hingewiesen hat, dass zur Vermeidung des Eintritts der Bestandskraft die Klage auf den Beschluss des Beklagten zu 2) zu erweitern ist.
C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 161 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Regress wegen der Verordnung des Medikaments Cellcept® im Quartal II/2005.
Die Klägerin ist Trägerin des Universitätsklinikums. – Universitätsmedizin B. Sie ist zugleich Trägerin der fortgeführten und damit gesetzlich gemäß § 311 Abs. 2 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachambulanz für Nephrologie mit Dispensaire-Auftrag. In der Fachambulanz behandelte sie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung die bei der Beigeladenen zu 2) gesetzlich krankenversicherte Patientin M K, die an Wegenerscher Granulomathose mit Nierenbeteiligung litt. Am 10. Juni 2006 verordnete sie auf Kassenrezept das Medikament CellCept® (Wirkstoff Mycophenolatmofetil), das arzneimittelrechtlich in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zur Prophylaxe von akuten Transplantatabstoßungsreaktionen bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation zugelassen ist. Eine Zulassung bei Wegenerscher Granulomathose besteht nicht.
Wegen der genannten Verordnung beantragte die Beigeladene zu 2) mit Schreiben vom 9. März 2006 beim damaligen Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 458,09 EUR. Nach schriftlicher Anhörung der Klägerin beriet der Prüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 11. Januar 2007 den Regressantrag, vertagte die Entscheidung jedoch. Eine Entscheidung traf der Prüfungsausschuss nicht mehr.
Mit Beschluss vom 5. September 2008 (schriftlicher Bescheid ausgefertigt am 31. Oktober 2008, zugestellt per Einschreiben vom selben Tage) setzte die Beklagte zu 1) wegen der Verordnung einen Regress in Höhe von 458,09 EUR fest. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Verordnung von Cellcept zulassungsüberschreitend erfolgt sei. Zulassungsüberschreitende Verordnungen seien nur in begründeten Fällen eines so genannten Off-Label-Use von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst (Wirtschaftlichkeitsgebot §§ 2, 12 SGB V). Diese Anforderung knüpfe regelmäßig an die arzneimittelrechtliche Zulassung (§ 21 Abs. 2 AMG) und deren Ausführungen zu Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels an. Das BSG habe im Urteil vom 19. März 2002 (-B 1 KR 37/00 R-) klare Kriterien festgelegt, die einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV gestatteten. Diese Kriterien seien vorliegend nicht als erfüllt anzusehen, da nicht erkennbar sei, ob vor der Behandlung alle zur Verfügung stehenden, zugelassenen therapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft gewesen seien bzw. andere Therapieoptionen diskutiert oder in Erwägung gezogen worden seien. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids lautete, dass die Klage zulässig sei.
Am 3. Dezember 2008 hat die Klägerin Klage erhoben, weil vorliegend die vom BSG im Urteil vom 19. März 2002 aufgestellten Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Verordnung von CellCept® zu Lasten der Beigeladenen zu 2) erfüllt seien.
Auf Hinweis der Kammer vom 23. Juni 2009, dass die Klage derzeit unzulässig und zunächst das Vorverfahren vor dem Beklagten zu 2) durchzuführen sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Juli 2009 erklärt, dass der Klage auch die Erhebung des Widerspruchs beizumessen sei. Die Kammer hat den Beklagten zu 2) daraufhin aufgefordert, das Widerspruchsverfahren durchzuführen.
Mit Beschluss vom 25. August 2009 wies der Beklagte zu 2) den Widerspruch als unzulässig zurück, weil die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten zu 1) bereits Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits sei. Deshalb sei eine neue Klage gegen seine – des Beklagten zu 2) – Entscheidung wegen der bereits bestehenden Rechtshängigkeit unzulässig. Die Klägerin könne ihr Ziel, die Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu erwirken, damit nicht erreichen. Weil die Klägerin dieses Klageziel mit dem Rechtsbehelf nicht erwirken könne, sei der Widerspruch unzulässig.
Der am 16. Oktober 2009 ausgefertigte schriftliche Bescheid des Beklagten zu 2) ging bei der Klägerin am 20. Oktober 2009 ein. Er enthält eine Rechtsmittelbelehrung, nach der gegen diesen Bescheid die Klage zum Sozialgericht Berlin zulässig sei.
Mit am 8. Januar 2010 beim SG Berlin eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Klage gegen den Beschluss des Beklagten zu 2) vom 25. August 2009 erweitert. Eine gesonderte Klage hat sie gegen den Beschluss nicht erhoben.
Die Klägerin beantragt, den Beschluss der Beklagten zu 1) vom 5. September 2008 (schriftlicher Bescheid vom 31. Oktober 2008) und den Beschluss des Beklagten zu 2) vom 25. August 2009 (schriftlicher Bescheid vom 16. Oktober 2009) aufzuheben.
Die Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) beantragen, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten zu 1) und zu 2) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist sowohl gegenüber der Beklagten zu 1) als auch dem Beklagten zu 2) unzulässig.
A) Die Klage gegen den Beschluss der Beklagten zu 1) vom 5. September 2008 (Bescheid vom 31. Oktober 2008) ist unzulässig, weil sie der unzutreffende Rechtsbehelf ist. Vielmehr ist gegen die Entscheidung der Beklagten zu 1) der Beklagte zu 2) anzurufen.
Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz [GKV-WSG]) vom 26. März 2007 hat der Gesetzgeber die Aufgabenwahrnehmung in der Wirtschaftlichkeitsprüfung zum 1. Januar 2008 neu geregelt. So wurde der bisher von Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen gebildete Prüfungsausschuss durch die Prüfungsstelle ersetzt (§ 106 Abs. 4 S. 1 SGB V i.d.F. des GKV-WSG). Sie ist nach den Grundsätzen des intertemporären Verfahrensrechts (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 26. November 2008, -L 7 KA 13/05-, zit. n. juris, Rn. 54) für die Entscheidung des zuvor beim Prüfungsausschuss anhängigen Prüfantrags der Beigeladenen zu 2) zuständig. Die Prüfungsstelle bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet gemäß Absatz 5 Satz 1 (§ 106 Abs. 4a S. 6 SGB V i.d.F. des GKV-WSG). Mit der Einrichtung der Prüfungsstelle beabsichtigte der Gesetzgeber, die Wirtschaftlichkeitsprüfung zu professionalisieren und die Effizienz und Effektivität zu verbessern (Begründung zum Fraktionsentwurf des GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3100, S. 137).
Der durch das GKV-WSG neu gefasste § 106 Abs. 5 SGB V beinhaltet den Ablauf des Prüfverfahrens. Er lautet in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung:
1Die Prüfungsstelle entscheidet, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. 2Dabei sollen gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. 3Gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkasse, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen die Beschwerdeausschüsse anrufen. 4Die Anrufung hat aufschiebende Wirkung. 5Für das Verfahren sind § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes anzuwenden. 6Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren (§ 78 des Sozialgerichtsgesetzes). 7Die Klage gegen eine vom Beschwerdeausschuss festgesetzte Honorarkürzung hat keine aufschiebende Wirkung. 8Abweichend von Satz 3 findet in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt.
Der ursprünglich in § 106 Abs. 5 S. 1 SGB V bezogen auf die ermächtigte Einrichtung enthaltene Zusatz "ärztlich geleitet" ist durch Art. 6 Nr. 16 des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28. Mai 2008 mit Wirkung ab 1. Juli 2008 gestrichen worden, um auch die regelmäßig nicht ärztlich geleiteten stationären Pflegeeinrichtungen in die Vorschrift einzubeziehen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/7439, S. 98).
Nach § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V hat vor der Klageerhebung grundsätzlich ein Vorverfahren vor dem Beklagten zu 2) stattzufinden, das als Widerspruchsverfahren gem. § 78 SGG gilt (§ 106 Abs. 5 S. 6 SGB V). Der mit dem GKV-WSG eingeführte Ausschluss des Vorverfahrens in bestimmten Konstellationen (§ 106 Abs. 5 S. 8 SGB V) ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die anderslautende Auffassung der Beklagten zu 1), zum Ausdruck gekommen durch die in ihrem Bescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung, teilt die Kammer nicht.
Zwar handelt es sich bei dem vorliegenden Arzneimittelregress um die Festlegung eines Ausgleichs bei Mehraufwand für Leistungen. Als weitere Voraussetzung ist jedoch in § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V bestimmt, dass die Leistungen durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 ausgeschlossen sein müssen. Dies betrifft nach Auffassung der Kammer nur Leistungen bzw. Arzneimittel oder Wirkstoffe, die ausdrücklich, also namentlich, unmittelbar und ausnahmslos durch gesetzliche Regelungen, Verordnungen oder Richtlinien nach § 92 SGB V, insbesondere die Arznei-, Hilfs- und Heilmittel-Richtlinien, ausgeschlossen sind. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, aus Sinn und Zweck der Regelung sowie der bisherigen Kommentierung.
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/3100, S. 138) betrifft der Ausschluss des Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss Arzneimittelverordnungen, die durch Gesetz oder die Richtlinien aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen sind. Der Ausschluss bewirke, dass der Beschwerdeausschuss von einer Vielzahl gleichartig zu bewertender Einzelvorgänge entlastet werde. Der vergleichsweise leicht überprüfbare Sachverhalt, ob ein Arzneimittel grundsätzlich Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei, könne sachgerecht durch die Prüfungsstelle abschließend geklärt werden.
Mithin geht der Gesetzgeber für die von § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V erfassten Konstellationen von leicht überprüfbaren Sachverhalten und davon aus, dass die betroffenen Einzelvorgänge gleichartig zu bewerten seien. Es soll für die Regressentscheidung also nicht auf eine medizinische Bewertung des Einzelfalls ankommen. Dies ist auch sachgerecht, denn in Fällen des unmittelbaren, ausnahmslosen Ausschlusses besteht kein Bedarf für die Befassung des Beschwerdeausschusses, weil es auf eine fachliche Bewertung der Verordnung nicht ankommt. Hier ist tatsächlich eine Entlastung des Gremiums geboten. Dagegen ist es in Fällen, in denen die medizinischen Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen und für die Entscheidung ausschlaggebend sind – in denen also eben gerade keine gleichartig zu bewertende Vorgänge vorliegen – weiterhin sachgerecht, dass der aufgrund seiner Besetzung mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung (typischerweise Vertragsärzte) und der Krankenkassen (§ 106 Abs. 4 S. 2 SGB V) mit besonderer medizinischer Fachkunde ausgestattete Beschwerdeausschuss im Rahmen des Vorverfahrens die Entscheidung der Prüfungsstelle überprüft.
Dies wird auch in der bisherigen Kommentierung so gesehen. So spricht Clemens (in jurisPK-SGB V, 1. Aufl. 2008, § 106, Rn 279) davon, dass das Vorverfahren nicht mehr stattfindet im Falle eines Regresses bei Leistungen, die aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherungen generell ausgeschlossen sind. Dies ist so zu verstehen, dass ein ausnahmsloser Ausschluss vorliegen muss. Wenner (Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 25, Rn. 10) scheint jedenfalls für den Fall eines Off-Label-Use skeptisch zu sein, ob ein Vorverfahren ausgeschlossen ist, wenn er formuliert: "Der Schwerpunkt der Regresse wegen in der GKV grundsätzlich nicht verordnungsfähiger Arzneimittel liegt heute aber im Bereich des "Off-Label-Use" [ ]. Wenn derartige Konstellationen auch von dem Ausschluss des Vorverfahrens erfasst sein sollten, wäre das kaum sachgerecht: Komplizierte Sachverhalte sind zu klären und schwierige Wertungen in medizinischen Grenzfragen erforderlich. Wenn dazu nicht der paritätisch besetzte Beschwerdeausschuss das geeignete Gremium sein sollte, könnte man das gesamte Widerspruchsverfahren auf eine hauptamtlich besetzte Behörde verlagern oder ganz entfallen lassen". Engelhard (in Hauck/Noftz, SGB V, Erg-Lfg 4/08; IV/08, § 106, Rn. 599c) schließlich geht davon aus, dass Voraussetzung für den Ausschluss des Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss ist, dass die betroffenen Leistungen als solche durch das Gesetz oder durch die Richtlinien ausgeschlossen sind. Ein gesetzlicher Ausschluss sei insbesondere durch § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V und die dort aufgeführten Arzneimittel erfolgt. Zudem gehörten zu den gesetzlich ausgeschlossenen Leistungen solche, die aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung durch Rechtsverordnung ausgeschlossen seien, etwa aufgrund des § 34 Abs. 2 bis 5 SGB V.
Sinn und Zweck des Vorverfahrens ist die Selbstkontrolle der Verwaltung, die Verbesserung des Rechtsschutzes des betroffenen Bürgers, Schutz der Gerichte vor Überlastung, eine Beilegung des Streits im Wege gütlicher Einigung und – für den Fall, dass der Widerspruch unbegründet ist – die Möglichkeit der Verwaltung, den Betroffenen zu überzeugen, dass sein Begehren nicht berechtigt ist (vgl. zu weiteren Einzelheiten Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, vor § 77, Rn. 1a). Letzteres wird insbesondere der Fall sein, wenn eine übergeordnete Behörde oder ein Ausschuss über den Widerspruch entscheidet und wenn dem Betroffenen rechtliches Gehör gewährt und ihm der Eindruck vermittelt wird, dass seine Sache sorgfältig geprüft ist (Leitherer a.a.O.).
Für die Kammer ist angesichts der Gesetzesbegründung zu § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber in allen Fällen der Festsetzung eines Einzelregresses von diesen Wirkungen des Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss abrücken wollte. Gerade weil mit dem Beschwerdeausschuss ein mit Kollegen und besonderem Fachverstand besetztes Gremium über den Widerspruch entscheidet, bestehen gute Aussichten, dass im Bereich medizinisch problematischer und schwer zu bewertender Einzelverordnungen Rechtsfrieden bereits im Vorverfahren hergestellt werden kann. Sowohl Vertragsärzte als auch Krankenkassen dürften die Entscheidungen der Prüfgremien nach mündlicher Verhandlung und Entscheidung des Beschwerdeausschusses eher akzeptieren als einen Bescheid der Prüfungsstelle, der nur aufgrund eines schriftlichen Verwaltungsverfahrens ergeht. Im Übrigen hat die Praxis der Berliner Prüfungsstelle, jeden Bescheid über einen Verordnungsregress mit einer Rechtmittelbelehrung zu versehen, nach der die Klage zulässig sein soll, zu einem spürbaren Anstieg von entsprechenden Klageverfahren geführt, und zwar gerade auch im Bereich eher niedriger Regressforderungen. Dabei sind in diesen Fällen (z.B. Off-Label-Use, Verordnungsmenge, Verordnungsalternativen, Verordnung verschreibungspflichtiger oder Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente, Fertig- oder Rezepturarzneimittel und ähnliches) im Regelfall weitere medizinische Ermittlungen durch das Gericht notwendig. Es ist zu einer deutlichen Mehrbelastung des Gerichts in diesem Bereich gekommen. Dies dürfte nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein. Daher ist – zur Wahrung der Funktionen des Vorverfahrens in sachgerechten Fällen – § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V als Ausnahmeregelung zu § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V eng auszulegen.
Die Kammer geht nach alledem davon aus, dass insbesondere in folgenden Konstellationen nach wie vor ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss stattzufinden hat, wobei die Aufzählung aufgrund der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen nicht abschließend ist:
• Off-Label-Use: Kläger macht Verordnungsfähigkeit nach den Grundsätzen des Urteils BSGE 89,184, -B 1 KR 37/00 R- (Sandoglobulin), oder nach den Grundsätzen des Urteils BSGE 96, 170, -B 1 KR 7/05 R- (Tumodex), i.V.m. dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 115, 25, -1 BvR 347/98-, vom 6. Dezember 2005, geltend • Verordnung nicht in Deutschland zugelassener Präparate: Kläger macht Verordnungsfähigkeit nach den Grundsätzen des Urteils BSGE 96, 170, -B 1 KR 7/05 R- (Tumodex), i.V.m. dem Beschluss des BVerfG BVerfGE 115, 25, 1 BvR 347/98, vom 6. Dezember 2005, geltend • Regress, weil anstelle des verordneten verschreibungspflichtigen Präparats ein nicht verschreibungspflichtiges hätte eingesetzt werden sollen (§ 12 Abs. 11 der Arzneimittel-Richtlinien [AMR] in der seit dem 1. April 2009 geltenden Fassung vom 18. Dezember 2008 / 22. Januar 2009 [n.F.] bzw. Nr. 16.10 der AMR a.F.) • Regress, weil anstelle eines günstigeren Fertigarzneimittels ein Rezepturarzneimittel verordnet wurde • Regress wegen Überschreitung der in der Arzneimittelinformation angegebenen Verordnungs- bzw. Anwendungsmenge (§ 9 Abs. 3 AMR n.F. bzw. Nr. 38 und 39 der AMR a.F.) • sonstige Regresse auf Grundlage des § 9 AMR n.F. • Regresse wegen Ausschluss der Arzneimittel nach § 16 Abs. 3 i.V.m. Anlage III AMR n.F. bzw. Nr. 20.2 AMR a.F. (in Fällen, in denen ein Ausschluss besteht, wenn nicht zuvor andere nicht medikamentöse Maßnahmen erfolglos durchgeführt wurden)
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Regressfestsetzung wegen des Einsatzes von CellCept® im Off-Label-Use, für den die Prüfungsstelle die Kriterien zur ausnahmsweisen Zulässigkeit der Verordnung zu Lasten der Beigeladenen zu 2) verneint hat. Zwar beruht die Unzulässigkeit der Verordnung eines zugelassenen Medikaments auch auf dem Gesetz (§ 12 Abs. 1 SGB V [Wirtschaftlichkeitsgebot] und vor allem § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben, was das BSG ohne entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung regelmäßig verneint [BSGE 89, 184]). Ein namentlicher, genereller und ausnahmsloser Ausschluss geht damit aber gerade nicht einher. Im Gegenteil: Das Arzneimittel ist – im Rahmen der zugelassenen Anwendungsgebiete – grundsätzlich zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Somit greift § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V nicht ein. Gegen die Entscheidung der Beklagten zu 1) ist vor Klageerhebung zunächst das Vorverfahren gegen den Beklagten zu 2) gem. § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V durchzuführen.
Im Übrigen ist die Klage – nachdem der Beklagte zu 2) über den Widerspruch der Klägerin mittlerweile entschieden hat (dazu sogleich) – auch deswegen unzulässig, weil der Beschluss des Beklagten zu 2) den Beschluss der Beklagten zu 1) ersetzt hat und alleiniger Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung wird. Die ständige Rechtsprechung des BSG zum Verhältnis von Beschlüssen des Prüfungsausschusses zu Beschlüssen des Beschwerdeausschusses (z.B. BSG SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22, S. 118 f; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 95, Rn. 2b mit weiteren Beispielen zur BSG-Rspr.) ist auf das Verhältnis zwischen Prüfungsstelle und Beschwerdeausschuss zu übertragen, weil sich an der besonderen Ausgestaltung des Vorverfahrens als eigenständiges Verwaltungsverfahren, das als Widerspruchsverfahren nach § 78 SGG gilt, nichts geändert hat.
B) Die Klage gegen den Beklagten zu 2) ist wegen Bestandskraft (§ 77 SGG) des Beschlusses vom 25. August 2009 unzulässig.
Die Kammer durfte die ursprünglich nur gegen den Beschluss der Beklagten zu 1) erhobene Klage nicht wegen des fehlenden Vorverfahrens als unzulässig abweisen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG hatte die Kammer – wie geschehen – der Klägerin zunächst die Möglichkeit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen und auf diese Weise die Spruchreife herzustellen. In der Klage ist zugleich die Einlegung des Widerspruchs zu sehen (vgl. BSGE 25, 66, 68; BSGE 25, 120, 122; BSGE 26, 174, 176; BSGE 26, 199, 200f.; Leitherer, a.a.O., § 78 Rn. 3a-3b). Dies gilt auch für das besondere Vorverfahren im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die vom Beklagten zu 2) in der schriftlichen Begründung des Beschlusses vom 25. August 2009 geäußerte Auffassung, der Widerspruch sei mangels seiner – des Beklagten zu 2) –Beteiligung am gerichtlichen Verfahren und wegen potentieller doppelter Rechtshängigkeit unzulässig, ist unzutreffend. Zum einen stünde die Rechtshängigkeit nur bei identischem Streitgegenstand einer weiteren Klageerhebung entgegen (vgl. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG). Bei den Beschlüssen der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) handelt es sich aber um Entscheidungen verschiedener Behörden und somit um unterschiedliche Streitgegenstände. Zum anderen hat der 6. Senat des BSG im Urteil vom 13. Dezember 2000, -B 6 KA 1/00 R-, SozR 3-1500 § 78 Nr. 5, entschieden, dass ein Gericht auch dann Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben hat, wenn das Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss durchzuführen ist. Damit ist die Auffassung des Beklagten zu 2), der Widerspruch sei aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig, nicht zu vereinbaren.
Unabhängig davon, dass der Beklagte zu 2) zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Widerspruchs ausging, ist durch seinen Beschluss das Vorverfahren gem. § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V durchgeführt und abgeschlossen worden, so dass die Sachurteilsvoraussetzungen grundsätzlich vorlägen und die Kammer die Möglichkeit hätte, über den Rechtsstreit in der Sache – also über die Rechtmäßigkeit des ausgesprochenen Regresses – zu befinden. Denn Sachurteilsvoraussetzung ist nur, dass eine das Vorverfahren abschließende, für den Kläger erfolglose Entscheidung vorliegt, nicht aber unbedingt eine inhaltliche Entscheidung. Auch Fehlerfreiheit des Vorverfahrens ist nicht Prozessvoraussetzung (vgl. zum Ganzen Leitherer, a.a.O., § 78 Rn. 2).
Der Bescheid des Beklagten zu 2) wird allerdings nicht gem. § 96 SGG automatisch Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits zwischen Klägerin und Beklagter zu 1). Zunächst war der Beklagte zu 2) zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht Beteiligter an dem anhängigen Rechtsstreit. Ob von Gesetzes wegen ein Prozessrechtsverhältnis zwischen bisher nicht in einem gerichtlichen Verfahren befindlichen Parteien begründet werden kann, ist äußerst fraglich. Des Weiteren muss der Verwaltungsakt von der an dem Rechtsstreit bereits beteiligten Behörde erlassen worden sein (Leitherer, a.a.O., § 96 Rn. 6). Schließlich, und dies ist letztendlich entscheidend, ist § 96 Abs. 1 SGG durch das SGGArbGÄndG v. 26. März 2008 neu gefasst worden. Gemäß der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung der Vorschrift wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Beschluss des Beklagten stellt aber den Widerspruchsbescheid selbst dar, wird also vom Wortlaut des § 96 Abs. 1 SGG nicht erfasst. Eine analoge Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG scheidet nach der Änderung der Vorschrift durch das SGGArbGGÄndG aus (Leitherer a.a.O., Rn. 1; vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/7716 S. 18 f.).
Weil § 96 Abs. 1 SGG nicht eingreift, ist eine ausdrückliche Klageerhebung gegen den Beschluss des Beklagten zu 2) notwendig. Diese ist mit der von der Klägerin erklärten Erweiterung der Klage gegen den Beschluss des Beklagten zu 2) erfolgt. Hierin ist eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG zu sehen. Die Klageänderung wird vom Gericht als sachdienlich bewertet und ist damit zulässig (§ 99 Abs. 1 SGG). Denn es prozessökonomisch, über die Klagen gegen die Entscheidungen der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) in demselben Gerichtsverfahren zu entscheiden, weil sie beide denselben Lebenssachverhalt zum Gegenstand haben. Ein gesondertes Gerichtsverfahren gegen den Beklagten zu 2) kann so vermieden werden. Letztlich ist die Zulassung der Klageerweiterung die logische Folge der vom Gericht veranlassten Durchführung des Vorverfahrens. Dass der Beklagte zu 2) der Klageerweiterung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich. Dies hätte nur Bedeutung, wenn die Kammer die Klageerweiterung nicht für sachdienlich hielte.
Allerdings ist die Klage gegen den Beklagten zu 2) unzulässig, weil die Klägerin die Klageerweiterung erst am 8. Januar 2010 und damit nach Ablauf der Klagefrist erklärt hat. Der Beschluss des Beklagten war zu diesem Zeitpunkt bereits unanfechtbar. Gem. § 87 Abs. 1 S. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Der schriftliche Bescheid des Beklagten zu 2) vom 16. Oktober 2009 ist mit Schreiben vom selben Tage übersandt worden und der Klägerin – erkennbar an dem auf dem Bescheid befindlichen Eingangsstempel – am 20. Oktober 2009 zugegangen. Die Frist begann am 21. Oktober 2009 zu laufen und endete am 20. November 2009, einem Freitag. Der Beschluss des Beklagten zu 2) war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen (§ 106 Abs. 5 S. 5 SGB V i.V.m. § 85 Abs. 3 S. 4 SGG), so dass eine Verlängerung der Klagefrist gem. § 66 Abs. 2 SGG ausscheidet. Zu Recht ist in der Belehrung die Klage als das zulässige Rechtsmittel bezeichnet, weil – wie oben ausgeführt – kein Fall des § 96 Abs. 1 SGG vorliegt. Soweit die Rechtsmittelbelehrung über den nach §§ 66 Abs. 1 und 85 Abs. 3 S. 4 SGG notwendigen Inhalt hinausgehende Informationen enthält, ist sie ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar ist in der Belehrung formuliert, die Klage müsse den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Dies entspricht wörtlich den Vorgaben des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG, ist allerdings angesichts der Regelung des § 92 Abs. 2 S. 1 SGG, wonach die Nachholung fehlender Angaben möglich ist, jedenfalls im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht zwingend notwendig. Dennoch hat dies keinen Einfluss auf den Lauf und die Dauer der Klagefrist. Denn fehlerhafte oder unvollständige zusätzliche Angaben verlängern die Klagefrist nur, wenn sie nach Lage der Dinge abstrakt Einfluss auf eine verspätete oder formwidrige Einlegung des Rechtsbehelfs gehabt haben können (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 66, Rn. 12 unter Bezugnahme auf die Kommentierung bei Zeihe). Dies ist bei dem genannten Zusatz, der gesetzlich definierte notwendige Bestandteile der Klageschrift bezeichnet, nicht der Fall. Eine aufgrund dieses Zusatzes verfristete Klageerhebung ist nicht denkbar, weil die Klageerhebung dadurch nicht erschwert wird. Denn eine Klageschrift ohne Angabe der Hauptbeteiligten und des Klagegegenstands ergibt keinen Sinn und könnte vom Gericht schon gar nicht als Klageschrift anerkannt werden. Jede Klageerhebung wird unabhängig davon, ob der Betroffene darüber belehrt wurde oder nicht, stets Kläger, Beklagten und Gegenstand bezeichnen, und sei es dadurch, dass der Betroffene seinem Anschreiben nur den angegriffenen Bescheid beifügt.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG hat die Klägerin nicht beantragt. Sie hat auch keine Tatsachen vorgetragen, aus denen geschlossen werden könnte, dass sie die Klagefrist ohne Verschulden versäumt hat, so dass auch von Amts wegen keine Wiedereinsetzung zu gewähren war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht die Klägerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 explizit darauf hingewiesen hat, dass zur Vermeidung des Eintritts der Bestandskraft die Klage auf den Beschluss des Beklagten zu 2) zu erweitern ist.
C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 161 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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