L 9 AL 269/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 1619/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 269/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Soweit eine Klage durch Prozessurteil rechtskräftig abgewiesen worden ist, ist eine weitere Klage, bei der es um die gleiche Prozessvoraussetzung geht, deswegen nicht zulässig.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 31.ß05.2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Zahlung von Arbeitslosengeld.

Die 1969 geborene Klägerin, eine ukrainische Staatsangehörige, war bis 30. September 1998 als Frühstücksköchin in einem Hotel in A-Stadt beschäftigt; das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber zum 30. September 1998 wegen unentschuldigten Fehlens gekündigt. Die Klägerin hatte sich zum 15. Oktober 1998 arbeitslos gemeldet. Mit Bescheid vom 11. November 1998 hatte die Beklagte eine Sperrzeit vom 1. Oktober 1998 bis 23. Dezember 1998 (zwölf Wochen) festgestellt. Im Überprüfungsbescheid vom 10. Februar 1999 hatte die Beklagte an der Sperrzeit festgehalten und den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1999 zurückgewiesen.

Die Klägerin erhob dagegen am 9. Juni 1999 beim Sozialgericht München Klage (S 5 AL 829/99) auf Zahlung von Arbeitslosengeld vom 1. Oktober bis 23. Dezember 1998. In der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2001, in der sie mit einem Rechtsanwalt erschienen war, schlossen die Prozessbeteiligten einen Vergleich, dass unter Abänderung des Bescheides vom 11. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10. Mai 1999 eine nur sechswöchige Sperrzeit beginnend mit dem 1. Oktober 1998 festgestellt wird und die Beklagte die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin erstattet. Die Beteiligten waren sich darüber einig, dass mit Abschluss dieses Vergleichs der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist. Der Vergleich wurde den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt.

Am 26. März 2002 focht die Klägerin beim SG den Vergleich an; sie sei von dem Rechtsanwalt getäuscht worden. Die Arbeitgeberkündigung sei rechtswidrig gewesen; eine Sperrzeit hätte nicht verhängt werden dürfen. Das SG stellte mit Gerichtsbescheid vom
9. Juli 2003 (S 5 AL 468/02) fest, dass das Klageverfahren S 5 AL 829/99 durch Prozessvergleich erledigt sei. Der Vergleich sei wirksam zu Stande gekommen. Die Klägerin habe überdies mit ihrem Schreiben vom 18. Februar 2002 bestätigt, dass sie mit der Reduzierung der Sperrzeit auf sechs Wochen einverstanden gewesen sei.

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8. August 2003 durch ihren Vater Berufung beim Bayer. Landessozialgericht einlegen lassen. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2004, in der die Klägerin von ihrem Vater vertreten war, und zu der eine Dolmetscherin hinzugezogen wurde, die Berufung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen des Urteils hat es ausgeführt, das SG habe zu Recht festgestellt, dass das Klageverfahren S 5 AL 829/99 durch den Prozessvergleich vom 29. Mai 2001 abgeschlossen wurde und dass aufgrund dieses Vergleichs bestandskräftig feststeht, dass der Sperrzeitbescheid vom 11. November 1998 nur zurückzunehmen war, soweit der Eintritt einer Sperrzeit von mehr als sechs Wochen festgestellt wurde. Da aufgrund dieser bestandskräftigen Feststellung der Anspruch für sechs Wochen ruht, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. Oktober bis 11. November 1998. Der Vergleich sei wirksam zustande gekommen. Die Anfechtung des Vergleichs sei nicht wirksam; die Klägerin mache lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum geltend nicht gewusst zu haben, dass wegen des Erstattungsanspruchs des Sozialhilfeträgers ihr nur ein relativ geringer Betrag ausgezahlt werden würde.

Am 9. November 2005 hat die Klägerin wieder Klage beim SG erhoben, mit der sie gegen den Prozessvergleich vorgeht. Die Anfechtung führe zur Nichtigkeit des Vergleichs, der Gerichtsbescheid des SG vom 9. Juli 2003 sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten (S 5 AL 1619/05). Nachdem das Bayer. Landessozialgericht mit Beschluss vom 6. April 2006 (L 5 AR 29/06 AL) ein Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die Vorsitzende der 5. Kammer des SG als unbegründet festgestellt hat, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2006 die erneute Anfechtung als unzulässig zurückgewiesen. Die erneute Anfechtung sei unzulässig, weil bereits das Landessozialgericht in einer rechtskräftigen Entscheidung die Wirksamkeit des Vergleichs vom 29. Mai 2001 festgestellt hat. Auch im Beschluss vom 6. April 2006 habe das Bayer. Landessozialgericht ausgeführt, dass der Vergleich vom 29. Mai 2001 und die darin getroffene Regelung für die Beteiligten, also auch für die Klägerin, bindend geworden sind.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 10. August 2006, die auch in diesem Verfahren durch ihren Vater vertreten ist. Er macht, wie zuvor geltend, der Sperrzeitbescheid und der Gerichtsbescheid seien nichtig, der Prozessvergleich sei unwirksam. Der Klägerin stehe Arbeitslosengeld vom 2. Oktober 1998 bis 23. Dezember 1998 in Höhe von 3.583,44 DM zu.

Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 31. Mai 2006 aufzuheben, den Rechtsstreit fortzusetzen und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 11. November 1998 und 10. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1999 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld vom 2. Oktober 1998 bis 23. Dezember 1998 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Sie ist unbegründet.

Das SG hat zu Recht in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die Klage als unzulässig abgewiesen. Denn es ist bereits durch den Gerichtsbescheid des SG vom 9. Juli 2003 und das Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 30. Januar 2004 rechtskräftig festgestellt, dass durch den wirksamen Prozessvergleich am 29. Mai 2001 vor dem SG das Verfahren auf Zahlung von Arbeitslosengeld durch Verringerung der zwölfwöchigen Sperrzeit auf sechs Wochen beendet worden ist. Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin diesen Streitgegenstand ein weiteres Mal geltend.

Einer erneuten Entscheidung über diesen Streitgegenstand steht jedoch die Wirkung der Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 9. Juli 2003 und des Urteils des Bayer. Landessozialgerichts vom 30. Januar 2004 entgegen (§ 141 SGG), in dem die Erledigung des Klageverfahrens S 5 AL 829/99 durch Prozessvergleich festgestellt worden ist. Nach
§ 101 SGG können die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Dies ist in der mündlichen Verhandlung des SG am 29. Mai 2001 geschehen. Über die Frage der Wirksamkeit des Prozessvergleichs ist bereits rechtskräftig entschieden worden, dass der vorangegangene Rechtsstreit durch den Prozessvergleich erledigt worden ist.

Nach § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile - dies gilt auch für Gerichtsbescheide (§ 105 Abs. 3 SGG) - die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Dies bedeutet zunächst, dass eine neue Klage mit dem identischen Streitgegenstand, wie hier, nicht zulässig ist. Die Bindungswirkung betrifft die Urteilsformel und sie beschränkt sich auf den in dieser enthaltenen Gedanken. Dies bedeutet also, dass in einem weiteren Verfahren die Gerichte davon auszugehen haben, dass das frühere Verfahren der Klägerin (S 5 AL 829/99) durch den wirksamen Prozessvergleich beendet worden ist. Eine weitere Folge der Rechtskraft ist, dass die Beteiligten mit einem tatsächlichen Vorbringen ausgeschlossen sind, das im Widerspruch zu den Feststellungen der rechtskräftigen Entscheidung steht. Hat ein Gericht den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Prozesses als Vorfrage erneut zu prüfen, hat es den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zugrunde zu legen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leithe-
rer, SGG, 9. Aufl., § 141, Rnrn. 6, 7 m.w.N. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesgerichtshofs).

Der Senat weist die Klägerin für künftige Verfahren darauf hin, dass bei missbräuchlicher Rechtsverfolgung die Möglichkeit besteht, ihr Verschuldenskosten aufzuerlegen (§ 192 SGG). Der vorliegende Rechtsstreit ist rechtsmissbräuchlich. Denn mit der erneuten Berufung führt die Klägerin den gleichen Rechtsstreit wie in dem Verfahren L 8 AL 300/03, das mit dem rechtskräftigen Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 30. Januar 2004 entschieden wurde und in dem damals alle von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen eingehend behandelt worden sind. Damit stellt sich das vorliegende Verfahren als missbräuchliche Wiederholung der früheren Berufung dar. Die Klägerin zeigt ein hohes Maß an Uneinsichtigkeit, weil ihr mit dem Gerichtsbescheid des SG vom 9. Juli 2003 und mit dem im anschließenden Berufungsverfahren ergangenen Urteil vom 30. Januar 2004 klar vor Augen geführt wurde, dass ihr prozessuales Anliegen erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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