S 12 KA 224/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 224/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 37/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Der Arzt hat auch nach dem Ende seiner Beteiligung als Vertragsarzt die fortbestehende Pflicht, den Kassenarztstempel und die Arztnummer sowie die ihm von der Kasse überlassenen Vordrucke nur zu dem Zweck zu benutzen, für den sie ihm zugeteilt sind und darf sich nicht unter Einsatz dieser Mittel als Vertragsarzt gerieren. Nimmt er nach Zulassungsende Verordnungen vor, so hat die Krankenkasse ihm gegenüber einen Regressanspruch.
Die Altersregelung nach § 95 Abs. 7 SGB V a.F. beruht auf der Erwägung des Gesetzgebers, wonach die zur Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung für zwingend erforderlich gehaltene Beschränkung der Zahl der zugelassenen Vertragsärzte nicht einseitig zu Lasten der jungen, an einer Zulassung interessierten Ärztegeneration zu verwirklichen ist (vgl. vgl. BSG, Urt. v. 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 18, juris Rdnr. 29; BSG, Urt. v. 12.09.2001 - B 6 KA 45/00 R - SozR 3-2500 § 95 Nr. 32, juris Rdnr. 13). Damit ist sie auch nach EuGH, Urt. v. 12.01.2010 - C-341/08 – rechtmäßig.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.172,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 13.03.2006 zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 18.172,73 EUR festgesetzt.

4. Der Antrag des Beklagten vom 09.04.2010 auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen Verordnung von Arzneimitteln im Zeitraum Oktober 2002 bis April 2003 nach Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung in Höhe von 18.172,73 EUR.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der Beklagte ist der Nachlasspfleger des am xx.xx.2008 verstorbenen Arztes Dr. med. HC.

Herr Dr. med. HC. war als Facharzt für innere Medizin mit Praxissitz in HC-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und hausärztlich tätig. Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen stellte mit Beschluss vom 30.04.2002 fest, dass die Zulassung des Dr. med. HC. zur vertragsärztlichen Versorgung zum 30.09.2002 endet. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Berufungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen mit Beschluss vom 23.10.2002, ausgefertigt am 16.12.2002 und dem Kläger am 17.12.2002 zugestellt, zurück. Die dagegen bei dem SG Frankfurt am Main zunächst als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhobene, dann nach der Rückgabe seiner Approbation durch Dr. med. HC. in eine Fortsetzungsfeststellungsklage geänderte Klage wies das SG mit Urteil vom 15.06.2005, Az.: S 5/29 KA 89/03 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das LSG Hessen, Urt. vom 15.03.2006, Az.: L 4 KA 32/05 zurück. Auf Nichtzulassungsbeschwerde des Dr. med. HC. wies das BSG mit Beschluss vom 29.11.2006, Az.: B 6 KA 34/06 B den Rechtsstreit wegen einer Besetzungsrüge zurück an das LSG Hessen. Vor einer Entscheidung des LSG Hessen verstarb Dr. med. HC. am 17.01.2008. Das Verfahren vor dem LSG Hessen wurde bisher nicht fortgeführt. Ein von Dr. med. HC. bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main eingeleitetes Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az.: S 29 KA 51/03 ER) blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 18.03.2003). Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.12.2004 (Az.: L 7 KA 412/03 ER) zurückgewiesen.

Die Klägerin hat am 13.03.2006 über das Sozialgericht Kassel, das mit Beschluss vom 30.03.2006, Az. S 8 KR 71/06, sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Marburg verwiesen hat, die Klage erhoben.

Die Klägerin trägt zur Begründung vor, die Zulassung des Dr. med. HC. habe am 30.09.2002 geendet. Mit der Beendigung der Zulassung dürften keine Leistungen zu Lasten der Krankenkassen mehr verordnet werden. Der Arzt habe nach dem Ende seiner Beteiligung an der vertragsärztlichen Versorgung die fortbestehende Pflicht, den Kassenarztstempel und die Arztnummer sowie die ihm überlassenen Vordrucke nur zu dem Zweck zu benutzen, für den sie ihm zugeteilt seien und dürfe sich nicht unter Einsatz dieser Mittel als Vertragsarzt ausgeben. Dies habe Herr Dr. med. HC. jedoch widerrechtlich getan. Er habe nach Beendigung seiner Zulassung mit der Erstellung von vertragsärztlichen Verordnungen (Arzneimittelverordnungen) den Anschein erweckt, noch Vertragsarzt zu sein. Er habe nach dem 30.09.2002 Arzneimittelverordnungen ausgestellt, die zu ihren Lasten abgerechnet worden seien. Es handele sich um Arzneimittelverordnungen (Rezepte Bruttobeträge abzüglich von den Versicherten geleisteten Zuzahlungen und Apothekenrabatten) in Höhe von insgesamt 18.172,72 EUR. Unter Hinweis auf beigefügte Kopien der Arzneimittelverordnungen sowie eine Aufstellung begehre sie die Rückzahlung des gesamten Betrages. Herr Dr. HC. habe jedoch trotz Aufforderung den Betrag nicht bezahlt und nicht die von ihr geforderte Erklärung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung abgegeben. Bei der Abrechnung der Verordnungen handele es sich um ein Massengeschäft. Eine Prüfung auf Bestehen der Vertragsarztzulassung erfolge hierbei nicht und wäre auch nicht zu bewältigen. Ein Vorteilsausgleich mit dem Hinweis, andernfalls hätte ein anderer Arzt die Verordnung vorgenommen, komme nicht in Betracht. Im Hinblick auf die ärztliche Therapiefreiheit und unterschiedliche Behandlungsweisen der einzelnen Ärzte könne keinesfalls unterstellt werden, dass ein anderer Vertragsarzt tatsächlich dieselben und vergleichbaren Verordnungen ausgestellt hätte.

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.172,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, der vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 21.06.1995 entschiedene Fall betreffe den Umstand einer arglistigen Täuschung, in dem sich der die Voraussetzung der Zulassung nicht erfüllende Arzt seine Kassenzulassung durch Vorspiegelung falscher Tatsachen verschafft habe. Dies sei bei Herrn Dr. HC. nicht der Fall gewesen. Dieser habe seine Zulassung völlig zu Recht gehabt und sei völlig zu Unrecht daran gehindert worden, seine kassenärztliche Tätigkeit weiter auszuüben. Dies habe für ihn und seine Patienten weit über die ansonsten bei der Altersgrenzenproblematik zu beachtenden Rechtsgrundsätze Auswirkungen gehabt. Er sei nämlich bereits seit den ersten Projekten in Hessen im Zusammenhang mit der Suchtkrankenbehandlung von Heroinabhängigen in XY-Stadt tätig geworden. Er habe in diesem Bereich letztlich eine spezialisierte Praxis unterhalten und dabei einen gänzlich vernachlässigten und unterversorgten Bereich betreut. Im Übrigen machte er im Wesentlichen geltend, die Beendigung der Zulassung aus Altersgründen verstoße gegen Europarecht. Zuletzt hat er darauf hingewiesen, die Entscheidung des EuGH vom 12.01.2010 habe deutlich gemacht, dass zu keiner Zeit eine Rechtfertigung der Altersgrenzenregelung bestanden habe. Herr Dr. HC. sei damit unrechtmäßig von der Ausübung seines Berufs fern gehalten gewesen. Im Bereich der Behandlung von Drogensüchtigen habe es zu keiner Zeit eine übermäßige Versorgung gegeben, so dass die vom EuGH geprüften Rechtfertigungsgründe nicht zum Zuge kämen. Die Hürde zur Rechtfertigung der Altersgrenze sei aber wegen des gleichzeitig zu verwirklichenden Diskriminierungsschutzes vom EuGH völlig zu Recht hoch angesetzt worden. Klar sei darüber hinaus, dass der Entzug der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit (heute vertragsärztliche Tätigkeit) der Entzug des Goodwills und damit ein Eigentumseingriff gem. Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention sei. Danach seien die De-fakto-Enteignungen, die nicht zu einem formellen Eigentumsübergang führten, aber wegen ihrer schwerwiegenden Auswirkung einer förmlichen Aufhebung der Eigentümerposition gleichkämen, nur dann zulässig, wenn sie verhältnismäßig seien, also entsprechend gerechtfertigt seien. Eine entschädigungslose Entziehung, wie im Falle des Dr. HC. sei unzulässig, nicht nur europarechtlich, sondern auch gem. Artikel 14 Abs. 3 GG nichtig. Die Ausrichtung der Praxis habe es Herrn Dr. HC. ermöglicht, die Praxis noch über die Altersgrenzenregelung für die sozialhilfebedürftigen Drogenabhängigen fortzusetzen. Der bereits gesetzeswidrige Entzug der Konzession zur kassenärztlichen Versorgung sei nun aufgrund einer Neufassung im Bundessozialhilfegesetz auf diesem Bereich vom Landkreis A-Stadt in der Stadt A-Stadt wiederum rechtswidrig, gegen das Verbot der Verböserung, übertragen worden und damit sei die Praxis dann endgültig wertlos gemacht worden. Der Rechtsstreit vor dem Hessischen Landessozialgericht sei weiterhin noch anhängig. Er habe diesen Prozess zwischenzeitlich wieder aufgerufen. Er verweise ferner auf die Auffassung des Sozialgerichts München, dass nunmehr feststelle, dass es an seiner früheren Auffassung der Rechtmäßigkeit der Altersgrenze nicht mehr festhalte.

Die Kammer hat das zunächst unter dem Az.: S 12 KA 635/06 geführte Verfahren im Hinblick auf das weitere Verfahren vor dem LSG Hessen auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 03.11.2006 zum Ruhen gebracht. Nach dem Tod des Dr. HC. hat die Kammer das Verfahren am 27.03.2009 wieder aufgerufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 12.03.2010 angehört.

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin 18.172,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 13.03.2006 zu zahlen.

Rechtsgrundlage ist die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus den Nachwirkungen der Pflichten als Vertragsarzt.

Dr. HC. hat nach dem Ende seiner Zulassung als Vertragsarzt Arzneimittel für Versicherte der Klägerin verordnet. Er hat dadurch Pflichten aus dem Vertragsarztverhältnis verletzt, die er zum Schutz der Klägerin zu beachten hatte.

Aus Vertragsverletzungen bei der Verordnungstätigkeit des Arztes erwachsen der Krankenkasse unmittelbare Ansprüche gegen den Arzt. Das durch die Beteiligung an der Versorgung der Versicherten begründete Rechtsverhältnis ist insoweit vergleichbar einem Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter. Zur vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten gehört die Verordnung von Arzneimitteln (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 SGB V). Der Vertragsarzt wird ermächtigt, diese Mittel zu Lasten der Kasse zu verordnen (§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V). Die Kosten der Verordnung trägt nicht die Kassenärztliche Vereinigung, sondern nach näherer Maßgabe der Verträge mit den Lieferanten unmittelbar die Kasse. Dieser Gestaltung der Rechtsbeziehungen kann auch entnommen werden, dass der Kasse unmittelbare Ansprüche gegen den Arzt zustehen, wenn seine Verordnungen nicht den Vertragspflichten entsprechen. Für den Fall unwirtschaftlicher Verordnungen ist der Schadensersatzanspruch der Vertragskasse gegen den Vertragsarzt im Bundesmantelvertrag-Ärzte für die Ersatzkassen (EKV-Ä) ausdrücklich geregelt (§ 43 EKV-Ä). Dies gilt auch für die Feststellung sonstigen Schadens (§ 44 EKV Ä). Bei anderen Schadensersatzansprüchen der Kassen ist die Kassenärztliche Vereinigung an der Regulierung insoweit beteiligt, als sie zu einer Schlichtungsverhandlung zu laden ist (§ 45 EKV-Ä). Selbst Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung werden aber hier in den Wirkungskreis des EKV-Ä einbezogen. Um so mehr entfaltet der EKV-Ä Schutzwirkungen zugunsten der Kasse bei Vertragsverletzungen. Das Zulassungsverhältnis hat über das Zulassungsende hinaus Nachwirkungen; der Vertragsarzt kann auch nach dem Auslaufen der Zulassung vertragsärztliche Pflichten mit Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin verletzt haben. Nach dem Ende der Zulassung darf der Vertragsarzt Verordnungen nicht mehr ausstellen. Das Verbot der Ausstellung ergibt sich aus dem - beendeten - Zulassungsverhältnis. Die Nachwirkung des Beteiligungsverhältnisses beruht darauf, dass dem Vertragsarzt gerade aufgrund des Beteiligungsverhältnisses die Mittel für Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln zu Lasten der Kassen zur Verfügung stehen und die Pflicht zur vertragsgemäßen Verwendung dieser Mittel nach ihrem Inhalt über das Vertragsende fortbestehen. Der Arzt hat auch nach dem Ende seiner Beteiligung als Vertragsarzt die fortbestehende Pflicht, den Kassenarztstempel und die Arztnummer sowie die ihm von der Kasse überlassenen Vordrucke nur zu dem Zweck zu benutzen, für den sie ihm zugeteilt sind und darf sich nicht unter Einsatz dieser Mittel als Vertragsarzt gerieren. Ein Vertragsarzt, der bei Verordnungen seinen Kassenarztstempel und die Kassenarztnummer verwendet, hat damit seine Pflichten aus dem Zulassungsverhältnis verletzt. Darüber hinaus kann schon die bloße Verwendung der Vordrucke eine Vertragsverletzung darstellen. Der Schaden, dessen Ersatz die Klägerin begehrt, ist durch die Verletzung des Zulassungsverhältnisses entstanden (vgl. BSG, Urt. v. 07.12.1988 - 6 RKa 35/87 - SozR 5550 § 18 Nr. 1 = BSGE 64, 209 = NJW 1989, 2351 = USK 88205, juris Rdnr. 18-22; BSG, Urt. v. 21.06.1995 - 6 RKa 60/94 - SozR 3-2500 § 95 Nr. 5 = BSGE 76, 153 = NJW 1996, 3102 = USK 9587, juris Rdnr. 13 ff.; s. a. zu Vergütungsleistungen SozR 2200 § 368f Nr. 1 = NJW 1975, 607 = Breith 1975, 537 = USK 74160; BSG, Urt. v. 22.03.1984 - 6 RKa 28/82 - USK 8447).

Ausgehend von diesen Grundsätzen, von denen abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, besteht ein Regressanspruch der Klägerin dann, wenn die Zulassung des Klägers zum 30.09.2002 geendet hat. Dr. HC. hat die Verordnungen dann ohne Berechtigung zum Nachteil der Klägerin ausgestellt. Eine Schadensminderung unter dem Gesichtspunkt, ein anderer Arzt hätte die Verordnung ebf. ausgestellt, kommt nach der genannten Rechtsprechung nicht in Betracht. Schuldhaftes Verhalten liegt insoweit vor, als der Zulassungsausschuss das Zulassungsende bereits rechtzeitig festgestellt hatte. Soweit seitens des Beklagten auf die Rechtswidrigkeit der Regelungen abgestellt wird, entfällt Verschulden nicht. Der Schaden ist auch durch die Vorlage von Kopien der Verordnungen hinreichend substantiiert dargelegt und nachgewiesen worden.

Nach dem seinerzeit geltenden Recht des § 95 Abs. 7 SGB V trat das Zulassungsende für Dr. HC. wegen Erreichen der Altersgrenze zum 30.09.2002 ein. Dies haben, was den Beteiligten bekannt ist, das Bundessozialgericht und das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt. Soweit der Beklagte nunmehr auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verweist, folgt hieraus nicht die Rechtswidrigkeit der Altersgrenze.

Der EuGH hat ausdrücklich die Altersgrenze unter gewissen Voraussetzungen gebilligt. Er hat ausgeführt, unter Berücksichtigung des Wertungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, sei anzuerkennen, dass ein Mitgliedstaat es in einer Situation, in der die Zahl der Vertragszahnärzte überhöht ist oder die latente Gefahr besteht, dass eine solche Situation eintritt, für erforderlich halten kann, eine Altersgrenze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorzuschreiben, um jüngeren Zahnärzten den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern. Ob eine solche Situation gegeben sei, habe das vorlegende, d. h. das innerstaatliche Gericht zu prüfen. Wenn eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel habe, könne die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung wegen des Alters als durch dieses Ziel objektiv und vernünftigerweise gerechtfertigt und die Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels als angemessen und erforderlich angesehen werden, sofern eine Situation gegeben sei, in der die Zahl der Vertragszahnärzte überhöht sei oder die latente Gefahr bestehe, dass eine solche Situation eintrete (vgl. EuGH, Urt. v. 12.01.2010 - C-341/08 – juris Rdnr. 73 bis 77). Im Ergebnis hält der Gerichtshof fest, Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegensteht, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Situation auf dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, welches Ziel mit der Maßnahme zur Festlegung dieser Altersgrenze verfolgt wird, indem es den Grund für ihre Aufrechterhaltung ermittelt (vgl. EuGH, aaO., Rdnr. 82).

Ausgehend hiervon hat die Kammer weiterhin keine Bedenken gegen die Altersregelung.

Das Bundesverfassungsgericht hält diese Altersgrenze als eine subjektive Zulassungsbeschränkung für verfassungsgemäß. Unter Bezugnahme seiner Rechtsprechung zu anderen Altersgrenzen stellt es vor allem darauf ab, dass die angegriffenen Regelungen auch dazu dienten, den Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Berufstätigen ausgingen, einzudämmen (vgl. BVerfG v. 31.03.1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93 - juris Rn. 30 f. - SozR 3-2500 § 95 Nr. 17 = NJW 1998, 1776). Das Bundessozialgericht sieht demgegenüber unter Hinweis auf die Möglichkeiten, über das 68. Lebensjahr hinaus als Vertragsarzt tätig zu sein (als Privatarzt und nach dem Übergangsrecht), keinen Willen des Gesetzgebers, jede patientenbezogene Berufsausübung durch ältere Ärzte als so potenziell gefährdend anzusehen, dass sie ausnahmslos zu unterbleiben hätten (vgl. BSG v. 30.06.2004 - B 6 KA 11/04 R - juris Rn. 24 - BSGE 93, 79 = SozR 4-5525 § 32 Nr. 1). Es stützt sich deshalb bei Bejahung der Verfassungsmäßigkeit vor allem auf die Erwägung des Gesetzgebers, wonach die zur Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung für zwingend erforderlich gehaltene Beschränkung der Zahl der zugelassenen Vertragsärzte nicht einseitig zu Lasten der jungen, an einer Zulassung interessierten Ärztegeneration zu verwirklichen sei (vgl. BSG v. 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 18, juris Rdnr. 29; BSG v. 12.09.2001 B 6 KA 45/00 R - SozR 3-2500 § 95 Nr. 32, juris Rdnr. 13). Dies gelte auch für die Psychotherapeuten (vgl. BSG v. 08.11.2000 – B 6 KA 55/00 RBSGE 87, 184, = SozR 3-2500 § 95 Nr. 26, juris Rdnr. 36 f.).

Die Kammer hält die vom Bundessozialgericht angeführten Gründe weiterhin für tragend. Dies sind auch die Gründe, die sich aus den Gesetzesmaterialien ergeben. Soweit das Bundesverfassungsgericht auf andere Gründe abgestellt hat, die der EuGH grundsätzlich gebilligt hat (vgl. EuGH, aaO., Rdnr. 52), sind dies nicht die tragenden Gründe für die Gesetzgebung. Maßgeblich war gerade, die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragsärzte zu gewährleisten. Dies wird auch deutlich anhand der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Rechtfertigung der Bedarfsplanung. Das Bundessozialgericht hat betont, auch soweit bei einzelnen Facharztgruppen künftig die Situation eintreten sollte, dass nach den Vorgaben der Bedarfsplanung für alle Planungsbereiche im Land oder gar im gesamten Bundesgebiet Zulassungsbeschränkungen bestünden, dadurch nicht sämtliche Chancen für eine Zulassung im Sinne eines absoluten Zugangshindernisses völlig versperrt wären, weil eine Zulassung aus den Gründen eines Sonderbedarfs (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 24 BedarfsplRL-Ä), wegen belegärztlicher Tätigkeit (§ 103 Abs. 7) oder im Rahmen des sog. "Job-Sharing" (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 i.V.m.§ 23a bis 23h BedarfsplRL-Ä), aber eben auch im Rahmen einer Praxisnachfolge (§ 103 Abs. 4 und 6) möglich sei. Wer eine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung anstrebe, werde durch jene Beschränkungen nicht dauerhaft an der Berufsausübung in diesem Tätigkeitsfeld gehindert, sondern müsse ggf. lediglich gewisse Einschränkungen hinsichtlich des Ortes, des Zeitpunkts und/oder der Modalitäten einer Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit - etwa Übernahme einer bestehenden Praxis statt Neugründung – hinnehmen (vgl. BSG, Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 81/03 R - MedR 2005, 666 = GesR 2005, 450, juris Rdnr. 24 ff.). So sind z. B. allein im Jahr 2007 6.270 Ärzte neu zugelassen worden. Dies war nur möglich, weil zur gleichen Zeit 5.590 Ärzte ausgeschieden sind (vgl. Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland, 2008, hrsg. von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, www.kbv.de, Schaubild I.12, S. 20). Von 1994 bis 2007 sind 51.700 Vertragsärzte ausgeschieden und ermöglichten einer noch größeren Zahl auch den Zugang der jüngeren Ärzteschaft zur Tätigkeit als Vertragsarzt (vgl. Grunddaten, aaO., I.13, S. 21).

Die Kammer stimmt insoweit mit der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 27.01.2010 – L 3 KA 29/09 – juris = www.sozialgerichtsbarkeit.de überein, das unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH die vorliegend umstrittene Altersgrenze ebf. nicht im Widerspruch zum Verbot der Diskriminierung wegen Alters sieht, da der vom BVerfG im Vordergrund gesehene Schutz der Versicherten vor nicht mehr uneingeschränkt leistungsfähigen älteren Ärzten in diesem Zusammenhang zwar nicht anzuerkennen sei, es jedoch grundsätzlich ein angemessenes und erforderliches Ziel der Altersgrenze sei, jüngeren Zahnärzten bzw. Ärzten trotz einer überhöhten Zahl von Vertrags(zahn)ärzten den Zugang zur Beschäftigung zu ermöglichen. Dass dies auch 2007 ein Zweck der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Altersgrenze gewesen sei, habe das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 6. Februar 2008 (SozR 4-2500 § 95 Nr. 14) ausgeführt. Dabei habe es auch dargelegt, dass in weiten Bereichen der Bundesrepublik nach wie vor für die meisten ärztlichen Fachgebiete Überversorgung bestehe. Ebenso wie der EuGH sei das BSG deshalb zum Ergebnis gekommen, dass eine in der Altersgrenze für Vertragsärzte liegende "Benachteiligung wegen Alters" durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei.

Von daher kam für die Kammer auch keine Vorlage an den EuGH in Betracht.

Der Zinsausspruch folgt aus § 291 BGB.

Nach allem war der Klage insgesamt stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der Wert folgt aus der Klageforderung. Dies ergab den festgesetzten Wert. Diese Entscheidung ergeht in Form eines Beschlusses.

Der Antrag des Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2010, bei Gericht am 09.04.2010 eingegangen, war abzulehnen.

Eine Aussetzung kann nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG angeordnet werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt. Die Rechtsfolge der Beendigung der Zulassung trat nach der hier noch strittigen Altersregelung von Gesetzes wegen ein. Einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung kommt daher nur deklaratorische Bedeutung zu. Auch wenn aber einer solchen Entscheidung die Bedeutung einer Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, hier des Zulassungsstatus des Dr. HC., zuzubilligen ist, so hält die Kammer aber eine Sachdienlichkeit der Aussetzung nicht für gegen. Nach den Entscheidungen der Bundesgerichte und insbesondere des EuGH vom 12.01.2010 ist die Rechtslage hinreichend geklärt. Zu berücksichtigen war ferner, dass eine Aussetzung gegenüber der Klägerin zunächst eine weitere Verzögerung hinsichtlich der Durchsetzung ihrer nach Auffassung der Kammer berechtigten Forderung bedeutet hätte. Im Ergebnis ist eine Aussetzung daher nicht sachdienlich und war der Antrag auf Aussetzung abzulehnen. Diese Entscheidung ergeht in Form eines Beschlusses.
Rechtskraft
Aus
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