L 8 SO 45/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 7/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 45/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums- einstweiliger Rechtsschutz - besondere Ausgestaltung des Eilverfahrens- Güter- und Folgenabwägung
1. In Fällen, in denen es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, ist eine Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend geprüft hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 Az. 1 BvR 569/05 und Beschluss vom 06.02.2007 Az. 1 BvR 3101/06).
2. Wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für einen Hilfeempfänger schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist grundsätzlich eine besondere Ausgestaltung des Eilverfahrens erforderlich.
3. Wegen ihrer Gewährleistungsfunktion muss Sozialhilfe so beschaffen sein, dass der sozialhilferechtliche Bedarf vollständig befriedigt wird. Die Eigenart der Sozialhilfe als Nothilfe setzt dabei eine gegenwärtige Notlage voraus, die, wenn sie vorliegt, schnell beseitigt werden muss.
4. Im Rahmen einer Güter- und Folgenabwägung sieht sich der Senat trotz unzureichender Tatsachenklärung und nicht unerheblicher Zweifeln am Anordnungsanspruch gehalten grundsätzlich eine positive Anordnung zu treffen.
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird die Antragsgegnerin unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Februar 2010 verpflichtet, dem Antragsteller zu 1 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung im Umfang von 175 EUR monatlich von März bis einschließlich Juni 2010 zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind den Antragstellern zur Hälfte von der Antragsgegnerin zu erstatten.






Gründe:


I.

Der Antragsteller zu 1 (1963 geboren) und seine 1942 geborenen Mutter (Antragstellerin zu 2) verlangen im einstweiligen Rechtsschutz vom Träger der Sozialhilfe (Antragsgegner) Hilfe zum Lebensunterhalt. Am 28. Januar 2010 haben sie beim Sozialgericht Augsburg (SG) eine einstweilige Anordnung beantragt und vorgebracht, seit Dezember 2009 keine Rente mehr bekommen zu haben und die Miete nicht bezahlen zu können.

Zuletzt bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 1 mit Bescheid vom 12.08.2009 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 01.09.2009 bis 31.12.2009 in Höhe von 528,24 EUR. Dabei legte sie einen Regelbedarf gemäß 42 SGB XII zu Grunde sowie die Hälfte der Kosten der Unterkunft für die gemeinsam mit der Antragstellerin zu 2 bewohnte Wohnung. Die Mutter des Antragstellers zu 1 bezieht Hinterbliebenen- und Altersrente (von der DRV Schwaben mit Bescheid vom 04.09.2009 in Höhe von 439,78 EUR, eigene Rente i.H.v. 612,68 EUR) und Kindergeld (184 EUR Familienkasse).

Mit Bescheid vom 13.01.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten wegen fehlender Mitwirkung ab, wogegen der Antragsteller zu 1 Widerspruch einlegte. Es handelt sich um von der Stadt A-Stadt in Rechnung gestellte Bestattungskosten in Höhe von 2.319,02 EUR für den am 12.08.2009 verstorbenen Vater des Antragstellers zu 1. Im Zuge dieser Ermittlungen forderte die Antragsgegnerin Vorlage von Kontoauszügen für die Zeit ab 01.07.2009 bis 30.09.2009 sowie Auskünfte über den Verbleib des Erbes (Versicherungsleistung in Höhe von 3.884,54 EUR bei der H. Lebensversicherung AG). Dazu teilte Antragstellers zu 1 zunächst mit, dass seine Mutter 1.164 EUR erhalten habe, um das Grab herrichten zu lassen. Seine Mutter sei in der geschlossenen Psychiatrie (am 28.12.2009 entlassen).

Wegen der Prüfung des Anspruchs auf Grundsicherung ab 01.01.2010 verlangte die Antragsgegnerin am 02.12.2009 von den Antragstellern weitere Unterlagen, insbesondere Kontoauszüge der letzten 3 Monate und sämtliche Nachweise über sonstiges evtl. vorhandenes Einkommen, wie Sparbücher, Vermögen, Versicherungen etc. Am 04.12.2009 teilte der Antragsteller zu 1 mit, dass sich außer dem Tod seines Vaters keine Veränderung ergeben habe.

Die Antragsteller legten diverse Belege vor, so Kontoauszüge von der A. Bank (gekündigtes Sparkonto Nr. 6346225330 mit einem Kontostand von 50,16 EUR); Kontoauszüge des Kontos Nr. 91286430 bei der P.Bank ab 30.09.2009 bis 31.12.2009. Weiter wurde bekannt, dass zur Grabstellung und -pflege 1.000 EUR und zur Tilgung einer Strafe des Amtsgerichts A-Stadt 1.340 EUR bezahlt worden seien.

Am 28.01.2010 beantragten die Antragsteller beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, Grundsicherungsleistungen ab 01.01.2010 zu erhalten.

Am 02.02.2010 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1 und später dessen Bevollmächtigten noch zur Vorlage weiterer Unterlagen auf, unter anderem einer Umsatzübersicht des Kontos Nr. 6346233700 (A. Bank) seit Bestehen des Kontos bzw. dem Beginn der Hilfebedürftigkeit. Weiter sollte der Antragsteller erklären, ob noch weitere Konten im In- und Ausland bestehen würde und wo er seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, in A-Stadt, in G. oder in K ... Dazu gab der Antragsteller zu 1 dem SG gegenüber am 09.02.2010 an, dass das Haus seiner Tante gehöre und er keine weiteren Konten habe.

Am 09.02.2010 übersandten die Antragsteller eine Rechnung der Firma Blumen H. vom 17.08.2009 über die Bezahlung von 500,00 EUR für 3 Kränze und Graberde und legten ferner Kontoauszüge des Kontos Nr. 634622790 der Antragstellerin zu 2 (vom 27.01. bis zum 8.02.2010) und des Kontos 6346233700 des Antragstellers zu 1 ab 12.11.2009 bis 03.02.2010 vor.

Auf telefonische Nachfrage des SG, teilte die Antragsgegnerin am 11.02.2010 mit, dass eine darlehensweise Auszahlung für den Monat Februar 2010 veranlasst werde.

Mit Beschluss vom 11. Februar 2010 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Antragsteller hätten eine Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes bereits nicht glaubhaft gemacht. Dies ergebe sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits daraus, dass die Antragsgegnerin sich inzwischen bereit erklärt habe, bis zur abschließenden Klärung der Hilfebedürftigkeit dem Antragsteller zu 1 Leistungen für Februar 2010 darlehensweise zu bewilligen. Die Antragstellerin zu 2 verfüge über ausreichende Einkünfte, um neben ihrem Lebensunterhalt auch die Unterkunftskosten in voller Höhe zu bezahlen. In diesem Zusammenhang werde auch darauf hingewiesen, dass der Antragsteller jeweils 1.000,00 EUR am 01.12.2009 von seinem Konto und am 02.02.2010 vom Konto seiner Mutter abgehoben habe. Im Übrigen sei eine Hilfebedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsanspruchs weder nachgewiesen noch glaubhaft, solange der Antragsteller zu 1 nicht bereit sei, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber der Antragsgegnerin offenzulegen. Das beginne bereits bei der für die Zuständigkeit maßgebenden Frage des gewöhnlichen Aufenthalts. Zweifel an der Hilfebedürftigkeit ergäben sich auch daraus, dass die Antragsteller neben dem angegebenen Konto bei der P.Bank über mehrere Konten bei der A. Bank in M. verfügten, nämlich über die Girokonten 634622790 der Antragstellerin zu 2 und 3634233700 des Antragstellers zu 1. Auf dieses Konto sei auch die Auszahlung der Sterbegeldversicherung geflossen, deren Verwendung nach wie vor nicht vollständig aufgeklärt sei. Insbesondere fehlten Kontoauszüge aus dem Zeitraum der Auszahlung und behaupteten Verwendung dieses Geldes. Dass danach jedenfalls aktuell keine Guthaben auf diesen Konten bestehen, die der beantragten Grundsicherung entgegenstehen würden, vermöge angesichts der übrigen Umstände die Zweifel an der Hilfebedürftigkeit nicht zu entkräften.

Am 16. Februar 2010 (Blatt 174 ff.) sind beim SG weitere Kontenunterlagen eingegangen: vom Antragsteller zu 1 (A. 634622790) über einen Zeitraum vom 14.09.2009 bis 03.02.2010 (später vom 18.11.2009 bis 21.01.2010, Blatt 179f.). Von der Antragstellerin zu 2 vom 01.02.2010 bis 11.02.2010 (Blatt 178).

Am 19.2.2010 haben die Antragsteller auf einer Kopie des angefochtenen Beschlusses mittels gemeinsamer Unterschrift im Anschluss an die Rechtsmittelbelehrung Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Beigefügt war auch eine Notiz, wonach der Antragsteller zu 1 zu eins seit 01.12.2009 keine EU- Rente von der LVA bekommen habe und zu 100% schwer behindert sei. Dem war wiederum beigelegt eine Kopie eines Schwerbehindertenausweises über einen Grad der Behinderung von 100.

Am 03.03.2010 hat sich die Antragsgegnerin geäußert und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers zu 1 sei nach wie vor unklar. Die Antragstellerin zu 2 sei aufgrund ihrer Einkommenssituation nicht hilfsbedürftig.

II.

Das Bayer. Landessozialgericht ist zur Entscheidung über die zulässige Beschwerde in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuständig (§§ 86b Abs. 3, 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Angesichts einer dauernden Leistung auf Grundsicherung sowie des Umfangs der vorangegangenen Leistungsgewährung ist der Beschwerdewert gegeben.

Die Beschwerde ist z.T. begründet.

1. Dem Gegenstand nach handelt es sich um eine einstweilige Anordnung. Denn die bisherige Bewilligung für den Antragsteller zu 1 war zeitlich befristet und mit Ende Dezember 2009 abgelaufen. Demnach kann gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen.

Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung sind ein Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch (§ 86b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung- ZPO -). Zutreffend hat das SG auch angeführt, dass in Fällen, in denen es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, eine Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig ist, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend geprüft hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 Az. 1 BvR 569/05 und Beschluss vom 06.02.2007 Az. 1 BvR 3101/06).

2. Das BVerfG betont, dass die beantragte Leistungen von Grundsicherungs- bzw. Sozialhilfeantragstellern im Rahmen einer Regelungsanordnung der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienten. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt, letztlich einem sozialen Grundrecht, welches vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 9. Februar 2010 deutlich als Gewährleistungsrecht dargestellt worden ist. Es steht für die physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben des Hilfeempfängers.

Damit geht in verfassungsrechtlich gebotener Rechtsanwendung grundsätzlich eine besondere Ausgestaltung des Eilverfahrens einher, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für die Hilfeempfänger schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Denn wegen ihrer Gewährleistungsfunktion muss Sozialhilfe so beschaffen sein, dass der sozialhilferechtliche Bedarf vollständig befriedigt wird. Die Eigenart der Sozialhilfe als Nothilfe setzt dabei eine gegenwärtige Notlage voraus, die, wenn sie vorliegt, schnell beseitigt werden muss.

3. Die damit hier gebotene vollständige und nicht nur kursorische Prüfung der materiellen Rechtslage und der Erfolgsaussichten in der Hauptsache führt für den Senat zu keiner hinreichende Erkenntnis über einen Anspruch des Antragstellers zu 1. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2 ist die Beschwerde allerdings zurückzuweisen.

4. So besteht bei der Antragstellerin zu 2 bei Gegenüberstellung ihres Bedarfs und ihres Einkommens kein Anspruch im Sinne von § 41 SGB XII. Sie wäre zwar als ältere Person nach Vollendung des 65. Lebensjahres leistungsberechtigt, kann jedoch ihren notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen beschaffen (vgl. § 41 Abs. 1 SGB XII). Sie verfügt über ein Einkommen von 1236,46 Euro (Kindergeld 184,00 EUR, Altersrente 612,68 EUR, Hinterbliebenenrente 439,78 EUR). Damit ist ihr Bedarf an Regelleistungen (359 EUR) und Kosten der Unterkunft (423 beziehungsweise 479 EUR) voll gedeckt.

5. Der volljährige Antragsteller zu 1 bildet zusammen mit der Antragstellerin zu 2 keine Einstandsgemeinschaft i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 2 zweiter Halbsatz SGB XII. Er wohnt aber nach seinen eindeutigen Bekundungen zu seinen diversen Aufenthaltsorten bei seiner Mutter und bildet mit dieser unter Umständen eine Haushaltsgemeinschaft i.S.v. § 36 SGB XII. Der gemeinsame Haushalt ist auch durch den Aufenthalt der Antragstellerin zu 2 in eine Klinik nicht beendet worden. Das gesamte gemeinsame Auftreten sowie die gesamten Lebensumstände (Kindergeldbezug, Krankenversicherung über die Eltern) lassen erwarten, dass die Mutter für ihren Sohn einsteht. Schon bei der Vorgängervorschrift von § 36 SGB XII, § 16 BSHG, bestand Einigkeit in Literatur und Rechtsprechung, dass den dort genannten Verwandten und Verschwägerten ein Einkommen belassen werden muss, welches deutlich über dem Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt liegt (so bereits BVerwG FEVS 28, 309, 312). Dem ist auch bei der Anwendung von § 36 SGB XII zu folgen. Danach war (vgl. dazu auch § 1 Abs. 2 Alg-V) das Doppelte des Regelsatzes erforderlich, um ein deutlich über dem Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts liegendes Eigenbedarfsniveau zu erreichen. Zutreffend hat das BVerwG als weiteren Ansatzpunkt für die Bemessung des Eigenbedarfs auf die bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht verwiesen. Insoweit ist bei Verwandten in einer Haushaltsgemeinschaft, die grundsätzlich unterhaltspflichtig sind - vor allem Eltern und volljährige Kinder - ein Selbstbehaltsbetrag nach dem Unterhaltsrecht zugrunde zu legen, also bei Eltern gegenüber Kindern 1000 EUR. Gegebenenfalls verbleibt als zusätzlicher Freibetrag die Hälfte des übersteigenden Einkommens.

6. Unter Umständen ist der Antragsteller zu 1 von der Anwendung des § 36 SGB XII (vergleiche § 43 Abs. 1 S. 2 SGB XII) ausgeschlossen. Er ist unter Umständen selbst dauerhaft voll erwerbsgemindert. Allein die Vorlage der Kopie eines Schwerbehindertenausweises verschafft dem Senat diese Überzeugung zwar nicht. Denn nach den Ermittlungen der Antragsgegnerin (telefonische Rücksprache beim Zentrum Bayern Familie und Soziales am 25.2.2010) lag beim Antragsteller zu 1 unverändert ab 1.6.2004 ein Grad der Behinderung von 50 vor. Zudem hatte der Antragsteller zu 1 bereits am 9.4.2009 einen falschen Bescheid vorgelegt (vgl. Aktenbl. 1372) und jetzt wieder im Beschwerdeverfahren (Blatt 15). Feststellungen des Rentenversicherungsträgers sind nicht bekannt. Andererseits wird für den Antragsteller zu 1 Kindergeld bezogen, was gemäß §§ 62, 63, 32 Abs. 4 EstG nur möglich für Kinder, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Die Antragsgegnerin vermerkt in ihrem Bescheid selbst in der Berechnung eine Anwendung von § 41 SGB XII. Damit wäre die Anwendung von § 36 SGB XII ausgeschlossen und die Antragsgegnerin könnte dem Antragsteller zu 1 gegenüber der Antragstellerin zu 2 lediglich realisierbare Unterhaltsansprüche entgegenhalten. Auch deren Umfang kann nicht abschließend geklärt werden.

7. Und Umständen wäre auf Unterhaltsansprüche des Antragstellers zu 1 gegen die Antragstellerin zu 2 abzustellen. Insoweit ist bei Verwandten in einer Haushaltsgemeinschaft, die grundsätzlich unterhaltspflichtig sind - vor allem Eltern und volljährige Kinder - ein Selbstbehaltsbetrag nach dem Unterhaltsrecht zugrunde zu legen, also bei Eltern gegenüber Kindern 1000 EUR. Gegebenenfalls verbleibt als zusätzlicher Freibetrag die Hälfte des übersteigenden Einkommens. Der Mutter des Antragstellers zu 1 fließen als Einkommen monatlich 1236,46 Euro zu: Kindergeld 184,00 EUR, eigene Altersrente 612,68 EUR und Hinterbliebenenrente 439,78 EUR). Dem stehen bekannte Bedarfe in Höhe von 1130,03 EUR gegenüber: tatsächliche Zahlungen für Kosten der Unterkunft 423,00 EUR (ev. Mieterhöhungen auf 479,08 EUR ab März 2010), zweimal Regelsatz in Höhe von 646,00 EUR, ev. Mehrbedarf 17% mithin 61,03 EUR. Ein Selbstbehalt von 1000 EUR ist damit eindeutig überschritten. Die Hälfte des Übersteigensbetrages führt zu einem möglichen Unterhaltsanspruch von 50 EUR.

8. In der vorliegenden Fallkonstellation wird aber dem Antragsteller zu 1 das Kindergeld zuzurechnen sein. Bei volljährigen Kindern (vgl. § 82 Abs. 1 letzter Satz SGB XII), bei denen die Zurechnungsvoraussetzungen nicht vorliegen, die nicht in einer Familienhaushaltsgemeinschaft mit der kindergeldberechtigten Person leben, ist das Kindergeld Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils (s. BVerwG 17.12.2003 - 5 C 25.02 - NJW 2004, 2541, BSG 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R ) und darf einem Kind nur angerechnet werden, soweit es an dieses durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt tatsächlich weitergegeben wird (s. OVG RP 23.2.2002 - 12 A 10375/02 - FEVS 54, 45, LSG BW 23.11.2006 - L 7 SO 2073/06 -).
Das muss hier unter der Betrachtungsweise des einstweiligen Rechtsschutzes anders gesehen werden. Die Antragstellerin zu 2 kann ihren Lebensunterhalt auch ohne Kindergeld bei weitem selbst decken. Die Weiterleitung des Kindergeldes ist ihr zuzumuten.

9. Angesichts der bis jetzt festzustellenden Unterdeckung des notwendigen Lebensunterhalts kommt es damit auf die eigenen Einkünfte oder das Vermögen des Antragstellers zu 1 an. Diese sind ungeklärt und können hier nicht im Rahmen einer vollen Rechtsprüfung festgestellt werden. Die im Rahmen der reduzierten Überzeugungsbildung im einstweiligen Rechtsschutz (§ 920 Abs. 2 ZPO wonach der Anspruch und der Arrestgrund glaubhaft zu machen sind) sonst vorzunehmende Ablehnung des Antrags wegen erheblicher Zweifel bzw. Fehlens einer Glaubhaftmachung darf aber im Hinblick auf die existenzielle Bedeutung der Leistungen nicht erfolgen. Ein Anordnungsanspruch wäre wohl, insoweit ist dem SG zuzustimmen, nicht hinreichend wahrscheinlich.
Die Ausführungen des SG sind zutreffend, wonach ungeklärt ist, wovon die Antragsteller leben. Namhafte Abhebungen (1.000,00 EUR) sind nur bekannt für Anfang Dezember und Anfang Februar. Weiter fehlen Erkenntnisse über Kontobewegungen vom 1. September bis 14. September 2009, was den Antragsteller zu 1 betrifft. Von der Antragstellerin zu 2 liegen nur lückenhaft Kontoauszüge vor. So sind die Mietzahlungen nicht lückenlos dokumentiert. Das Verlangen einer Vorlage von Kontoauszügen ist im Übrigen rechtmäßig (vergleiche Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.9.2008, B 14 AS 45/07 R). Weiter bestehen Zweifel an einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. So gibt der Antragsteller zu 1 auf verschiedenen Schreiben noch im November 2009 eine Adresse in G. als Anschrift an. Gegenüber der Gerichtszahlstelle A-Stadt hat er im Oktober 2009 die B.-Gasse in S. angegeben. In einem weiteren Schreiben vom 26.01.2010 hat er die Adresse R.Straße in K., ebenfalls Italien, angegeben. Er hat dabei seinen am 15.12.2009 in B. erneuerten italienischen Reisepass vorgelegt. Hierzu hat er, wie das SG ausführt, notariell beglaubigt gegenüber dem italienischen Konsulat in M. auf die deutsche Staatsangehörigkeit verzichtet. Schließlich zeigen auch die zahlreichen Ausgaben in Österreich, Slowenien und Italien, da sich der Antragsteller zu 1 oft im Ausland aufgehalten hat. Schließlich ist auch nach der Auszahlung der Sterbegeldversicherung in Höhe von 3.884,54 EUR (Gutschrift auf das Konto des Antragstellers zu 1, deren Verwendung weiterhin nicht vollständig aufgeklärt. Denn die Aufwendungen für die Bestattung (städtischer Bestattungsdienst) sind wohl noch nicht bezahlt. Die Geldbuße des Amtsgerichts (1.000,00 EUR) gegenüber dem Antragsteller zu 1 ist reduziert worden und weit gehend durch monatliche Ratenzahlungen schon getilgt gewesen. Lediglich eine Rechnung über die Bezahlung von 500,00 EUR für Kränze und Erde an die Firma Blumen H. vom August 2009 sind inzwischen vorgelegt worden. Die dürftigen Angaben zum Vermögen unter Vornahme einer Selbstberechnung hinsichtlich eines Schonbetrags verhindern eine volle Überzeugung ohne Restzweifel.
Eine Einkommensunterstellung darf aber auch nicht wegen der Haltung eines Kfz erfolgen. Zwar erweckt ein Kfz-Halter Zweifel an der Hilfsbedürftigkeit, die er aber durch konkrete Angaben, welche Ausgaben durch das Kfz entstehen und wie sie aus den zur Verfügung stehenden Mitteln bestritten werden, ausräumen kann (OVG NI FEVS 47, 559; OVG NW FEVS 49, 37; OVG TH ZfSH/SGB 2001, 276, 280).

10. Gerade in Fällen dieser Art gebietet nun die Einbeziehung grundrechtlicher Belange eine Güter - und Folgenabwägung, insbesondere der Art, was geschehen würde, wenn dem Antragsteller zu 1 keine Mittel mehr zufließen würden, um seinen notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Insoweit wäre ihm nicht mit dem Versprechen geholfen, dass er bei einem Obsiegen in der Hauptsache die Leistungen nachentrichtet bekäme. Sozialhilfe kann - anders als andere Sozialleistungen - nicht ohne Menschenwürdeverletzung hinausgeschoben werden. Diese ex-ante Dimension des Gegenwärtigkeitsprinzips hat das BVerfG vor Augen, wenn es den Gerichten aufgibt, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen und ihnen die Verhinderung auch nur möglich erscheinender oder zeitweilig andauernder Menschenwürdeverletzungen auferlegt.

Aus diesen Überlegungen heraus sieht sich der Senat im Rahmen einer Güter- und Folgenabwägung trotz unzureichender Tatsachenklärung und nicht unerheblichen Zweifeln am Anordnungsanspruch gehalten grundsätzlich eine positive Anordnung zu treffen. Im Umfang der Anordnung (gemäß § 938 Abs. 1 ZPO bestimmt das Gericht nach freien Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind) müssen aber auch die Aspekte Berücksichtigung finden, die in der Gestaltungsmacht des Begünstigten liegen und die seine besondere Situation ausmachen. Das bedeutet, dass der Antragsteller zu 1 sicherlich wie bisher schon bei seiner Mutter Obdach findet und dass zumindest ein Betrag in Höhe des Kindergeldes für seine persönlichen Bedürfnisse berücksichtigt werden muss. Dem Antragsteller zu 1 ist somit ein Betrag von 175 EUR in Höhe der Differenz des Regelsatzes (359 EUR) zum Kindergeld (184 EUR) zur Gewährleistung seines Existenzminimum zu erbringen.

Ebenfalls als Ergebnis einer Güter- und Folgenabwägung ist dem Antragsteller zu 1 zuzumuten innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten im Zusammenwirken mit Antragsgegnerin eine Aufklärung der noch offenen Tatsachentragen zu bewirken. Danach wird absehbar sein, ob eine endgültige Entscheidung oder gegebenenfalls eine Ablehnung bei mangelnder Mitwirkung (§ 66 SGB I) getroffen werden kann.

Der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt sich bereits daraus, dass die Antragsgegnerin sich inzwischen bereit erklärt hat, bis zur abschließenden Klärung der Hilfebedürftigkeit dem Antragsteller zu 1 Leistungen für Februar 2010 darlehensweise zu bewilligen.

Demnach sind Leistungen von 175 EUR monatlich von März 2010 bis Juni 2010 von der Antragsgegnerin an den Antragsteller zu 1 zu erbringen.

Den Antragstellern ist die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten von der Antragsgegnerin zu erstatten.
Rechtskraft
Aus
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