L 12 AS 1674/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 625/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1674/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Heilbronn vom 31.03.2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme der Kosten für die private Krankenversicherung des Antragstellers in voller Höhe. Der Antragsteller bezieht seit dem 19.01.2009 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Am Tag vor Beginn des Bezugs war er hauptberuflich selbständig tätig, sein Gewerbe meldete er zum 31.01.2009 ab. Der Antragsteller war bei dem Debeka Krankenversicherungsverein a.G. privat krankenversichert. Wegen Beitragsrückständen in Höhe von 3192,50 Euro am 31.12.2008 wurde die Kranken- und Pflegeversicherung durch das Versicherungsunternehmen zum 31.12.2008 gekündigt. Das Versicherungsverhältnis wurde dann zum 1.03.2010 wieder aufgenommen, wobei für die Krankenversicherung monatlich 290,62 EUR und zur Pflegeversicherung 36,56 EUR zu entrichten sind. Mit Änderungsbescheid vom 02.03.2010 wurde der Bedarfsgemeinschaft, welcher der Antragsteller angehört, Leistungen vom 01.03.2010 bis 31.08.2010 in Höhe von 1.156,26 Euro/Monat bewilligt. Darin enthalten ist zusätzlich zu den bereits mit Bescheid vom 04.02.2010 bewilligten Leistungen für den Antragsteller ein Zuschuss nach § 26 SGB II zur Krankenversicherung in Höhe von 126,05 Euro/Monat und 36,15 Euro/Monat für die Pflegeversicherung. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2010 mit dem der Antragssteller die volle Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung verlangte hat die Antragsgegnerin dies als unbegründet zurückgewiesen. Am 23.02.2010 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Heilbronn (SG) einstweiligen Rechtschutz mit den Ziel der vollen Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge. Es liege ein Anordnungsgrund vor, da die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben habe, dass sie nicht gewillt sei, dem Antragsteller den (vollen) Krankenkassenbeitrag für seine private Versicherung zu zahlen. Ohne die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung der Krankenkassenbeiträge würden dem Antragsteller die finanziellen Mittel für eine medizinische Versorgung fehlen, welche Teil des grundgesetzlich geschützten Existenzminimums sei.

Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom 31.03.2010 stattgegeben. In den Gründen wurde ausgeführt, der Anordnungsanspruch ergebe sich aus einer analogen Anwendung des § 26 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II, wonach für Bezieher von Arbeitslosengeld II, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert seien und die für den Fall der Krankheit freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert seien, für die Dauer des Leistungsbezugs der Beitrag übernommen werde. Der Antragsteller sei gemäß § 5 Abs. 5 a SGB V von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, da er unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II (19.01.2009) weder privat noch gesetzlich krankenversichert gewesen sei (Kündigung der Krankenversicherung zum 31.12.2008) und bis zu dem Beginn des Bezugs von Arbeitslosengeld II hauptberuflich selbständig tätig gewesen war. Der Antragsteller erfülle demnach die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II insoweit, als er nicht versicherungspflichtig sei und auch eine Familienversicherung (§ 10 SGB V) nicht vorliege. Allerdings besteht keine - wie von § 26 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB weiter vorausgesetzte - freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Antragsteller sei zum 01.03.2010 seiner Verpflichtung zum Abschluss einer Krankheitskostenversicherung (§ 193 Abs. 3 VVG) nachgekommen. Der Antragsgegnerin sei insoweit zuzustimmen, dass nach wortgetreuer Anwendung des damit nach seinem Wortlaut einschlägigen § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1 c Satz 6 Halbsatz 2 VAG sie nur einen monatlichen Zuschuss in der Höhe von 126,05 Euro/Monat zu leisten hätte. Die Differenz in Höhe von 164,57 Euro hätte der Antragsteller folglich selbst zu tragen. Die Antragsgegnerin verkenne jedoch, dass der Antragsteller dies nur aus der Regelleistung bestreiten könne, wozu er indes nicht verpflichtet sei. Denn gemäß § 20 Abs. 1 SGB II umfasse die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie (ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile), Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Auch Aufwendungen für die Gesundheitspflege müsse der Hilfebedürftige mit der Regelleistung bestreiten, allerdings nur in begrenztem Umfang: Der Regelleistung zugerechnet würden im wesentlichen diejenigen Aufwendungen, die ein Versicherter nach dem SGB V selbst tragen müsse, also z. B. Kosten für Praxisgebühr, Zuzahlungen und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel; nicht von der Regelleistung umfasst seien hingegen die Aufwendungen für die Krankenversicherungsbeiträge, für deren Übernahme der Gesetzgeber mit § 26 Abs. 2 SGB II und § 251 Abs. 4 SGB V eigenständige Rechtsgrundlagen vorgesehen habe. Auch den Gesetzesmotiven könne nicht entnommen werden, dass der nicht gedeckte Teil der Kosten für die private Krankenversicherung aus Mitteln der Regelleistung zu tragen sei. Aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum GKV-WSG (BT¬Drucks. 16/4200) vom 31.01.2007 erfolgte eine Neufassung von § 26 Abs. 2 und 3 SGB II (Verweis auf § 12 Abs. 1 c Sätze 5 und 6 VAG) sowie eine Änderung in § 12 Abs. 1 c Satz 6 VAG in Form der nachfolgenden Gesetzesfassung. In der Begründung des Ausschusses wurde hierzu ausgeführt (BT-Drucks. 16/4247 S. 69), Satz 6 stelle klar, dass die Halbierung des Beitrags im Basistarif bei Entstehen oder Vorliegen von Hilfebedürftigkeit greife. Es bleibe bei der vorgesehenen Beteiligung der Grundsicherungsträger und der vorgesehenen Begrenzung möglicher finanzieller Belastungen der Versicherungsunternehmen in diesen Fällen. Es fehle daher eine Regelung oder wenigstens eine Übereinkunft, von wem bzw. wie der Differenzbetrag aufzubringen sei, so dass eine planwidrige Regelungslücke vorliege. Dafür, dass die Antragsgegnerin den vollen Betrag in Höhe von 290,62 Euro/Monat zu tragen habe, spreche, dass es anderenfalls im Hinblick auf § 12 Abs. 1 c Satz 5 und Satz 6 VAG zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung kommen könnte. Denn § 12 Abs. 1 c Satz 6 VAG regle die Beitragshöhe und den Zuschuss für Personen, die unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags zur Krankenversicherung hilfebedürftig nach dem SGB II oder SGB XII seien. Nach dem Wortlaut von Satz 6 sei der Zuschuss auf den für einen Bezieher von Alg II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragenden Beitrag beschränkt. Demgegenüber bestehe eine solche Beschränkung bei einem Anspruch nach Satz 5 nicht. Die Regelungslücke sei durch eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II, der keine betragsmäßige Begrenzung der Beitragsübernahme vorsehe, zu schließen. Denn die Interessenlage der in § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II geregelten Personengruppe sei mit derjenigen, für welche § 26 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II einschlägig sei, nahezu identisch, da beide Personengruppen mangels Versicherungspflicht oder Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung selbst für den Fall der Krankheit vorsorgen müssen. Es sei auch ein Anordnungsgrund dahingehend gegeben, dass dem Antragsteller nicht zuzumuten sei, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden. Der Verweis der Antragsgegnerin auf die Vorschrift des § 193 Abs. 6 VVG, die das Ruhen der Versicherungsleistungen betreffe (Sätze 1 bis 4) und in Satz 5 für Hilfebedürftige nach dem SGB II eine Sonderregelung enthalte, wonach das Ruhen der Leistungen ende, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB II werde, gehe vorliegend fehl, weil dort ausdrücklich normiert sei, dass das Ruhen ende, wenn der Versicherungsnehmer hilfebedürftig im Sinne des SGB II "wird". Daraus sei abzuleiten, dass die Vorschrift nur gelte, wenn jemand, der bisher nicht hilfebedürftig gewesen sei, Beitragsrückstände in der privaten Krankenversicherung habe und nunmehr erstmalig anspruchsberechtigt nach dem SGB II oder SGB XII werde. Der Antragsteller habe aber bereits bei Vertragsbeginn am 01.03.2010 im Leistungsbezug nach dem SGB II gestanden, so dass die Vorschrift keine Anwendung finden könne. Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin beim LSG Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt. Sie trägt im wesentlichen vor, der Beitrag reduziere sich für die Dauer der Hilfebedürftigkeit auf die Hälfte des Basistarifes; hiervon übernehme der zuständige Träger den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen sei. Eine Auslegung dieser Regelung dahingehend, dass die Antragsgegnerin nun doch eine Leistung in Höhe des halben Basistarifes zu erbringen hätte, sei nicht möglich. Der Wortlaut sei eindeutig. Die vom Antragsteller angestrebte volle Beitragsübernahme lasse sich auch nicht im Wege einer richterlichen Rechtsfortbildung realisieren. Denn dies setzte voraus, dass das Gesetz insoweit lückenhaft sei, es also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig sei - die Gerichte also nur das vom Gesetzgeber versehentlich unterbliebene Regelungsstück einfügen müssten. Eine derartige planwidrige Lücke weise das Regelungsgefüge des § 26 SGB II i.V.m. § 12 VAG aber nicht auf. Die Lücke sei zwar gesehen, aber mangels Einigung, wie diese Problematik geregelt werden solle - im System der PKV oder zu Lasten der Allgemeinheit - nicht geschlossen worden. In einer solchen Situation und einer in verschiedene Richtungen lösbaren Schließung der Beitragslücke sei den Gerichten eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Entscheidung verwehrt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 1 Ziff. 3 SGG zutreffend ausgeführt und die beantragte einstweiligen Anordnung zu Recht erlassen. Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der sozialgerichtlichen Entscheidung zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend ist noch auszuführen, dass die Frage, ob letztendlich eine Rechtsgrundlage besteht bzw. ob das Entstehen der vom SG geschilderten Deckungslücke verfassungswidrig ist, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geklärt werden kann. Hierzu bedarf es einer eingehenden Prüfung verfassungsrechtlicher Fragen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit, als sich eine Ungleichbehandlung gegenüber in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungspflichtigen und freiwillig versicherten Personen ergibt, für die während des Leistungsbezugs der volle Beitrag übernommen wird sowie gegenüber Privatversicherten, bei denen durch eine Tragung der Beiträge Hilfebedürftigkeit vermieden werden kann (vgl. Brünner in LPK-SGB II, § 26 Rn. 23). Weiter bestehen verfassungsrechtliche Bedenken auch insoweit, als eine Bedarfsunterdeckung besteht (vgl. Brünner, a.a.O., § 20 Rn. 30ff m.w.N.).

Der Anordnungsgrund entfällt auch nicht deshalb, weil, wie die Antragsgegnerin annimmt, gemäß § 193 Abs. 6 Satz 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bei Hilfebedürftigkeit ein Ruhen der Leistungen der Versicherung nicht eintreten könnte. Es spricht nach Sinn und Zweck der Vorschrift manches dafür, dass diese so auszulegen ist, dass nicht nur ein bereits eingetretenes Ruhen bei Eintritt von Hilfebedürftigkeit endet, sondern ein Ruhen bei bereits bestehender Hilfebedürftigkeit gar nicht erst eintreten kann. Der Gesetzeswortlaut ist allerdings nicht entsprechend formuliert, worauf insbesondere der Bundesrat hingewiesen hat (vgl. "Unterrichtung durch die Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung", Drucksache 16/12256, abgedruckt bei Drucksache 16/12677 des Deutschen Bundestages, S. 17).

Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, sich im Falle einer Erkrankung in eine Auseinandersetzung mit seiner Krankenkasse zu begeben und zu riskieren, dass bei Nichtzahlung der Beiträge für zwei Monate ein Ruhen der Leistungen eintritt und nur für eine Notversorgung Leistungen erstattet werden. Der Antragsteller soll in der Lage sein, bei einer Erkrankung so schnell wie möglich alles Erdenkliche für seine Genesung zu tun, damit er seine Arbeit wieder aufnehmen kann und die Hilfebedürftigkeit und damit auch der Leistungsbezug beendet werden kann. Auch wenn, wie gesagt, einiges dafür spricht, dass bei zutreffender Auslegung der Vorschrift des § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG ein Ruhen im Falle des Antragstellers nicht eintreten kann, so ist eine gegenteilige Auffassung aufgrund des Wortlauts vertretbar. Eine abschließende Lösung dieser Problematik ist bislang jedoch nicht erreicht worden. Vor diesem Hintergrund ist es dem Antragsteller nicht zumutbar, den politischen Konflikt auf seinem Rücken als schwächstem Glied in der Kette austragen zu lassen und ihm ggf. zuzumuten, Ansprüche gegen seine Krankenversicherung im kostenpflichtigen Zivilrechtsweg über die Beantragung von Prozesskostenhilfe durchzusetzen, wenn diese gegen Erstattungsansprüche der Antragsgegnerin für Arzthonorare mit Beitragsrückständen aufrechnet. Nachteile hat der Antragsteller auch für den Fall des Verzugs mit Beiträgen zu befürchten, da es aufgrund der oben erwähnten sprachlich unklaren Regelung des § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG nicht eindeutig ist, ob auch für versicherte Personen, die hilfebedürftig i. S. des SGB II sind (nicht: "werden"), die Leistungen nicht zum Ruhen gebracht werden dürfen. Der Antragsteller muss daher damit rechnen, dass seine Krankenversicherung wegen Zahlungsverzugs nur noch die in § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG beschriebene Notversorgung finanziert (Landessozialgericht Baden-Württemberg - Beschluss vom 8.07.2009 - L 7 SO 2453/09 ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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