L 12 AS 2159/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 1374/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2159/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Freiburg vom 8.04.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen begehren von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 2, 3 SGB II. Die Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerinnen besteht aus der Antragstellerin Ziff. 1 und ihren vier minderjährigen Töchtern (Antragstellerinnen Ziff.2-5; Alter derzeit: ca. 6 Wochen, drei Jahre, 14 Jahre und 16 Jahre). Sie beziehen laufende Leistungen nach dem SGB II. Die Antragstellerinnen stehen seit dem 1. Januar 2005 bei der Antragsgegnerin im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnen eine 86 m² große 3-Zimmer-Wohnung unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift, für welche die Antragsgegnerin die vollen Unterkunftskosten übernommen hat, zuletzt (Bescheid vom 16.12.2009) in Höhe von 626,79 EUR. Der Antragstellerin Ziff.1 wurde vom Arbeiterwohlfahrt Kreisverband F. e.V. (AWO) mit Schreiben vom 02.03.2010 ein "Vor-Vertrag" über eine 4-Zi.-Wohnung in F. mit einer Wohnfläche mit 118,09 m2 angeboten, der nach Kostenzusage von seitens der Antragsgegnerin in einen unbefristeten Mietvertrag umgewandelt sollte. Ausweislich des "Vor-Vertrages" wird die Grundmiete EUR 815,97 zuzüglich Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von EUR 100,00 sowie Heizkostenvorauszahlungen von EUR 100,00 betragen, so dass samt den Abschlagszahlungen monatlich ein Betrag von EUR 1.015,97 zu zahlen sein würde. Es soll auch eine Kautionsvereinbarung Teil des beabsichtigten Vertrages sein, wobei die Höhe EUR 2.448,00 betragen solle. Die Antragstellerinnen beantragten bei der Antragsgegnerin unter Fristsetzung zum 11.03.2010 eine entsprechende Zusicherung für die künftigen Kosten der Unterkunft (KdU) sowie der Umzugskosten und der Kaution. Nach Verstreichen der Frist haben sich die Antragstellerinnen am 15.03.2010 mit der Bitte um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Freiburg (SG) gewandt. mit dem Ziel der Zusicherung der Mietübernahme der in der Begründung näher spezifizierten Wohnung, der Zusicherung zur Übernahme der Umzugskosten von ihrer jetzigen Wohnung in die genannte Wohnung sowie der Zusicherung zur Bewilligung eines Darlehens für die Mietkaution für die neue Wohnung. Die Antragsgegnerin führte zur Begründung an, dass ein Anordnungsanspruch nicht bestehe. Es lägen weder die Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II, noch die des § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II vor. Es bestehe kein Anspruch auf Zusicherung gemäß § 22 Abs. 2 S. 2 SGB I, da die Aufwendungen für die neue Wohnung nicht angemessen seien. Diese Wohnung sei mit einer Wohnfläche von 118,09 m2 und einer Grundmiete von EUR 815,97 sowohl zu groß, als auch zu teuer. Als angemessen würden von der Antragsgegnerin im Stadtgebiet F. für einen Fünf-Personen Haushalt eine Grundmiete in Höhe von maximal EUR 626,85 unter Zugrundelegung einer Wohnfläche bis 105 m2 und einem m2-Preis von EUR 5,97 erachtet. Im Übrigen bestehe auch kein Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten und der Mietkaution. Der Umzug in die neue Wohnung sei weder von der Antragsgegnerin veranlasst, noch aus anderen Gründen notwendig im Sinne des § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit des Umzuges nach dieser Vorschrift seien neben der Erforderlichkeit des Auszuges auch die Angemessenheit der Kosten der neuen Unterkunft als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu beachten, welche im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Mit Beschluss vom 8.04.2010 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Anordnungsanspruchs und -grundes ab. In den Gründen führte es aus, gemäß § 22 Abs. 2 SGB II solle der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger sei nur zur Zustimmung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich sei und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen seien. Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II könnten Wohnungsbeschaffungskosten, Umzugskosten und auch eine Kaution bei vorheriger Zusicherung übernommen werden. Die Zusicherung sollte erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig sei und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden könne. Notwendig sei der Umzug nicht schon dann, wenn der Auszug aus der bisherigen Wohnung erforderlich sei , sondern erst dann, wenn der Einzug in eine kostenangemessene Wohnung erfolge. Die von den Antragstellerinnen ins Auge gefasste neue Wohnung sei mit einem Kaltmietzins von EUR 815,97 selbst für die fünf Personen zählende Bedarfsgemeinschaft unangemessen, denn sie sei zu groß für fünf Personen und mit einer Kaltmiete von EUR 815,97 auch zu teuer. Maßgeblich für die Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen sei die Wohnungsgröße, der Wohnstandard sowie das örtliche Mietniveau. Es sei hier von einer Wohnfläche von bis zu 105 m2 für einen 5-Personen¬-Haushalt auszugehen. Der räumliche Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der ortsüblichen Durchschnittsmiete beschränke sich hier auf die Stadt F ... Die von der Antragsgegnerin. als angemessen erachtete Kaltmiete von insgesamt EUR 626,85 als dem Produkt einer m2-Kaltmiete von EUR 5,97 und einer Wohnflächenobergrenze von 105 m2 entspreche dem ortsüblichen Mietniveau im unteren Segment des Wohnungsmarktes. Diese abstrakt angemessene m2-Kaltmiete errechne sich aus der Basismiete des Mietspiegels, die die ortsübliche Vergleichsmiete für eine Standardwohnung ausweise, abzüglich bestimmter Abschläge (z.B. einfache Bodenausstattung, ohne Gegensprechanlage und Türöffner, an Durchgangsstraße gelegen, etc.), die sich daraus rechtfertigen, dass Hilfeempfängern eine Wohnung des unteren - nicht des untersten - Segments zugemutet werden könne. Im Fall einer Wohnung mit 105 m2 sehe der Mietspiegel eine Basismiete von derzeit EUR 6,87 vor. Die von den Antragstellerinnen gewünschte Wohnung übersteige sogar diese Basismiete ohne Abschläge und sei daher - bei abstrakter Prüfung - von vornherein unangemessen. Ergebe der Vergleich, dass die Aufwendungen der konkret anzumietenden Wohnung höher seien, als die hypothetische angemessene Referenzmiete, ist nach der Rechtsprechung des BSG zur Feststellung der Angemessenheit der Unterkunftskosten zusätzlich zu prüfen, ob der Bedürftige auf dem für ihn maßgeblichen Wohnungsmarkt tatsächlich eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret anmieten könne. Es komme hierbei nicht auf die Frage an, wie viele Mietwohnungen der hier maßgeblichen Größe von bis zu 105 m2 in Freiburg tatsächlich angeboten würden und zu welchem Preis. Zur Prüfung der konkreten Angemessenheit seien keine Feststellungen dazu erforderlich, wie viele Wohnungen auf dem relevanten Wohnungsmarkt im Einzelnen angeboten würden oder wie hoch tatsächlich der Bedarf an entsprechenden kostengünstigen Wohnungen sei. Maßgeblich sei hiernach allein, dass eine realistische Chance bestehe, eine entsprechende Wohnung zu finden. Eine objektive Unmöglichkeit einer Unterkunftsalternative werde, wenn man auf hinreichend große Vergleichsräume - hier das Stadtgebiet von F. - abstelle, nur in seltenen Ausnahmefällen zu begründen sein. Die Antragstellerinnen hätten auch überhaupt keine Bemühungen um angemessenen Wohnraum dargelegt. Es fehle auch an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerinnen hätten ein Angebot über eine abstrakt unangemessene Wohnung vorliegen. Insoweit bestehe keine Eile, denn solche Wohnungen seien auch nicht nach dem Vortrag der Antragstellerinnen knapp in F ... Im Übrigen sei auch nicht dargetan, dass das Angebot der AWO zeitlich befristet sei und unverzüglich angenommen werden müsse. Es dränge sich auch nicht die Gefahr auf, dass Mitbewerber die Wohnung "wegschnappen", denn jedenfalls außerhalb des "unteren Segments" gebe es in F. nicht wenige leer stehende Wohnungen.

Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerinnen beim LSG Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt und im wesentlichen vorgetragen, der Beschluss gründe sich auf die unzutreffende Annahme, dass es möglich sei, eine Wohnung von gemeinnützigen Unternehmen ohne Notwendigkeitsbescheinigung zu erhalten.

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zutreffend ausgeführt und die beantragte einstweilige Anordnung zu Recht nicht erlassen. Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der sozialgerichtlichen Entscheidung zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Die Überprüfung des Vorbringens der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Es fehlt beim Antrag der Antragstellerinnen insbesonders am Anordnungsgrund. Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Auch die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Vorwegnahme im Rechtssinne, wenn sie den Antragstellerinnen auf die Dauer eines noch folgenden Klageverfahrens die Rechtsposition vermittle, die sie in der Hauptache anstreben (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage RdNrn. 175 ff. m.w.N.). Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt allerdings im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist. Das setzt voraus, dass die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und zudem ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache besteht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zum einen ist nicht erkennbar geworden, worin die unzumutbaren Nachteile der Antragstellerinnen liegen könnten. Es droht ihnen keine Obdachlosigkeit, sie wohnen in einer 3-Zimmer-Wohnung. Dies ist zwar für eine 5-köpfige Familie nach den Angemessenheitskriterien zu wenig, jedoch nicht völlig unzumutbar. Die Entscheidung in der Hauptsache kann abgewartet werden, zumal der vorläufige Rechtsschutz dem Ansinnen der Antragstellerinnen nur im vollen Umfang stattgegen könnte.

Die beantragte Prozesskostenhilfe ist wegen fehlender Erfolgsaussicht abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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