L 12 AS 78/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 3200/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 78/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Konstanz vom 18.12.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die 1959 geborene, erwerbsfähige Antragstellerin wohnte seit dem 06.06.2008 gemeinsam mit Herrn W. S. (S.) in einer Wohnung in B ... Am 30.09.2008 beantragte sie erstmals beim Antragsgegner die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. In dem Antrag gab sie an mietfrei zu wohnen, bejahte zunächst eine eheähnliche Gemeinschaft, änderte den Eintrag jedoch anschließend in eine "Freundschaftsbeziehung". Mitarbeiter des Antragsgegners führten am 28.10.2008 einen unangemeldeten Hausbesuch bei der Antragstellerin durch. Hierbei habe die Antragstellerin erklärt, dass sie im Arbeitszimmer auf einer Matratze schlafe. Sie könne die Wohnung uneingeschränkt nutzen. Die Matratze, auf der die Antragstellerin nach eigenen Angaben schlafe, befand sich unbezogen und zusammengelegt auf dem Schrank im Schlafzimmer. Im Doppelbett befand sich zwei Mal Bettwäsche.

Die Antragstellerin erhielt vom Antragsgegner im Zeitraum vom 30.09.2008 bis 30.09.2009 Leistungen nach dem SGB II. Dabei wurde die Regelleistung nach § 20 SGB II abzüglich einer Warmwasser- und Strompauschale und des von der Antragstellerin bis Dezember 2008 bezogenen Unterhaltes berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 12.02.2009 erklärte S., dass die Antragstellerin zwar vorübergehend bei ihm mietfrei wohnen könne, da sie zur Zeit kein eigenes Einkommen habe. Er sei aber nicht bereit für sie Unterhaltsleistungen zu zahlen. Die Beziehung sei nicht eheähnlich, sondern freundschaftlich. Sie führten keinen gemeinsamen Haushalt.

Der Antragsgegner führte am 21.09.2009 einen erneuten Hausbesuch bei der Antragstellerin durch. Im Bericht über diesen Hausbesuch wurde ausgeführt, dass die Situation identisch mit der Kontrolle am 11.11.2008 sei. Es gebe nach wie vor keine Trennung im Haushalt. Im Schlafzimmer befinde sich ein Doppelbett. Ermittlungen hätten ergeben, dass die Antragstellerin und S. im Umfeld als Paar aufträten. Mit Schreiben vom 20.10.2009 wurde der Antragstellerin vom Antragsgegner mitgeteilt, dass eine eheähnliche Gemeinschaft vorliege und man daher zur weiteren Prüfung des Arbeitslosengeld- II- Anspruchs auch Angaben von Herrn S., z.B. Nachweise über das Einkommen und das Vermögen von Herrn S., benötigt würden. Weitere Auszahlungen könnten erst nach Abschluss der Überprüfung erfolgen.

Der Folgeantrag auf Weitergewährung von Arbeitslosengeld II vom 27.08.2009 wurde vom Antragsgegner mit Bescheid vom 10.11.2009 abgelehnt. Der Antragsgegner ging hierbei vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft aus. Hiergegen wurde mit Schreiben vom 18.11.2009 Widerspruch erhoben. Es liege keine Bedarfsgemeinschaft, sondern lediglich eine Wohngemeinschaft vor. Die Antragstellerin wolle subjektiv und objektiv nicht in einer Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft leben und habe sich daher von Mai bis August 2009 in der Wohnung des Nachbarn Herr B. aufgehalten. Eine gemeinschaftliche Kontoführung liege nicht vor.

Am 25.11.2009 beantragte die Antragstellerin beim SG Konstanz (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie trug vor, dass sie zeitweise beim Nachbarn B. gelebt habe, so dass die Vermutung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft widerlegt sei. Der Antragsgegner hat mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2009 den Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsgegner tritt dem Begehren der Antragstellerin entgegen. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig geworden. Der Antrag sei auch unbegründet, denn die Antragstellerin lebe bereits über 1,5 Jahre mit S. zusammen. Der Hausbesuch am 20. Oktober 2009 habe keine Änderung zum Vorjahr ergeben. Auch ein behaupteter vorübergehender Auszug zu Herrn B. führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Antragstellerin habe keine Nachweise bezüglich einer Wohnungssuche vorgelegt. Der Hausbesuch habe erbracht, dass eine Partnerschaft und eine Haushaltsgemeinschaft bestehe. Die Mietkosten würden zudem allein von S. getragen.

Die Antragstellerin hat am 07.12.2009 Klage gegen den Bescheid vom 10.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2009 erhoben.

Mit Beschluss vom 18.12.2009 lehnte das SG den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ab. Soweit die Antragstellerin mit ihrem Antrag Leistungen für die Zeit vor Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Gericht, begehre, fehle es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Leistungsansprüche für zurückliegende Zeiträume könnten im Wege einer einstweiligen Regelungsanordnung regelmäßig nicht beansprucht werden. Die Antragstellerin habe in dieser Zeit ihren Bedarf aus eigenen oder fremden Mitteln gedeckt, sodass sie hierfür auf die begehrten Leistungen zur Grundsicherung nicht mehr angewiesen sei. Ein finanzieller Ausgleich für die Vergangenheit könne im Rahmen des Eilrechtsschutzes nur dann erfolgen, wenn infolge zu niedrig ausgezahlter Leistungen in der Vergangenheit heute ein Rechtsverlust, beispielsweise ein Wohnungsverlust, drohe.

Die Antragstellerin habe auch für den Zeitraum ab Antragseingang bei Gericht keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie habe nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen ohne Berücksichtigung des Einkommens von Herrn S ...

Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalte Leistungen nur, wer hilfebedürftig sei. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II sei hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhalte. Dabei sei nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehörten gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebe, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, werde nach § 7 Abs. 3 a SGB II u. a. dann vermutet, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenlebten. Die Antragstellerin und S. lebten nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II, da die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II erfüllt und nicht widerlegt worden seien. Lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vermutungsregelung vor, kehre sich im Ergebnis die objektive Beweislast zu Lasten des Arbeitsuchenden um. Wolle der Arbeitsuchende die gesetzliche Vermutung widerlegen, müsse er damit einen Vollbeweis dahingehend erbringen, dass die Kriterien des § 7 Abs. 3a nicht erfüllt würden bzw. die Vermutung durch andere Umstände entkräftet werde. Nach der Gesamtschau der vorliegenden Indizien sprächen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend nicht nur um ein bloßes Zusammenwohnen im Sinne einer Wohngemeinschaft handele, sondern vielmehr um ein Zusammenleben im Sinne einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft. Das Gericht gehe zunächst davon aus, dass die Antragstellerin und S. als Partner zusammenleben. Es fehle an einer für eine Wohngemeinschaft typischen räumlichen Trennung der Wohnbereiche, so dass eine eigene Intimsphäre der Antragstellerin und S. nicht bestehe. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche und Bad würden gemeinsam genutzt. Zwar habe die Antragstellerin vorgetragen, dass sie auf eine Matratze im Arbeitszimmer und nicht im Schlafzimmer übernachte. Diese Matratze habe sich aber ausweislich des Besichtigungsprotokolls des Antragsgegners unbezogen und auf dem Schrank im Schlafzimmer befunden. Dagegen sei das Doppelbett im Schlafzimmer beidseitig mit Bettwäsche bezogen gewesen Die übrigen Räume würden gemeinsam genutzt, insbesondere hätte keine Trennung in der Küche und im Kühlschrank erkannt werden können. Der Vortrag der Antragstellerin, alle Lebensmittel gehörten ihr, S. esse nur in der Kantine, erscheine ebenfalls unglaubwürdig, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass S. auch zum Frühstück, am Abend und insbesondere am Wochenende immer in der Kantine esse. Diese Umstände entsprächen nicht den üblichen Gepflogenheiten zur gegenseitigen Wahrung der Privatsphäre in reinen Wohngemeinschaften, sondern zeugten vielmehr von einer besonderen Nähe und einen Umgang der Betroffenen untereinander, wie es sonst nur in Ehen oder eheähnlichen Beziehungen üblich ist. Für das Vorliegen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft spreche weiter, dass die Antragstellerin nun schon seit über eineinhalb Jahren mietfrei bei S. wohne. Von Anfang an habe sie keinerlei Mietzahlungen entrichtet.

Die Antragstellerin wohne bereits seit Juni 2008 bei S., so dass auch nach Abzug eines viermonatigen Aufenthaltes bei B. ein länger als 12 Monate andauerndes Zusammenleben mit S. vorliegen würde. Da die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II nicht widerlegt sei, sei vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen und der Antragsgegner habe zu Recht Angaben zum Einkommen und Vermögen von S. angefordert. Nachdem dieser sich geweigert habe diese zu machen, könne die Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft nicht abschließend geklärt werden, so dass kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II glaubhaft gemacht worden sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin beim LSG Baden-Württemberg Beschwerde, mit gleichzeitiger Beantragung von Prozesskostenhilfe, eingelegt. Sie trägt unter anderem vor, eine Einstehens-und Bedarfsgemeinschaft bestehe nicht, sie selbst wohne seit Anfang Dezember 2009 bei ihren Eltern.

Die Antragsgegnerin teilte noch mit, die Antragstellerin habe am 19.01.2010 einen neuen Antrag gestellt und wohne nun wieder beim Nachbarn B.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Regelung zugunsten der Antragstellerin sind nicht gegeben.

Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Regelungen umfassend und zutreffend dargelegt. Insoweit nimmt der Senat darauf Bezug.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn sie überwiegend wahrscheinlich ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bezüglich des Anordnungsgrunds ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es hiernach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 86b Rz 42 m.w.N.). Maßgebend hierfür ist, dass allein eine in diesem Zeitpunkt bestehende Dringlichkeit es rechtfertigt eine sofortige Regelung zu treffen. Dies gilt umso mehr, wenn hierdurch die Hauptsache vorweggenommen werden soll (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Auflage, RdNr 335). Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anordnungsanspruch, nämlich die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab 1.10.2009 sind, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht glaubhaft gemacht. Zudem liegt der streitbefangene Anspruch, da die Antragstellerin seit Anfang Dezember nicht mehr mit S. zusammenlebt, in der Vergangenheit, und deshalb ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Besondere Umstände die ein Fortwirken des Leistungsausschlusses in die Gegenwart mit der Folge einer besonderen Dringlichkeit rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, nämlich die hinreichende Erfolgsaussicht des Beschwerdeverfahrens sind nicht - wie sich aus den obigen Ausführung ergibt - gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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