L 1 U 3365/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 2894/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3365/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 22. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung von Erkrankungen als Berufskrankheiten (BK) nach Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und Nr. 1316 (Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1937 geborene Kläger hat von 1952 bis 1955 den Beruf des Bäckers erlernt und war von 1956 bis 1998 bei der K. H. AG tätig. Die K. H. AG stellt Folien, Kunstleder und Selbstklebefolien sowie andere Kunststoffprodukte her. Von 1956 bis April 1968 war der Kläger als Arbeiter in der Nitromischerei bzw. Lackmischerei tätig. 1963 wurde der Kläger in den Betriebsrat gewählt, ab April 1968 war er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb freigestelltes Betriebsratsmitglied. Die Angaben des Klägers dazu, wieviel Arbeitszeit er auch während seiner Tätigkeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied in den Produktionsräumen zugebracht habe, sind schwankend (zunächst 25%, später 75%).

Im Rahmen eines Verfahrens zur Anerkennung von Erkrankungen als BK nach Nr. 4301, 4302 und 1317 der Anlage zur BKV machte der Kläger geltend, die Beklagte hätte ihre Ermittlungen auch auf die Prüfung einer BK nach Nr. 1303 und 1302 ausdehnen müssen (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe/Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol). Es liege ein Leberzellschaden vor, der durch Gefahrstoffe verursacht worden sei. Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 war die Anerkennung einer BK nach Nr. 1317 der Anlage abgelehnt worden. Dagegen hatte der Kläger Widerspruch eingelegt.

Die Beklagte zog zahlreiche ärztliche Unterlagen und andere Dokumente aus dem zu den anderen Berufskrankheiten durchgeführten Feststellungsverfahren bei, u.a. den Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 18. November 1999 über eine am 12. November 1999 durchgeführte Betriebsbesichtigung und Arbeitsplatzbegehung. Darin wird u.a. ausgeführt, dass sich der Kläger nach seinen Angaben auch während seiner Betriebsratstätigkeit zu ca. 25% in den Produktionsräumen aufgehalten habe. Dem Bericht waren zahlreiche Sicherheitsdatenblätter beigefügt, darüber hinaus das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse sowie Berichte über Messungen der Landesanstalt für Umweltschutz im Beschäftigungsbetrieb vom Juli 1975, des Präventionsdienstes der Beklagten von Dezember 1985, von Februar 1993, von Februar/März 1994 und von Dezember 1994. In einem ärztlichen Befundbericht des Hausarztes Dr. H., der den Kläger seit 1994 behandelt (zuvor wurde der Kläger vom Vater des Dr. H. als Praxisvorgänger behandelt) finden sich in einem Nachtrag vom 27. August 2001 Übertragungen aus den vorhandenen Karteikarten. Unter dem 4. April 1980 wurden darin als Diagnosen aufgeführt: "Gastritis, Adipositas, Leberzellschaden". Ein weiterer Vermerk zu den Diagnosen aus 1980 lautet: "chronische Magen- und Darmentzündung, Neigung zu Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren, Fermentmangel, Fettstoffwechselstörung mit beginnender Blutgefäßveränderung, starke endokrine Fettleibigkeit, beginnendes Fettherz, chronisch toxische Leberentzündung".

Der Technische Aufsichtsbeamte der Beklagten besuchte den Beschäftigungsbetrieb nochmals (Bericht vom 19. April 2006) und sprach mit langjährigen Mitarbeitern und ehemaligen Kollegen des Klägers, die teilweise auch Betriebsratsmitglieder sind/waren. Die vom Kläger zwischenzeitlich vorgebrachte Anwesenheit in der Produktion von 75% der Arbeitszeit wurde von diesen nicht bestätigt, sondern auf 10 - 15% eingeschätzt und ergänzend mitgeteilt, dass in dieser Zeit auch Gespräche im Lager, Versand oder in den Büroräumen (also nicht in den Produktionsräumen) stattgefunden hätten. Darüber hinaus sei der Kläger wegen vielfältiger ehrenamtlicher bzw. Verbandstätigkeit auch sehr häufig außer Haus gewesen. Weitere Feststellungen erfolgten zu den verwendeten Arbeitsmitteln, insbesondere zur Frage, ob Halogenkohlenwasserstoffe als Lösungsmittel eingesetzt worden seien. Der Technische Aufsichtsbeamte verneinte dies, bestätigt durch einen langjährigen Mitarbeiter, der ergänzend ausführte, dass lediglich im Werkstattbereich Trichlorethylen (Tri) kurzzeitig als Entfettungsmittel eingesetzt worden sei; weder im Produktionsverfahren noch als Reinigungsmittel an Maschinen sei Tri je verwendet worden. Der Technische Aufsichtsbeamte führte in seinem Bericht weiter aus, das vom Kläger erwähnte Perchlorethylen sei als Lösungsmittel lediglich in Textilreinigungen zum Einsatz gekommen, außerhalb von Reinigungen sei eine Verwendung nicht bekannt. Zutreffend sei, dass der Kläger hauptsächlich Umgang mit Ethylacetat, Buthylacetat, Toluol, Xylol, MEK/MIBK, möglicherweise auch in geringem Umfang mit DMF und Lösungsmittelgemischen gehabt habe. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Mai 2006 führte der Technische Aufsichtsbeamte aus, beim Kläger habe jedenfalls in den 50er und 60er Jahren eine Lösungsmittelbelastung vorgelegen. Ab 1963 (mit Aufnahme der Tätigkeit im Betriebsrat) sei die Belastung zurück gegangen, ab 1968 kaum noch gegeben gewesen.

Im Auftrag der Beklagten erstellte am 30. Juli 2007 Prof. Dr. D., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin in Erlangen ein arbeitsmedizinisches Fachgutachten über den Kläger. Als Diagnosen formulierte er ein metabolisches Syndrom mit Hypercholesterinämie, Hypertriglyceridämie und Hyperglukosämie, grenzwertiger Harnsäurewert, Verdacht auf Sinusbradykardie, Adipositas, durch Vorbefunde gesicherte Polyneuropathie, Anosmie und ein Schlafapnoe-Syndrom. Er führte aus, dass eine mögliche Lebererkrankung vor allem im Zusammenhang mit den BK-Nummern 1302, 1303 und 1316 zu sehen sein könnte. Wie dem Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten jedoch zu entnehmen sei, sei die Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen nicht als ausschlaggebend für die Entstehung eines toxischen Leberschadens zu sehen. Auch wenn Toluol bzw. Dimethylformamid grundsätzlich geeignet seien, eine chronische Hepatitis bzw. Fettleber zu verursachen, sei ein Leberzellschaden beim Kläger nicht gesichert. Zwar sei in den Unterlagen des ehemaligen Hausarztes von einer toxischen Leberentzündung die Rede; dieser Befund werde jedoch nicht durch erhöhte Leberenzyme belegt. Weitere Hinweise fehlten. Problematisch sei darüber hinaus die differentialdiagnostische Abklärung weiterer möglicher Ursachen für die Entstehung einer Fettleber, z.B. Alkoholabusus, Diabetes mellitus, Adipositas und Hyperalimentation sowie Hyperlipoproteinämie. Nicht zuletzt habe bei den Untersuchungen, die im Rahmen der Begutachtung stattgefunden hätten, ein bis zu diesem Zeitpunkt persistierender Leberzellschaden jedenfalls nicht gesichert werden können. Daher sei zwar in der Zeit von 1956 bis 1968 die Möglichkeit zur Entwicklung eines Leberzellschadens wahrscheinlich gewesen, die Diagnose einer toxischen Hepatitis bzw. Fettleber durch Arbeitsstoffe für diesen Zeitraum jedoch nicht mehr zu sichern. Zum heutigen Zeitpunkt liege kein Hinweis auf einen Leberzellschaden, gleich welcher Genese, vor, so dass eine BK nach Nr. 1302, 1303 oder 1316 nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werde. Da der Kläger jedoch gesichert unter einem Schlafapnoe-Syndrom leide und Studien durchaus den Zusammenhang zwischen diesem und einer toxischen Enzephalopathie im Sinne der BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nahe legten, schlage er eine neurologische Begutachtung vor, nicht zuletzt, um auch das erhebliche Übergewicht als möglichen Verursachungsfaktor beurteilen zu können. Entsprechendes gelte für die Frage einer lösungsmittelbedingten Polyneuropathie.

Die Beklagte holte daraufhin ein neurologisches Zusatzgutachten bei Prof. Dr. Dr. L., Universitätsklinikum E., zur Frage ein, ob die Voraussetzungen einer BK bezüglich der Polyneuropathie/Enzephalopathie und dem Schlaf-Apnoe-Syndrom im Sinne der BK Nr. 1317 der Anlage zur BKV bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII erfüllt seien. In seinem Gutachten vom 2. November 2007 führte Prof. Dr. Dr. L. aus, er habe klinisch keine sicheren Hinweise auf eine Polyneuropathie finden können, da die Reflexe zwar abgeschwächt, aber nicht ganz erloschen gewesen seien und Lähmungen nicht bestanden hätten. Es sei auch keine sichere Gefühlsstörung angegeben worden mit Ausnahme am lateralen Oberschenkel, was jedoch nicht mit einer Polyneuropathie, sondern einer druckbedingten Schädigung des Nervus cutaneus femoris lateralis, wie sie oft bei übergewichtigen Menschen anzutreffen sei, in Einklang stehe. Es könne daher nur von einer subklinischen und nach elektrophysiologischen Kriterien grenzwertigen sensiblen Polyneuropathie ausgegangen werden, die jedoch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den grenzwertig bestehenden Diabetes zurückgeführt werden könne. Auch eine Enzephalopathie habe nicht festgestellt werden können, da keinerlei kognitive Defizite zu objektivieren gewesen seien. Keiner der erhobenen Befunde könne jedoch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine berufliche Einwirkung zurückgeführt werden. Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV werde nicht zur Anerkennung vorgeschlagen. In seiner abschließenden Stellungnahme vom 24. Januar 2008 führte Prof. Dr. D. daraufhin aus, eine BK werde nicht zur Anerkennung vorgeschlagen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juli 2002 (Anerkennung einer BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV) zurück.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung der Leber als BK nach Nr. 1302/1303 und 1316 der Anlage zur BKV ab, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. D ... Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 8. September 2008 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die 1980 festgestellte Fettleber nur auf dem beruflichen Einfluss von Lösemitteln beruhen könne, da außerberufliche Ursachen nicht bestünden. Mit Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die in den Nrn. 1302, 1303 und 1316 erfassten Stoffe könnten sich zwar grundsätzlich alle in einer Leberschädigung, z.B. einer toxischen Hepatitis oder Fettleber auswirken. Aus dem Gutachten des Prof. Dr. D. ergebe sich jedoch, dass eine Leberzellschädigung nicht nachgewiesen werden könne, weder für die Vergangenheit noch im Zeitpunkt seiner Untersuchung.

Gegen den am 24. Juni 2009 dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 24. Juli 2009 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 22. Juni 2009 sowie den Bescheid vom 3. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine BK nach den Nummern 1302 und 1316 seit Antragstellung festzustellen.

Zur Begründung wird ausgeführt, der Kläger sei nachweislich jahrelang mit über den MAK-Werten liegenden Dosen von Dimethylformamid in Kontakt gekommen. Dem entsprechend seien auch in der Vergangenheit erhöhte Leberwerte festgestellt worden. Eine Leberverfettung genüge bereits als Krankheitsnachweis; keinesfalls sei ein Leberzellschaden erforderlich.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht die Anerkennung einer BK nach Nr. 1302 und 1316 abgelehnt.

Soweit erster Instanz noch eine BK nach Nr. 1303 der Anlage im Streit stand, hat der Kläger ausweislich seines Antrags im Berufungsverfahren die Anerkennung dieser BK nicht weiter verfolgt. Insoweit liegt ein von den BKen nach Nr. 1302 und 1316 abtrennbarer Streitgegenstand vor (vgl. zuletzt BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 13) , über den das SG damit rechtskräftig - ablehnend - entschieden hat.

Der Kläger begehrt mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) zulässigerweise die isolierte Feststellung des Bestehens von Berufskrankheiten, ohne daran schon im Klageverfahren Leistungsansprüche zu knüpfen.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

In Nr. 1302 der Anlage zur BKV sind Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, in Nr. 1316 der Anlage zur BKV Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid aufgeführt.

Die Beklagte hat zu Recht die Feststellung des Bestehens einer BK nach Nr. 1302 oder 1316 der Anlage zur BKV abgelehnt.

Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 2. April 2009 (B 2 U 9/08 R = SGb 2009, 355) ausgeführt hat, lassen sich aus der gesetzlichen Formulierung bei einer BK, die in der BKV aufgeführt ist (sog. Listen-BK), im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (unter Hinweis auf BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7, jeweils RdNr. 15; BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils RdNr. 13 ff).

Klarstellend und abweichend von der früheren gelegentlichen Verwendung des Begriffs durch den 2. Senat des BSG (vgl. BSG vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16; BSG vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 37/00 R - SozR 3-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 1) hat das BSG in der genannten Entscheidung betont, dass im BK-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall (vgl. nur BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, jeweils RdNr. 10) ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den BK-Folgen, die dann ggf. zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Nach Maßgabe dieser für das BK-Recht modifizierten Terminologie des BSG ist schon nicht im Vollbeweis gesichert, dass der Kläger überhaupt der Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen im Sinne der BK nach Nr. 1316 der Anlage zur BKV ausgesetzt war. Doch selbst diese Einwirkung unterstellt (Einwirkungskausalität) mangelt es jedoch an der haftungsbegründenden Kausalität zwischen den Einwirkungen und dem beim Kläger nachweisbaren Gesundheitsschaden. Denn eine Lebererkrankung ist nicht gesichert, weder für die 80er Jahre noch danach. Der Senat stützt sich bei seiner Beurteilung wesentlich auf das schlüssige und überzeugende Gutachten des Prof. Dr. D., das in Übereinstimmung mit dem aktuellen arbeitsmedizinischen Kenntnisstand steht und unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren eine BK nicht zur Anerkennung vorgeschlagen hat.

Zur BK Nr. 1302 der Anlage zur BKV: Es fehlt bereits am Nachweis einer durch Halogenkohlenwasserstoffe verursachten Lebererkrankung, wobei insoweit die ausreichende Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen, von der der Senat nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes allerdings nicht überzeugt ist, unterstellt wird.

Halogenkohlenwasserstoffe ist der Sammelbegriff für zahlreiche chemische Verbindungen, die sowohl unter chemisch-physikalischen Aspekten als auch im Hinblick auf ihre Humantoxizität stark heterogen sind (vgl. Triebig, in: Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin, 2. Auflage, S. 131 ff m.w.N). Wesentliche Zielorgane einer akuten oder toxischen Intoxikation sind die Haut bzw. Schleimhäute, das zentrale Nervensystem, die Leber und die Niere. Die Lebertoxizität von Halogenkohlenwasserstoffen mit hepatotoxischer Wirkung äußert sich in einer Vergrößerung des Organs, Anstieg der Transaminasen im Serum und in unterschiedlichen histologischen Bildern. Die Lebertoxizität steigt etwa in der Reihenfolge Dichlormethan (Methylenchlorid) - 1,1,1-Trichlorethan - Trichlorethen ("Tri") - Tetrachlorethen ("Per") - 1,1,2,2-Tetrachlorethan - Trichlormethan (Chloroform) - Dichlorethan - 1,1,2-Trichlorethan Tetrachlormethan ("Tetra"). Die Abgrenzung zum alimentären Alkoholschaden ist schwierig. Folgezustände einer infektiösen Hepatitis sind ebenfalls zu berücksichtigen ("Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe" - Merkblatt für die ärztliche Untersuchung [Bek. des BMA v. 29. März 1987, BABI. 6/1985]). Die respirativ-toxischen Wirkungen betreffen vor allem die Leber, die Nieren und das Nervensystem. Während es nach akuter Vergiftung mit Tetrachlorkohlenstoff in der Regel zu einem schweren Leberparenchymschaden (Leberzirrhose) kommt, ist die hepatotoxische Wirksamkeit von Trichlorethen, Trichlorethan und Tetrachlorethen vergleichsweise gering. Da es kein spezifisches Befundmuster bezüglich Leberparenzymparameter oder Histologie gibt, ist die Diagnose vor allem durch die Arbeitsanamnese, und sofern möglich, durch den Nachweis der Noxe mittels Biomonitoring zu sichern. Da die Prognose nach Wegfall der Noxe in der Regel günstig ist, stellt der Krankheitsverlauf nach Beendigung der Exposition ein wichtiges differentialdiagnostisches Kriterium dar (Triebig a.a.O. S. 133, 134).

Nach Maßgabe dieser Kriterien, die Prof. Dr. D. seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, kommt - unterstellt man die bereits nicht nachgewiesene Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen während der Berufstätigkeit des Klägers - auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Wesentlichen eine Erkrankung der Leber (als mögliches Zielorgan der Einwirkungen) in Betracht. Doch ist eine Erkrankung der Leber durch die Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoff nicht nachgewiesen. Wie Prof. Dr. D. zutreffend ausgeführt hat, hat allein Dr. H. im Jahr 1980 die Diagnose einer chronischen Fettleber gestellt, dieser Diagnose jedoch keine Befunde zugeordnet. Soweit 1974 und 1979 erhöhte Leberwerte für GOT (=Glutamat-Oxalacetat-Transaminase), GPT (=Glutamat-Pyruvat-Transaminase) und Y-GT dokumentiert sind, sind diese Befunde allein unspezifisch, da sie nichts über die Verursachung aussagen. Berücksichtigt man vor allem, dass Dr. H. in der Zusammenfassung der Diagnosen des Klägers eine Vielzahl von Erkrankungen im Bereich Magen/Darm/Stoffwechsel notiert hat, die alle Einfluss auch auf die Enzymverarbeitung in der Leber besitzen können, kann erst recht kein Schluss vom Vorliegen erhöhter Leberwerte auf eine krankheitswertige Veränderung der Leber, bedingt durch die Einwirkung von Lösemitteln gezogen werden. Diese müsste zudem einwirkungsspezifisch sein, d.h. entweder in Gestalt einer Fettleber oder einer Hepatitis auftreten (einwirkungsspezifisches Schadensbild), was vorliegend jedoch, wie ausgeführt, nicht gesichert ist. Da zudem auch im Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. D. überhaupt keine Veränderungen der Leberfunktionen vorgelegen haben, ist bereits der Nachweis einer Erkrankung der Leber nicht erbracht, so dass schon aus diesem Grund die BK nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV nicht zur Anerkennung kommen kann. Eine Erkrankung der Niere ist weder vorgetragen noch anhand der umfangreichen ärztlichen Befundberichte in den Akten in Betracht zu ziehen. Aber auch die Anerkennung einer BK nach Nr. 1316 der Anlage zur BKV kommt nicht in Betracht. Zwar kann, abweichend von den in Nr. 1302 der Anlage zur BKV aufgeführten Berufsstoffen, von der Einwirkung von Dimethylformamid jedenfalls von 1956 bis 1968 in grundsätzlich erheblichem Umfang ausgegangen werden, wie der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten berichtet hat. Doch scheitert auch hier die Anerkennung einer BK an einer einwirkungsspezifischen Erkrankung. Abweichend vom Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren genügt es bei der BK nach Nr. 1316 der Anlage zur BKV nicht, dass überhaupt ein Leberschaden vorliegt. Vielmehr äußert sich, wie Prof. Dr. D. in Übereinstimmung mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgeführt hat (vgl. Triebig a.a.O. S. 162 f; "Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid" - Merkblatt für die ärztliche Untersuchung [Bekanntmachung des BMA v. 1.12.1997 - IVa 4-45206, BArbBl 12/1997, S. 30]), die Hepatotoxizität von Dimethylformamid in Fetteinlagerungen und Veränderungen des Leberparenchyms in Gestalt einer Leberzellschädigung. Gerade diese Leberzellschädigung ist jedoch (wie überhaupt eine Lebererkrankung) nicht nachzuweisen und wäre, ihren Nachweis unterstellt, darüber hinaus u.a. von alkoholbedingten Lebererkrankungen abzugrenzen. Weder im Zeitpunkt der Antragstellung noch der Untersuchung durch Prof. Dr. D. ist daher eine einwirkungskonforme Lebererkrankung festzustellen. Daher ist der Senat auch der Beweisanregung der Bevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 15. Februar 2010 nicht gefolgt, gutachterlich die Wechselwirkung zwischen Lösungsmitteln und Fettleibigkeit feststellen zu lassen. Des Weiteren stünde der Anerkennung einer Lebererkrankung als BK bereits in den 70er bzw. 80er Jahren auch die Stichtags- bzw. Rückwirkungsregelung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 BKV entgegen. Danach ist eine Krankheit u.a. nach Nr. 1316 der Anlage zur BKV dann als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Der Eintritt des Versicherungsfalles würde aber voraussetzen, dass die Tatbestandsmerkmale der Listen-BK, nämlich eine Erkrankung der Leber, nach dem 30. November 1997 eingetreten ist (zum Vorliegen des Versicherungsfalls bei Berufskrankheiten Becker, in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) - Kommentar, § 9 Rn. 243 ff). Für diesen Zeitraum liegen jedoch keinerlei Nachweise über die Existenz einer Lebererkrankung vor. Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved