Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 43/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 154/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. September 2009 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage (AZ: S 83 KA 43/09) gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 11. Dezember 2008 angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 113.268,93 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 11. Dezember 2008.
Die Antragstellerin nimmt als Fachärztin für Innere Medizin an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin-Kreuzberg teil. Mit zwei Beschlüssen vom 7. August 2007 setzte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin im Rahmen der Richtgrößenprüfung gemäß § 106 Abs. 5a des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch (SGB V) eine Ersatzverpflichtung für das Kalenderjahr 2003 in Höhe von 141.197,33 EUR und für das Kalenderjahr 2004 in Höhe von 85.340,53 EUR fest. Die schriftlichen Ausfertigungen der Beschlüsse sind am 20. September 2007 per Übergabeeinschreiben bei der Deutschen Post AG aufgegeben worden.
Mit einem an den Prüfungsausschuss gerichteten Schreiben vom 29. Juli 2008, dort eingegangen am 30. Juli 2008, teilte die Antragstellerin mit, durch Schreiben der Beigeladenen zu 1) - Rechnungswesen - vom 14. Juli 2007, das sie wegen Urlaubs erst am 20. Juli 2007 zur Kenntnis genommen habe, habe sie erfahren, dass ihr Honorarkonto mit den Regressbeträgen für die Richtgrößenprüfungen der Jahre 2003 und 2004 belastet worden sei. Sie habe jedoch am "4.10.2008" fristgerecht Widerspruch erhoben. Ihre Tochter V I, von deren zuverlässiger Arbeit sie sich regelmäßig überzeuge, sei mit der Anfertigung des Widerspruchs betraut gewesen. Diese habe ihn am 4. Oktober 2007 formuliert und habe ihn ihr zur Unterschrift vorgelegt und es nach bestem Wissen und Gewissen mit der restlichen Post am 4. Oktober 2007 abgeschickt. Sie sei von einem fristgerecht eingereichten Widerspruch ausgegangen und beantrage daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Beschwerdeausschuss wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie den Widerspruch mit Beschluss vom 11. Dezember 2008 zurück. Er führte aus, die Beschlüsse des Prüfungsausschusses seien bestandskräftig geworden; Gründe für eine Wiedereinsetzung lägen nicht vor.
Hiergegen richtet sich die am 19. Januar 2009 zum Aktenzeichen S 83 KA 43/09 erhobene Klage, über die bisher nicht entschieden ist.
Einen im Juli 2009 gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 19. Januar 2009 lehnte das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 10. September 2009 ab. Zur Begründung führte es aus, an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Beschwerdeausschusses bestünden keine ernsthaften Zweifel, da die Bescheide des Prüfungsausschusses bestandskräftig geworden seien. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da die Antragstellerin zum einen die versäumte Verfahrenshandlung nicht fristgerecht nachgeholt habe und zum anderen, weil sie nicht unverschuldet an der Einlegung des Widerspruchs gehindert gewesen sei.
Mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss trägt sie näher zu den Umständen der geltend gemachten Versendung des Schreibens vom 4. Oktober 2007 vor. Weiterhin sei die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig gewesen, weil diese den Zusatz enthalten habe, dass gebeten werde, den Widerspruch zu begründen und in fünffacher Ausfertigung einzureichen. Die Vollziehung der Regressbescheide führe zu einer unzumutbaren Härte. Die Beigeladene zu 1) habe die Abschlagszahlungen auf die Quartalsabrechnungen der Antragstellerin von 8.500,- EUR auf 4.000,- EUR gekürzt; damit sei die Existenz der Praxis wirtschaftlich gefährdet. Auch verfüge die Antragstellerin über keine nennenswerten Vermögenswerte. Sie verfüge über kein Barvermögen; der Miteigentumsanteil an einem Grundstück sei nicht verwertbar; das Eigentum an einer vormals ihr gehörenden und von ihr weiter bewohnten Wohnung sei bereits vor zwei Jahren auf die Töchter übertragen worden. In Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Regressforderung macht sie geltend, bei den Richtgrößenprüfungen 2003 und 2004 sei der Prüfungsausschuss von einer unzutreffenden Datenlage ausgegangen; für das Jahr 2003 fehlten ca. 20 Patienten. Des Weiteren lägen Praxisbesonderheiten vor, die nicht berücksichtigt seien. Sie behandele im Wesentlichen chronisch kranke und multimorbide Patienten, deren Behandlung aufwändig sei. Patienten, die lediglich wegen Erkältungen zu ihr kämen, seien selten.
Sie beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 10. Septembver 2009 die aufschiebende Wirkung der Klage zum Aktenzeichen S 83 KA 43/09 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend; die Beschlüsse des Prüfungsausschusses seien bestandskräftig geworden.
Neben dem im Verfahren S 83 KA 43/09 streitigen Regress sind vor dem Sozialgericht Berlin weitere Rechtsstreite über Regresse auf Grund von Richtgrößenprüfungen sowohl im Bereich Arznei- als auch im Bereich Heilmittel bezüglich der Kalenderjahre 2002, 2005 und 2006 anhängig (Aktenzeichen S 83 KA 525/09, S 79 KA 527/09, S 79 KA 528/09, S 83 KA 529/09 und S 71 KA 531/09).
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. September 2009 ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage war gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, ihre Erfolgsaussichten offen sind und die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für die Antragstellerin bedeutete.
1) Die Klage entfaltet zunächst von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, was sich aus § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 106 Abs. 5 a Satz 11 SGB V (in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung) ergibt. Entsprechend der vom Gesetzgeber getroffenen Wertung hat danach eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in Zusammenhang mit einem Richtgrößenregress nach § 106 Abs. 5 a SGB V keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse eines Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitigen Bescheides überwiegt. Die danach vom Gericht anzustellende Interessenabwägung führt zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wenn der Bescheid sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Erweisen sich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens - wie hier - dagegen als offen (dazu unter 2.), ist bei der Interessensabwägung der gesetzgeberischen Wertung, die zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung durch § 106 Abs. 5a S. 11 SGB V führte, grundsätzlich der Vorrang einzuräumen. Sinn und Zweck des Ausschlusses ist es, die Effektivität der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung zu gewährleisten. Weiterhin stellt die finanzielle Stabilität des Finanzierungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung einen besonders herausgehobenen Gemeinwohlbelang dar. Dieses Interesse kann nur in besonderen Fällen zurücktreten, wenn die sofortige Vollziehung für den Vertragsarzt eine besondere Härte mit sich brächte (vgl. § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG), die insbesondere dann vorliegt, wenn die Existenz der Vertragsarztpraxis gefährdet ist (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 6. Februar 2006, L 7 B 1043/05 KA ER), wie es hier der Fall ist (dazu unter 3.).
2) Die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage sind offen. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Regressbescheide lässt sich auf Grund der erheblichen Komplexität der Sach- und Rechtslage keiner verlässlichen Überprüfung im Eilverfahren unterziehen. Insbesondere in welchem Umfange im Rahmen der Richtgrößenprüfung Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen sind, bedarf der sorgfältigen Aufklärung, die nur im Hauptsacheverfahren erfolgen kann. Soweit das Sozialgericht die Erfolgsaussichten der Klage aber unabhängig von der materiellen Rechtslage verneint hat, weil die Regressbescheide wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Widerspruchs bereits bestandskräftig geworden seien, so folgt der Senat dem nicht. Die Antragstellerin hat den Widerspruch fristgerecht eingelegt, so dass es auf die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ankommt.
a) Zwar erfolgte die Einlegung nicht innerhalb der Monatsfrist der §§ 106 Abs. 5 S. 5 SGB V, 84 Abs. 1 SGG. Da die Beschlüsse mittels Übergabeeinschreiben zugestellt wurden, gelten sie als nach den §§ 65 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 5 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung und § 4 Abs. 2 S. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes (VwZG) am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, dem 23. September 2007, als zugestellt und damit im Sinne des § 84 Abs. 1 SGG als bekannt gegeben. Innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat, die am Dienstag, den 23. Oktober 2007 endete, ist bei dem Antragsgegner kein Widerspruch eingegangen. Jedoch galt hier nicht die Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG. Nach dieser Vorschrift ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist.
b) Die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ergibt sich aber nicht, wie die Antragstellerin meint, daraus, dass die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung den Zusatz trug, es werde gebeten, den Widerspruch zu begründen und in 5-facher Ausfertigung einzureichen. Zwar darf mit der Rechtsbehelfsbelehrung bzw. mit Zusätzen zu ihr nicht der Eindruck erweckt werden, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als sie in Wahrheit ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 31. August 2000, B 3 P 18/99 R, zitiert nach juris, Rn. 15 m.w.N.). Grundsätzlich ist daher auch der unrichtige Hinweis auf ein zwingendes Erfordernis zur Beifügung mehrfacher Ausfertigungen schädlich (vgl. BSG, SozR 1500 § 93 Nr. 1). Jedoch wird ein solcher Eindruck bei einem der Antragstellerin vergleichbaren Dritten nicht erweckt. Denn der Hinweis ist für einen verständigen Dritten eindeutig als Bitte und gerade nicht als zwingende Voraussetzung formuliert. Außerdem ist der Zusatz optisch durch einen Absatz von der eigentlichen Rechtsbehelfsbelehrung getrennt. Insgesamt ist er daher nicht geeignet, die Antragstellerin davon abzuhalten, den Widerspruch einzulegen.
c) Die Rechtsbehelfsbelehrung ist aber unrichtig erteilt, da sie unzutreffend über den Lauf der Monatsfrist belehrt. Sie lautete dahingehend, der Widerspruch sei innerhalb eines Monats nach "Bekanntgabe" der Entscheidung einzulegen. Der Prüfungsausschuss hat die Beschlüsse jedoch nicht formlos, z.B. durch einfachen Brief, bekannt gegeben, sondern sich der förmlichen Zustellung bedient und die Beschlüsse mittels Übergabeeinschreiben nach § 4 VwZG zugestellt. Dann aber muss die Rechtsbehelfsbelehrung dahingehend lauten, dass der Widerspruch innerhalb eines Monats nach "Zustellung" einzulegen ist; es darf nicht der missverständliche und unscharfe Begriff der "Bekanntgabe" verwendet werden (BSG, DAngVers 1984, 148; BSG, SozR 3-1500 § 66 Nr. 6 mit ausführlicher Begründung und BSG, FEVS 60, 550). Innerhalb der Jahresfrist, die somit am 23. September 2007 endete, hat die Antragstellerin aber Widerspruch gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses eingelegt. Ein solcher ist in ihrem Schreiben vom 29. Juli 2008, mit dem sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, zu sehen. Zwar legt sie hiermit nicht ausdrücklich Widerspruch ein. Jedoch kann dem Schreiben unzweifelhaft entnommen werden, dass sie sich gegen die Regresse auf Grund der Richtgrößenprüfungen 2003 und 2004 wendet. Denn sie bezieht sich auf das Widerspruchsschreiben vom 4. Oktober 2007, von dem sie ausging, es sei bereits bei dem Prüfungsausschuss eingegangen, und führt aus, sie hoffe, die Begründung nunmehr einreichen zu können. Hieraus wird deutlich, dass sie sich durch die Beschlüsse beschwert fühlt und eine Überprüfung durch den Beschwerdeausschuss begehrt. Die Bezeichnung des Begehrens als Widerspruch ist dagegen nicht erforderlich.
Da der Widerspruch gegen die Beschlüsse fristgerecht eingelegt wurde, bedarf es keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß den §§ 84 Abs. 2 S. 3, 67 Abs. 1 SGG.
3) Die Vollziehung der Beschlüsse des Prüfungsausschusses stellt eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für die Antragstellerin dar, da sie die Gefährdung der Existenz ihrer Vertragsarztpraxis durch die sofortige Vollziehung glaubhaft gemacht hat.
a) Die Beigeladende zu 1) hat in Vollziehung der streitgegenständlichen Beschlüsse die der Antragstellerin im Quartal III/2009 gezahlten Abschläge auf 4.000,- EUR monatlich reduziert. Endzahlungen sind nach der eingereichten Überzahlungsinformation vom 14. Januar 2010 wegen der Verrechnung mit der Überzahlung trotz eines Honoraranspruch in Höhe von insgesamt 39.244,63 EUR nicht mehr erfolgt. Nach der eingereichten "kurzfristigen Erfolgsrechnung" für Dezember 2009, Stand 3. November 2009, ergeben sich Praxiseinnahmen - einschließlich der aus Privatliquidationen - in Höhe von insgesamt 8.344,92 EUR. Dem stehen Betriebsausgaben in Höhe von 10.908,35 EUR gegenüber. Für den Zeitraum vom 1. Januar bis 3. November 2009 ergaben sich Betriebskosten in Höhe von 117.460,19 EUR, denen nur Einnahmen in Höhe von insgesamt 84.489,03 EUR gegenüber standen. Da allein die hier streitigen Regresse einen Umfang von 226.537,82 EUR haben und damit die längerfristige Verrechnung mit den Honoraransprüchen zur Erwirtschaftung von erheblichen Verlusten führte, wäre ein wirtschaftliches Betreiben der Praxis nicht mehr möglich. Das Defizit beruht auch nicht darauf, dass die Praxis insgesamt nicht rentabel ist. Denn der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2007, den die Antragstellerin im Verfahren S 71 KA 531/09 ER eingereicht hat, weist als Einkünfte noch einen Gewinn aus der freiberuflichen Tätigkeit in Höhe von 34.075,- EUR aus. Dass sich an der grundsätzlichen Rentabilität der Praxis etwas geändert hat, ist nicht ersichtlich. Daher ist davon auszugehen, dass das Defizit auf die durchgeführten Verrechnungen mit den Honorarzahlungen zurückzuführen ist.
b) Die unzumutbare Härte entfällt auch nicht deshalb, weil die Vollstreckung in sonstiges Einkommen und Vermögen der Antragstellerin möglich wäre und damit die Gefährdung der Praxis trotz Vollziehung der streitgegenständlichen Bescheide entfiele. Zwar sind die Vermögensverhältnisse der Antragstellerin nicht abschließend geklärt. Zum einen ist der Wert des Miteigentums an dem Haus in 64853 Hering/Otzberg nicht bekannt. Auch ist nicht nachgewiesen, dass die von ihr bewohnte Wohnung, die sie zunächst schriftsätzlich als ihr Eigentum bezeichnete, nunmehr auf Grund von Übertragung in das Eigentum der Töchter übergegangen ist. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat hierzu keinerlei Unterlagen vorgelegt. Aber selbst wenn man unterstellte, die Wohnung stehe in ihrem Eigentum, bliebe es bei der unzumutbaren Härte: Zum einen spricht nichts dafür, dass der Wert der Eigentumswohnung sowie der Wert des Miteigentumsanteils an dem Haus in 64853 Hering/Otzberg, der nur 3/8 beträgt, ausreichten, um die Regressforderungen zu erfüllen, denen die Antragstellerin ausgesetzt ist, zu erfüllen. Insoweit müsste bei Vollziehung des Regressbescheides weiterhin auf die Verrechnung mit Honorarforderungen zurückgegriffen werden, die zur Gefährdung der Praxis führte. Zum anderen wäre bei einer Vollziehbarkeit des Regressbescheides der Gläubiger auch nicht auf eine bestimmte Art und Weise der Vollziehung, insbesondere auch nicht auf Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen der Antragstellerin, beschränkt; es ist den berechtigten Beteiligten überlassen zu entscheiden, in welcher Weise sie den Bescheid vollziehen. Dass sie sich auf eine bestimmte Art und Weise der Vollziehung beschränkten wollen, die nicht zur Gefährdung der Praxis führen würden, haben sie nicht dargelegt; insbesondere hat die Beigeladene zu 1) nicht erklärt, dass sie zur Vermeidung einer Gefährdung der Praxis auf die Durchführung der Verrechnung verzichteten würde.
In diesem Rahmen sind nicht nur die hier streitigen Regressforderungen zu berücksichtigen, sondern auch die weiteren in Höhe von 248.811,42 EUR. Insgesamt sieht sich die Antragstellerin demnach vollziehbaren Forderungen aus nicht bestandskräftigen Bescheiden in Höhe von 475.349,28 EUR gegenüber; gerade aus der Vollziehung a l l e r Bescheide ergibt sich die wesentliche Gefährdung der Praxis. Stellte man jeweils auf die Höhe der Regressforderung jedes einzelnen Bescheides ab, so könnte sich ohne weiteres ergeben, dass die Vollziehung jedes einzelnen Regressbescheides für sich betrachtet gerade wegen der (geringen) Höhe nicht zu einer Gefährdung der Existenz der Praxis führte, bei tatsächlicher Vollziehung aller Regressbescheide, die dann möglich wäre, die Gefährdung aber einträte. Solange jedoch noch nicht über die Rechtmäßigkeit der Regressbescheide rechtskräftig entschieden ist und die Erfolgsaussichten durch den jeweils zuständigen Spruchkörper nicht verneint wurden, stellte es eine unzumutbare Härte dar, wenn die Summe der geltend gemachten, noch nicht bestandskräftigen Regresse den Vertragsarzt zur Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit zwingen würden. Es kann dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn sich die zur Vollziehung der Regressbescheide berechtigten Beteiligten auf die Vollziehung nur bestimmter Regressbescheide beschränken würden, die auf Grund der Höhe der Forderungen nicht zu einer Gefährdung der Praxis führten. Denn jedenfalls haben sich weder die beigeladenen Krankenkassen, noch die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung eine derartige Beschränkung auferlegt. Demnach ist es durchaus möglich, dass ohne die Anordnung der aufschiebenden Wirkung tatsächlich alle Regressbescheide vollzogen werden.
Entsprechendes gilt für einen möglichen Einsatz der Altersversorgung aus der Berliner Ärzteversorgung in Höhe von 3.699,30 EUR monatlich. Auch hier bliebe es in Anbetracht der Höhe aller Regressforderungen aus den noch nicht bestandskräftigen Bescheiden dabei, dass weiterhin die Verrechnung mit Honorarforderungen möglich und zur Befriedigung der Forderung auch erforderlich wäre. Damit bliebe die Existenz der Praxis gefährdet.
Die Beigeladene zu 2) kann sich, wie sie es im Parallelverfahren L 7 KA 3/10 ER getan hat, auch nicht darauf berufen, die Erhaltung der Praxis der Antragstellerin sei nicht schützenswert, da sie in Anbetracht der Altersversorgung nicht auf den Betrieb der Praxis angewiesen sei. Eine solche Betrachtungsweise wäre mit der durch Art. 12 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit nicht vereinbar. Denn eine Beschränkung des Schutzbereichs des Grundrechts auf solche Fälle, in denen die Betreffenden wirtschaftlich auf die Ausübung des Berufes angewiesen sind, ist Art. 12 GG fremd.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 u. 3, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Streitwertfestsetzung auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Von der Regressforderung ist wegen der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nur die Hälfte anzusetzen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 113.268,93 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 11. Dezember 2008.
Die Antragstellerin nimmt als Fachärztin für Innere Medizin an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin-Kreuzberg teil. Mit zwei Beschlüssen vom 7. August 2007 setzte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin im Rahmen der Richtgrößenprüfung gemäß § 106 Abs. 5a des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch (SGB V) eine Ersatzverpflichtung für das Kalenderjahr 2003 in Höhe von 141.197,33 EUR und für das Kalenderjahr 2004 in Höhe von 85.340,53 EUR fest. Die schriftlichen Ausfertigungen der Beschlüsse sind am 20. September 2007 per Übergabeeinschreiben bei der Deutschen Post AG aufgegeben worden.
Mit einem an den Prüfungsausschuss gerichteten Schreiben vom 29. Juli 2008, dort eingegangen am 30. Juli 2008, teilte die Antragstellerin mit, durch Schreiben der Beigeladenen zu 1) - Rechnungswesen - vom 14. Juli 2007, das sie wegen Urlaubs erst am 20. Juli 2007 zur Kenntnis genommen habe, habe sie erfahren, dass ihr Honorarkonto mit den Regressbeträgen für die Richtgrößenprüfungen der Jahre 2003 und 2004 belastet worden sei. Sie habe jedoch am "4.10.2008" fristgerecht Widerspruch erhoben. Ihre Tochter V I, von deren zuverlässiger Arbeit sie sich regelmäßig überzeuge, sei mit der Anfertigung des Widerspruchs betraut gewesen. Diese habe ihn am 4. Oktober 2007 formuliert und habe ihn ihr zur Unterschrift vorgelegt und es nach bestem Wissen und Gewissen mit der restlichen Post am 4. Oktober 2007 abgeschickt. Sie sei von einem fristgerecht eingereichten Widerspruch ausgegangen und beantrage daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Beschwerdeausschuss wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie den Widerspruch mit Beschluss vom 11. Dezember 2008 zurück. Er führte aus, die Beschlüsse des Prüfungsausschusses seien bestandskräftig geworden; Gründe für eine Wiedereinsetzung lägen nicht vor.
Hiergegen richtet sich die am 19. Januar 2009 zum Aktenzeichen S 83 KA 43/09 erhobene Klage, über die bisher nicht entschieden ist.
Einen im Juli 2009 gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 19. Januar 2009 lehnte das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 10. September 2009 ab. Zur Begründung führte es aus, an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Beschwerdeausschusses bestünden keine ernsthaften Zweifel, da die Bescheide des Prüfungsausschusses bestandskräftig geworden seien. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da die Antragstellerin zum einen die versäumte Verfahrenshandlung nicht fristgerecht nachgeholt habe und zum anderen, weil sie nicht unverschuldet an der Einlegung des Widerspruchs gehindert gewesen sei.
Mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss trägt sie näher zu den Umständen der geltend gemachten Versendung des Schreibens vom 4. Oktober 2007 vor. Weiterhin sei die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig gewesen, weil diese den Zusatz enthalten habe, dass gebeten werde, den Widerspruch zu begründen und in fünffacher Ausfertigung einzureichen. Die Vollziehung der Regressbescheide führe zu einer unzumutbaren Härte. Die Beigeladene zu 1) habe die Abschlagszahlungen auf die Quartalsabrechnungen der Antragstellerin von 8.500,- EUR auf 4.000,- EUR gekürzt; damit sei die Existenz der Praxis wirtschaftlich gefährdet. Auch verfüge die Antragstellerin über keine nennenswerten Vermögenswerte. Sie verfüge über kein Barvermögen; der Miteigentumsanteil an einem Grundstück sei nicht verwertbar; das Eigentum an einer vormals ihr gehörenden und von ihr weiter bewohnten Wohnung sei bereits vor zwei Jahren auf die Töchter übertragen worden. In Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Regressforderung macht sie geltend, bei den Richtgrößenprüfungen 2003 und 2004 sei der Prüfungsausschuss von einer unzutreffenden Datenlage ausgegangen; für das Jahr 2003 fehlten ca. 20 Patienten. Des Weiteren lägen Praxisbesonderheiten vor, die nicht berücksichtigt seien. Sie behandele im Wesentlichen chronisch kranke und multimorbide Patienten, deren Behandlung aufwändig sei. Patienten, die lediglich wegen Erkältungen zu ihr kämen, seien selten.
Sie beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 10. Septembver 2009 die aufschiebende Wirkung der Klage zum Aktenzeichen S 83 KA 43/09 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend; die Beschlüsse des Prüfungsausschusses seien bestandskräftig geworden.
Neben dem im Verfahren S 83 KA 43/09 streitigen Regress sind vor dem Sozialgericht Berlin weitere Rechtsstreite über Regresse auf Grund von Richtgrößenprüfungen sowohl im Bereich Arznei- als auch im Bereich Heilmittel bezüglich der Kalenderjahre 2002, 2005 und 2006 anhängig (Aktenzeichen S 83 KA 525/09, S 79 KA 527/09, S 79 KA 528/09, S 83 KA 529/09 und S 71 KA 531/09).
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. September 2009 ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage war gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, ihre Erfolgsaussichten offen sind und die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für die Antragstellerin bedeutete.
1) Die Klage entfaltet zunächst von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, was sich aus § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 106 Abs. 5 a Satz 11 SGB V (in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung) ergibt. Entsprechend der vom Gesetzgeber getroffenen Wertung hat danach eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in Zusammenhang mit einem Richtgrößenregress nach § 106 Abs. 5 a SGB V keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse eines Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitigen Bescheides überwiegt. Die danach vom Gericht anzustellende Interessenabwägung führt zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wenn der Bescheid sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Erweisen sich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens - wie hier - dagegen als offen (dazu unter 2.), ist bei der Interessensabwägung der gesetzgeberischen Wertung, die zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung durch § 106 Abs. 5a S. 11 SGB V führte, grundsätzlich der Vorrang einzuräumen. Sinn und Zweck des Ausschlusses ist es, die Effektivität der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung zu gewährleisten. Weiterhin stellt die finanzielle Stabilität des Finanzierungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung einen besonders herausgehobenen Gemeinwohlbelang dar. Dieses Interesse kann nur in besonderen Fällen zurücktreten, wenn die sofortige Vollziehung für den Vertragsarzt eine besondere Härte mit sich brächte (vgl. § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG), die insbesondere dann vorliegt, wenn die Existenz der Vertragsarztpraxis gefährdet ist (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 6. Februar 2006, L 7 B 1043/05 KA ER), wie es hier der Fall ist (dazu unter 3.).
2) Die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage sind offen. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Regressbescheide lässt sich auf Grund der erheblichen Komplexität der Sach- und Rechtslage keiner verlässlichen Überprüfung im Eilverfahren unterziehen. Insbesondere in welchem Umfange im Rahmen der Richtgrößenprüfung Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen sind, bedarf der sorgfältigen Aufklärung, die nur im Hauptsacheverfahren erfolgen kann. Soweit das Sozialgericht die Erfolgsaussichten der Klage aber unabhängig von der materiellen Rechtslage verneint hat, weil die Regressbescheide wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Widerspruchs bereits bestandskräftig geworden seien, so folgt der Senat dem nicht. Die Antragstellerin hat den Widerspruch fristgerecht eingelegt, so dass es auf die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ankommt.
a) Zwar erfolgte die Einlegung nicht innerhalb der Monatsfrist der §§ 106 Abs. 5 S. 5 SGB V, 84 Abs. 1 SGG. Da die Beschlüsse mittels Übergabeeinschreiben zugestellt wurden, gelten sie als nach den §§ 65 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 5 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung und § 4 Abs. 2 S. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes (VwZG) am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, dem 23. September 2007, als zugestellt und damit im Sinne des § 84 Abs. 1 SGG als bekannt gegeben. Innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat, die am Dienstag, den 23. Oktober 2007 endete, ist bei dem Antragsgegner kein Widerspruch eingegangen. Jedoch galt hier nicht die Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG. Nach dieser Vorschrift ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist.
b) Die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ergibt sich aber nicht, wie die Antragstellerin meint, daraus, dass die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung den Zusatz trug, es werde gebeten, den Widerspruch zu begründen und in 5-facher Ausfertigung einzureichen. Zwar darf mit der Rechtsbehelfsbelehrung bzw. mit Zusätzen zu ihr nicht der Eindruck erweckt werden, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als sie in Wahrheit ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 31. August 2000, B 3 P 18/99 R, zitiert nach juris, Rn. 15 m.w.N.). Grundsätzlich ist daher auch der unrichtige Hinweis auf ein zwingendes Erfordernis zur Beifügung mehrfacher Ausfertigungen schädlich (vgl. BSG, SozR 1500 § 93 Nr. 1). Jedoch wird ein solcher Eindruck bei einem der Antragstellerin vergleichbaren Dritten nicht erweckt. Denn der Hinweis ist für einen verständigen Dritten eindeutig als Bitte und gerade nicht als zwingende Voraussetzung formuliert. Außerdem ist der Zusatz optisch durch einen Absatz von der eigentlichen Rechtsbehelfsbelehrung getrennt. Insgesamt ist er daher nicht geeignet, die Antragstellerin davon abzuhalten, den Widerspruch einzulegen.
c) Die Rechtsbehelfsbelehrung ist aber unrichtig erteilt, da sie unzutreffend über den Lauf der Monatsfrist belehrt. Sie lautete dahingehend, der Widerspruch sei innerhalb eines Monats nach "Bekanntgabe" der Entscheidung einzulegen. Der Prüfungsausschuss hat die Beschlüsse jedoch nicht formlos, z.B. durch einfachen Brief, bekannt gegeben, sondern sich der förmlichen Zustellung bedient und die Beschlüsse mittels Übergabeeinschreiben nach § 4 VwZG zugestellt. Dann aber muss die Rechtsbehelfsbelehrung dahingehend lauten, dass der Widerspruch innerhalb eines Monats nach "Zustellung" einzulegen ist; es darf nicht der missverständliche und unscharfe Begriff der "Bekanntgabe" verwendet werden (BSG, DAngVers 1984, 148; BSG, SozR 3-1500 § 66 Nr. 6 mit ausführlicher Begründung und BSG, FEVS 60, 550). Innerhalb der Jahresfrist, die somit am 23. September 2007 endete, hat die Antragstellerin aber Widerspruch gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses eingelegt. Ein solcher ist in ihrem Schreiben vom 29. Juli 2008, mit dem sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, zu sehen. Zwar legt sie hiermit nicht ausdrücklich Widerspruch ein. Jedoch kann dem Schreiben unzweifelhaft entnommen werden, dass sie sich gegen die Regresse auf Grund der Richtgrößenprüfungen 2003 und 2004 wendet. Denn sie bezieht sich auf das Widerspruchsschreiben vom 4. Oktober 2007, von dem sie ausging, es sei bereits bei dem Prüfungsausschuss eingegangen, und führt aus, sie hoffe, die Begründung nunmehr einreichen zu können. Hieraus wird deutlich, dass sie sich durch die Beschlüsse beschwert fühlt und eine Überprüfung durch den Beschwerdeausschuss begehrt. Die Bezeichnung des Begehrens als Widerspruch ist dagegen nicht erforderlich.
Da der Widerspruch gegen die Beschlüsse fristgerecht eingelegt wurde, bedarf es keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß den §§ 84 Abs. 2 S. 3, 67 Abs. 1 SGG.
3) Die Vollziehung der Beschlüsse des Prüfungsausschusses stellt eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für die Antragstellerin dar, da sie die Gefährdung der Existenz ihrer Vertragsarztpraxis durch die sofortige Vollziehung glaubhaft gemacht hat.
a) Die Beigeladende zu 1) hat in Vollziehung der streitgegenständlichen Beschlüsse die der Antragstellerin im Quartal III/2009 gezahlten Abschläge auf 4.000,- EUR monatlich reduziert. Endzahlungen sind nach der eingereichten Überzahlungsinformation vom 14. Januar 2010 wegen der Verrechnung mit der Überzahlung trotz eines Honoraranspruch in Höhe von insgesamt 39.244,63 EUR nicht mehr erfolgt. Nach der eingereichten "kurzfristigen Erfolgsrechnung" für Dezember 2009, Stand 3. November 2009, ergeben sich Praxiseinnahmen - einschließlich der aus Privatliquidationen - in Höhe von insgesamt 8.344,92 EUR. Dem stehen Betriebsausgaben in Höhe von 10.908,35 EUR gegenüber. Für den Zeitraum vom 1. Januar bis 3. November 2009 ergaben sich Betriebskosten in Höhe von 117.460,19 EUR, denen nur Einnahmen in Höhe von insgesamt 84.489,03 EUR gegenüber standen. Da allein die hier streitigen Regresse einen Umfang von 226.537,82 EUR haben und damit die längerfristige Verrechnung mit den Honoraransprüchen zur Erwirtschaftung von erheblichen Verlusten führte, wäre ein wirtschaftliches Betreiben der Praxis nicht mehr möglich. Das Defizit beruht auch nicht darauf, dass die Praxis insgesamt nicht rentabel ist. Denn der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2007, den die Antragstellerin im Verfahren S 71 KA 531/09 ER eingereicht hat, weist als Einkünfte noch einen Gewinn aus der freiberuflichen Tätigkeit in Höhe von 34.075,- EUR aus. Dass sich an der grundsätzlichen Rentabilität der Praxis etwas geändert hat, ist nicht ersichtlich. Daher ist davon auszugehen, dass das Defizit auf die durchgeführten Verrechnungen mit den Honorarzahlungen zurückzuführen ist.
b) Die unzumutbare Härte entfällt auch nicht deshalb, weil die Vollstreckung in sonstiges Einkommen und Vermögen der Antragstellerin möglich wäre und damit die Gefährdung der Praxis trotz Vollziehung der streitgegenständlichen Bescheide entfiele. Zwar sind die Vermögensverhältnisse der Antragstellerin nicht abschließend geklärt. Zum einen ist der Wert des Miteigentums an dem Haus in 64853 Hering/Otzberg nicht bekannt. Auch ist nicht nachgewiesen, dass die von ihr bewohnte Wohnung, die sie zunächst schriftsätzlich als ihr Eigentum bezeichnete, nunmehr auf Grund von Übertragung in das Eigentum der Töchter übergegangen ist. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat hierzu keinerlei Unterlagen vorgelegt. Aber selbst wenn man unterstellte, die Wohnung stehe in ihrem Eigentum, bliebe es bei der unzumutbaren Härte: Zum einen spricht nichts dafür, dass der Wert der Eigentumswohnung sowie der Wert des Miteigentumsanteils an dem Haus in 64853 Hering/Otzberg, der nur 3/8 beträgt, ausreichten, um die Regressforderungen zu erfüllen, denen die Antragstellerin ausgesetzt ist, zu erfüllen. Insoweit müsste bei Vollziehung des Regressbescheides weiterhin auf die Verrechnung mit Honorarforderungen zurückgegriffen werden, die zur Gefährdung der Praxis führte. Zum anderen wäre bei einer Vollziehbarkeit des Regressbescheides der Gläubiger auch nicht auf eine bestimmte Art und Weise der Vollziehung, insbesondere auch nicht auf Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen der Antragstellerin, beschränkt; es ist den berechtigten Beteiligten überlassen zu entscheiden, in welcher Weise sie den Bescheid vollziehen. Dass sie sich auf eine bestimmte Art und Weise der Vollziehung beschränkten wollen, die nicht zur Gefährdung der Praxis führen würden, haben sie nicht dargelegt; insbesondere hat die Beigeladene zu 1) nicht erklärt, dass sie zur Vermeidung einer Gefährdung der Praxis auf die Durchführung der Verrechnung verzichteten würde.
In diesem Rahmen sind nicht nur die hier streitigen Regressforderungen zu berücksichtigen, sondern auch die weiteren in Höhe von 248.811,42 EUR. Insgesamt sieht sich die Antragstellerin demnach vollziehbaren Forderungen aus nicht bestandskräftigen Bescheiden in Höhe von 475.349,28 EUR gegenüber; gerade aus der Vollziehung a l l e r Bescheide ergibt sich die wesentliche Gefährdung der Praxis. Stellte man jeweils auf die Höhe der Regressforderung jedes einzelnen Bescheides ab, so könnte sich ohne weiteres ergeben, dass die Vollziehung jedes einzelnen Regressbescheides für sich betrachtet gerade wegen der (geringen) Höhe nicht zu einer Gefährdung der Existenz der Praxis führte, bei tatsächlicher Vollziehung aller Regressbescheide, die dann möglich wäre, die Gefährdung aber einträte. Solange jedoch noch nicht über die Rechtmäßigkeit der Regressbescheide rechtskräftig entschieden ist und die Erfolgsaussichten durch den jeweils zuständigen Spruchkörper nicht verneint wurden, stellte es eine unzumutbare Härte dar, wenn die Summe der geltend gemachten, noch nicht bestandskräftigen Regresse den Vertragsarzt zur Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit zwingen würden. Es kann dahingestellt bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn sich die zur Vollziehung der Regressbescheide berechtigten Beteiligten auf die Vollziehung nur bestimmter Regressbescheide beschränken würden, die auf Grund der Höhe der Forderungen nicht zu einer Gefährdung der Praxis führten. Denn jedenfalls haben sich weder die beigeladenen Krankenkassen, noch die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung eine derartige Beschränkung auferlegt. Demnach ist es durchaus möglich, dass ohne die Anordnung der aufschiebenden Wirkung tatsächlich alle Regressbescheide vollzogen werden.
Entsprechendes gilt für einen möglichen Einsatz der Altersversorgung aus der Berliner Ärzteversorgung in Höhe von 3.699,30 EUR monatlich. Auch hier bliebe es in Anbetracht der Höhe aller Regressforderungen aus den noch nicht bestandskräftigen Bescheiden dabei, dass weiterhin die Verrechnung mit Honorarforderungen möglich und zur Befriedigung der Forderung auch erforderlich wäre. Damit bliebe die Existenz der Praxis gefährdet.
Die Beigeladene zu 2) kann sich, wie sie es im Parallelverfahren L 7 KA 3/10 ER getan hat, auch nicht darauf berufen, die Erhaltung der Praxis der Antragstellerin sei nicht schützenswert, da sie in Anbetracht der Altersversorgung nicht auf den Betrieb der Praxis angewiesen sei. Eine solche Betrachtungsweise wäre mit der durch Art. 12 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit nicht vereinbar. Denn eine Beschränkung des Schutzbereichs des Grundrechts auf solche Fälle, in denen die Betreffenden wirtschaftlich auf die Ausübung des Berufes angewiesen sind, ist Art. 12 GG fremd.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 u. 3, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Streitwertfestsetzung auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Von der Regressforderung ist wegen der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nur die Hälfte anzusetzen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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