L 1 AS 1621/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 658/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 1621/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.03.2010 wird zurückgewiesen.
2. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
3. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf vorläufige Übernahme ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten.

Vorab ist festzustellen, dass nach dem Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30.04.2010 nur noch die vorläufige Übernahme der vollständigen Kosten der Unterkunft für die Zeit vom September 2009 bis zum Februar 2010 im Streit ist. Da insoweit eine alleinige Zuständigkeit des Landkreises C. gegeben ist, war die Bundesagentur für Arbeit im Beschwerdeverfahren nicht mehr als Antragsgegnerin anzuführen.

Außerdem war im Rubrum klarzustellen, dass nach den auszulegenden Anträgen des Antragstellers und seines Bevollmächtigten auch die Antragstellerin in das Rubrum aufzunehmen war, weil Ansprüche der gesamten Bedarfsgemeinschaft auf Kosten der Unterkunft geltend gemacht werden.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, 3. in den Fällen des § 86 a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.

Soweit ein Fall des Abs. 1 der Vorschrift nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift sieht vor, dass einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sind, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Vorliegend kommt nur der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht. Eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Der Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn bei der im Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, wobei auch wegen der mit der einstweiligen Regelung verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache ein strenger Maßstab anzulegen ist (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Buchholz 310 § 123 Nr. 15). Denn grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz [GG]), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69 , 74 m.w.N.).

Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also die Erfolgsaussicht in der Hauptsache, kann indes vorliegend offen gelassen werden, weil jedenfalls der ebenfalls erforderliche Anordnungsgrund fehlt. Ein Anordnungsgrund liegt nur dann vor, wenn eine einstweilige Anordnung im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Abwendung - insbesondere grundrechtsrelevanter - wesentlicher Nachteile als nötig erscheint.

Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist von wesentlicher Bedeutung, dass die Antragsteller erstmalig am 23.02.2010 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) einstweiligen Rechtsschutz im Sinne der Übernahme ihrer vollständigen Unterkunftskosten für die Zeit von September 2009 bis Februar 2010 nachgesucht haben. Mit der Ausnahme der sechs Tage vom 23.02. bis zum 28.02.2010 beantragen sie damit die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, für den grundsätzlich ein Anordnungsgrund im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes zu verneinen ist. Einstweilige Anordnungen, die sich auf vergangene Zeiträume beziehen, scheiden grundsätzlich aus, weil mit ihnen keine aktuellen Bedarfslagen mehr befriedigt werden können. Insoweit fehlt es regelmäßig an einer spezifischen, dem vorliegenden Verfahren innewohnenden Dringlichkeit, deretwegen es zur Vermeidung schwerer und unzumutbarer Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, einer einstweiligen Regelung bedarf (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2010 - L 25 AS 2159/09 B ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 21.01.2010 - L 11 AS 785/09 B ER -; LSG Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.12.2009 - L 12 (20) B 124/09 AS ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.02.2010 - L 11 KR 6029/09 ER-B -).

Etwas anderes ergibt sich zunächst nicht daraus, dass mit dem Antrag vom 23.02.2010 für die Dauer von sechs Tagen noch ein gegenwärtiger Bedarf geltend gemacht worden ist. Das ergibt sich zum einen aus der vergleichsweise geringen noch verbleibenden gegenwärtigen Zeitspanne bis zum Ablauf des streitgegenständlichen Zeitraums am 28.02.2010, und zum anderen daraus, dass eine Entscheidung des SG nach Antragstellung am 23.02.2010 und der Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber der Antragsgegner frühestens für Anfang März - und damit insgesamt nach Ablauf des streitgegenständlichen Zeitraums - erwartet werden konnte (vgl. Bayerisches LSG a.a.O.). Ein Eilbedürfnis für die Zeit vom 23.02.2010 bis zum 28.02.2010 ist auch deswegen abzulehnen, weil ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge bereits am 25.02. und am 26.02.2010 Renten- bzw. Gehaltseinkünfte zugeflossen sind, weshalb nach dem Zuflussprinzip bereits der Bedarf für den Monat Februar 2010 als vollständig gedeckt gilt (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R -; BSG, Urteil vom 30.07.2008 - B 14 AS 26/07 R -).

Dass den Antragstellern hier ausnahmsweise schwere und unzumutbare Nachteile drohen könnten, zu deren Abwendung es der von ihnen begehrten einstweiligen Anordnung bedarf, kann ihrem Vorbringen nicht entnommen werden; dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Der Antragsteller hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Bestehen des zu sichernden materiellen Anspruches (Anordnungsanspruch) sowie die besondere Dringlichkeit des Erlasses der begehrten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung[ZPO]).

Nachdem die Antragsteller auf ihre angeblich drohende Wohnungslosigkeit wegen Mietrückständen hingewiesen haben, wurden sie mit Verfügung des Berichterstatters vom 21.04.2010 zur Vorlage von Nachweisen - insbesondere einer Bescheinigung ihrer Tochter, welche ihre Vermieterin ist - aufgefordert. Nachdem dem SG noch ein Kündigungsschreiben der Tochter vom 18.02.2010 (ohne Datum des Beginns der Wirksamkeit der Kündigung) vorgelegt worden war, ist im Beschwerdeverfahren mitgeteilt worden, dass gemeinsam mit der Tochter ein Umschuldungsversuch gegenüber der Gläubigerbank des Grundeigentums versucht werden solle. Danach dürfte die zuvor ggf. ausgesprochene Kündigung ihre Wirksamkeit verloren haben. Jedenfalls dem Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30.04.2010 lässt sich entnehmen, dass eine Kündigung des Mietverhältnisses inzwischen nicht mehr beabsichtigt ist. Dies lässt sich auch der eidesstattlichen Versicherung der Tochter der Antragsteller vom 29.04.2010 entnehmen, wonach derzeit von einer Kündigung abgesehen wird.

Sofern nunmehr vorgetragen wird, dass der streitige Geldbetrag die Befriedigung der Gläubigerbank herbeiführen könnte, ist nicht ersichtlich, wie die streitgegenständliche Summe von insgesamt 2.063,70 EUR (sechs Monate Differenz zwischen den tatsächlichen und den vom Antragsgegner anerkannten Kosten der Unterkunft von 343,95 EUR monatlich) diesen Erfolg herbeiführen könnte. Denn angesichts der mit dem Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30.04.2010 mitgeteilten Darlehensschuld von 160.000 EUR Gesamtsumme, zuzüglich 15 % Zinsen seit dem 26.11.2008 zuzüglich 10 % Nebenleistung aus der Gesamtsumme, zuzüglich der Zwangsversteigerungskosten, ist nicht glaubhaft gemacht, dass die vorliegend streitige Summe den behaupteten Erfolg einer Beendigung des Zwangsversteigerungsverfahrens bewirken könnte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Aspekts, dass die zwangsversteigernde Bank insofern auch eine Pfändung der offenen Mietschulden bewirken könnte und damit der streitgegenständliche Betrag alternativ ohne Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Zwangsversteigerungsverfahren zur Befriedigung der Ansprüche der Gläubigerbank eingebracht werden könnte.

Die Antragsteller erzielen seit dem 01.02.2010 konstante monatliche Einkünfte in Höhe von 1.690,24 EUR netto (694,26 EUR Nettoverdienst der Antragstellerin aus ihrer Tätigkeit als Verkäuferin und 995,98 EUR Netto-Betriebsrente des Antragstellers von seinem früheren Arbeitgeber), welche ihren Bedarf übersteigen. Angesichts des im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitigen Gesamtbetrages von 2.063,70 EUR geht der Senat davon aus, dass insofern auch inzwischen finanzieller Spielraum der Antragsteller vorhanden ist, der ihnen eine - ggf. ratenweise - eigenständige Rückführung ihrer Mietschulden ermöglicht.

Sofern die Antragsteller zuletzt (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 18.05.2010) vorgetragen haben, sie hätten sich über den Umfang und die Art der gewerblichen Nutzung eines Teils ihrer Wohnung geirrt, kann dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen. Auch unter Berücksichtigung dieses Vortrags ist ein Anordnungsgrund für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Wegen der fehlenden hinreichenden Erfolgsaussicht war auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, §§ 73a SGG, 114 ff. ZPO

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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