L 10 R 3107/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1818/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3107/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.04.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die am 1966 geborene Klägerin siedelte 1979 aus der T. kommend in die Bundesrepublik Deutschland über. Sie erlernte keinen Beruf; von November 1982 bis Juli 1983 nahm sie an einem Grundausbildungslehrgang Metall teil. Seit Februar 1989 ist sie bei den Vereinigten Filzfabriken AG in Giengen als Maschinenführerin beschäftigt.

Im Anschluss an einen im April 2004 erlittenen Verkehrsunfall und Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wurde die Klägerin am 09.12.2004 arbeitsfähig in der Reha-Klinik am Kurpark in Bad K. aufgenommen und bis 30.12.2004 stationär behandelt (Diagnosen: chronisches Schmerzsyndrom bei Fibromyalgien und Überlastung, Cervikobrachialsyndrom beidseits, Lumbalsyndrom bei beginnender Osteochondrose L5/S1, Cystitis). Ausweislich des Abschlussberichts wurde die Klägerin für fähig erachtet, ihre bisherige Tätigkeit weiterhin auszuüben. Zum Zwecke einer stufenweisen Wiedereingliederung erfolgte die Entlassung als arbeitsunfähig. Die sich anschließende Wiedereingliederungsmaßnahme brach die Klägerin ab.

Am 01.06.2005 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung wegen "Schmerzen, Kraftlosigkeit, Schwindel, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Sehminderung, Fibromyalgiesyndrom". Vom 25.07. bis 29.08.2005 wurde sie stationär in der S. in Bad B. (Diagnosen: somatoforme Schmerzstörung, Krankheitsfehlverarbeitung, Eisenmangelanämie) behandelt und aus dieser Maßnahme wiederum zur stufenweisen Wiedereingliederung arbeitsunfähig entlassen. Grundsätzlich wurde die Klägerin für fähig erachtet, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenführerin sechs Stunden täglich auszuüben. Nicht leidensgerecht für die Klägerin seien Akkordarbeit sowie erhöhte Anforderungen an das Umstellungs- und Anpassungsvermögen. Ihre berufliche Tätigkeit nahm die Klägerin im September 2006 wieder auf.

Nach Auswertung des Entlassungsberichts der S. in Bad B. lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 25.10.2005 mit der Begründung ab, nach ärztlicher Feststellung könne sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Mit diesem Leistungsvermögen liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung vor. Der dagegen eingelegte Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.04.2006).

Am 15.05.2006 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt worden. Unberücksichtigt geblieben sei eine nicht unerhebliche Sehschwäche, ein Bandscheibenvorfall, Wirbelsäulenschäden, Magenbeschwerden sowie starke Depressionen. Das SG hat die Akte des ebenfalls beim SG anhängig gewesenen Verfahrens S 4 SB 3429/05 beigezogen und den Orthopäden Dr. Sch. , den Neurologen und Psychiater Dr. B. sowie den Augenarzt Dr. L. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. Sch. hat von einem Cervikalsyndrom bei Osteochondrose mit Uncarthrose HWK 6/7 berichtet, wodurch schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten nicht mehr möglich seien. Leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes hat er vollschichtig für möglich erachtet. Dr. B. hat als Diagnose eine mittelschwere depressive Episode sowie einen cervikalen Bandscheibenvorfall angegeben und von einer leichtgradigen Besserung des depressiven Syndroms unter medikamentöser Behandlung berichtet. Dr. L. hat über eine Reduktion der Sehschärfe berichtet (Visus mit Korrektur binokular 0,5) sowie über eine im September 2006 erfolgte Hornhautverpflanzung mit regulärem Heilverlauf. Er hat Tätigkeiten, die eine gute Sehschärfe, insbesondere ein gutes räumliches Sehvermögen erfordern, nicht mehr für möglich erachtet. Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG das nervenärztliche Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. auf Grund Untersuchung der Klägerin vom 31.08.2007 eingeholt. Dr. M. hat eine chronische somatoforme Schmerzstörung sowie mittelgradige depressive Episoden diagnostiziert und die Klägerin für fähig erachtet, leichte berufliche Tätigkeiten im Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich, insbesondere auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenführerin, auszuüben. Zu vermeiden sei schweres Heben, Tragen, Bücken, erhöhte oder hohe Anforderungen an Kommunikations- oder Kontaktfähigkeit bzw. konzentrative Belastbarkeit, Stress, Druck und Nachtarbeit. Auf weiteren Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG hat das SG das Gutachten des Orthopäden Dr. B. auf Grund Untersuchung vom 30.01.2008 eingeholt. Dr. B. hat ein chronisches Cervikalsyndrom, Cervikobrachialgien bei Osteochondrose mit Uncarthrose HWK 6/7, einen Bandscheibenvorfall HWK 5/6, muskuläre Reizerscheinungen und Funktionseinschränkungen, ein Lumbalsyndrom bei beginnender Osteochondrose LWK 5/SWK1 mit muskulären Reizerscheinungen und Bewegungsdefiziten, jeweils ohne Nervenwurzelreizerscheinungen diagnostiziert. Seines Erachtens könne die Klägerin leichte berufliche Tätigkeiten noch sechs Stunden und mehr verrichten. Zu vermeiden seien längerwährende Zwangshaltungen, einseitiges Stehen oder Sitzen, Klettern und Steigen, Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten und/oder mit Absturzgefahr sowie Tätigkeiten unter ungünstigen Witterungsverhältnissen. Mit Urteil vom 24.04.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Dr. M. hat es nicht für überzeugend erachtet.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 02.06.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 01.07.2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, das SG sei zu Unrecht der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Dr. M. nicht gefolgt, deren Gutachten schlüssig und nachvollziehbar sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.04.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2006 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.07.2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat Dr. B. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört, der über die bereits bekannten Diagnosen (Cervikobrachialgie bei cervikalen Bandscheibenvorfall HWK 5/6, mittelgradig depressives Syndrom auf dem Boden einer chronischen Schmerzfehlverarbeitung, differenzialdiagnostisch anhaltend somatoforme Schmerzstörung) berichtet und im Hinblick auf das Leistungsvermögen der Klägerin auf eine neuerlich durchgeführte Reha-Maßnahme verwiesen hat. Der Senat hat ferner die Fachärztin für Psychiatrie T. , Universitätsklinikum U. , schriftlich als sachverständige Zeugin angehört. Diese hat als Diagnosen eine schwere depressive Episode sowie eine posttraumatische Belastungsstörung mitgeteilt, wobei die depressive Erkrankung sich auf die berufliche Tätigkeit dahingehend nachteilig auswirke, dass leichte Einschränkungen im Konzentrations- und Reaktionsvermögen bestünden sowie eine erhöhte Erschöpfbarkeit. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin noch sechs Stunden und mehr verrichten. Der Senat hat darüber hinaus den Entlassungsbericht der Klinik am S. in Bad Nauheim beigezogen, wo die Klägerin vom 11.09. bis 23.10.2008 stationär behandelt worden war (Diagnosen: rezidivierende depressive Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Bandscheibenprolaps HWS C5/6, Osteochondrose L5/S1, Cervikobrachialgiesyndrom) und für fähig erachtet worden ist, ihre letzte berufliche Tätigkeit weiterhin sowie mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung in Tages-, Früh- und Spätschicht im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich auszuüben.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und gemäß § 153 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, sodass ihr weder Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zusteht.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs (§ 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI) dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, weil sie berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (keine länger andauernde Zwangshaltungen, ohne Klettern und Steigen auf Leitern oder Gerüste, ohne erheblichen Zeitdruck, ohne Einfluss ungünstiger Witterungsverhältnisse) jedenfalls noch sechs Stunden täglich ausüben kann und mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin darauf hinzuweisen, dass das SG der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Dr. M. zu Recht nicht gefolgt ist. Denn deren Gutachten ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - gerade nicht schlüssig und nachvollziehbar. Ungeachtet der bereits vom SG dargelegten Umstände, dass der im Gutachten dargestellte psychiatrische Untersuchungsbefund ausgesprochen knapp ist und neben objektiven Befunden auch anamnestische Angaben der Klägerin enthält, die die Sachverständige anhand der erhobenen Befunde in keiner Weise verifiziert hat, liegt ein erheblicher Mangel des Gutachtens auch darin, dass die Sachverständige von einem quantitativ reduzierten Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden ausgegangen ist, wobei zusätzlich alle zwei Stunden noch kurzfristige Pausen einzuhalten seien, ohne zu berücksichtigen und zu diskutieren, dass die Klägerin tatsächlich eine Vollzeittätigkeit ausübt, d.h. in Abweichung zu ihrer eigenen Leistungsbeurteilung tatsächlich einer Berufstätigkeit in einem Umfang nachgeht, der das von ihr angenommene Leistungsvermögen deutlich übersteigt. Die Beurteilung der Sachverständigen ist damit jedoch widerlegt und nicht geeignet, den Senat von einer Minderung des Leistungsvermögens der Klägerin in einem rentenrechtlich relevanten Ausmaß zu überzeugen. Dass die Klägerin mit der Ausübung dieser Tätigkeit überfordert wäre oder sie die Tätigkeit auf Kosten ihrer Gesundheit ausübt, ist nicht ersichtlich. Denn wie dem im Berufungsverfahren beigezogenen Entlassungsbericht der Klinik am S. zu entnehmen ist, sind im Rahmen dieser Tätigkeit keine gehäuften Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgetreten, was bei einer Überforderungssituation an sich zu erwarten wäre. Im Rahmen der Arbeits- und Berufsanamnese ist vielmehr ausgeführt, dass die Klägerin in den letzten zwölf Monaten lediglich ca. zwei Wochen arbeitsunfähig gewesen sei.

Ungeachtet dessen käme es im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente aber auch nicht darauf an, ob die Klägerin von der ausgeübten Vollzeittätigkeit - wie von ihr im Berufungsverfahren geltend gemacht - tatsächlich gesundheitlich überfordert ist. Denn eine Erwerbsminderung im Sinne der hier maßgeblichen Vorschriften ist erst dann zu bejahen, wenn das Leistungsvermögen des Versicherten so weit herabgesunken ist, dass auch unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen berufliche Tätigkeiten nicht mehr zumindest sechs Stunden täglich verrichtet werden können. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits von einer lediglich sechsstündigen Tätigkeit überfordert wäre, liegen jedoch gleichermaßen nicht vor.

Davon, dass Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden täglich nicht mehr möglich sind, geht übrigens auch die Fachärztin für Psychiatrie T. , bei der sich die Klägerin seit 14.08.2008 in ambulanter psychiatrischer Behandlung befindet, nicht aus. Diese hat im Rahmen ihrer dem Senat erteilten Auskunft als sachverständige Zeugin zwar darauf hingewiesen, dass die depressive Erkrankung sich dadurch nachteilig auf berufliche Tätigkeiten auswirke, dass leichte Einschränkungen in den Bereichen Konzentration- und Reaktionsvermögen bestünden und zudem eine erhöhte Erschöpfbarkeit vorliege, jedoch hat sie leichte Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr durchaus für möglich erachtet.

Auch die behandelnden Ärzte in der Klinik am S. , wo die Klägerin im September/Oktober 2008 stationär behandelt worden war, sind von einem beruflichen Leistungsvermögen für Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr ausgegangen, wie dem entsprechenden Entlassungsbericht entnommen werden kann. Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf diesen Entlassungsbericht zuletzt geltend gemacht hat, sie sei in einem wenig gebesserten und insbesondere in einem noch nicht arbeitsfähigen Zustand entlassen worden, verkennt sie, dass für die Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, also auf ihre Vollzeittätigkeit abzustellen ist, während sich die Frage der Erwerbsminderung danach richtet, ob dem Versicherten eine zumindest sechsstündige Tätigkeit zugemutet werden kann. Selbst wenn die Klägerin aus der entsprechenden Maßnahme daher arbeitsunfähig entlassen worden wäre, würde dies keinen Grund darstellen, von einer rentenrelevanten Leistungsminderung auszugehen. Schließlich haben die behandelnden Ärzte eine Leistungsfähigkeit für sechs Stunden und mehr pro Tag ausdrücklich bejaht. Angesichts dessen besteht auch keine Veranlassung, den insoweit widersprüchlichen Angaben im Entlassungsbericht nachzugehen, wonach die Entlassung nach Blatt 1 als arbeitsfähig und nach Blatt 5 als noch nicht arbeitsunfähig erfolgt sein soll.

Soweit sich die Klägerin auf die dem Senat erteilte Auskunft des Dr. B. stützt, der eine erneute Rehabilitationsbehandlung für notwendig erachtet hat, ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Maßnahme mit der Behandlung in Bad Nauheim zwischenzeitlich tatsächlich durchgeführt wurde, ohne dass ein Herabsinken des Leistungsvermögens der Klägerin auf ein rentenberechtigendes Ausmaß hat bestätigt werden können.

Nach alledem kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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