L 11 KR 1469/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 5574/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1469/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 08. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist nicht nach § 172 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I S 444) ausgeschlossen und daher statthaft. Das Sozialgericht (SG) hat mit dem dem Kläger am 11. Februar 2010 zugestellten Beschluss nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe (PKH) verneint, sondern die Bewilligung von PKH wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt. Die am 11. März 2010 beim SG eingegangene Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht (§§ 173, 64 Abs 3 SGG) eingelegt worden.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat die Bewilligung von PKH zu Recht abgelehnt. Gemäß § 73 a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Vorliegend bietet der Rechtsstreit vor dem SG (Az. S 8 KR 5574/08), in dem der Kläger die Gewährung von Krankengeld begehrt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der PKH zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist jedoch in tatsächlicher Hinsicht im eng begrenzten Rahmen eine vorweggenommene Beweiswürdigung (Beweisantizipation) zulässig, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen würde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 07. Mai 1997, 1 BvR 296/94, NJW 1997, 2745 ff). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist hingegen anzunehmen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt, zB weil die Entscheidung in der Hauptsache von erklärungsentscheidungserheblicher Tatsachen abhängt, und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen wird (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 14. April 2003, 1 BvR 1998/02, NJW 2003, 2976 ff).

Nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung dürfte keine hinreichende Erfolgsaussicht für den Rechtsstreit vorliegen. Denn der Kläger dürfte für die hier streitigen Zeiträume keinen Anspruch auf Krankengeld haben.

Das SG dürfte zu Recht davon ausgegangen sein, dass die Klage teilweise unzulässig ist, soweit der Antragsteller Krankengeld für die Zeiträume vom 15. Dezember 2004 bis 21. Januar 2005 und 16. Februar bis 09. März 2005 begehrt. Es fehlt nämlich an der Durchführung eines Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens hinsichtlich dieser Zeiträume. Denn die Beklagte hat in dem hier angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2008 über diese Zeiträume nicht entschieden und vielmehr auf die Bestandskraft des diese Zeiträume regelnden Bescheids vom 20. Juli 2005 verwiesen.

Soweit der Antragsteller Krankengeld für die Zeiträume vom 11. bis 23. Mai, 27. Mai bis 12. Juni, 12. Juli bis 12. August, 12. September bis 17. Oktober 2005 und 25. Januar bis 05. März sowie vom 12. Mai bis 06. Juni 2006 begehrt, hat das SG ebenfalls zutreffend entschieden, dass die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet. Denn Krankengeld ist nur zu gewähren, wenn vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw vor Beginn der stationären Behandlung Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen wurde. Vor Beginn der Arbeitsunfähigkeitszeiträume des Klägers am 11. Mai 2005 bezog dieser jedoch kein Arbeitseinkommen, wodurch der Krankengeldanspruch für die genannten Zeiträume ausgeschlossen sein dürfte. Zwar lag der Beitragsbemessung vor diesem Zeitraum ein fiktives Mindesteinkommen zugrunde, jedoch ist dieses fiktive Mindesteinkommen nicht für die Entstehung bzw Berechnung des Krankengeldes maßgeblich. Maßgeblich für die Frage, ob und in welcher Höhe Krankengeld zu gewähren ist, ist allein das (positive oder negative) Einkommen, das der letzten Beitragsbemessung vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugrunde lag (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. April 2009 - L 4 KR 1760/08).

Nach § 47 Abs 1 Satz 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 von Hundert (vH) des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Bezüglich der Höhe des Regelentgelts verweist § 47 Abs 1 Satz 3 SGB V auf die näheren Bestimmungen in Abs 2, 4 und 6 der Vorschrift. Für Versicherte, die wie der Kläger nicht Arbeitnehmer sind, galt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V in der bis zum 29. März 2005 geltenden Fassung als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war. Durch das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht (Verwaltungsvereinfachungsgesetz) vom 21. März 2005 (BGBl I, S 818) wurde durch dessen Art 4 Nr 2 in § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V mit Wirkung ab 30. März 2005 (vgl. zum Inkrafttreten Art 32 Abs 1 des genannten Gesetzes) nach dem Wort "Beitragsbemessung" die Wörter "aus Arbeitseinkommen" eingefügt. Bei dieser Einfügung handelt es sich lediglich um eine gesetzliche Klarstellung der bereits bislang geltenden Rechtslage (so ausdrücklich die Begründung zum Gesetzesentwurf, vgl. Bundestags-Drucksache 15/4228, S 25 zu Art 4 Nr 2). Die Regelung soll damit bewirken, dass die Krankengeldberechnung bei freiwillig versicherten Selbstständigen nur auf der Basis des auf Arbeitseinkommen beruhenden Bemessungsentgelts erfolgt, da das Krankengeld Entgeltersatzfunktion hat. Mit der zum 30. März 2005 vorgenommenen Klarstellung griff der Gesetzgeber die entsprechende Rechtsprechung des BSG auf (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 44 Nr 8; SozR 4 2500 § 47 Nr 1).

Nach der neueren Rechtsprechung des BSG beinhaltet die Regelung des § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V eine "widerlegbare Vermutung" dahingehend, dass bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen das Krankengeld nach dem Regelentgelt zu berechnen ist, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 7 in Abgrenzung zu BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 1). Die Vermutung kann widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Einkommen erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war (vgl BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 7). Die Vermutung umfasst dabei nicht notwendig nur die Fälle, in denen der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Höchstbeiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze gezahlt hat (so jedoch Sächsisches LSG, Urteil vom 28. November 2007 - L 1 KR 72/06 - = veröffentlicht in juris). Das BSG hat hierzu in seiner Entscheidung vom 06. November 2008 (- B 1 KR 28/07 R - = veröffentlicht in juris) festgestellt, dass gerade bei der Zahlung von Mindestbeiträgen regelmäßig Anlass besteht, vom tatsächlichen Arbeitseinkommen auszugehen, weil dessen Nachweis der Grund für die Zahlung der Mindestbeiträge ist. Danach muss das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen auch dann konkret ermittelt werden, wenn die Beiträge vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit - wie vorliegend - nach dem Mindesteinkommen erhoben worden sind (vgl BSG, aaO).

Damit wird jedoch nicht auf das Erfordernis verzichtet, dass dem Versicherten aus der Beschäftigung oder Tätigkeit, an deren Ausübung er durch die Arbeitsunfähigkeit gehindert ist, ein Verdienst vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugeflossen sein muss. Dass Krankengeld nur zu gewähren ist, wenn vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw vor Beginn der stationären Behandlung Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen wurde, folgt aus der Lohnersatzfunktion des Krankengelds und daraus, dass die Voraussetzungen des § 47 SGB V nur erfüllt werden können, wenn dem Versicherten wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen entgeht (BSG SozR 3-2500 § 44 Nr 8; SozR 4-2500 § 47 Nr 1; Urteil vom 07. Dezember 2004 - B 1 KR 17/04 R - = veröffentlicht in juris; SozR 4-2500 § 47 Nr 7; ständige Rechtsprechung). Wurde vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vom hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen kein Arbeitseinkommen erzielt, scheidet ein Krankengeldanspruch - trotz der Entrichtung von Mindestbeiträgen aufgrund eines fiktiven Einkommens - aus (BSG SozR 4-2500 § 47 Nr. 1). Ein "Mindest-Krankengeld" für diesen Personenkreis, das sich bezüglich der Höhe an dem zuvor geleisteten Mindestbeitrag orientiert, ist aus dem Gesetz nicht herzuleiten (vgl hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 06. November 2008 - B 1 KR 28/07 R - mwN = veröffentlicht in juris).

Die nach der Rechtsprechung des BSG beinhaltete "widerlegbare Vermutung" des § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V kann mithin widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Einkommen erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war. So dürfte der Fall hier liegen. Zwar hat der Kläger mit Schreiben vom 11. April 2005 den Bescheid für 2003 über Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag vom 07. April 2005 vorgelegt, der positive Einkünfte von insgesamt 11.279,- EUR auswies. Damit hätte der Kläger zwar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 11. Mai 2005 positive Einkünfte (für das Jahr 2003) nachgewiesen. Die Antragsgegnerin hat jedoch den Antragsteller mit Schreiben vom 22. April 2005 (Blatt 8 der Fallkarte 955) darauf aufmerksam gemacht, dass nach ihren Unterlagen der Antragsteller im Jahr 2002 nur an 24 Kalendertagen und im Jahr 2003 an insgesamt 51 Kalendertagen arbeitsfähig war. Während der übrigen Zeiten bezog der Antragsteller Krankengeld. Die Antragsgegnerin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass unter Berücksichtigung der allgemeinen Wirtschaftslage und im Vergleich zur Einkommenssituation vergleichbarer Selbständiger Zweifel bestünden, dass die im Steuerbescheid 2003 aufgeführten Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 11.279,- EUR in den 51 Kalendertagen, an denen der Antragsteller nicht krankgeschrieben gewesen sei, erzielt worden seien. Der Antragsteller wurde deshalb aufgefordert, bis zum 04. Mai 2005 durch entsprechende Unterlagen, wie zB Auftragseingänge, Rechnungen oder Auftragsangebote, nachzuweisen, dass er tatsächlich nur an den arbeitsfähigen Tagen selbständig tätig gewesen war. Entsprechende Nachweise hat der Antragsteller jedoch nicht vorgelegt. Aufgrund der bisherigen Einkommenssituation in den vorangegangenen Jahren bestanden jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das nunmehr geltend gemachte Einkommen nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entsprach, so dass nach der Rechtsprechung des BSG die Vermutung des § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V widerlegt sein dürfte. Da die Vermutung des § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V vorliegend widerlegt sein dürfte, kommt es mithin auf den Verdienst vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an. Im Jahr vor dem Eintritt der hier maßgeblichen Arbeitsunfähigkeit (11. Mai 2005) hat der Kläger jedoch keine positiven Einkünfte erzielt. Dies ergibt sich aus dem Einkommensteuerbescheid vom 13. Oktober 2006 für das Jahr 2004, der negative Einkünfte in Höhe von 5.042,- EUR ausweist.

Nach der gebotenen vorläufigen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist damit nicht zu erwarten, dass die Klage des Klägers Erfolg haben wird.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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