L 11 KR 2781/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 1295/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2781/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen behaupteten Erstattungsanspruch der Beklagten gegenüber Frau D. R. (früher G.).

Der Kläger, der derzeit in Paraguay lebt, war bis 31. Dezember 2004 bei der Beklagten als Rentner versichert. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, durch die Anerkennung seiner Vaterschaft für Kinder aus aller Welt diesen zur deutschen Staatsbürgerschaft zu verhelfen, um ihnen die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach deutschem Recht zu verschaffen und damit dem deutschen Staat zu schaden (Artikel "Der Rächer" im Wochenmagazin "Spiegel" vom 8. Mai 2006, Jahrgang 2006, Nummer 19, Seite 96 bis 100; Artikel "Der Samenspender" in der Tageszeitung "Süddeutsche" vom 6. Dezember 2006). Zudem bietet er in Internetblogs anderen Personen seine Hilfe an, ua zur Durchsetzung von Kindergeldansprüchen (http://www.e ...de, Einträge vom 20. September 2008 und 4. September 2009). Im vorliegenden Verfahren macht er geltend, Vater des Kindes der Frau R. (Kindesmutter) zu sein und die Vaterschaft vor dem Jugendamt der Stadt S. anerkannt zu haben.

Am 13. Dezember 2008 hat der Kläger per Telefax beim Verwaltungsgericht Berlin (VG) Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Auswärtige Amt, und die Beklagte erhoben und gleichzeitig einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Das Auswärtige Amt müsse den Krankenversicherungsschutz für seine Kinder bezahlen, insbesondere für das Kind der Kindesmutter (1. Antrag). Die Beklagte dürfe die bereits entstandenen Kosten für Entbindung und Vorsorgeuntersuchungen in Höhe von mindestens 4.000 EUR nicht von der Kindesmutter zurückfordern und müsse bereits geleistete Zahlungen an die Kindesmutter zurückzahlen (2. Antrag). Das VG solle alle weiteren Vaterschaftsanerkennungen gerichtlich feststellen, da andernfalls bundesweit Prozesse geführt werden müssten (3. Antrag). Die Beklagte hat erklärt, zum Sachverhalt aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Angaben machen zu können. Die Angelegenheit betreffe nicht den Kläger, sondern die Kindesmutter. Diese habe den Kläger nicht bevollmächtigt, ihre Interessen zu vertreten, und die Beklagte nicht von der Schweigepflicht entbunden. Darauf hat der Kläger erwidert, er werde nicht für die Kindesmutter, sondern für sein eigenes Kind tätig. Zur Rückzahlung setze er der Beklagten eine letzte Nachfrist von acht Tagen. Nach Fristablauf komme er ansonsten mit über 3.000 Kindern nach Deutschland zurück und melde diese beitragsfrei bei der Beklagten an. Mit Beschluss vom 2. März 2009 hat das VG die Verfahren hinsichtlich des die Beklagte betreffenden Begehrens bezüglich des 2. Antrags der Klage- und Antragsschrift abgetrennt, unter den Aktenzeichen VG 34 L 83.09 und VG 34 K 84.09 fortgeführt und die Streitsachen mit Beschluss vom 18. März 2009 an das Sozialgericht Reutlingen (SG) verwiesen.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az. S 1 KR 1328/09 ER) mit Beschluss vom 29. Mai 2009 und die Klage (Az. S 1 KR 1295/09) mit Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, Antrag und Klage seien unzulässig, da dem Kläger die Prozessführungsbefugnis fehle. Der Kläger mache einen Anspruch der Kindesmutter geltend, jedoch nicht in deren Namen. Denn er habe weder eine Bevollmächtigung behauptet noch eine Vollmacht vorgelegt noch sei eine Zustimmung der Kindesmutter ersichtlich. Für einen Antrag bzw Klage in eigenem Namen fehle dem Kläger die Prozessführungsbefugnis. Denn der Kläger mache weder ein eigenes Recht geltend noch liege der Fall einer zulässigen Prozessstandschaft vor. Hierfür würden sich aus dem Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte ergeben.

Mit der am 10. Juni 2009 per Telefax beim SG erhobenen Berufung und Beschwerde hat der Kläger nochmals darauf verwiesen, dass es nicht um Forderungen gegen die Kindesmutter gehe, sondern diese Forderungen sein eigenes minderjähriges Kind beträfen. Hilfsweise werde er die Vollmacht der Kindesmutter einholen.

Mit Beschluss vom 6. August 2009 (Az. L 11 KR 2780/09 ER) hat der Senat die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger sei nicht aus eigenem Recht prozessführungsbefugt. Eine Bevollmächtigung oder sonstige Form der Zustimmung der Kindesmutter für ein Handeln des Klägers in ihrem Namen liege nicht vor. Sowohl die wirksame Prozessführungsermächtigung als auch das eigene rechtlich geschützte Interesse an der Geltendmachung des fremden Rechts fehle.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Mai 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte die bereits entstandenen Kosten für Entbindung, Vorsorgeuntersuchungen des Kindes usw in Höhe von mindestens 4.000 EUR nicht von der Kindesmutter D. G. aus S. zurückfordern darf und bereits geleistete Zahlungen an die Kindesmutter sofort zurückzahlen muss.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Denn die Klage ist mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig.

Vorliegend geht es nach dem Antrag des Klägers um Kosten im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes in einem Sozialrechtsverhältnis der Kindesmutter zur Beklagten. Forderungen der Beklagten gegenüber dem Kind der Kindesmutter wurden damit nicht behauptet und sind nicht streitgegenständlich. Offen bleiben kann deshalb, ob der Kläger (rechtlicher) Vater des (namentlich nicht benannten) Kindes der Kindesmutter ist und Rechte des Kindes als dessen gesetzlicher Vertreter geltend machen könnte.

Das Sozialrechtsverhältnis zur Kindesmutter ist des Weiteren nicht substantiiert dargelegt worden. Insbesondere ist nicht vorgetragen worden, ob die Beklagte Ansprüche gegenüber der Kindesmutter geltend macht oder (ggf bestandskräftig) geltend gemacht hat.

Um eine Klage zulässig verfolgen zu können, muss ua die Prozessführungsbefugnis vorliegen. Denn zu den Prozessvoraussetzungen einer Klage, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen, gehört auch die Prozessführungsbefugnis. Die Prozessführungsbefugnis ist die prozessuale Berechtigung, den Anspruch bzw das behauptete Recht in eigenem Namen geltend zu machen, also den Prozess als die richtige Partei zu führen (vgl Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Auflage, Vor § 50 RdNr 18). Wegen fehlender Prozessführungsbefugnis ist die Klage dann unzulässig, wenn der Kläger ein Recht geltend macht, das nach seinem eigenen Vorbringen einem anderen zusteht und kein Fall einer zulässigen (gesetzlichen oder gewillkürten) Prozessstandschaft vorliegt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, Vorbemerkung zu § 51 RdNr 15).

Die gerichtliche Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen ist ein anerkanntes Institut des Prozessrechts. Neben der gesetzlichen Prozessstandschaft wird von der ständigen Rechtsprechung auch die Prozessstandschaft kraft Ermächtigung, die sog gewillkürte Prozessstandschaft, anerkannt. Sie setzt neben der wirksamen Ermächtigung durch den Berechtigten ein eigenes Rechtsschutzinteresse desjenigen, der das Recht geltend macht, voraus (vgl BSG, Urteil vom 2. August 2001, B 7 AL 18/00 R, SozR 3-1500 § 55 Nr 34; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO § 54 RdNr 11a mwN; BAG, Urteil vom 19. März 2002, 9 AZR 752/00, BAGE 100, 369, 375; BGH, Urteil vom 15. Mai 2003, IX ZR 218/02, WM 2003, 1367). Wirksamkeit und Bestand einer Prozessführungsermächtigung richten sich nach dem materiellen Recht.

Dem Kläger fehlt die Prozessführungsbefugnis.

Vorliegend geht es um Kosten im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes in einem Sozialrechtsverhältnis der Kindesmutter zur Beklagten. An diesem Sozialrechtsverhältnis ist der Kläger nicht beteiligt. Da die Beklagte gegenüber dem Kläger keinen Verwaltungsakt erlassen hat und sich ihm gegenüber keines Erstattungsanspruchs berühmt, kann sich der Kläger nicht in eigenem Namen wegen eigener Ansprüche gegen die Beklagte wenden und auch keine negative Feststellungsklage erheben.

Der Kläger kann die Rechte der Kindesmutter nicht verfolgen und sich nicht gegen tatsächliche oder vermeintliche Ansprüche der Beklagten gegenüber der Kindesmutter gerichtlich zur Wehr setzen, da kein Fall der gesetzlichen oder gewillkürten Prozessstandschaft vorliegt.

Ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft, also eine gesetzliche Regelung, die für den vorliegenden Sachverhalt eine Prozessführungsbefugnis regelt, ist nicht ersichtlich.

Schließlich liegen die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft ebenfalls nicht vor. Denn die wirksame Ermächtigung des Rechtsinhabers fehlt. Unterstellt, die Beklagte verfolgt tatsächlich einen Erstattungsanspruch gegenüber der Kindsmutter, hat diese das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie gegen die Beklagte vorgehen will. Dass sie hierzu den Kläger bevollmächtigt hat, ist nicht dargelegt worden. Der Kläger hat lediglich mit dem Berufungsschreiben vom 10. Juni 2009 vorgetragen, die Vollmacht der Kindesmutter einholen zu wollen. Obwohl der Kläger nachfolgend mit Beschluss vom 6. August 2009 darauf hingewiesen wurde, dass die Bevollmächtigung oder sonstige Zustimmung der Kindesmutter für ein Handeln des Klägers nicht vorliegt, hat der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung des Senats am 18. Mai 2010 eine wirksame Ermächtigung nicht nachgewiesen.

Mangels wirksamer Ermächtigung kann deshalb dahinstehen, ob die gewillkürte Prozessstandschaft bei einer Feststellungs- oder Anfechtungsklage überhaupt Anwendung findet. Denn die Regelung über die Klagebefugnis bei bestimmten Klagen (Behauptung und Möglichkeit eigener rechtlicher Betroffenheit gemäß § 54 Abs 1 Satz 2 SGG) soll möglicherweise in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht nur die Popularklage, sondern gerade auch die gewillkürte Prozesssstandschaft ausschließen, weil es grundsätzlich kein Recht eines Privatrechtssubjektes gibt, gegenüber der Verwaltung die Beachtung öffentlich-rechtlicher Vorschriften gerichtlich durchzusetzen, die nicht dazu bestimmt sind, gerade den Rechtskreis des jeweiligen Klägers zu schützen (zur Feststellungsklage offen gelassen BSG, Urteil vom 2. August 2001, B 7 AL 18/00 R, SozR 3-1500 § 55 Nr 34; vgl zur Anfechtungsklage BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1995, 3 C 27/94, NVwZ-RR 1996, 537 f; BayVGH, Urteil vom 30. Juli 2007, 22 BV 05.3270, BayVBl 2008, 149 f; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, Vorbemerkung vor § 40 RdNr 25 und § 42 RdNr 60; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Juli 2009, § 42 Abs. 2 RdNr 37).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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