L 6 SB 6126/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 SB 5135/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 6126/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.12.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1944 geborene Klägerin begehrt die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB).

Das ehemalige Versorgungsamt Stuttgart (VA) stellte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. G. vom 07.09.2004, in welcher als Behinderungen eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, ein Schulter-Arm-Syndrom und eine Mittelnervendruckschädigung links (Teil-GdB 30) sowie eine chronische Bronchitis (Teil-GdB 10) berücksichtigt wurden, mit Bescheid vom 15.09.2004 den GdB der Klägerin mit 30 ab 30.09.2003 fest.

Am 18.11.2004 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihres GdB und wies dabei auf eine Verschlimmerung der bislang berücksichtigten Behinderungen sowie auf eine Konzentrationsschwäche, einen Kopfschmerz, Schlafstörungen, Kniegelenksbeschwerden und eine Abnutzung der Fußgelenke hin. Sie legte die Kopie einer Röntgenaufnahme ihres linken Fußes vom 02.09.2000 und das Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 22.02.2005 (Karpaltunnelsyndrom) vor. Das zuständig gewordene Landratsamt B. (LRA) holte den Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dr. A. vom 08.04.2005 (Karpaltunnelsyndrom links, degeneratives Lumbalsyndrom, Periarthropathia humeroscapularis beidseits, chronisch rezidivierendes Cerviko-Thorakal-Syndrom) ein. Dr. M. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.05.2005 die bisherige versorgungsärztliche Beurteilung aufrecht. Sodann legte die Klägerin den Arztbrief der Fachärztin für Chirurgie Dr. B. vom 06.05.2005 (Karpaltunnelsyndrom beidseits, Lumbago), den Arztbrief des Zentrums für Plastische Chirurgie am Marienhospital S. vom 17.06.2005 (Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom beidseits) und das Attest des Dr. A. vom 13.07.2005 vor. Die Klägerin erhob am 12.08.2005 Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Das LRA holte den Befundbericht des Internisten Dr. W. vom 01.09.2005 (möglicherweise chronische Bronchitis mit leichtem Lungenemphysem), welchem der Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. H./N. vom 08.03.2005 (anhaltende Bronchitis unter Antibiose) beigefügt war, ein. Dr. K. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.10.2005 die bisherige versorgungsärztliche Beurteilung aufrecht. Mit Bescheid vom 12.10.2005 lehnte das LRA den Neufeststellungsantrag der Klägerin ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Dr. K. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.02.2006 aus, die bisherige Befundlage begründe keinen höheren Gesamt-GdB als 30. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2006 wies das Regierungspräsidium S. (RP) den Widerspruch zurück.

Die Klägerin führte die zuvor zum SG erhobene Untätigkeitsklage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage fort. Sie legte die Atteste des Dr. A. vom 18.05.2001 und 07.08.2002 (chronisch rezidivierendes Cerviko-Thorakal- und Lumbal-Syndrom, Periarthropathia humeroscapularis beider Schultern, Karpaltunnelsyndrom links) sowie den Befundbericht des Internisten Dr. W. vom 24.10.2002 (laufende Nacken-, Rücken- und Kreuzbeschwerden, Kopfschmerzen, depressive Phasen, Beschwerden der Atemwege, Schlafstörungen) vor.

Sodann hörte das SG die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. A. beschrieb unter dem 15.03.2006 ein Karpaltunnelsyndrom links, ein degeneratives Lumbalsyndrom, eine Periarthropathia humeroscapularis beidseits und ein chronisch rezidivierendes Cerviko-Thorakal-Syndrom. Der Orthopäde Dr. B. führte unter dem 22.03.2006 aus, die Klägerin habe ihn nur einmalig wegen einer akuten Lumbalgie aufgesucht. Der Chirurg Dr. B. teilte unter dem 26.04.2006 die Diagnosen Karpaltunnelsyndrom beidseits und Lumbago mit. Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. E. berichtete unter dem 16.05.2006 über eine geringe Septumdeviation nach rechts, eine Muschelhyperplasie und eine schleimig eitrige Sekretion. Hierzu führte Dr. G. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.07.2006 aus, die bisherige Beurteilung des GdB mit 30 auf orthopädischem Fachgebiet sei ausreichend bemessen. Die Beschwerden durch das Karpaltunnelsyndrom könnten durch eine Operation behoben werden. Motorische Ausfälle in Verbindung mit dem Karpaltunnelsyndrom seien neurologischerseits nicht beschrieben. Auf hals-nasen-ohren-ärztlichem Fachgebiet bestehe keine dauerhafte GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung. Sodann hörte das SG die Internistin Dr. H. schriftlich als sachverständige Zeugin. Sie gab unter dem 16.07.2007 an, sie habe die Klägerin nur einmalig wegen eines Infektes der oberen Luftwege behandelt. Sodann legte die Klägerin auszugsweise das Attest der Dres. H./W. vom 10.05.2007 (chronisch obstruktive pulmonale Lungenerkrankung, Hypercholesterinämie, Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II) vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.12.2007 wies das SG die Klage ab. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, das Schulter-Arm-Syndrom, die beidseitige Mittelnervendruckschädigung und die chronische Bronchitis seien mit einem Gesamt-GdB von 30 zu bewerten. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Kniegelenke seien nicht mit einem GdB von 10 zu bewerten. Bezüglich der von der Klägerin vorgetragenen Funktionsbeeinträchtigungen Bluthochdruck, Depressionen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Abnutzung der Fußgelenke ergäben sich keine Auswirkungen auf den Gesamt-GdB.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 27.12.2007 Berufung eingelegt. Sie weist insbesondere auf eine chronische Sehnenscheidenentzündung rechts hin.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.12.2007 und den Bescheid des Landratsamts B. vom 12.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 13.02.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides des Versorgungsamts Stuttgart vom 15.09.2004 einen höheren GdB als 30 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Der Senat hat zunächst die im Rahmen des gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) gerichteten Klageverfahrens angefallenen Akten des SG (S 22 R 9342/06), insbesondere das Gutachten des Dr. D., Oberarzt an der Klinik für Orthopädie des Marienhospitals S., vom 22.09.2008, beigezogen. Der Sachverständige diagnostizierte eine etwa 10%ige Gesamt-Beweglichkeitseinschränkung der Halswirbelsäule bei radiologisch dokumentierten vermehrten Verschleißerscheinungen in der körpernahen Hälfte, eine endgradig eingeschränkte Rück-Neig-Beweglichkeit der Brustwirbelsäule bei aktenkundigen vermehrten Verschleißerscheinungen der gesamten Brustwirbelsäule, eine endgradige Entfaltbarkeitshemmung der Lendenwirbelsäule bei radiologisch dokumentierten diskret bis mittelgradig vermehrten Verschleißerscheinungen, sowie eine endgradig eingeschränkte Abduktion und Elevation im rechten Schultergelenk bei Verdacht auf vermehrte Degeneration der Supraspinatussehne und führte aus, die Klägerin habe über deutlich zunehmende Kniegelenksbeschwerden beidseits ohne erkennbare Funktionseinschränkung geklagt. Unter Berücksichtigung des aktenkundig gesicherten Karpaltunnelsyndroms beidseits mit daraus resultierender grober Kraft-Minderung beider Hände könnten Arbeiten, die die häufige grobe Kraft beider Hände voraussetzten, nicht durchgeführt werden.

Ferner hat der Senat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. L. hat unter dem 07.11.2008 ausgeführt, die Klägerin habe sich bei ihm einmalig zu einer neurologischen und elektrophysiologischen Untersuchung vorgestellt. Er habe ein manifestes Karpaltunnelsyndrom links und ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Der GdB für die Funktionsstörung des Nervus medianus sei mit 20 zu bewerten. Dr. W. hat unter dem 24.11.2008 ausgeführt, bei der Klägerin liege eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung mit mäßigem bis mittlerem Schweregrad vor. Der GdB hierfür betrage 30. Die anderen Diagnosen wie ein leichtgradiger Bluthochdruck sowie eine leichte Erhöhung des Blutzucker- und Cholesterinspiegels bedingten keine Funktionsstörungen und führten nicht zu einer Erhöhung des GdB. Prof. Dr. G., Ärztlicher Direktor der Klinik für Handchirurgie am Marienhospital S., hat unter dem 24.11.2008 ausgeführt, die Klägerin habe sich einmalig in der Ambulanz vorgestellt. Dabei hätten keine Bewegungseinschränkungen der Hände, sondern lediglich ein Nachtschmerz, Kribbelparästhesien sowie Kraftlosigkeit beider Hände vorgelegen. Es habe kein GdB bestanden.

Die Klägerin hat das Attest des Dr. A. vom 24.04.2008 vorgelegt.

Dr. W. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.03.2009 ausgeführt, der von Dr. L. angegebene GdB von 20 für ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom könne bei allenfalls sensiblen Störungen mit ansonsten erhaltener grober Kraft der Hand- und der Fingermuskulatur nicht nachvollzogen werden. Hier ergebe sich allenfalls ein Teil-GdB von 10, welcher beim bisherigen Teil-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden als subsumiert angesehen werden könne. Im Übrigen sei auf die Angaben des Prof. Dr. G. zu verweisen. Auch der von Dr. W. angegebene GdB von 30 für eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung sei nicht nachzuvollziehen. Detaillierte Lungenfunktionsmesswerte, mit welchen ein GdB in dieser Höhe objektiv begründbar wäre, seien nicht vorgelegt worden. Im Übrigen spreche der fortgesetzte Nikotinkonsum gegen einen ausgeprägten Leidensdruck. Somit könne nach Lage der Akten der bisherige Teil-GdB von 10 für die chronische Bronchitis nicht erhöht werden. Des Weiteren bestehe ein diätetisch behandelter Diabetes mellitus, für den kein GdB anzusetzen sei. Aus den Angaben des Dr. A. ergäben sich auf orthopädischem Fachgebiet keine so ausgeprägten Funktionseinschränkungen, als dass damit von der bisherigen Bewertung abgewichen werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 30.

Zu Recht hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 12.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 13.02.2006 eine Aufhebung des Bescheides vom 15.09.2004 und damit eine Neufeststellung des GdB abgelehnt.

Rechtsgrundlage für eine Aufhebung von Verwaltungsakten wegen einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Eine wesentliche Änderung im Ausmaß der Behinderung liegt nur vor, wenn eine dauerhafte Änderung des Gesundheitszustands zu einer Änderung des GdB um wenigstens 10 führt.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB und weiterer gesundheitlicher Merkmale, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen sind. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien ist hiermit - von wenigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - nicht verbunden. Vielmehr wurde an die seit Jahren bewährten Bewertungsgrundsätze und Verfahrensabläufe angeknüpft. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnistand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, Nr. 19 Abs. 1, S. 24; VG Teil A Nr. 3 a). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15.03.1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, Nr. 19 Abs. 3, S. 25; VG Teil A Nr. 3 c). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, Nr. 19 Abs. 4, S. 26; VG Teil A Nr. 3 d ee).

Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist mit einem GdB von 10 zu bewerten. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9, S. 90 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40. Bei der Klägerin liegen weder mittelgradige noch schwere Auswirkungen in einem oder gar zwei Wirbelsäulenabschnitt/en vor. Der Senat stützt sich dabei auf die überzeugenden Ausführungen des Dr. D. in seinem Gutachten vom 22.09.2008, wonach bei der Klägerin in allen drei Wirbelsäulenabschnitten nur endgradige Bewegungseinschränkungen vorliegen. Diese Darlegungen korrespondieren mit den in seinem Gutachten dargestellten Befunden und sind daher in sich schlüssig und nachvollziehbar. Mithin beträgt für den Wirbelsäulenschaden der GdB nur 10.

Die Funktionsbehinderung der Schultergelenke ist nicht mit einem GdB zu berücksichtigen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13, S. 93 beträgt bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks, sofern weder eine Versteifung noch eine Instabilität vorliegt, mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit bei einer Armhebung nur bis 120 Grad der GdB 10 und nur bis 90 Grad der GdB 20. Vorliegend hat Dr. D. bei der seinem Gutachten vom 22.09.2008 zugrunde liegenden Untersuchung in den Schultergelenken eine Armhebung seitwärts/körperwärts von 130/0/25 Grad rechts und 170/0/25 Grad links sowie rückwärts/vorwärts von 40/0/140 Grad rechts und 40/0/160 Grad links gemessen und mithin zu Recht nur eine endgradige Bewegungseinschränkung beschrieben, so dass diesbezüglich kein GdB zu vergeben ist.

Der Gesundheitsschaden in den Kniegelenken bedingt keinen GdB. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14, S. 100-101 beträgt bei einer einseitigen Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung bis 0-0-90 Grad) der GdB 0 bis 10, mittleren Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung 0-10-90 Grad) der GdB 20 und stärkeren Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung 0-30-90 Grad) der GdB 30 sowie beträgt bei einseitigen ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke (zum Beispiel Chondromalacia patellae Stadium II – IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkung der GdB 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkung der GdB 20 bis 40. Vorliegend hat Dr. D. bei der seinem Gutachten vom 22.09.2008 zugrunde liegenden Untersuchung in den Kniegelenken weder eine Funktionsbehinderung noch anhaltende Reizerscheinungen ausgemacht, so dass diesbezüglich kein GdB zu vergeben ist.

Das Karpaltunnelsyndrom beidseits bedingt allenfalls einen GdB von 10. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass Dr. D. bei der seinem Gutachten vom 22.09.2008 zugrunde liegenden Untersuchung keine Bewegungseinschränkung in den Handgelenken ausgemacht hat. Auch hat Prof. Dr. G. in seiner Arztauskunft vom 24.11.2008 keine Bewegungseinschränkung in den Handgelenken beschrieben. Auch liegt kein Ausfall des Nervus medianus, welcher nach den VG, Teil B, Nr. 18.14, S. 96 GdB-relevant wäre, vor.

Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung bedingt jedenfalls keinen höheren GdB als 30. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.8, S. 44 beträgt bei Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades (das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung) der GdB 20 bis 40, mittleren Grades (das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher Belastung) der GdB 50 bis 70 und schweren Grades (Atemnot bereits bei leichtester Belastung oder in Ruhe) der GdB 80 bis 100. Selbst wenn man den Angaben des Dr. W. in seiner Arztauskunft vom 24.11.2008, die Klägerin leide an einer Lungenerkrankung mit mäßigem bis mittlerem Schweregrad, folgen wollte, ergäbe sich hieraus allenfalls eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades. Anhaltspunkte dafür, letztere im oberen Bereich des von den VG zwischen 20 und 40 eröffneten GdB-Rahmens anzusiedeln, bieten aber die Angaben des Dr. W. nicht. So hat Dr. W. ausgeführt, mit der Lungenerkrankung sei eine begrenzte Atemkapazität, was sich vor allem bei schwerer körperlicher Anstrengung zeige, verbunden. Er hat daher den diesbezüglichen GdB aus seiner Sicht folgerichtig mit 30 eingeschätzt.

Die von Dr. W. in seiner Arztauskunft vom 24.11.2008 genannten Diagnosen Bluthochdruck sowie Erhöhung des Blutzucker- und Cholesterinspiegels sind ebenfalls nicht GdB-relevant, da aus diesen Erkrankungen keine Funktionsbehinderungen im Sinne der VG, Teil B, Nr. 9.3, S. 51, 74 und 79 resultieren.

Unter Berücksichtigung dieser Einzel-GdB-Werte (Teil-GdB 10 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Teil-GdB 10 für das Karpaltunnelsyndrom und Teil-GdB nicht höher als 30 für die chronisch obstruktive Lungenerkrankung) kommt nach Überzeugung des Senats kein höherer Gesamt-GdB als 30 in Betracht.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der von der Klägerin begehrte Gesamt-GdB von 50 beispielsweise nur angenommen werden kann, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung. Ein vergleichbares Ausmaß erreichen die vom Senat festgestellten Funktionsbehinderungen der Klägerin nicht.

Nach alledem hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 30.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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