Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 VJ 1367/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VJ 3713/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16.05.2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Anerkennung einer postvakzinalen Enzephalopathie des 1963 geborenen Klägers als Folge eines Impfschadens und die Gewährung von Grundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 100.
Am 14.08.2002 wurde für den Kläger die Gewährung von Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) beantragt. Ohne Vorlage ärztlicher Unterlagen wurde ein cerebraler Hirnschaden als Folge von Impfungen gegen Keuchhusten, Diphterie und Tetanus geltend gemacht. Der Versuch des ehemaligen Versorgungsamts U. (VA), über den inzwischen verstorbenen Kinderarzt Dr. K. und dessen unbekannt verzogenen Praxisnachfolger sowie das Kreiskrankenhaus H. und den Fachbereich Gesundheit des Landratsamts H. ärztliche Unterlagen über den Kläger beizuziehen, blieb ohne Erfolg. Mit Bescheid vom 28.04.2003 lehnte das VA den Antrag ab. Ein Nachweis für die angegebenen Impfungen habe nicht erbracht werden können.
Am 20.11.2003 wurde für den Kläger erneut die Gewährung von Versorgung nach dem IfSG beantragt. Vorgelegt wurde ein Auszug aus dem Impfbuch des Klägers, die Leistungskarte und die Auskünfte der K. Krankenkasse (KKH) vom 18.12.2003 und 15.03.2004 sowie die Bescheinigung des Facharztes für Kinderkrankheiten Dr. F. vom 20.04.1967. Daraus und aus den hierzu gemachten Angaben der Mutter des Klägers ergibt sich, dass der Kläger am 22.05.1964, 19.06.1964 und 21.07.1964 durch Dr. K. gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis geimpft sowie vom 26.07.1964 bis zum 01.08.1964 wegen des Verdachts auf eine Meningitis im Kreiskankenhaus H., vom 09.09.1965 bis zum 11.09.1965 wegen eines cerebralen Anfallsleidens, vom 10.04.1967 bis zum 15.04.1967 wegen einer schweren Gastroenteritis mit beginnender Eksikose im Kreiskrankenhaus L. oder im Kinderspital Basel, vom 13.04.1970 bis zum 28.04.1970 wegen einer Mandeloperation im Kreiskrankenhaus H. und vom 06.11.1972 bis zum 11.11.1972 im Kreiskrankenhaus H. stationär behandelt worden war.
Das VA zog die über den Kläger geführten Schwerbehindertenakten bei. Aktenkundig sind dort der vom Amtsarzt Dr. D. in seiner Bescheinigung vom 14.11.1974 erhobene Befund einer frühkindlichen cerebralen Schädigung mit vorwiegend geistigem Entwicklungsrückstand und erethischen Unruhezuständen, und das versorgungsärztliche Gutachten der Fachärztin für Innere Krankheiten Dr. M.-V. vom 10.10.1977, wonach beim Kläger nach Angaben von dessen Mutter postnatal eine blaue Asphyxie aufgetreten und die Entwicklung der Motorik (Sitzen nach 9 Monaten und Laufen nach 18 Monaten) und der Sprache verzögert gewesen sei und als Behinderungen ein mittelschwerer Schwachsinn sowie erhebliche Verhaltensstörungen bei frühkindlicher Hirnschädigung berücksichtigt wurden.
Ferner wurde für den Kläger der Entwicklungsbericht der Diplompädagogin Schuldt vom 07.10.1997 vorgelegt. Darin wird angegeben, laut Angaben der Mutter des Klägers habe dieser perinatal eine Zyanose erlitten. In einem Entwicklungsbericht vom 21.05.1981 habe Dr. E. die Vermutung geäußert, der Kläger leide an den Folgen einer frühkindlichen Hirnhautentzündung oder habe mindestens eine Reizerscheinung des Hirns durchgemacht. 1965 habe der Kläger eine Drei-Phasen-Impfung erhalten. Nach sich anschließendem acetonischem Erbrechen und Zusammenbruch des Wasserhaushaltes sei er im Krankenhaus Basel behandelt worden. 1970 sei eine Tonsillektomie in H. erfolgt. 1973 sei der Kläger erneut wegen acetonischen Erbrechens stationär behandelt worden. Auf die Impfungen habe der Kläger nach Angaben von dessen Mutter recht stark reagiert. Seit dieser Zeit solle die Entwicklung verzögert verlaufen sein.
Der Versuch des VA, über das Kreiskrankenhaus L., das Kreiskrankenhaus H. und Dr. O. ärztliche Unterlagen über den Kläger beizuziehen, blieb ohne Erfolg.
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.01.2005 wurde ausgeführt, durch die von der Mutter des Klägers berichtete perinatale Zyanose werde der Verdacht auf einen Sauerstoffmangel bei der Geburt als Ursache der geistigen Behinderung in den Raum gestellt. Angesichts der Kürze des stationären Aufenthalts im Kreiskrankenhaus H. vom 26.07.1964 bis zum 01.08.1964 könne es sich nur um den Ausschluss eines Verdachts auf Meningitis gehandelt haben, da sonst der stationäre Aufenthalt deutlich länger gewesen wäre. Möglicherweise sei es zu einer Impfreaktion gekommen, die den stationären Ausschluss einer Meningitis notwendig gemacht habe. Ebenso gut könne der Kläger damals einen von der Impfung völlig unabhängigen Infekt durchgemacht haben. Sollte dieses Krankheitsgeschehen fünf Tage nach der dritten Dreifachimpfung tatsächlich eine Impfreaktion gewesen sein, so sei es dennoch nicht wahrscheinlich ursächlich für die Entwicklungsstörung beziehungsweise geistige Behinderung des Klägers. Auch die Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens könne in diesem Fall nicht als wahrscheinlich angesehen werden. Zusammenfassend könnten die drei durchgeführten Dreifach-Impfungen nicht als versorgungsrechtlich relevante Bedingung für die Entstehung oder Verschlimmerung der geistigen Behinderung angesehen werden.
Mit Bescheid vom 03.02.2005 lehnte das zuständig gewordene Landratsamt H. (LRA) den Antrag ab. Die Versorgung nach dem IfSG setze voraus, dass für alle drei Impfungen zum Zeitpunkt der Impfungen eine öffentliche Empfehlung vorgelegen habe. Diese anspruchsbegründende Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil unter anderem die Impfung gegen Keuchhusten in Verbindung mit den Impfungen gegen Diphtherie und Wundstarrkrampf erstmals mit Bekanntmachung des Innenministeriums vom 30.08.1972 öffentlich empfohlen worden sei. Darüber hinaus sei ein Nachweis dafür, dass ein Impfschaden als Folge der Impfungen vorliege, nicht erbracht. Der im Leistungsauszug der Krankenkasse ausgesprochene Verdacht auf Meningitis begründe keinen Nachweis für das damalige tatsächliche Vorliegen dieses Leidens. Die sechstägigen Krankenhausuntersuchungen wegen Meningitis könnten auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer allenfalls dazu geeignet gewesen sein, diese Erkrankung auszuschließen. Bei Vorliegen einer Meningitis hätte es eines erheblich längeren Krankenhausaufenthaltes bedurft. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem IfSG seien damit nicht erfüllt.
Hiergegen wurde für den Kläger Widerspruch eingelegt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, im damals gültigen Bundesseuchengesetz (BSeuchG) heiße es, dass, wenn mindestens eine der Teil-Schutzimpfungen, die bei Anwendung eines Mehrfachimpfstoffes vorgenommen werde, öffentlich empfohlen sei, die gesamte Maßnahme nicht mehr allein dem privaten Risikobereich zugerechnet werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2005 wies das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) den Widerspruch zurück. Zum Zeitpunkt der Impfung sei die öffentliche Empfehlung für die Impfung gegen Keuchhusten in Verbindung mit den Impfungen gegen Diphterie und Tetanus nicht vorhanden gewesen. Darüber hinaus sei die erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den durchgeführten Impfungen und den Gesundheitsstörungen nicht gegeben. Es sei zwar möglich, dass es nach der Impfung zu einer über das übliche Maß hinaus gehenden Impfreaktion gekommen sei. Ob diese Reaktion aber geeignet gewesen sei, die beim Kläger vorliegenden und geltend gemachten Gesundheitsstörungen hervorzurufen, könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.
Hiergegen wurde für den Kläger am 17.05.2005 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Zum Einen sei es ausreichend, wenn bei Mehrfachimpfungen für eine Komponente des Impfstoffs eine öffentliche Empfehlung vorliege. Zum Anderen habe der Kläger nach den Dreifachimpfungen jeweils Fieber bekommen sowie darüber hinaus nach der dritten Dreifachimpfung auffallend geschrien und er sei wenige Tage später genicksteif gewesen, so dass er mit Verdacht auf Meningitis stationär behandelt worden sei. Bis zur dritten Dreifachimpfung sei der Kläger gesund gewesen und habe sich altersgemäß entwickelt. Seitdem sei die Entwicklung auffällig verlangsamt verlaufen und es seien häufige Erkrankungen und Infekte sowie Krampfanfälle aufgetreten.
Mit Urteil vom 16.05.2006 wies das SG die Klage ab. Nach den noch vorliegenden Unterlagen sei davon auszugehen, dass beim Kläger kein Impfschaden vorliege. Allein die Kürze des stationären Aufenthalts nach der Verdachtsdiagnose einer Meningitis spreche dafür, dass sich dieser Verdacht nicht bestätigt habe. Wäre tatsächlich eine Meningitis diagnostiziert worden, wäre der Krankenhausaufenthalt länger gewesen.
Gegen das seiner Betreuerin am 06.07.2006 zugestellte Urteil des SG ist für den Kläger am 25.07.2006 Berufung eingelegt worden. Ein Entschädigungsanspruch entstehe unabhängig davon, ob es an einer öffentlichen Empfehlung für den Pertussis-Impfstoff gefehlt habe oder nicht. Auch bestehe ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung. Der zeitliche Zusammenhang ergebe sich daraus, dass Krankheitssymptome bereits fünf Tage nach der letzten Dreifachimpfung aufgetreten seien. Selbst wenn bereits vor der Impfung eine Entwicklungsverzögerung des Klägers vorgelegen hätte, sei darauf hinzuweisen, dass sich Kinder unterschiedlich rasch entwickelten und es unbeachtlich sei, ob sich das Anfallsleiden auch ohne die Impfung entwickelt hätte. In den Schutzbereich des IfSG seien auch Personen mit Krankheitsdispositionen eingeschlossen. Da der Kläger vor der letzten Dreifachimpfung keine Krankheitssymptome gehabt habe und völlig gesund gewesen sei, werde bestritten, dass es bei der Geburt zu einer Sauerstoffunterversorgung gekommen sei, die zu einer Hirnschädigung geführt habe. Ein entsprechender Nachweis sei nicht geführt. Für den Kläger ist der Entwicklungsbericht der Dr. E. vom 21.05.1981 vorgelegt worden, wonach der Kläger an den Folgen einer frühkindlichen Gehirnerkrankung leide und vermutlich Gehirnhautentzündung oder mindestens eine Reizerscheinung des Gehirns durchgemacht habe und sich im ersten Lebensjahr Ernährungsstörungen gezeigt hätten. In dem Erörterungstermin am 27.02.2008 haben die als Zeugen gehörten Eltern des Klägers angegeben, der Kläger sei als gesundes Kind zur Welt gekommen und es hätten keine Anzeichen für eine Schädigung vorgelegen. Erst nach der Impfung seien Reaktionen aufgetreten, was zu verschiedenen Krankenhausaufenthalten wegen Genicksteifigkeit und Erbrechen geführt habe. Wegen einer Blaugeburt hätten keine Behandlungen stattgefunden. Nach der dritten Dreifachimpfung habe der Kläger Fieber bekommen. Er habe in seinem Bett gelegen und nach Ansprache nur noch mit den Augen reagiert, da er seinen Kopf nicht mehr habe bewegen können. Daraufhin sei der Kläger in ein Krankenhaus gebracht worden. Im Rahmen des damaligen Abschlussgesprächs mit den behandelnden Ärzten des Krankenhauses sei nichts Besorgniserregendes erwähnt worden. Den Antrag auf Beschädigtenversorgung habe man erst im Jahr 2002 gestellt, nachdem man zunächst davon ausgegangen sei, die Blaugeburt sei für die Erkrankung des Klägers ursächlich und erst die Ärztin U. ausgeführt habe, dass Einzelheiten in der Krankenakte für einen Impfschaden sprächen. Nach der ersten Impfung sei Fieber, nach der zweiten Impfung höheres Fieber und nach der dritten Impfung die beschriebene Symptomatik aufgetreten. Für den Kläger ist das Attest der Ärztin U. vom 22.02.2008 vorgelegt worden. Sie hat darin ausgeführt, ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der dritten Dreifachimpfung und dem Krankenhausaufenthalt liege vor. Da ihr bekannt gewesen sei, dass der Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff im Jahr 1974 auf Grund zentralnervöser Nebenwirkungen wie Krampfanfälle aus den öffentlichen Impfempfehlungen genommen worden sei, habe es nahegelegen, hier einen direkten Zusammenhang zu vermuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16.05.2006 und den Bescheid des Landratsamts H. vom 03.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.04.2005 aufzuheben, eine postvakzinale Enzephalopathie - auch unter dem Gesichtspunkt der Kannversorgung - als Impfschaden festzustellen und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid des Versorgungsamts Ulm vom 28.04.2003 zurückzunehmen und ihm Grundrente nach einem GdS von 100 zu gewähren, hilfsweise von Dr. H. eine ergänzende Stellungnahme zu der letzten Stellungnahme von Prof. Dr. L. vom 21.12.2009 einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Impfung gegen Diphtherie sei nach § 2 des Gesetzes über die Impfung der Diphtherie vom 25.01.1954 für alle Kinder nach Vollendung des ersten Lebensjahres empfohlen worden. Nach der Verfügung vom 08.11.1976 (IIb/4195/76) sei ab August 1962 von einer öffentlichen Empfehlung auszugehen. Allen Sorgeberechtigten sei anlässlich der Aufforderung zur Diphtherie-Schutzimpfung ein Hinweisblatt übersandt und darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit bestehe, gleichzeitig gegen Wundstarrkrampf impfen zu lassen. Obwohl eine ausdrückliche Empfehlung nicht ausgesprochen worden sei, könnten die Hinweise als öffentliche Empfehlung angesehen werden. Keine öffentliche Empfehlung habe es für die Impfung gegen Pertussis gegeben, da für ganz Baden-Württemberg diese Schutzimpfung erst mit Bekanntmachung des Innenministeriums vom 30.08.1972 öffentlich empfohlen worden sei. Auf Grund eines Erlasses des Innenministeriums vom 02.03.1965 sei vorher nur im Bereich des Gesundheitsamts der Stadt S. ein Feldversuch durchgeführt worden. Wenn der gegen Diphtherie oder Tetanus verabreichte Impfstoff die einen Impfschaden verursachende Komponente gewesen wäre, würde ein Rechtsanspruch auf Anerkennung nach dem IfSG bestehen. Habe der Impfstoff gegen Pertussis einen Impfschaden verursacht, bestehe ein solcher Rechtsanspruch nicht. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales Baden-Württemberg wäre dann für die Prüfung der Frage eines Härteausgleichs nach § 63 Abs. 5 IfSG zuständig.
Der Senat hat zunächst von Amts wegen das infektiologisch-impfwissenschaftliche Gutachten des Prof. Dr. L., Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin des Klinikums der Universität M., vom 14.07.2008 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, bei der nach der letzten Dreifachimpfung aufgetretenen Reaktion mit Fieber, Schreien und fraglicher Genickstarre sowie der anschließenden stationären Krankenhausbehandlung wegen des sich offensichtlich nicht bestätigten Verdachts auf Meningitis handle es sich am ehesten um eine Impfnebenwirkung im Sinne einer hypotonen hyporesponsiven Episode. Diese Reaktion sei am ehesten der Ganzzell-Pertussis-Impfstoffkomponente zuzuordnen, komme, jedoch selten, auch nach anderen Impfungen vor. Hierdurch bedingt, sei es aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Dauerleiden gekommen. Entgegen den in den 70iger Jahren von Teilen der Ärzteschaft und der Öffentlichkeit vermuteten Zusammenhänge seltener bleibender neurologischer Schäden mit der Ganzzell-Pertussis-Impfung hätten spätere umfangreiche Studien keinen Nachweis einer Häufung von oder eines kausalen Zusammenhangs zwischen bleibenden neurologischen Schäden und der Ganzzell-Pertussis-Impfung ergeben.
Dr. Rauch hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.10.2008 ausgeführt, für das vorliegende Schädigungsbild einer frühkindlichen Entwicklungsstörung mit geistiger Behinderung komme mit Wahrscheinlichkeit eine schädigungsfremde Ursache in Form eines perinatalen Sauerstoffmangels in Betracht. Daher fehlten auch die Voraussetzungen für eine Kannversorgung.
Sodann hat der Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Dr. H., ehemaliger wissenschaftlicher Angestellter im Paul-Ehrlich-Institut und jetzt selbständiger Experte für Arzneimittelsicherheit, vom 29.03.2009 eingeholt. Er hat ausgeführt, es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen, die durch die letzte Dreifachimpfung ausgelöst worden sei. Es handle sich bei dieser Impfkomplikation um eine sogenannte postvakzinale Enzephalopathie. Die Hirnschädigung sei wahrscheinlich auf die Impfung zurückzuführen. Diese Erkrankung habe zu einer Entwicklungsstörung des Gehirns mit der Folge einer noch heute bestehenden Hirnschädigung geführt. Es sei zu einer immunologisch vermittelten Enzephalopathie mit anschließender toxischer Komponente gekommen. Eine individuelle genetische Disposition für eine solche Reaktion habe beim Kläger sicher vorgelegen. Er sei aber vor der dritten Impfung gesund gewesen. Ohne die Impfung in frühem Lebensalter wäre die Erkrankung vermutlich nicht zum Ausbruch gekommen Der GdS betrage 100. In Betracht komme vorliegend auch eine Kannversorgung. Die Kannversorgung komme in Fällen zur Anwendung, in denen über die Ursache einer Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft Unklarheit bestehe. Dies treffe auf die genauen immunologischen Auslösemechanismen der postvakzinalen Enzephalopathie sicher zu. Auch sei mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen im Fall des alten DPT-Impfstoffs nicht mehr zu rechnen.
Dr. Götz hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.04.2009 ausgeführt, das Vorliegen einer postvakzinalen Enzephalopathie, also einer immunologisch-entzündlichen Reaktion des Gehirns, wenige Tage nach der dritten Dreifachimpfung sei nach der Aktenlage nicht wahrscheinlich. Gegen das Vorliegen einer entzündlichen Erkrankung des Gehirns oder einer sonstigen schwerwiegenden Erkrankung des Gehirns sprächen die kurze stationäre Verweildauer im Kreiskankenhaus H. und die Angabe der Mutter des Klägers, dass damals die behandelnden Ärzte im Abschlussgespräch nichts Besorgniserregendes erwähnt hätten. Es sei davon auszugehen, dass eine relevante immunologisch-entzündliche Erkrankung des Gehirns mit Hirnödem den damals behandelnden Ärzten nicht verborgen geblieben wäre, zumal damals zunächst der Verdacht auf eine Meningitis geäußert worden sei und somit das diagnostische Augenmerk speziell auf entzündliche Erkrankungen des Gehirns gerichtet worden sei. Außerdem fänden sich in den Akten auch Hinweise auf andere Ursachen, so zum Beispiel eine Sauerstoffunterversorgung während der Geburt. Auch fänden sich in den Unterlagen keine Informationen über eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bezüglich genetisch bedingter Stoffwechselerkrankungen oder anderer Ursachen der Hirnschädigung.
Prof. Dr. L. hat in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 21.12.2009 dargelegt, die in den 70iger Jahren aufgetretenen Verdachtsmomente bezüglich möglicher bleibender Hirnschädigungen nach Verabreichung von Pertussis-Ganzzell-Impfstoffen beziehungsweise von diese Komponente enthaltenden Kombinationsimpfstoffen oder von Zusatzstoffen wie Thiomersal oder aluminiumhaltigen Adjuvantien hätten sich durch neuere, umfangreichere und aussagekräftigere Untersuchungen sowie durch die Folgeuntersuchungen früherer Studien nicht bestätigen lassen. Dies sei die Evidenz der heute vorliegenden wissenschaftlichen Daten und entspreche den derzeit gültigen Stellungnahmen der internationalen und nationalen Aufsichtsgremien und -behörden. Die Ausführungen des Dr. H. entsprächen daher nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die Voraussetzungen für eine Kannversorgung seien nicht gegeben, da hierfür Erkenntnisse vorliegen sollten, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen einem zeitlich in Frage kommenden Ereignis und besonderen körperlichen Schädigungen sprächen. Dies sei nicht der Fall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 28.04.2003 und daher auch nicht auf Feststellung einer postvakzinalen Enzephalopathie als Folge eines Impfschadens und auch nicht auf Gewährung von Grundrente.
Verfahrensrechtlich richtet sich das Begehren des Kläger auf Überprüfung des Bescheides vom 28.04.2003 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Materiellrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers auf Feststellung seiner Erkrankungen als Folge eines Impfschadens und auf Gewährung von Grundrente nach §§ 60 und 61 IfSG in Verbindung mit §§ 30 und 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, auf Grund des IfSG angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt (§ 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG). Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 61 Satz 1 IfSG). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden (§ 61 Satz 2 IfSG). Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 61 Satz 3 IfSG).
Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs orientiert sich der Senat an den AHP 1996.
Zwar orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung grundsätzlich an den Bewertungsmaßstäben der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89) AHP 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (VersMedV).
In Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X ist aber die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der zu überprüfenden Entscheidung (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, Rz. 29) und mithin vorliegend die im Zeitpunkt des Bescheides vom 28.04.2003 geltenden AHP 1996 zu Grunde zu legen. Eine rückwirkende Anwendung der AHP 2004, 2006 und 2008 oder der VG kommt nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 - juris Rz. 14).
Für die allgemeinen Kriterien der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs gilt nach den AHP 1996 Folgendes:
Als Schädigungsfolge wird im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die mit einer nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigenden Schädigung in ursächlichem Zusammenhang steht (Nr. 16 AHP 1996). Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (Nr. 36 Abs. 2 AHP 1996).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (Nr. 37 Abs. 1 AHP 1996). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (Nr. 37 Abs. 2 Satz 1 AHP 1996). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (Nr. 37 Abs. 3 AHP 1996). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder (Nr. 37 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AHP 1996).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (Nr. 38 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AHP 1996). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (Nr. 38 Abs. 2 Satz 1 AHP 1996). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebensowenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (Nr. 38 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AHP 1996).
Bei der Beurteilung, welche Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschädigung gelten, orientiert sich der Senat nicht an Nr. 57.11 AHP 1996. Darin werden für die Pertussis-Schutzimpfung mit Vollbakterienimpfstoff unter übliche Impfreaktionen "Häufig Lokalreaktion mit Schwellung der regionären Lymphknoten, Temperaturerhöhung zwischen 1. und 3. Tag; Inappetenz, Erbrechen. Außerdem sehr selten innerhalb weniger Stunden nach der Injektion schockähnliche Zustände" und unter Impfschäden "Selten. Gelegentlich nach anhaltendem schrillen Schreien - innerhalb von 3 Tagen Auftreten einer Enzephalopathie, dabei oft hirnorganische Anfälle, manchmal progredienter Verlauf. Nach Enzephalopathie selten auch Dauerschäden (spastische Lähmungen und geistige Retardierung). Selten Neuritis (insbesondere Hirnnerven), selten Nephrose" sowie für die Pertussis-Schutzimpfung mit azellulären Impfstoffen unter übliche Impfreaktionen "wie bei Vollbakterienimpfstoff, aber seltener" und unter Impfschäden "Langzeiterfahrungen stehen noch aus" ausgeführt.
Denn es gilt der Grundsatz, dass die AHP 1996 systemgerecht korrigiert werden müssen, wenn sich herausstellt, dass neuere medizinische Erkenntnisse, die zu einer Neubewertung des Kausalzusammenhangs geführt haben, schon während der Geltung der AHP 1996 vorgelegen haben, mithin die AHP 1996 nicht mehr dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprachen (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 - juris Rz. 15; BSG, Beschluss vom 21.10.1998 - B 9 SB 46/98 B - juris Rz. 6).
Dies ist vorliegend der Fall. Prof. Dr. L. hat in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass bleibende neurologische Schädigungen wie beispielsweise eine frühkindliche Entwicklungsstörung in umfangreichen Studien nicht als kausal mit der Pertussis-Schutzimpfung mit Vollbakterienimpfstoff in Verbindung stehend gesichert worden sind. Er hat dabei dargelegt, dass die im Jahr 1976 begonnenen epidemiologischen Studien, deren Ergebnisse in den 80er Jahren vorlagen, keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Pertussis-Schutzimpfung mit Vollbakterienimpfstoff und dem Auftreten einer Enzephalopathie oder bleibenden neurologischen Schädigungen ergeben haben. Auch hat sich nach den Ausführungen des Sachverständigen bei den Überwachungsprogrammen einiger Länder, die weiterhin den Pertussis-Vollbakterienimpfstoff verwendet haben, kein Anhalt für einen derartigen Zusammenhang ergeben. Überzeugt hat den Senat der Hinweis des Sachverständigen auf die Ausführungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in "WHO Weekly Epidem Rec 2005, 80, 31-39", wonach die Immunisierung mit Pertussis-Impfstoffen häufig (1x bei 2 bis 10 Injektionen) im Zusammenhang mit geringfügigen Nebenwirkungen wie lokale Rötung und Schwellung, Fieber und Unruhe, weniger häufig (unter 1x bei 100 Injektionen) im Zusammenhang mit längerem Weinen und selten (unter 1x bei 1.000 bis 2.000 Injektionen) im Zusammenhang mit hypoton-hyporesponsiven Episoden steht und der Verdacht, dass eine Impfung gegen Pertussis in sehr seltenen Fällen eine Enzephalopathie hervorrufen könnte, durch eingehende Untersuchungen nicht bestätigt worden ist. Diese Erkenntnisse haben auch über eine Verweisung durch die AHP 2008 auf die Arbeitsergebnisse der Ständigen Impfkommission (STIKO) als Darstellung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft Berücksichtigung gefunden. Dort wird im Zusammenhang mit der Pertussis-Schutzimpfung unter anderem ausgeführt, einzelne veröffentlichte Kasuistiken (Enzephalopathie) über einen ursächlichen Zusammenhang seien fraglich (Epidemiologisches Bulletin vom 22.06.2007, Nr. 25, S. 212; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2009 - L 11 VJ 36/08; LSG für das Saarland, Urteil vom 27.05.2008 - L 5 VJ 10/04).
Unter Zugrundelegung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse ist mithin nach Überzeugung des Senats ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen der am 21.07.1964 durch Dr. K. erfolgten Dreifachimpfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis und dem Leiden des Klägers nicht hinreichend wahrscheinlich. Es spricht nicht mehr dafür als dagegen, dass die Entwicklungsstörung des Klägers mit geistiger Behinderung ursächlich auf die letzte Dreifachimpfung zurückzuführen ist.
Ferner weist der Senat auf die überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. L. hin, wonach es sich bei der nach Angaben der Eltern des Klägers nach der letzten Dreifachimpfung aufgetretenen Reaktion mit Fieber, Schreien und Genickstarre lediglich um eine sich ohne bleibende Schäden zurückbildende Impfnebenwirkung und nicht um eine akute Enzephalopathie mit bleibenden neurologischen Schäden gehandelt hat. In diesem Zusammenhang lässt es der Senat dahingestellt, ob es sich dabei um eine hypotone hyporesponsive Episode gehandelt hat oder nicht. Jedenfalls spricht gegen die Annahme eines impfbedingten Dauerschadens, dass es sich in Anbetracht des mit sieben Tagen relativ kurzen Krankenhausaufenthalts nach der letzten Dreifachimpfung offensichtlich nicht um eine Meningitis oder sonstige schwere Erkrankung wie beispielsweise eine Enzephalopathie gehandelt hat und sich in den Akten keine Hinweise für nach dieser akuten Erkrankung persistierende oder eindeutig von da an sich entwickelnde neurologische oder psychische Auffälligkeiten finden. Prof. Dr. L. hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass als Ursache der frühkindlichen Entwicklungsstörung mit geistiger Behinderung am ehesten - auch wenn eine Asphyxie nicht regelmäßig zu einer perinatalen Hirnschädigung führt und der Kläger nicht an für eine perinatale Hirnschädigung typischen spastischen Bewegungsstörungen leidet - die von der Mutter des Klägers angegebene perinatale Asphyxie in Frage kommt. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn den Eltern des Klägers erst nach der letzten Dreifachimpfung eine Entwicklungsstörung aufgefallen sein sollte, hieraus nicht zwingend der Schluss gezogen werden kann, die letzte Dreifachimpfung sei hierfür ursächlich. Auch insoweit folgt der Senat Prof. Dr. L., der nachvollziehbar dargelegt hat, dass weniger stark ausgeprägte Entwicklungsstörungen und geistige Behinderungen während der Säuglingsperiode schwierig zu erfassen sind und sich teilweise erst im Kleinkindalter so manifestieren, dass sie als Entwicklungsstörung bemerkt werden.
Dem gegenüber hat sich der Senat von der von Dr. H. in seinem Gutachten vom 29.03.2009 vertretenen Ansicht nicht zu überzeugen vermocht. Prof. Dr. L. hat in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 21.12.2009 überzeugend dargelegt, dass die von Dr. H. aufgeführten Daten und Argumente einer evidenzbasierten, wissenschaftlichen Argumentation nicht entsprechen. Insoweit weist der Senat auf die Ausführungen von Weisser/Bauer/Volkers/Keller-Stanislawski, Paul-Ehrlich-Institut, in "Thiomersal und Impfungen" im Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2004, Heft 47, S. 1165 bis 1174 hin, wonach derzeit verfügbare, hoch aussagekräftige, epidemiologischen Untersuchungen aus den USA, dem Vereinigten Königreich und Dänemark entstammende Daten die Hypothese eines potenziellen Zusammenhanges zwischen neurodegenerativen Entwicklungsstörungen und thiomersalhaltigen Impfstoffen nicht belegen, die neuesten epidemiologischen Studien also nicht für einen Zusammenhang zwischen thiomersalhaltigen Impfstoffen und neurodegenerativen Erkrankungen sprechen.
Auch die Voraussetzungen für eine Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG liegen nicht vor, weil über die Ursache der beim Kläger vorliegenden Erkrankung nicht generell in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Das Problem des Falls liegt vielmehr - wie umfassend dargelegt - darin, dass mangels ausreichender medizinischer Unterlagen in zeitlicher Nähe zum Auftreten der Erkrankung beim Kläger im konkreten Fall die Ursache hierfür nicht mehr aufklärbar ist.
Nach alledem hat sich der Bescheid vom 28.04.2003 auch unter Berücksichtigung der inzwischen für den Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen und eingeholten Gutachten als rechtmäßig erwiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides, Feststellung einer postvakzinalen Enzephalopathie als Folge eines Impfschadens und auch nicht auf Gewährung von Grundrente.
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag des Klägers war nicht stattzugeben. Sein Antragsrecht nach § 109 SGG ist nach Einholung des Gutachtens von Dr. H. vom 29.03.2009 verbraucht. Außerdem ist der Antrag verspätet, da der Senat der Prozessbevollmächtigten des Klägers schon mit Schreiben vom 11.01.2010 mitgeteilt hat, dass der Rechtsstreit für entscheidungsreif erachtet werde. Mit Schreiben vom 24.01.2010 hat der Kläger, da nicht auf § 109 SGG Bezug genommen wurde, lediglich beantragt, von Amts wegen eine weitere Stellungnahme von Dr. H. einzuholen. Diesen Antrag hat er in der mündlichen Verhandlung nicht aufrecht erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Anerkennung einer postvakzinalen Enzephalopathie des 1963 geborenen Klägers als Folge eines Impfschadens und die Gewährung von Grundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 100.
Am 14.08.2002 wurde für den Kläger die Gewährung von Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) beantragt. Ohne Vorlage ärztlicher Unterlagen wurde ein cerebraler Hirnschaden als Folge von Impfungen gegen Keuchhusten, Diphterie und Tetanus geltend gemacht. Der Versuch des ehemaligen Versorgungsamts U. (VA), über den inzwischen verstorbenen Kinderarzt Dr. K. und dessen unbekannt verzogenen Praxisnachfolger sowie das Kreiskrankenhaus H. und den Fachbereich Gesundheit des Landratsamts H. ärztliche Unterlagen über den Kläger beizuziehen, blieb ohne Erfolg. Mit Bescheid vom 28.04.2003 lehnte das VA den Antrag ab. Ein Nachweis für die angegebenen Impfungen habe nicht erbracht werden können.
Am 20.11.2003 wurde für den Kläger erneut die Gewährung von Versorgung nach dem IfSG beantragt. Vorgelegt wurde ein Auszug aus dem Impfbuch des Klägers, die Leistungskarte und die Auskünfte der K. Krankenkasse (KKH) vom 18.12.2003 und 15.03.2004 sowie die Bescheinigung des Facharztes für Kinderkrankheiten Dr. F. vom 20.04.1967. Daraus und aus den hierzu gemachten Angaben der Mutter des Klägers ergibt sich, dass der Kläger am 22.05.1964, 19.06.1964 und 21.07.1964 durch Dr. K. gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis geimpft sowie vom 26.07.1964 bis zum 01.08.1964 wegen des Verdachts auf eine Meningitis im Kreiskankenhaus H., vom 09.09.1965 bis zum 11.09.1965 wegen eines cerebralen Anfallsleidens, vom 10.04.1967 bis zum 15.04.1967 wegen einer schweren Gastroenteritis mit beginnender Eksikose im Kreiskrankenhaus L. oder im Kinderspital Basel, vom 13.04.1970 bis zum 28.04.1970 wegen einer Mandeloperation im Kreiskrankenhaus H. und vom 06.11.1972 bis zum 11.11.1972 im Kreiskrankenhaus H. stationär behandelt worden war.
Das VA zog die über den Kläger geführten Schwerbehindertenakten bei. Aktenkundig sind dort der vom Amtsarzt Dr. D. in seiner Bescheinigung vom 14.11.1974 erhobene Befund einer frühkindlichen cerebralen Schädigung mit vorwiegend geistigem Entwicklungsrückstand und erethischen Unruhezuständen, und das versorgungsärztliche Gutachten der Fachärztin für Innere Krankheiten Dr. M.-V. vom 10.10.1977, wonach beim Kläger nach Angaben von dessen Mutter postnatal eine blaue Asphyxie aufgetreten und die Entwicklung der Motorik (Sitzen nach 9 Monaten und Laufen nach 18 Monaten) und der Sprache verzögert gewesen sei und als Behinderungen ein mittelschwerer Schwachsinn sowie erhebliche Verhaltensstörungen bei frühkindlicher Hirnschädigung berücksichtigt wurden.
Ferner wurde für den Kläger der Entwicklungsbericht der Diplompädagogin Schuldt vom 07.10.1997 vorgelegt. Darin wird angegeben, laut Angaben der Mutter des Klägers habe dieser perinatal eine Zyanose erlitten. In einem Entwicklungsbericht vom 21.05.1981 habe Dr. E. die Vermutung geäußert, der Kläger leide an den Folgen einer frühkindlichen Hirnhautentzündung oder habe mindestens eine Reizerscheinung des Hirns durchgemacht. 1965 habe der Kläger eine Drei-Phasen-Impfung erhalten. Nach sich anschließendem acetonischem Erbrechen und Zusammenbruch des Wasserhaushaltes sei er im Krankenhaus Basel behandelt worden. 1970 sei eine Tonsillektomie in H. erfolgt. 1973 sei der Kläger erneut wegen acetonischen Erbrechens stationär behandelt worden. Auf die Impfungen habe der Kläger nach Angaben von dessen Mutter recht stark reagiert. Seit dieser Zeit solle die Entwicklung verzögert verlaufen sein.
Der Versuch des VA, über das Kreiskrankenhaus L., das Kreiskrankenhaus H. und Dr. O. ärztliche Unterlagen über den Kläger beizuziehen, blieb ohne Erfolg.
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.01.2005 wurde ausgeführt, durch die von der Mutter des Klägers berichtete perinatale Zyanose werde der Verdacht auf einen Sauerstoffmangel bei der Geburt als Ursache der geistigen Behinderung in den Raum gestellt. Angesichts der Kürze des stationären Aufenthalts im Kreiskrankenhaus H. vom 26.07.1964 bis zum 01.08.1964 könne es sich nur um den Ausschluss eines Verdachts auf Meningitis gehandelt haben, da sonst der stationäre Aufenthalt deutlich länger gewesen wäre. Möglicherweise sei es zu einer Impfreaktion gekommen, die den stationären Ausschluss einer Meningitis notwendig gemacht habe. Ebenso gut könne der Kläger damals einen von der Impfung völlig unabhängigen Infekt durchgemacht haben. Sollte dieses Krankheitsgeschehen fünf Tage nach der dritten Dreifachimpfung tatsächlich eine Impfreaktion gewesen sein, so sei es dennoch nicht wahrscheinlich ursächlich für die Entwicklungsstörung beziehungsweise geistige Behinderung des Klägers. Auch die Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens könne in diesem Fall nicht als wahrscheinlich angesehen werden. Zusammenfassend könnten die drei durchgeführten Dreifach-Impfungen nicht als versorgungsrechtlich relevante Bedingung für die Entstehung oder Verschlimmerung der geistigen Behinderung angesehen werden.
Mit Bescheid vom 03.02.2005 lehnte das zuständig gewordene Landratsamt H. (LRA) den Antrag ab. Die Versorgung nach dem IfSG setze voraus, dass für alle drei Impfungen zum Zeitpunkt der Impfungen eine öffentliche Empfehlung vorgelegen habe. Diese anspruchsbegründende Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil unter anderem die Impfung gegen Keuchhusten in Verbindung mit den Impfungen gegen Diphtherie und Wundstarrkrampf erstmals mit Bekanntmachung des Innenministeriums vom 30.08.1972 öffentlich empfohlen worden sei. Darüber hinaus sei ein Nachweis dafür, dass ein Impfschaden als Folge der Impfungen vorliege, nicht erbracht. Der im Leistungsauszug der Krankenkasse ausgesprochene Verdacht auf Meningitis begründe keinen Nachweis für das damalige tatsächliche Vorliegen dieses Leidens. Die sechstägigen Krankenhausuntersuchungen wegen Meningitis könnten auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer allenfalls dazu geeignet gewesen sein, diese Erkrankung auszuschließen. Bei Vorliegen einer Meningitis hätte es eines erheblich längeren Krankenhausaufenthaltes bedurft. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem IfSG seien damit nicht erfüllt.
Hiergegen wurde für den Kläger Widerspruch eingelegt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, im damals gültigen Bundesseuchengesetz (BSeuchG) heiße es, dass, wenn mindestens eine der Teil-Schutzimpfungen, die bei Anwendung eines Mehrfachimpfstoffes vorgenommen werde, öffentlich empfohlen sei, die gesamte Maßnahme nicht mehr allein dem privaten Risikobereich zugerechnet werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2005 wies das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) den Widerspruch zurück. Zum Zeitpunkt der Impfung sei die öffentliche Empfehlung für die Impfung gegen Keuchhusten in Verbindung mit den Impfungen gegen Diphterie und Tetanus nicht vorhanden gewesen. Darüber hinaus sei die erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den durchgeführten Impfungen und den Gesundheitsstörungen nicht gegeben. Es sei zwar möglich, dass es nach der Impfung zu einer über das übliche Maß hinaus gehenden Impfreaktion gekommen sei. Ob diese Reaktion aber geeignet gewesen sei, die beim Kläger vorliegenden und geltend gemachten Gesundheitsstörungen hervorzurufen, könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.
Hiergegen wurde für den Kläger am 17.05.2005 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Zum Einen sei es ausreichend, wenn bei Mehrfachimpfungen für eine Komponente des Impfstoffs eine öffentliche Empfehlung vorliege. Zum Anderen habe der Kläger nach den Dreifachimpfungen jeweils Fieber bekommen sowie darüber hinaus nach der dritten Dreifachimpfung auffallend geschrien und er sei wenige Tage später genicksteif gewesen, so dass er mit Verdacht auf Meningitis stationär behandelt worden sei. Bis zur dritten Dreifachimpfung sei der Kläger gesund gewesen und habe sich altersgemäß entwickelt. Seitdem sei die Entwicklung auffällig verlangsamt verlaufen und es seien häufige Erkrankungen und Infekte sowie Krampfanfälle aufgetreten.
Mit Urteil vom 16.05.2006 wies das SG die Klage ab. Nach den noch vorliegenden Unterlagen sei davon auszugehen, dass beim Kläger kein Impfschaden vorliege. Allein die Kürze des stationären Aufenthalts nach der Verdachtsdiagnose einer Meningitis spreche dafür, dass sich dieser Verdacht nicht bestätigt habe. Wäre tatsächlich eine Meningitis diagnostiziert worden, wäre der Krankenhausaufenthalt länger gewesen.
Gegen das seiner Betreuerin am 06.07.2006 zugestellte Urteil des SG ist für den Kläger am 25.07.2006 Berufung eingelegt worden. Ein Entschädigungsanspruch entstehe unabhängig davon, ob es an einer öffentlichen Empfehlung für den Pertussis-Impfstoff gefehlt habe oder nicht. Auch bestehe ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung. Der zeitliche Zusammenhang ergebe sich daraus, dass Krankheitssymptome bereits fünf Tage nach der letzten Dreifachimpfung aufgetreten seien. Selbst wenn bereits vor der Impfung eine Entwicklungsverzögerung des Klägers vorgelegen hätte, sei darauf hinzuweisen, dass sich Kinder unterschiedlich rasch entwickelten und es unbeachtlich sei, ob sich das Anfallsleiden auch ohne die Impfung entwickelt hätte. In den Schutzbereich des IfSG seien auch Personen mit Krankheitsdispositionen eingeschlossen. Da der Kläger vor der letzten Dreifachimpfung keine Krankheitssymptome gehabt habe und völlig gesund gewesen sei, werde bestritten, dass es bei der Geburt zu einer Sauerstoffunterversorgung gekommen sei, die zu einer Hirnschädigung geführt habe. Ein entsprechender Nachweis sei nicht geführt. Für den Kläger ist der Entwicklungsbericht der Dr. E. vom 21.05.1981 vorgelegt worden, wonach der Kläger an den Folgen einer frühkindlichen Gehirnerkrankung leide und vermutlich Gehirnhautentzündung oder mindestens eine Reizerscheinung des Gehirns durchgemacht habe und sich im ersten Lebensjahr Ernährungsstörungen gezeigt hätten. In dem Erörterungstermin am 27.02.2008 haben die als Zeugen gehörten Eltern des Klägers angegeben, der Kläger sei als gesundes Kind zur Welt gekommen und es hätten keine Anzeichen für eine Schädigung vorgelegen. Erst nach der Impfung seien Reaktionen aufgetreten, was zu verschiedenen Krankenhausaufenthalten wegen Genicksteifigkeit und Erbrechen geführt habe. Wegen einer Blaugeburt hätten keine Behandlungen stattgefunden. Nach der dritten Dreifachimpfung habe der Kläger Fieber bekommen. Er habe in seinem Bett gelegen und nach Ansprache nur noch mit den Augen reagiert, da er seinen Kopf nicht mehr habe bewegen können. Daraufhin sei der Kläger in ein Krankenhaus gebracht worden. Im Rahmen des damaligen Abschlussgesprächs mit den behandelnden Ärzten des Krankenhauses sei nichts Besorgniserregendes erwähnt worden. Den Antrag auf Beschädigtenversorgung habe man erst im Jahr 2002 gestellt, nachdem man zunächst davon ausgegangen sei, die Blaugeburt sei für die Erkrankung des Klägers ursächlich und erst die Ärztin U. ausgeführt habe, dass Einzelheiten in der Krankenakte für einen Impfschaden sprächen. Nach der ersten Impfung sei Fieber, nach der zweiten Impfung höheres Fieber und nach der dritten Impfung die beschriebene Symptomatik aufgetreten. Für den Kläger ist das Attest der Ärztin U. vom 22.02.2008 vorgelegt worden. Sie hat darin ausgeführt, ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der dritten Dreifachimpfung und dem Krankenhausaufenthalt liege vor. Da ihr bekannt gewesen sei, dass der Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff im Jahr 1974 auf Grund zentralnervöser Nebenwirkungen wie Krampfanfälle aus den öffentlichen Impfempfehlungen genommen worden sei, habe es nahegelegen, hier einen direkten Zusammenhang zu vermuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 16.05.2006 und den Bescheid des Landratsamts H. vom 03.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.04.2005 aufzuheben, eine postvakzinale Enzephalopathie - auch unter dem Gesichtspunkt der Kannversorgung - als Impfschaden festzustellen und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid des Versorgungsamts Ulm vom 28.04.2003 zurückzunehmen und ihm Grundrente nach einem GdS von 100 zu gewähren, hilfsweise von Dr. H. eine ergänzende Stellungnahme zu der letzten Stellungnahme von Prof. Dr. L. vom 21.12.2009 einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Impfung gegen Diphtherie sei nach § 2 des Gesetzes über die Impfung der Diphtherie vom 25.01.1954 für alle Kinder nach Vollendung des ersten Lebensjahres empfohlen worden. Nach der Verfügung vom 08.11.1976 (IIb/4195/76) sei ab August 1962 von einer öffentlichen Empfehlung auszugehen. Allen Sorgeberechtigten sei anlässlich der Aufforderung zur Diphtherie-Schutzimpfung ein Hinweisblatt übersandt und darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit bestehe, gleichzeitig gegen Wundstarrkrampf impfen zu lassen. Obwohl eine ausdrückliche Empfehlung nicht ausgesprochen worden sei, könnten die Hinweise als öffentliche Empfehlung angesehen werden. Keine öffentliche Empfehlung habe es für die Impfung gegen Pertussis gegeben, da für ganz Baden-Württemberg diese Schutzimpfung erst mit Bekanntmachung des Innenministeriums vom 30.08.1972 öffentlich empfohlen worden sei. Auf Grund eines Erlasses des Innenministeriums vom 02.03.1965 sei vorher nur im Bereich des Gesundheitsamts der Stadt S. ein Feldversuch durchgeführt worden. Wenn der gegen Diphtherie oder Tetanus verabreichte Impfstoff die einen Impfschaden verursachende Komponente gewesen wäre, würde ein Rechtsanspruch auf Anerkennung nach dem IfSG bestehen. Habe der Impfstoff gegen Pertussis einen Impfschaden verursacht, bestehe ein solcher Rechtsanspruch nicht. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales Baden-Württemberg wäre dann für die Prüfung der Frage eines Härteausgleichs nach § 63 Abs. 5 IfSG zuständig.
Der Senat hat zunächst von Amts wegen das infektiologisch-impfwissenschaftliche Gutachten des Prof. Dr. L., Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin des Klinikums der Universität M., vom 14.07.2008 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, bei der nach der letzten Dreifachimpfung aufgetretenen Reaktion mit Fieber, Schreien und fraglicher Genickstarre sowie der anschließenden stationären Krankenhausbehandlung wegen des sich offensichtlich nicht bestätigten Verdachts auf Meningitis handle es sich am ehesten um eine Impfnebenwirkung im Sinne einer hypotonen hyporesponsiven Episode. Diese Reaktion sei am ehesten der Ganzzell-Pertussis-Impfstoffkomponente zuzuordnen, komme, jedoch selten, auch nach anderen Impfungen vor. Hierdurch bedingt, sei es aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Dauerleiden gekommen. Entgegen den in den 70iger Jahren von Teilen der Ärzteschaft und der Öffentlichkeit vermuteten Zusammenhänge seltener bleibender neurologischer Schäden mit der Ganzzell-Pertussis-Impfung hätten spätere umfangreiche Studien keinen Nachweis einer Häufung von oder eines kausalen Zusammenhangs zwischen bleibenden neurologischen Schäden und der Ganzzell-Pertussis-Impfung ergeben.
Dr. Rauch hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.10.2008 ausgeführt, für das vorliegende Schädigungsbild einer frühkindlichen Entwicklungsstörung mit geistiger Behinderung komme mit Wahrscheinlichkeit eine schädigungsfremde Ursache in Form eines perinatalen Sauerstoffmangels in Betracht. Daher fehlten auch die Voraussetzungen für eine Kannversorgung.
Sodann hat der Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Dr. H., ehemaliger wissenschaftlicher Angestellter im Paul-Ehrlich-Institut und jetzt selbständiger Experte für Arzneimittelsicherheit, vom 29.03.2009 eingeholt. Er hat ausgeführt, es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen, die durch die letzte Dreifachimpfung ausgelöst worden sei. Es handle sich bei dieser Impfkomplikation um eine sogenannte postvakzinale Enzephalopathie. Die Hirnschädigung sei wahrscheinlich auf die Impfung zurückzuführen. Diese Erkrankung habe zu einer Entwicklungsstörung des Gehirns mit der Folge einer noch heute bestehenden Hirnschädigung geführt. Es sei zu einer immunologisch vermittelten Enzephalopathie mit anschließender toxischer Komponente gekommen. Eine individuelle genetische Disposition für eine solche Reaktion habe beim Kläger sicher vorgelegen. Er sei aber vor der dritten Impfung gesund gewesen. Ohne die Impfung in frühem Lebensalter wäre die Erkrankung vermutlich nicht zum Ausbruch gekommen Der GdS betrage 100. In Betracht komme vorliegend auch eine Kannversorgung. Die Kannversorgung komme in Fällen zur Anwendung, in denen über die Ursache einer Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft Unklarheit bestehe. Dies treffe auf die genauen immunologischen Auslösemechanismen der postvakzinalen Enzephalopathie sicher zu. Auch sei mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen im Fall des alten DPT-Impfstoffs nicht mehr zu rechnen.
Dr. Götz hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.04.2009 ausgeführt, das Vorliegen einer postvakzinalen Enzephalopathie, also einer immunologisch-entzündlichen Reaktion des Gehirns, wenige Tage nach der dritten Dreifachimpfung sei nach der Aktenlage nicht wahrscheinlich. Gegen das Vorliegen einer entzündlichen Erkrankung des Gehirns oder einer sonstigen schwerwiegenden Erkrankung des Gehirns sprächen die kurze stationäre Verweildauer im Kreiskankenhaus H. und die Angabe der Mutter des Klägers, dass damals die behandelnden Ärzte im Abschlussgespräch nichts Besorgniserregendes erwähnt hätten. Es sei davon auszugehen, dass eine relevante immunologisch-entzündliche Erkrankung des Gehirns mit Hirnödem den damals behandelnden Ärzten nicht verborgen geblieben wäre, zumal damals zunächst der Verdacht auf eine Meningitis geäußert worden sei und somit das diagnostische Augenmerk speziell auf entzündliche Erkrankungen des Gehirns gerichtet worden sei. Außerdem fänden sich in den Akten auch Hinweise auf andere Ursachen, so zum Beispiel eine Sauerstoffunterversorgung während der Geburt. Auch fänden sich in den Unterlagen keine Informationen über eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bezüglich genetisch bedingter Stoffwechselerkrankungen oder anderer Ursachen der Hirnschädigung.
Prof. Dr. L. hat in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 21.12.2009 dargelegt, die in den 70iger Jahren aufgetretenen Verdachtsmomente bezüglich möglicher bleibender Hirnschädigungen nach Verabreichung von Pertussis-Ganzzell-Impfstoffen beziehungsweise von diese Komponente enthaltenden Kombinationsimpfstoffen oder von Zusatzstoffen wie Thiomersal oder aluminiumhaltigen Adjuvantien hätten sich durch neuere, umfangreichere und aussagekräftigere Untersuchungen sowie durch die Folgeuntersuchungen früherer Studien nicht bestätigen lassen. Dies sei die Evidenz der heute vorliegenden wissenschaftlichen Daten und entspreche den derzeit gültigen Stellungnahmen der internationalen und nationalen Aufsichtsgremien und -behörden. Die Ausführungen des Dr. H. entsprächen daher nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die Voraussetzungen für eine Kannversorgung seien nicht gegeben, da hierfür Erkenntnisse vorliegen sollten, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen einem zeitlich in Frage kommenden Ereignis und besonderen körperlichen Schädigungen sprächen. Dies sei nicht der Fall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 28.04.2003 und daher auch nicht auf Feststellung einer postvakzinalen Enzephalopathie als Folge eines Impfschadens und auch nicht auf Gewährung von Grundrente.
Verfahrensrechtlich richtet sich das Begehren des Kläger auf Überprüfung des Bescheides vom 28.04.2003 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Materiellrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers auf Feststellung seiner Erkrankungen als Folge eines Impfschadens und auf Gewährung von Grundrente nach §§ 60 und 61 IfSG in Verbindung mit §§ 30 und 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, auf Grund des IfSG angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt (§ 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG). Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 61 Satz 1 IfSG). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden (§ 61 Satz 2 IfSG). Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 61 Satz 3 IfSG).
Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs orientiert sich der Senat an den AHP 1996.
Zwar orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung grundsätzlich an den Bewertungsmaßstäben der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89) AHP 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (VersMedV).
In Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X ist aber die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der zu überprüfenden Entscheidung (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, Rz. 29) und mithin vorliegend die im Zeitpunkt des Bescheides vom 28.04.2003 geltenden AHP 1996 zu Grunde zu legen. Eine rückwirkende Anwendung der AHP 2004, 2006 und 2008 oder der VG kommt nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 - juris Rz. 14).
Für die allgemeinen Kriterien der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs gilt nach den AHP 1996 Folgendes:
Als Schädigungsfolge wird im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die mit einer nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigenden Schädigung in ursächlichem Zusammenhang steht (Nr. 16 AHP 1996). Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (Nr. 36 Abs. 2 AHP 1996).
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (Nr. 37 Abs. 1 AHP 1996). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (Nr. 37 Abs. 2 Satz 1 AHP 1996). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (Nr. 37 Abs. 3 AHP 1996). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder (Nr. 37 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AHP 1996).
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (Nr. 38 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AHP 1996). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (Nr. 38 Abs. 2 Satz 1 AHP 1996). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebensowenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (Nr. 38 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AHP 1996).
Bei der Beurteilung, welche Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschädigung gelten, orientiert sich der Senat nicht an Nr. 57.11 AHP 1996. Darin werden für die Pertussis-Schutzimpfung mit Vollbakterienimpfstoff unter übliche Impfreaktionen "Häufig Lokalreaktion mit Schwellung der regionären Lymphknoten, Temperaturerhöhung zwischen 1. und 3. Tag; Inappetenz, Erbrechen. Außerdem sehr selten innerhalb weniger Stunden nach der Injektion schockähnliche Zustände" und unter Impfschäden "Selten. Gelegentlich nach anhaltendem schrillen Schreien - innerhalb von 3 Tagen Auftreten einer Enzephalopathie, dabei oft hirnorganische Anfälle, manchmal progredienter Verlauf. Nach Enzephalopathie selten auch Dauerschäden (spastische Lähmungen und geistige Retardierung). Selten Neuritis (insbesondere Hirnnerven), selten Nephrose" sowie für die Pertussis-Schutzimpfung mit azellulären Impfstoffen unter übliche Impfreaktionen "wie bei Vollbakterienimpfstoff, aber seltener" und unter Impfschäden "Langzeiterfahrungen stehen noch aus" ausgeführt.
Denn es gilt der Grundsatz, dass die AHP 1996 systemgerecht korrigiert werden müssen, wenn sich herausstellt, dass neuere medizinische Erkenntnisse, die zu einer Neubewertung des Kausalzusammenhangs geführt haben, schon während der Geltung der AHP 1996 vorgelegen haben, mithin die AHP 1996 nicht mehr dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprachen (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 - juris Rz. 15; BSG, Beschluss vom 21.10.1998 - B 9 SB 46/98 B - juris Rz. 6).
Dies ist vorliegend der Fall. Prof. Dr. L. hat in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass bleibende neurologische Schädigungen wie beispielsweise eine frühkindliche Entwicklungsstörung in umfangreichen Studien nicht als kausal mit der Pertussis-Schutzimpfung mit Vollbakterienimpfstoff in Verbindung stehend gesichert worden sind. Er hat dabei dargelegt, dass die im Jahr 1976 begonnenen epidemiologischen Studien, deren Ergebnisse in den 80er Jahren vorlagen, keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Pertussis-Schutzimpfung mit Vollbakterienimpfstoff und dem Auftreten einer Enzephalopathie oder bleibenden neurologischen Schädigungen ergeben haben. Auch hat sich nach den Ausführungen des Sachverständigen bei den Überwachungsprogrammen einiger Länder, die weiterhin den Pertussis-Vollbakterienimpfstoff verwendet haben, kein Anhalt für einen derartigen Zusammenhang ergeben. Überzeugt hat den Senat der Hinweis des Sachverständigen auf die Ausführungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in "WHO Weekly Epidem Rec 2005, 80, 31-39", wonach die Immunisierung mit Pertussis-Impfstoffen häufig (1x bei 2 bis 10 Injektionen) im Zusammenhang mit geringfügigen Nebenwirkungen wie lokale Rötung und Schwellung, Fieber und Unruhe, weniger häufig (unter 1x bei 100 Injektionen) im Zusammenhang mit längerem Weinen und selten (unter 1x bei 1.000 bis 2.000 Injektionen) im Zusammenhang mit hypoton-hyporesponsiven Episoden steht und der Verdacht, dass eine Impfung gegen Pertussis in sehr seltenen Fällen eine Enzephalopathie hervorrufen könnte, durch eingehende Untersuchungen nicht bestätigt worden ist. Diese Erkenntnisse haben auch über eine Verweisung durch die AHP 2008 auf die Arbeitsergebnisse der Ständigen Impfkommission (STIKO) als Darstellung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft Berücksichtigung gefunden. Dort wird im Zusammenhang mit der Pertussis-Schutzimpfung unter anderem ausgeführt, einzelne veröffentlichte Kasuistiken (Enzephalopathie) über einen ursächlichen Zusammenhang seien fraglich (Epidemiologisches Bulletin vom 22.06.2007, Nr. 25, S. 212; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2009 - L 11 VJ 36/08; LSG für das Saarland, Urteil vom 27.05.2008 - L 5 VJ 10/04).
Unter Zugrundelegung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse ist mithin nach Überzeugung des Senats ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen der am 21.07.1964 durch Dr. K. erfolgten Dreifachimpfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis und dem Leiden des Klägers nicht hinreichend wahrscheinlich. Es spricht nicht mehr dafür als dagegen, dass die Entwicklungsstörung des Klägers mit geistiger Behinderung ursächlich auf die letzte Dreifachimpfung zurückzuführen ist.
Ferner weist der Senat auf die überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. L. hin, wonach es sich bei der nach Angaben der Eltern des Klägers nach der letzten Dreifachimpfung aufgetretenen Reaktion mit Fieber, Schreien und Genickstarre lediglich um eine sich ohne bleibende Schäden zurückbildende Impfnebenwirkung und nicht um eine akute Enzephalopathie mit bleibenden neurologischen Schäden gehandelt hat. In diesem Zusammenhang lässt es der Senat dahingestellt, ob es sich dabei um eine hypotone hyporesponsive Episode gehandelt hat oder nicht. Jedenfalls spricht gegen die Annahme eines impfbedingten Dauerschadens, dass es sich in Anbetracht des mit sieben Tagen relativ kurzen Krankenhausaufenthalts nach der letzten Dreifachimpfung offensichtlich nicht um eine Meningitis oder sonstige schwere Erkrankung wie beispielsweise eine Enzephalopathie gehandelt hat und sich in den Akten keine Hinweise für nach dieser akuten Erkrankung persistierende oder eindeutig von da an sich entwickelnde neurologische oder psychische Auffälligkeiten finden. Prof. Dr. L. hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass als Ursache der frühkindlichen Entwicklungsstörung mit geistiger Behinderung am ehesten - auch wenn eine Asphyxie nicht regelmäßig zu einer perinatalen Hirnschädigung führt und der Kläger nicht an für eine perinatale Hirnschädigung typischen spastischen Bewegungsstörungen leidet - die von der Mutter des Klägers angegebene perinatale Asphyxie in Frage kommt. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn den Eltern des Klägers erst nach der letzten Dreifachimpfung eine Entwicklungsstörung aufgefallen sein sollte, hieraus nicht zwingend der Schluss gezogen werden kann, die letzte Dreifachimpfung sei hierfür ursächlich. Auch insoweit folgt der Senat Prof. Dr. L., der nachvollziehbar dargelegt hat, dass weniger stark ausgeprägte Entwicklungsstörungen und geistige Behinderungen während der Säuglingsperiode schwierig zu erfassen sind und sich teilweise erst im Kleinkindalter so manifestieren, dass sie als Entwicklungsstörung bemerkt werden.
Dem gegenüber hat sich der Senat von der von Dr. H. in seinem Gutachten vom 29.03.2009 vertretenen Ansicht nicht zu überzeugen vermocht. Prof. Dr. L. hat in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 21.12.2009 überzeugend dargelegt, dass die von Dr. H. aufgeführten Daten und Argumente einer evidenzbasierten, wissenschaftlichen Argumentation nicht entsprechen. Insoweit weist der Senat auf die Ausführungen von Weisser/Bauer/Volkers/Keller-Stanislawski, Paul-Ehrlich-Institut, in "Thiomersal und Impfungen" im Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2004, Heft 47, S. 1165 bis 1174 hin, wonach derzeit verfügbare, hoch aussagekräftige, epidemiologischen Untersuchungen aus den USA, dem Vereinigten Königreich und Dänemark entstammende Daten die Hypothese eines potenziellen Zusammenhanges zwischen neurodegenerativen Entwicklungsstörungen und thiomersalhaltigen Impfstoffen nicht belegen, die neuesten epidemiologischen Studien also nicht für einen Zusammenhang zwischen thiomersalhaltigen Impfstoffen und neurodegenerativen Erkrankungen sprechen.
Auch die Voraussetzungen für eine Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG liegen nicht vor, weil über die Ursache der beim Kläger vorliegenden Erkrankung nicht generell in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Das Problem des Falls liegt vielmehr - wie umfassend dargelegt - darin, dass mangels ausreichender medizinischer Unterlagen in zeitlicher Nähe zum Auftreten der Erkrankung beim Kläger im konkreten Fall die Ursache hierfür nicht mehr aufklärbar ist.
Nach alledem hat sich der Bescheid vom 28.04.2003 auch unter Berücksichtigung der inzwischen für den Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen und eingeholten Gutachten als rechtmäßig erwiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides, Feststellung einer postvakzinalen Enzephalopathie als Folge eines Impfschadens und auch nicht auf Gewährung von Grundrente.
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag des Klägers war nicht stattzugeben. Sein Antragsrecht nach § 109 SGG ist nach Einholung des Gutachtens von Dr. H. vom 29.03.2009 verbraucht. Außerdem ist der Antrag verspätet, da der Senat der Prozessbevollmächtigten des Klägers schon mit Schreiben vom 11.01.2010 mitgeteilt hat, dass der Rechtsstreit für entscheidungsreif erachtet werde. Mit Schreiben vom 24.01.2010 hat der Kläger, da nicht auf § 109 SGG Bezug genommen wurde, lediglich beantragt, von Amts wegen eine weitere Stellungnahme von Dr. H. einzuholen. Diesen Antrag hat er in der mündlichen Verhandlung nicht aufrecht erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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