L 6 U 4658/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 471/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4658/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 07.04.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1939 geborene Kläger begehrt die Feststellung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung von Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (v. H.).

Der Kläger war von Februar 1964 bis Juni 1965 als Bauhelfer und Betonbauer, von Juni 1965 bis September 1966 als Schlosser, von Januar 1967 bis Juli 1967 als Bauhelfer und Betonbauer, von November 1967 bis März 1968 als Fließbandarbeiter und von Juni 1968 bis Dezember 1998 als Lüftungsmonteur beschäftigt.

Mit Schreiben vom 15.11.1999 machte er geltend, seine Bandscheibenbeschwerden seien durch seine beruflichen Tätigkeiten verursacht. Daraufhin zog die Beklagte über den Facharzt für Orthopädie Dr. R., die Radiologin Dr. B.-E., den Facharzt für Orthopädie Dr. B. sowie die Ärztinnen für Allgemeinmedizin Dr. V. und L.-Sch., ärztliche Unterlagen und Röntgenbilder über den Kläger bei. Ferner teilte die Innungskrankenkasse B.-W. die Vorerkrankungen des Klägers mit. In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 26.07.2000 führte der Arzt für Arbeits- und Sozialmedizin Dr. F. aus, es lasse sich bei einem sekundär entstandenen Bandscheibenschaden in Höhe L5/S1 und einem weiteren sicher nicht durch Arbeit entstandenen degenerativen Schaden der Halswirbelsäule in Höhe von HWK 6/7 eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine Wirbelsäulen-Berufskrankheit nicht begründen. Der Staatliche Gewerbearzt Prof. Th. schlug in seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 29.08.2000 eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht zur Anerkennung vor. Mit Bescheid vom 14.11.2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2001 zurück. Ein primär beruflich bedingter Bandscheibenschaden der Lendenwirbelsäule liege beim Kläger nicht vor. Das Schadensverteilungsmuster spreche eindeutig für ein schicksalhaft entstandenes Leiden, auf dessen Entstehung die berufliche Tätigkeit keinen Einfluss gehabt habe.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.02.2001 Klage zum Sozialgericht Mannheim.

Das Sozialgericht hörte zunächst Dr. B. unter dem 12.06.2001 und die Ärztinnen für Allgemeinmedizin Dr. V. und L.-Sch. unter dem 20.06.2001 schriftlich als sachverständige Zeugen.

Dipl.-Ing. St. vom Technischen Aufsichtsdient der Beklagten beschrieb in seiner Stellungnahme vom 26.10.2001 die vom Kläger verrichteten beruflichen Tätigkeiten und führte in seiner Stellungnahme vom 19.01.2002 aus, der untere Grenzwert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) sei weit unterschritten, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

Sodann holte das Sozialgericht auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Dr. S., Institut für Arbeitsmedizin des Klinikums der J.-W.-G.-Universität in F., vom 18.11.2002 ein. Dieser führte aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen des Berufskrankheiten-Tatbestandes seien erfüllt. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei mit Wahrscheinlichkeit auf die berufsbedingten Wirbelsäulenbelastungen zurückzuführen. Für die bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule erscheine ein Zusammenhang mit der beruflichen Belastung zwar möglich. Dieser Zusammenhang erreiche jedoch nicht den berufskrankheitenrechtlich erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad. Seit November 1998 bestehe unverändert eine MdE um 20 v. H. Hierzu führte Dr. F. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 08.12.2002 aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen als Lüftungsbauer seien nicht erfüllt. Ferner weise der Kläger sekundäre Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule bei schwerer Arteriosklerose mit Makro- und Mikroangiopathie auf. Ein neurologisches Krankheitsbild im Sinne eines Bandscheibenschadens finde sich gerade nicht. Ein belastungskonformes Schadensbild liege ebenfalls nicht vor. Dem entgegnete Dr. S. in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 19.05.2003, in dem er darauf hinwies, die Gefäßschäden des Klägers kämen für die Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule keine wissenschaftlich begründbare Bedeutung zu. Dr. F. blieb in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom Juni 2003 bei seiner gegenteiligen Einschätzung.

Mit Urteil vom 07.04.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers als Schlosser, Hilfsarbeiter und Lüftungsmonteur und den im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehenden krankhaften Veränderungen sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gegeben. Denn ausreichende berufliche Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten, die geeignet gewesen seien, bandscheibenbedingte Erkrankungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ursächlich herbeizuführen, hätten nicht vorgelegen. Auf Grund der Berechnung der Beklagten unter Anwendung des MDD sei nachgewiesen, dass eine schädigende Einwirkung im Sinne der Nr. 2108 der Anlage zur BKV, die eine bandscheibenbedingte Erkrankung verursachen könne, nicht bestanden habe. Die Diskussion um die haftungsausfüllende Kausalität trotz monosegmentalen Befalls der Lendenwirbelsäule und die Frage, ob sich ein belastungskonformes Schadensbild feststellen lasse, könne dahingestellt bleiben.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 08.09.2005 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 04.10.2005 Berufung eingelegt. Dr. S. habe auf der Grundlage des modifizierten MDD die arbeitstechnischen Voraussetzungen bejaht. Das MDD sei nicht der allein gangbare zulässige Weg zur Beurteilung des Kausalzusammenhangs im Rahmen der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Andere Berechnungen und Überlegungen, wie die des Dr. S., seien gerade nicht ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 07.04.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2000 in Gestalt deren Widerspruchsbescheides vom 12.02.2001 aufzuheben, seine Wirbelsäulenbeschwerden als Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG die ergänzende gutachtliche Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006 eingeholt. Hierzu hat sich Dipl.-Ing. St. in seiner Stellungnahme vom 25.01.2007 geäußert.

Nachdem das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 30.10.2007 in Bezug auf das MDD ausgeführt hatte, dessen Schwellenwerte seien abzusenken, auf die Mindesttagesdosis sei zu verzichten und die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis seien zu halbieren, führte Dipl.-Ing. St. in seiner Stellungnahme vom 26.05.2008 aus, unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ergebe sich jetzt eine Lebensarbeitszeitdosis von 20 MNh.

Sodann hat der Senat von Amts wegen das Gutachten des Prof. Dr. Dr. H., Chefarzt der Orthopädischen Abteilung der Fachkliniken H., vom 03.11.2008 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, eine haftungsausfüllende Kausalität bezüglich einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der Nr. 2108 der Anlage zur BKV sei nicht gegeben. Beim Kläger lägen im Bereich der Lendenwirbelsäule keine schwerwiegenden Bandscheibenschäden vor. Von einer Altersübersteigung sei nicht auszugehen. Auf Grund der aktuellen funktionellen Einschränkung der Rumpfwirbelsäule wäre allenfalls eine MdE um 10 v. H. zu diskutieren. Das Gutachten des Dr. S. sei völlig wertlos. Allein auf Grund des nachgewiesenen monosegmentalen Bandscheibenschadens L5/S1 auf eine berufsbedingte Erkrankung zu schließen, sei schlichtweg absurd. Dr. S. gewichte die tatsächlich fassbaren Veränderungen nicht im Hinblick auf das Alter des Klägers. Als berufsbedingt anerkannt werden könnten lediglich altersübersteigende Veränderungen. Derartige Veränderungen lägen beim Kläger aber nicht vor.

Sodann hat der Senat auf Vorschlag des Dr. S. und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das radiologische Gutachten des Facharztes für Diagnostische Radiologie Dr. Sch. vom 04.08.2009 sowie die weitere ergänzende gutachtliche Stellungnahme des Dr. S. vom 29.10.2009 eingeholt. Dr. Sch. hat unter anderem ausgeführt, insgesamt lägen unter Berücksichtigung des Alters des Klägers keine akzelerierten degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule vor. Insgesamt sei von einer monosegmentalen, mäßig ausgeprägten Bandscheibendegeneration mit begleitender Bandscheibenprotrusion im Segment L5/S1 auszugehen. Dr. S. hat ausgeführt, im Sinne der Konsensusempfehlungen zur Zusammenhangsbeurteilung sei das Schadensbild des Klägers der Konstellation B5 zuzuordnen. Beim Kläger liege eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren Lendenwirbelsäule vor. Es finde sich ein mäßiggradiger monosegmentaler Bandscheibenschaden im Segment L5/S1. Der Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule sei im Vergleich der konventionellen Röntgenbilder etwas stärker ausgeprägt als der Bandscheibenschaden an der Lendenwirbelsäule und gehe mit einem zervikalen Lokalsyndrom einher. Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren seien nicht erkennbar. Eine Begleitspondylose sei nicht gesichert. Im Sinne der Konsensusempfehlungen sei ein Zusammenhang bei Vorliegen der Konstellation B5 nicht als wahrscheinlich anzusehen. In der Gesamtbetrachtung liege beim Kläger daher auf der Grundlage der Konsenskritieren keine Berufskrankheit im Sinne der Nr. 2108 der Anlage zur BKV vor. Seine in seinem Gutachten vom 18.11.2002 vertretene Auffassung lasse sich derzeit nicht als herrschende medizinische Meinung verstehen. Es lägen seither keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die eine von den Konsensempfehlungen abweichende Bewertung eines monosegmentalen Bandscheibenschadens begründen würden. Ferner ergebe das radiologische Gutachten des Dr. Sch. eine lediglich mäßiggradig ausgeprägte Bandscheibenschädigung im Segment L5/S1.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist, soweit der Kläger die Feststellung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV begehrt, unbegründet. Der Kläger hat hierauf keinen Anspruch.

Rechtsgrundlage sind die §§ 7 und 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).

Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Unfallversicherungsträger haben darüber hinaus eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VII).

Aus diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Rechtsprechung (zuletzt in BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R) die folgenden Grundsätze entwickelt:

Für die Feststellung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist erforderlich, dass die Verrichtungen des Versicherten einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind (innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtungen zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und dass diese Einwirkungen eine Krankheit des Versicherten verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

Die versicherte Tätigkeit, die Verrichtungen, die Einwirkungen und die Krankheit müssen als rechtserhebliche Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Für die haftungsbegründende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen die berufliche Verursachung spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Bei der Anwendung dieser Beweismaßstäbe ist zu beachten, dass für die tatsächlichen Grundlagen der Wertentscheidung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung, soweit es sich nicht um den Kausalverlauf als solchen handelt, also insbesondere für Art und Ausmaß der schädigungsgeeigneten Einwirkung als wichtiges Kriterium für die Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität, der volle Nachweis zu erbringen ist. Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein relevant, ob die Einwirkungen wesentlich waren. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere/n Ursache/n keine überragende Bedeutung hat/haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur diese Ursache/n "wesentlich" und damit Ursache/n im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jede/s andere alltäglich vorkommende Ereignis oder Einwirkung zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, Urteil vom 09.05.2005 - B 2 U 1/05 R; BSG, Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind vorliegend die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht gegeben.

Als Berufskrankheit sind bezeichnet in Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können.

Vorliegend sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht gegeben. Das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ist nicht nachgewiesen. Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. H ...

Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zu verstehen sein soll, hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur Zweiten Änderungsverordnung, durch welche die Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Drucksache 773/92 S. 8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall (Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist ein Krankheitsbild, das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vergleiche das aktuelle Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV, BArbBl. 10-2006, S. 30 ff. sowie die Konsensempfehlungen Nr. 1.3).

Der Senat stützt sich im Rahmen seiner Beurteilung auf die "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, S. 211 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind in den Konsensempfehlungen niedergelegt. Diese stellen nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen dar (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.11.2009 - L 2 U 154/06; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 19.03.2009 - L 31 U 489/08 und L 31 U 454/08; vergleiche auch BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R). Zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des SGB VII begegnet daher deren Anwendung keinen Bedenken.

Nach den Konsensempfehlungen Nr. 1.4 ist Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, wobei der bildgebende darstellbare Bandscheibenschaden seiner Ausprägung nach altersuntypisch sein muss. Eine solche altersuntypische Erkrankung ist vorliegend gerade nicht gegeben. So hat Prof. Dr. Dr. H. überzeugend dargelegt, dass beim Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule keine schwerwiegenden Bandscheibenschäden vorliegen und von einer Altersübersteigung nicht auszugehen ist. Im Übrigen ist auch ein Kausalzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu verneinen, weil nach den Konsensempfehlungen Nr. 1.4 in der dann für den Kläger zutreffenden Konstellation B5 (keine Begleitspondylose; Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden Segmenten; mit Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule, der stärker ausgeprägt ist, als an der Lendenwirbelsäule) ein Ursachenzusammenhang verneint wird.

Nach alledem liegen zur Überzeugung des Senats die medizinischen Voraussetzungen der Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht vor. Die auf die Feststellung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV gerichtete Berufung des Klägers ist daher unbegründet.

Die auf die Gewährung von Rente nach einer MdE um 20 v. H. gerichtete Berufung des Klägers ist unzulässig, da hierüber von der Beklagten keine Verwaltungsentscheidung getroffen worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Rechtskraft
Aus
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