Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AY 41/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 10/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 AY 1/10 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei rückwirkender Gewährung von Analogleistungen gem. § 2 AsylbLG im Anschluss an eine Überprüfung i.S.v. § 44 SGB X ist der volle Differenzbetrag zwischen den bereits erbrachten Leistungen und den nach § 2 AsylbLG zustehenden Leistungen auszuzahlen. Abzüge unter dem Gesichtspunkt des Aktualitäts- oder Gegenwärtigkeitsprinzips sind nicht vorzunehmen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.01.2010 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, in welcher Höhe im Anschluss an die Erbringung von Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Folge eines Antrags auf Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (sog. Analogleistungen) nachzugewähren sind.
Der am 00.00.1992 geborene Kläger ist Roma aus dem Kosovo. Er reiste am 00.02.2004 nach Deutschland ein und bezog seither bis heute ununterbrochen Leistungen nach § 3 AsylbLG. So bezog er etwa in den Monaten März bis Juni 2007 (als dem nach einem im Berufungsverfahren geschlossenen Teilvergleich noch streitigen Zeitraum) Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG i.H.v. monatlich 199,40 EUR (entsprechend 390,00 DM = 310,00 DM gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr 3 AsylbLG zzgl. 40,00 DM gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AsylbLG). Daneben wurden für die Zeit seit dem 17.02.2007 Einzelbeihilfen i.H.v. 100,09 EUR (für Matratze März 2009 = 39,21 EUR, Kleiderschrank März 2009 = 39,38 EUR, Kopfkissen April 2009 = 6,62 EUR und Steppdecke April 2009 = 14,88 EUR) gewährt.
Mit Schreiben vom 04.02.2009 beantragte der Kläger, ihm unter Zurücknahme entsprechender Bewilligungsbescheide nach § 44 SGB X rückwirkend ab dem 01.01.2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Er verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 R; eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland liege nicht vor.
Mit Bescheid vom 31.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Nachzahlung für die Zeit vom 17.02.2007 bis zum 31.08.2009 i.H.v. 748,45 EUR. Nach § 2 AsylbLG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung bedürfe es einer Vorbezugszeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG von 36 Monaten, um Leistungen entsprechend dem SGB XII zu erhalten. Eine diesen höheren Anspruch ausschließende rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Dauer des Aufenthalts in Deutschland könne dem Kläger nicht entgegen gehalten werden. Ein 36-monatiger Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG sei nach Einreise in die Bundesrepublik am 17.02.2004 jedoch erst ab dem 17.02.2007 erfüllt, so dass für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 16.02.2007 Analogleistungen nicht zu gewähren seien. Das BSG sehe, abweichend von früherer Rechtsprechung, § 44 SGB X im Bereich des AsylbLG als anwendbar an. Allerdings habe das Gericht auch festgestellt, dass der Wert bereits erbrachter Leistungen nach § 3 AsylbLG bei den Analogleistungen in Abzug zu bringen sei. Zudem sei der Aktualitätsgrundsatz zu beachten; nicht mehr bestehende Bedarfe seien nicht mehr zu decken. Da die Analogleistungen als Pauschalen gewährt würden, die neben dem aktuellen Bedarf zugleich auch vergangenheits- und zukunftsbezogene Komponenten enthielten, sei bei jedem im Regelsatz nach dem SGB XII berücksichtigten Bedarfsanteil zu prüfen, ob er auf einen aktuellen Bedarf entfalle oder ob er für Ansparungen oder einmalige Bedarfe vorgesehen sei. Die Nachzahlung werde deshalb auf die nicht gedeckten Bedarfe beschränkt. Das BSG sehe auch nicht etwa - wie der Kläger in seinem Widerspruch - den Unterschied in den Leistungen nach § 2 und § 3 AsylbLG ausschließlich in einem Bedarf für Integration. Bezogen auf einen Haushaltsvorstand ergäben sich für die einzelnen Abteilungen 01 bis 12 innerhalb des Regelsatzes nach dem SGB XII für den Stand 01.07.2008 folgende Nachholbedarfe:
Bestandteil: Abt. 1 und 2 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 130,70 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf gedeckt
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 3 (Bekleidung, Schuhe)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 34,98 EUR
Leistung nach AsylbLG: 20,45 EUR
Nachholbedarf: 14,53 EUR
Bestandteil: Abt. 4 (Strom, Reparatur und Instandhaltung)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 25,03 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf im Rahmen des AsylbLG gedeckt
Nachholbedarf: 2,79 EUR (Restbetrag bei Unterbringung in Privatwohnung)
Bestandteil: Abt. 5 (Möbel, andere Einrichtungsgegenstände, Haushaltsgeräte, Instandhaltungskosten)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 25, 20 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf im Rahmen des AsylbLG gedeckt
Nachholbedarf: 6,94 EUR
Bestandteil: Abt. 6 (Medikamente, Gesundheitspflege)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 12,88 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf gedeckt
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 7 (Verkehr)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 16,05 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf im Rahmen des AsylbLG gedeckt
Nachholbedarf: 1,71 EUR (Bedarfsanteil Kauf und Reparatur von Fahrrädern)
Bestandteil: Abt. 8 (Nachrichtenübermittlung)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 30,99 EUR
Leistung nach AsylbLG: (Anteil 29,95 EUR für Kommunikationsdienstleistungen nicht nachholbar)
Nachholbedarf: 0,88 EUR (Bedarfsanteil für Kauf von Telefonen und Mobilfunkgeräten)
Bestandteil: Abt. 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 40,00 EUR
Leistung nach AsylbLG: (Bedarf für Ausleihgebühren, Zeitschriften und Veranstaltungsbesuche nicht nachholbar)
Nachholbedarf: 8,13 EUR (Bedarfsanteil für Rundfunkempfänger 0,75 EUR, Fernseh- und Videogeräte 2,44 EUR, EDV-Geräte und Software 2,61 EUR, Sportartikel 1,02 EUR, Spielwaren und Hobby 1,29 EUR)
Bestandteil: Abt. 10 nicht vorhanden
Im Regelsatz SGB XII enthalten: -
Leistung nach AsylbLG: -
Nachholbedarf: -
Bestandteil: Abt. 11 (Beherbergungs- und Gaststättenleistungen)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 8,42 EUR
Leistung nach AsylbLG: (nicht nachholbar, zumal aus Taschengeld des § 3 AsylbLG befriedigt)
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 12 (andere Waren und Diensleistungen)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 27,37 EUR
Leistung nach AsylbLG: (nicht nachholbar, etwa Friseur und Körperpflege, zumal in Leistungen nach AsylbLG hierfür 5,11 EUR)
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Summe Haushaltsvorstand 351,00 EUR
Nachholbedarf: 34,98 EUR
Für einen Haushaltsangehörigen ab 14 Jahren sei ein Regelsatz von 80 % eines Haushaltsvorstandes anzusetzen. Es errechneten sich (je nach dem für den betroffenen Leistungszeitraum anzusetzenden Regelsatz eines Haushaltsvorstandes) folgende Nachzahlungsbeträge:
Regelsatz 100% = 345 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 34,50 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 27,60 EUR
Regelsatz 100% = 347 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 34,70 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 27,76 EUR
Regelsatz 100% = 351 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 34,98 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 27,98 EUR
Regelsatz 100% = 359 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 35,90 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 28,72 EUR
Für den Kläger errechne sich die Nachzahlung von 748,45 EUR. Ab dem 01.09.2009 erhalte er Leistungen analog den Regelsätzen nach dem SGB XII; hierüber werde ein gesonderter Bescheid erteilt. Dementsprechend steht der Kläger seither und nach wie vor im Bezug von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG.
Der Kläger hat am 26.10.2009 (Montag) Klage erhoben. Er hat vorgetragen, das BSG habe im Urteil vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R eine aus dem Aktualitätsgrundsatz fließende Besonderheit bei der Anwendung des § 44 SGB X im Sozialhilferecht dahingehend beschrieben, dass zusätzlich darauf abzustellen sei, ob die aus der früheren Leistungsablehnung resultierende Rechtswidrigkeit ggf. wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls entfallen sei. Einen solchen Wegfall habe das Gericht allerdings für die Gewährung pauschaler Regelsätze im Sozialhilferecht generell verneint mit der Begründung, diese Leistungen dienten nicht ausschließlich der Deckung aktueller, sondern auch vergangenheitsbezogener und zukunftsorientierter Bedarfe. Der Hilfeempfänger sei insofern zu einem zeitübergreifenden Haushalten gezwungen, so dass sich das Problem eines Bedarfswegfalls wohl generell nicht stelle. Anders verhalte es sich allein bei Einmalbedarfen. Halte man sich vor Augen, dass der Aktualitätsgrundsatz bei Leistungen nach § 3 AsylbLG besonders ausgeprägt sei und der Grundleistungsempfänger regelmäßig keine pauschalierten Leistungen erhalte, so heiße dies gerade, dass der in Leistungen nach § 2 AsylbLG enthaltene Überschuss sich gerade nicht auf einen damals aktuellen und jetzt nicht mehr bestehenden Bedarf beziehe. Die nachzuzahlende Differenz sei vielmehr weder durch die bereits gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG noch durch einen nicht mehr vorhandenen Aktualitätsbezug der ausgebliebenen höheren Leistungen auch nur teilweise konsumiert. Dies ergebe sich zusätzlich aus der Überlegung, dass das Existenzminimum der Sozialhilfe bei den Grundleistungen nach dem AsylbLG durch den Wegfall des Integrationsbedarfs unterboten werde; es seien somit konzeptionell alle Bedarfe gedeckt bis auf den Integrationsanteil, der in sozialhilfegleichen Leistungen enthalten sei. Integrationsanteile seien im Übrigen auch in Abt. 1 der bei den Sozialhilferegelsätzen eingestellten Bedarfe vorhanden, nämlich in Form außerhäusiger Verpflegung, welche nicht primär der Ernährung, sondern der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben diene. Integration sei jedoch ein zeitübergreifender Prozess; die dafür in der Vergangenheit vorenthaltenen Mittel könnten auch aktuell noch eingesetzt werden, um Integration nachzuholen. Auch aus dem Urteil des BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R ergebe sich, dass pauschalierte Leistungen, die wie der Sozialhilferegelsatz von einer Bedarfsdeckung ausgingen, nicht an der von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen "Existenzschwäche" des Sozialhilfeanspruchs teilnähmen und bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen von § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen seien.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31.07.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 23.09.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die ihm bewilligte Nachzahlung entsprechend dem für ihn geltenden Regelsatzbetrag ungekürzt zu zahlen abzüglich der bereits erhaltenen Leistungen nach dem AsylbLG.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Der Kläger habe im Übrigen nicht konkret dargelegt, welcher Bedarf bei ihm nicht gedeckt worden sei. Eine Leistung nach dem AsylbLG setze jedoch einen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch vorhandenen Bedarf voraus.
Mit Urteil vom 18.01.2010 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Der Streit zwischen den Beteiligten beruhe auf missverständlichen Ausführungen des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz. Das Gericht habe mit Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 die Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Asylbewerberleistungsrecht angenommen und zugleich (Rn. 16) betont, dass ggf. Bedarfe, die nach dem SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten. In weiteren Entscheidungen vom gleichen Tage habe das Gericht ausgeführt, der Aktualitätsgrundsatz habe zur Folge, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken seien. Diese Ausführungen seien bisweilen dahingehend missverstanden worden, dass keine Nachzahlungen zu leisten seien, soweit ein Bedarf für bestimmte Regelsatzbestandteile durch Zeitablauf entfallen sei. Die Entscheidung vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 enthalte allerdings (Rn. 16) den - wenig erhellenden - Satz, es sei bei dem erforderlichen Vergleich ohne Bedeutung, ob den Klägern nach den §§ 3 ff. AsylbLG Einmalleistungen gewährt worden seien, die bei entsprechender Anwendung des SGB XII durch Pauschalleistungen abgegolten würden. Auch durch die weitere Entscheidung vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R sei noch nicht deutlich geworden, was das BSG hiermit habe sagen wollen, wenn dort ausgeführt sei, dass sich das Problem des Bedarfswegfalls im entschiedenen Fall wohl nicht stelle, weil die Gewährung von Pauschalen nicht zum aktuellen, sondern auch vergangenheitsbezogenen und zukunftsorientierten Haushalten zwinge. Mit Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R habe das Gericht dann jedoch (in Rn. 19 f.) unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass bei pauschalierten Leistungen wie dem Regelsatz grundsätzlich nicht von einer anderweitigen Bedarfsdeckung ausgegangen werden könne, es sei denn, dass der Antragsteller inzwischen Einkommen oder Vermögen erzielt habe. Nur, wenn die Bedürftigkeit bis zur letzten Tatsacheninstanz entfallen sei, weil der Antragsteller entsprechendes Einkommen oder Vermögen erlangt habe, sei eine Nachzahlung bei pauschalen Leistungen ausgeschlossen (Rn. 21). Diese Rechtsprechung berücksichtige das Wesen pauschaler Leistungen angemessen und stelle zudem eine erhebliche praktische Vereinfachung dar, und das Sozialgericht schließe sich ihr an. Da der Kläger weiterhin Analogleistungen beziehe, sei seine Bedürftigkeit auch weder durch Einkommenserzielung noch durch Vermögenserwerb entfallen. Ihm stehe deshalb die Nachzahlung in Höhe des für ihn geltenden Regelsatzes ungekürzt zu.
Gegen das am 28.01.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.02.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, wenn das Sozialgericht im Zusammenhang mit dem Urteil des BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R von missverständlichen früheren Ausführungen des BSG spreche und meine, nach diesem Urteil müsse in allen Fällen, in denen die Bedürftigkeit nicht durch Einkommen oder Vermögen entfallen sei, eine ungeminderte Differenznachzahlung erfolgen, so sei dies dem Urteil des BSG gerade nicht zu entnehmen. Das BSG führe vielmehr grundsätzlich und klar aus (Rn. 14), dass Leistungen für die Vergangenheit im Rahmen von § 44 SGB X nur erbracht werden dürften, wenn Bedarf und/oder Bedürftigkeit inzwischen nicht temporär oder auf Dauer entfallen seien. Die Notlage müsse im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch aktuell bestehen. Eine Ausnahme sei nur bei Selbsthilfe durch Dritte nach rechtswidriger Leistungsablehnung vorgesehen. In allen anderen Fällen müsse der Vorrang effektiven Rechtsschutzes gegenüber den im Rahmen des § 44 Abs. 4 SGB X aufgezeigten Besonderheiten des Sozialhilferechts regelmäßig zurücktreten. Das Gebot materieller Gerechtigkeit verlange nicht, einem vormals Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, derer er nicht mehr bedürfe; die nachträgliche Leistungsgewährung habe nicht den Charakter einer Entschädigung (Rn. 15). Die Beklagte halte daher auch im Anschluss an das Urteil des BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R an der "Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes bei der Berechnung der Nachzahlung der Leistungen nach § 2 AsylbLG fest." Zwar führe das BSG in diesem Urteil (Rn. 20) aus, dass pauschalierte Leistungen bei fortdauernder Bedürftigkeit nachzuzahlen seien. Daraus ergebe sich jedoch kein Anspruch auf eine volle Nachzahlung der Pauschalen. Denn der Regelsatz enthalte nicht nur Anteile für vergangenen und zukünftigen Bedarf, sondern gerade auch Anteile für aktuelle Bedarfe (z.B. Ernährung, Hygiene), die naturgemäß später entfallen seien und nachträglich nicht mehr gedeckt werden könnten. Die Zusammensetzung des Regelsatzes könne anhand der Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII und der vom Statistischen Bundesamt gefertigten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nachvollzogen werden. In anderen Verfahren (etwa betreffend den Warmwasserkostenanteil beim Energieverbrauch) habe das BSG selbst einzelne Bestandteile des Regelsatzes gesondert betrachtet. Die Anerkennung des Aktualitätsgrundsatzes würde ad absurdum geführt, wenn die - fast ausschließlich betroffenen - Regelsatzleistungen voll nachzuzahlen seien. Nur so erklärten sich die seitenlangen Ausführungen des BSG zum Aktualitätsgrundsatz und der Hinweis zu Beginn der Urteilsgründe, dass im Rahmen des § 44 SGB X immer auf das jeweils anzuwendende Gesetz abgestellt werden müsse. Hilfeempfänger, die rechtzeitig einen Rechtsbehelf einlegten, würden sonst auch denjenigen gleichgestellt, die erst nach Jahren einen Antrag nach § 44 SGB X stellten, obwohl das BSG diese Gruppen ausdrücklich (Rn. 14) unterscheide mit dem Hinweis, dass die Einklagbarkeit abgelehnter Sozialhilfe ineffektiv wäre, würde in Fällen mit rechtzeitigem Rechtsbehelf der Aktualitätsgrundsatz angewandt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Beklagte verkenne den Charakter pauschalierter Regelsätze und die Freiheiten, welche diese dem Hilfeempfänger im Umgang mit der Hilfeleistung eröffnen sollten. Das BSG habe jedoch erkannt, dass sich das Problem eines Bedarfswegfalls bei pauschalierten Leistungen nicht stelle; Regelsätze seien deshalb in voller Höhe nachzuzahlen. Die Beklagte behaupte, durch eine Aufspaltung der Regelsätze Aussagen über das dem Empfänger von Leistungen nach dem AsylbLG in der Vergangenheit Vorenthaltene treffen zu können, für das dann jeweils ein Bedarf noch oder nicht mehr bestehe. Das gehe jedoch nur dann, wenn die Zusammensetzung der erhaltenen Grundleistungen ebenfalls aufgespalten und nachgewiesen würde. Dann jedoch würde man feststellen, dass der im Vergleich zwischen Analogleistungen und Grundleistungen enthaltene Überschuss nicht verzehrt wäre. Eine solche wenigstens schlüssige Analyse lasse die Beklagte vermissen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den folgenden Teilvergleich geschlossen:
"1. Die Beteiligten beschränken den im vorliegenden Verfahren streitigen Zeitraum von Februar 2007 bis August 2009 übereinstimmend auf die Monate März bis Juni 2007.
2. Für die Zeit von September 2007 bis August 2008 bezieht der Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG.
3. Für die Monate Februar, Juli und August 2007 sowie September 2008 bis August 2009 erbringt die Beklagte dem Kläger eine Nachzahlung, soweit der Kläger im vorliegenden Verfahren rechtskräftig obsiegen sollte. Dabei werden ggf. neben den bereits aufgrund der Nachbewilligung im angefochtenen Bescheid vom 24.07.2009 erbrachten Nachzahlungen (auch für September 2007 bis August 2008) die im März und April 2009 erbrachten Beihilfen für einmalige Bedarfe in einer Gesamthöhe von 100,09 EUR in Abzug gebracht."
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
I. Richtige Beklagte ist die Stadt H. Im SGG gilt das Rechtsträgerprinzip (vgl. Urteil des Senats vom 25.02.2008 - L 20 SO 31/07). Soweit das Bundessozialgericht (BSG) demgegenüber die Behörde (im Falle der Stadt H: deren Oberbürgermeister) als richtigen Klagegegner ansieht (vgl. etwa BSG, Urteil v. 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R) folgt der Senat dieser Rechtsprechung (weiterhin) nicht.
Der Senat sieht sich in seiner Auffassung dadurch bestätigt, dass die vom BSG zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Vorschrift des § 3 Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Sozialgerichtsgesetz (AG-SGG NRW) mit Ablauf des Jahres 2010 ersatzlos entfällt (vgl. Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen [Justizgesetz Nordrhein-Westfalen (JustG NRW)], Landtagsdrucksache 14/9736, in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, Landtagsdrucksache 14/10533). In den Gesetzentwurf war zunächst eine Nachfolgevorschrift für § 3 AG-SGG NRW aufgenommen worden (§ 115 des Entwurfs zum JustG NRW). Im Rahmen der Beratungen war diese Nachfolgevorschrift jedoch für entbehrlich erkannt worden. Hierzu ist in den Gesetzesmaterialien (Landtagsdrucksache 14/10533, S. 86) ausgeführt, für die zunächst im Gesetzentwurf enhaltenen Regelungen der §§ 110, 115 JustG NRW (Entwurf), die aus dem Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung NRW (AG-VwGO NRW) und dem AG-SGG NRW übernommen worden seien mit dem Inhalt, "dass Behörden fähig sind, am Verfahren vor den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt zu sein", gebe es "kein praktisches Bedürfnis. Der Gesetzentwurf sieht nicht mehr vor, dass es Ausnahmen von dem im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Rechtsträgerprinzip gibt. Danach ist Beteiligter im Prozess die juristische Person, deren Behörde zuständig ist. Deshalb sieht der Gesetzentwurf nicht mehr vor, dass Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, über die die allgemeinen Verwaltungsgerichte entscheiden, gegen die Behörde zu richten sind. Es fehlt daher auch die rechtslogische Notwendigkeit, Behörden für beteiligungsfähig zu erklären."
Soweit der Landesgesetzgeber in diesem Zusammenhang ersichtlich auf § 5 Abs. 2 AG-VwGO NRW abstellt, wird deutlich, dass das (seit jeher zu konstatierende) Fehlen einer dieser Norm entsprechenden Vorschrift im AG-SGG NRW auch aktuell nicht durch (extensive) Auslegung des § 3 AG-SGG NRW zu kompensieren ist (vgl. auch Urteil des Senats vom 22.02.2010 - L 20 SO 75/07).
II. Die (schon angesichts eines ursprünglich streitigen Zeitraums von mehr als einem Jahr) zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der vom Kläger angefochtene Bescheid vom 31.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2009 den Kläger i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten verletzt.
1. Nach Teilvergleich der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beschränkt sich der Streit nur mehr auf eine Nachzahlung von Leistungen für die Monate März bis Juni 2007. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Kläger, der seit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bis heute ununterbrochen der Leistungen nach dem AsylbLG bedarf, monatlich ein um 49,00 EUR zu geringer Nachzahlungsbetrag bewilligt, den die Beklagte unter entsprechender Änderung des Bescheides dem Kläger zusätzlich zu gewähren hat.
Denn in dem genannten, noch streitigen Zeitraum hat der Kläger als Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AsylbLG monatlich jeweils 199,40 EUR von der Beklagten gezahlt erhalten. Der Kläger erfüllte jedoch in diesem Zeitraum (was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist und wogegen auch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind) im Anschluss an einen 36-monatigen Vorbezug von Leistungen und mangels rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland sämtliche Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis zum 27.08.2007 geltenden Fassung (36-monatiger Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbL) für den Bezug der höheren Analogleistungen entsprechend den Regelungen des SGB XII. Damit standen ihm monatlich Leistungen entsprechend dem für ihn maßgebenden sozialhilferechtlichen Regelsatz nach dem SGB XII zu.
Der sozialhilferechtliche Regelsatz hätte für den Kläger als seinerzeit 15-Jährigem bei monatlich 276,00 EUR gelegen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 40 SGB XII i.V.m. der Regelsatzverordnung), so dass er von der Beklagten noch eine monatliche Nachzahlung der Leistungsdifferenz zwischen Regelsatz und tatsächlich erbrachten Leistungen von (276,00./. 199,40 =) 76,60 EUR unter Anrechnung des bereits aufgrund des angefochtenen Bescheides monatlich nachgezahlten Betrages von 27,60 EUR begehrt. Die sich ergebende streitige Leistungsbetrag beläuft sich daher auf monatlich (76,60./. 27,60 =) 49,00 EUR.
2. Dass die Beklagte überhaupt in Folge einer Überprüfung i.S.v. § 44 SGB X dem Kläger, der nach wie vor im Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG steht, auch nachträglich Leistungen gewähren muss, entspricht der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 R, Rn. 12 ff.), das die Regelung des § 44 SGB X zur rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger, rechtswidriger Leistungsablehnungen im Asylbewerberleistungsrecht ausdrücklich für anwendbar erkannt hat. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
3. Ist - gleichsam als ein erster Schritt - die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, so gehen ihre Rechtsauffassungen - in einem zweiten Schritt - allein zum Umfang der nachträglich zu bewilligenden Leistungen auseinander:
a) Anlass hierfür geben die Ausführungen des BSG, es sei zu beachten, dass ggf. Bedarfe, die durch das SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten (a.a.O., Rn. 16), und nicht mehr bestehende Bedarfe seien wegen dieses sog. "Aktualitätsgrundsatzes" nicht mehr zu decken (etwa Urteil vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 49). Diese Ausführungen führten bei den Leistungsträgern zu Unsicherheiten hinsichtlich des Umfangs der ggf. nach § 44 SGB X nachzuerbringenden Analogleistungen (beispielsweise erfolgen bei der Beklagten in der im Tatbestand aufgeführten Weise Herausrechnungen aus dem Regelsatz wegen nicht mehr "nachholbarer" Bedarfsdeckungen für einzelne Regelsatzanteile. Die Stadt Dorsten verlangt von Leistungsempfängern eine detaillierte Darlegung, welche Defizite in der Vergangenheit aufgelaufen seien. Die Stadt Herne versagt eine Nachholung von Leistungen gänzlich, weil bei Sozialhilfeleistungen grundsätzlich davon auszugehen sei, dass eine individuelle Bedarfsdeckung lediglich im aktuellen Bedarfszeitraum erfolgen könne. Die Stadt Oberhausen sieht Leistungen für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 34 SGB XII - Schuldenübernahme - als möglich an. Sämtliche Kommunen beziehen sich dabei auf die Rechtsprechung des BSG zum Aktualitätsgrundsatz [vgl. hierzu Wahrendorf, Gutachten zur Frage der Leistung von Analogleistungen gemäß §§ 44 SGB X, 2 AsylbLG]. Die Stadt Essen wiederum gewährt als Nachzahlung die volle Differenz zwischen Regelleistungen und bereits erbrachten Leistungen). Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte kommt noch in jüngster Zeit insoweit zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. etwa einerseits die vorliegend von der Beklagten angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Gelsenkirchen, andererseits das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 12.04.2010 - S 12 AY 89/09, das einen Nachzahlungsbetrag auf maximal 750,00 EUR beschränkt).
b) Der Beklagten ist zuzugeben, dass die Rechtsprechung des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz bzw. zum Gegenwärtigkeitsprinzip jedenfalls zu Missverständnissen Anlass geben kann:
So hat der 8. Senat des BSG im Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 für die Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ausdrücklich ausgeführt, der Beginn des Bewilligungszeitraums am Monatsersten und die regelmäßig zwölfmonatige Leistungsbewilligung (§ 44 Abs. 1 SGB XII) zeigten, dass Leistungen nach §§ 41 ff. SGB XII "abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip" (das in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge richts angewandt worden sei) nicht auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen beschränkt seien, sondern - wenn auch für einen bestimmten Zeitraum - abhängig von einem nur prognostischen Bedarf für einen längeren Zeitraum bewilligt und erbracht würden. Zum Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat das Gericht ausdrücklich ausgeführt, dem Gesetz sei mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, dass es entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "kein über § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) der Vorschrift des § 44 SGB X generell vorgehendes normatives Strukturprinzip ( keine Leistungen für die Vergangenheit ; Bedarfsdeckungsgrundsatz ; Aktualitätsprinzip )" anerkenne (Beschluss vom 07.05.2009 - B 14 AS 3/09 B). Handelt es sich bei den Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII um solche, welche nach § 2 Abs. 1 AsylbLG als Analogleistung zu gewähren sind, und unterscheiden sich diese Leistungen nicht wesentlich auch von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, so scheinen die genannten Entscheidungen darauf hinzuweisen, dass einem Aktualitäts- oder einem Gegenwärtigkeitsprinzip bei nach § 44 SGB X nachträglich zu erbringenden Leistungen der Grundsicherung und damit auch bei nachträglich zu erbringenden Analogleistungen von vornherein keine Bedeutung zukommen kann.
Das BSG hat allerdings im Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R im Rahmen näherer Ausführungen zu einer rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen nach § 44 SGB X wiederum ausgeführt, es seien dabei ggf. Besonderheiten im Sozialhilferecht zu beachten, welche einer Leistungsgewährung für die Vergangenheit insbesondere bei einem Bedarfswegfall entgegenstehen können. Diene Sozialhilfe nach dem (vom BSG hier ausdrücklich herangezogenen) Gegenwärtigkeitsprinzip nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage (Rn. 13), müssten Sozialhilfeleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum nur erbracht werden, wenn die Notlage noch fortbestehe (Rn. 14). Bei Überprüfungen nach § 44 SGB X (bei denen regelmäßig die an sich mögliche zeitnahe Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Leistungsbewilligung mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht stattgefunden hat) verlange das Gebot der materiellen Gerechtigkeit im Sozialhilfebereich regelmäßig gerade nicht, dem (früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, derer er nicht (mehr) bedürfe; auf diese Weise werde sichergestellt, dass die nachträgliche Sozialhilfeleistung nicht den Charakter einer Entschädigung erhalte (Rn. 15). Dementsprechend könne für Bedarfe, die entgegen prognostischer Sicht doch nicht angefallen seien (etwa nicht nachholbare Einmalbedarfe für Klassenfahrten oder kostenaufwändige Ernährung), eine nachträgliche Leistungserbringung den Zweck der Sozialhilfe gar nicht erfüllen, und die ablehnenden Bescheide hätten sich bereits i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise erledigt (Rn. 17). In diesem Sinne ist der Sozialhilfeanspruch auch mit dem Begriff der "Existenzschwäche" belegt worden.
Gleichzeitig hat das BSG jedoch (a.a.O.) weiter ausgeführt, die Sozialhilfe könne ihren Zweck noch erfüllten, sofern eine Bedürftigkeit i.S.d. SGB XII ununterbrochen fortbestehe, z.B. durch eine vergleichbare Belastung etwa wegen vorheriger Bedarfsdeckung durch Aufnahme von Schulden (Rn. 18 f.). Für den Fall pauschalierter Leistungen, die - wie der Regelsatz in der Sozialhilfe - typisierend von einer Bedarfsdeckung ausgingen und nicht nur (wie im Falle eines Ernährungsmehrbedarfs) die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalierten, bedürfe es dabei nicht des Nachweises einer anderweitigen Bedarfsdeckung (z.B. durch Schuldenaufnahme), sofern die Pauschalleistungen nur der Befriedigung nicht nur eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienten; diese Pauschalen nähmen daher nicht an der sog. Existenzschwäche des Sozialhilfeanspruchs teil und seien bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen von § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen (Rn. 20).
c) Nach Ansicht des Senats zeigen diese letztgenannten Ausführungen des BSG (im Sinne einer Klarstellung) allein, dass nach zutreffender Sicht im Bereich der Sozialhilfeleistungen - und damit auch der den Leistungen nach dem SGB XII entsprechenden Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG - bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen regelmäßig von noch fortdauernden ungedeckten Bedarfen auszugehen ist. Die Bedarfslagen sind gesetzlich normativ über Regelsätze bestimmt; dabei kann der in den pauschalen Leistungssätzen enthaltene Ansparbedarf bei rechtswidriger Minderleistung bereits offensichtlich nicht (oder nicht voll) gedeckt werden und bleibt als weiterhin zu deckender Bedarf bestehen.
Die als fortbestehend anzusehende Bedarfslage erstreckt sich jedoch normativ nicht allein auf einen wie immer zu berechnenden Ansparanteil innerhalb der Regelleistung, sondern auf die Leistungen in Höhe des Regelsatzes insgesamt. Dies allein entspricht der Konzeption der pauschalen Regelsätze nach dem SGB XII bzw. bei den Analogleistungen, mit denen dem Hilfebedürftigen Mittel zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Verteilung auf seine Einzelbedarfe zur Verfügung gestellt werden sollen und in deren Rahmen er nicht nur seine jeweils aktuellen, sondern auch zukünftig anfallende bzw. in der Vergangenheit einstweilen zurückgestellte Bedarfe unter längerfristiger Ausgabenplanung (Ansparkomponente) in sein Wirtschaften mit einbeziehen soll. Ist deshalb dem insgesamt pauschalierten Regelsatzsystem auch ein längerfristiges, in die vorausschauende Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen gestelltes Wirtschaften immanent, so geht mit dieser normativen Setzung notwendig eine prinzipielle Nachholbarkeit von Ausgaben einher und können nachträgliche Leistungen bis zur Höhe des Regelsatzes auch einen zunächst rechtswidrig vorenthaltenen, normativ abgesteckten Bedarf nach wie vor decken und damit das Ziel der Sozialhilfeleistungsgewährung auch nachträglich noch erreichen. Wollte man hingegen die Nachholbarkeit von Bedarfsdeckungen nach einzelnen Bedarfsbereichen bestimmen, welche bei der Konzeption der Regelsätze als jeweilige Einrechnungsposten berücksichtigt wurden, liefe das dem gesetzlichen Pauschalprinzip entgegen.
Nicht anders dürften im Übrigen auch die Ausführungen des BSG im Urteil vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R zu verstehen sein, die Gewährung von Pauschalen (in jenem Fall im Rahmen von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz) zwängen nicht nur zu aktuellem, sondern auch zu vergangenheitsbezogenem und zukunftsorientiertem Haushalten, so dass sich im Rahmen von § 44 SGB X in einem solchen Fall das Problem eines zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls "wohl nicht" stelle.
d) An dieser Sicht ändert es nichts, wenn in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R zum Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) ein betragsmäßig genau bezifferter Anteil Berücksichtigung gefunden hat, der in die Regelleistungen (§ 20 SGB II) als Anteil für Warmwasserbereitung eingerechnet worden ist und über den hinaus bei nur untrennbar gemeinsam abgerechneten Kosten für Heizungs- und Warmwasserbereitungsenergie ein entsprechender Abzug bei den Heizkostenleistungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht gemacht werden darf. Denn insoweit ändert sich nichts an dem den Regelsätzen (bzw. im Bereich des SGB den Regelleistungen) zugrundeliegenden Prinzip einer pauschalen Erbringung mit eigenverantworteter Ausgabenverteilung beim Hilfeempfänger; diese Rechtsprechung hatte vielmehr einzig die Vermeidung einer Bedarfsunterdeckung bei der Berechnung der (von Regelleistungen bzw. Regelsätzen zu unterscheidenden und gerade nicht pauschaliert erbrachten) Leistungen für Heizkosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, entsprechend § 29 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) zum Gegenstand.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
IV. Der Senat lässt die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Die Rechtsprechung des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz hat hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Nachgewährungen von Analogleistungen infolge Überprüfungen nach § 44 SGB X bei den Leistungsträgern zu Irritationen und deutlich unterschiedlichen Rechtsanwendungen aufgrund je abweichender Lesarten der Rechtserkenntnis des BSG geführt. Auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung bestehen insoweit nach wie vor unterschiedliche Interpretationen, so dass es einer höchstrichterlichen Klärung bedarf.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, in welcher Höhe im Anschluss an die Erbringung von Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Folge eines Antrags auf Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (sog. Analogleistungen) nachzugewähren sind.
Der am 00.00.1992 geborene Kläger ist Roma aus dem Kosovo. Er reiste am 00.02.2004 nach Deutschland ein und bezog seither bis heute ununterbrochen Leistungen nach § 3 AsylbLG. So bezog er etwa in den Monaten März bis Juni 2007 (als dem nach einem im Berufungsverfahren geschlossenen Teilvergleich noch streitigen Zeitraum) Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG i.H.v. monatlich 199,40 EUR (entsprechend 390,00 DM = 310,00 DM gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr 3 AsylbLG zzgl. 40,00 DM gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AsylbLG). Daneben wurden für die Zeit seit dem 17.02.2007 Einzelbeihilfen i.H.v. 100,09 EUR (für Matratze März 2009 = 39,21 EUR, Kleiderschrank März 2009 = 39,38 EUR, Kopfkissen April 2009 = 6,62 EUR und Steppdecke April 2009 = 14,88 EUR) gewährt.
Mit Schreiben vom 04.02.2009 beantragte der Kläger, ihm unter Zurücknahme entsprechender Bewilligungsbescheide nach § 44 SGB X rückwirkend ab dem 01.01.2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Er verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 R; eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland liege nicht vor.
Mit Bescheid vom 31.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Nachzahlung für die Zeit vom 17.02.2007 bis zum 31.08.2009 i.H.v. 748,45 EUR. Nach § 2 AsylbLG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung bedürfe es einer Vorbezugszeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG von 36 Monaten, um Leistungen entsprechend dem SGB XII zu erhalten. Eine diesen höheren Anspruch ausschließende rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Dauer des Aufenthalts in Deutschland könne dem Kläger nicht entgegen gehalten werden. Ein 36-monatiger Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG sei nach Einreise in die Bundesrepublik am 17.02.2004 jedoch erst ab dem 17.02.2007 erfüllt, so dass für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 16.02.2007 Analogleistungen nicht zu gewähren seien. Das BSG sehe, abweichend von früherer Rechtsprechung, § 44 SGB X im Bereich des AsylbLG als anwendbar an. Allerdings habe das Gericht auch festgestellt, dass der Wert bereits erbrachter Leistungen nach § 3 AsylbLG bei den Analogleistungen in Abzug zu bringen sei. Zudem sei der Aktualitätsgrundsatz zu beachten; nicht mehr bestehende Bedarfe seien nicht mehr zu decken. Da die Analogleistungen als Pauschalen gewährt würden, die neben dem aktuellen Bedarf zugleich auch vergangenheits- und zukunftsbezogene Komponenten enthielten, sei bei jedem im Regelsatz nach dem SGB XII berücksichtigten Bedarfsanteil zu prüfen, ob er auf einen aktuellen Bedarf entfalle oder ob er für Ansparungen oder einmalige Bedarfe vorgesehen sei. Die Nachzahlung werde deshalb auf die nicht gedeckten Bedarfe beschränkt. Das BSG sehe auch nicht etwa - wie der Kläger in seinem Widerspruch - den Unterschied in den Leistungen nach § 2 und § 3 AsylbLG ausschließlich in einem Bedarf für Integration. Bezogen auf einen Haushaltsvorstand ergäben sich für die einzelnen Abteilungen 01 bis 12 innerhalb des Regelsatzes nach dem SGB XII für den Stand 01.07.2008 folgende Nachholbedarfe:
Bestandteil: Abt. 1 und 2 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 130,70 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf gedeckt
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 3 (Bekleidung, Schuhe)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 34,98 EUR
Leistung nach AsylbLG: 20,45 EUR
Nachholbedarf: 14,53 EUR
Bestandteil: Abt. 4 (Strom, Reparatur und Instandhaltung)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 25,03 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf im Rahmen des AsylbLG gedeckt
Nachholbedarf: 2,79 EUR (Restbetrag bei Unterbringung in Privatwohnung)
Bestandteil: Abt. 5 (Möbel, andere Einrichtungsgegenstände, Haushaltsgeräte, Instandhaltungskosten)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 25, 20 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf im Rahmen des AsylbLG gedeckt
Nachholbedarf: 6,94 EUR
Bestandteil: Abt. 6 (Medikamente, Gesundheitspflege)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 12,88 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf gedeckt
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 7 (Verkehr)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 16,05 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf im Rahmen des AsylbLG gedeckt
Nachholbedarf: 1,71 EUR (Bedarfsanteil Kauf und Reparatur von Fahrrädern)
Bestandteil: Abt. 8 (Nachrichtenübermittlung)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 30,99 EUR
Leistung nach AsylbLG: (Anteil 29,95 EUR für Kommunikationsdienstleistungen nicht nachholbar)
Nachholbedarf: 0,88 EUR (Bedarfsanteil für Kauf von Telefonen und Mobilfunkgeräten)
Bestandteil: Abt. 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 40,00 EUR
Leistung nach AsylbLG: (Bedarf für Ausleihgebühren, Zeitschriften und Veranstaltungsbesuche nicht nachholbar)
Nachholbedarf: 8,13 EUR (Bedarfsanteil für Rundfunkempfänger 0,75 EUR, Fernseh- und Videogeräte 2,44 EUR, EDV-Geräte und Software 2,61 EUR, Sportartikel 1,02 EUR, Spielwaren und Hobby 1,29 EUR)
Bestandteil: Abt. 10 nicht vorhanden
Im Regelsatz SGB XII enthalten: -
Leistung nach AsylbLG: -
Nachholbedarf: -
Bestandteil: Abt. 11 (Beherbergungs- und Gaststättenleistungen)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 8,42 EUR
Leistung nach AsylbLG: (nicht nachholbar, zumal aus Taschengeld des § 3 AsylbLG befriedigt)
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 12 (andere Waren und Diensleistungen)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 27,37 EUR
Leistung nach AsylbLG: (nicht nachholbar, etwa Friseur und Körperpflege, zumal in Leistungen nach AsylbLG hierfür 5,11 EUR)
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Summe Haushaltsvorstand 351,00 EUR
Nachholbedarf: 34,98 EUR
Für einen Haushaltsangehörigen ab 14 Jahren sei ein Regelsatz von 80 % eines Haushaltsvorstandes anzusetzen. Es errechneten sich (je nach dem für den betroffenen Leistungszeitraum anzusetzenden Regelsatz eines Haushaltsvorstandes) folgende Nachzahlungsbeträge:
Regelsatz 100% = 345 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 34,50 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 27,60 EUR
Regelsatz 100% = 347 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 34,70 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 27,76 EUR
Regelsatz 100% = 351 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 34,98 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 27,98 EUR
Regelsatz 100% = 359 EUR: Nachzahlungsbetrag Haushaltsvorstand/Alleinstehender 100 % = 35,90 EUR, Nachzahlungsbetrag Haushaltsangehöriger ab 14 Jahre 80 % = 28,72 EUR
Für den Kläger errechne sich die Nachzahlung von 748,45 EUR. Ab dem 01.09.2009 erhalte er Leistungen analog den Regelsätzen nach dem SGB XII; hierüber werde ein gesonderter Bescheid erteilt. Dementsprechend steht der Kläger seither und nach wie vor im Bezug von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG.
Der Kläger hat am 26.10.2009 (Montag) Klage erhoben. Er hat vorgetragen, das BSG habe im Urteil vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R eine aus dem Aktualitätsgrundsatz fließende Besonderheit bei der Anwendung des § 44 SGB X im Sozialhilferecht dahingehend beschrieben, dass zusätzlich darauf abzustellen sei, ob die aus der früheren Leistungsablehnung resultierende Rechtswidrigkeit ggf. wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls entfallen sei. Einen solchen Wegfall habe das Gericht allerdings für die Gewährung pauschaler Regelsätze im Sozialhilferecht generell verneint mit der Begründung, diese Leistungen dienten nicht ausschließlich der Deckung aktueller, sondern auch vergangenheitsbezogener und zukunftsorientierter Bedarfe. Der Hilfeempfänger sei insofern zu einem zeitübergreifenden Haushalten gezwungen, so dass sich das Problem eines Bedarfswegfalls wohl generell nicht stelle. Anders verhalte es sich allein bei Einmalbedarfen. Halte man sich vor Augen, dass der Aktualitätsgrundsatz bei Leistungen nach § 3 AsylbLG besonders ausgeprägt sei und der Grundleistungsempfänger regelmäßig keine pauschalierten Leistungen erhalte, so heiße dies gerade, dass der in Leistungen nach § 2 AsylbLG enthaltene Überschuss sich gerade nicht auf einen damals aktuellen und jetzt nicht mehr bestehenden Bedarf beziehe. Die nachzuzahlende Differenz sei vielmehr weder durch die bereits gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG noch durch einen nicht mehr vorhandenen Aktualitätsbezug der ausgebliebenen höheren Leistungen auch nur teilweise konsumiert. Dies ergebe sich zusätzlich aus der Überlegung, dass das Existenzminimum der Sozialhilfe bei den Grundleistungen nach dem AsylbLG durch den Wegfall des Integrationsbedarfs unterboten werde; es seien somit konzeptionell alle Bedarfe gedeckt bis auf den Integrationsanteil, der in sozialhilfegleichen Leistungen enthalten sei. Integrationsanteile seien im Übrigen auch in Abt. 1 der bei den Sozialhilferegelsätzen eingestellten Bedarfe vorhanden, nämlich in Form außerhäusiger Verpflegung, welche nicht primär der Ernährung, sondern der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben diene. Integration sei jedoch ein zeitübergreifender Prozess; die dafür in der Vergangenheit vorenthaltenen Mittel könnten auch aktuell noch eingesetzt werden, um Integration nachzuholen. Auch aus dem Urteil des BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R ergebe sich, dass pauschalierte Leistungen, die wie der Sozialhilferegelsatz von einer Bedarfsdeckung ausgingen, nicht an der von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen "Existenzschwäche" des Sozialhilfeanspruchs teilnähmen und bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen von § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen seien.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31.07.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 23.09.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die ihm bewilligte Nachzahlung entsprechend dem für ihn geltenden Regelsatzbetrag ungekürzt zu zahlen abzüglich der bereits erhaltenen Leistungen nach dem AsylbLG.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Der Kläger habe im Übrigen nicht konkret dargelegt, welcher Bedarf bei ihm nicht gedeckt worden sei. Eine Leistung nach dem AsylbLG setze jedoch einen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch vorhandenen Bedarf voraus.
Mit Urteil vom 18.01.2010 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Der Streit zwischen den Beteiligten beruhe auf missverständlichen Ausführungen des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz. Das Gericht habe mit Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 die Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Asylbewerberleistungsrecht angenommen und zugleich (Rn. 16) betont, dass ggf. Bedarfe, die nach dem SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten. In weiteren Entscheidungen vom gleichen Tage habe das Gericht ausgeführt, der Aktualitätsgrundsatz habe zur Folge, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken seien. Diese Ausführungen seien bisweilen dahingehend missverstanden worden, dass keine Nachzahlungen zu leisten seien, soweit ein Bedarf für bestimmte Regelsatzbestandteile durch Zeitablauf entfallen sei. Die Entscheidung vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 enthalte allerdings (Rn. 16) den - wenig erhellenden - Satz, es sei bei dem erforderlichen Vergleich ohne Bedeutung, ob den Klägern nach den §§ 3 ff. AsylbLG Einmalleistungen gewährt worden seien, die bei entsprechender Anwendung des SGB XII durch Pauschalleistungen abgegolten würden. Auch durch die weitere Entscheidung vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R sei noch nicht deutlich geworden, was das BSG hiermit habe sagen wollen, wenn dort ausgeführt sei, dass sich das Problem des Bedarfswegfalls im entschiedenen Fall wohl nicht stelle, weil die Gewährung von Pauschalen nicht zum aktuellen, sondern auch vergangenheitsbezogenen und zukunftsorientierten Haushalten zwinge. Mit Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R habe das Gericht dann jedoch (in Rn. 19 f.) unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass bei pauschalierten Leistungen wie dem Regelsatz grundsätzlich nicht von einer anderweitigen Bedarfsdeckung ausgegangen werden könne, es sei denn, dass der Antragsteller inzwischen Einkommen oder Vermögen erzielt habe. Nur, wenn die Bedürftigkeit bis zur letzten Tatsacheninstanz entfallen sei, weil der Antragsteller entsprechendes Einkommen oder Vermögen erlangt habe, sei eine Nachzahlung bei pauschalen Leistungen ausgeschlossen (Rn. 21). Diese Rechtsprechung berücksichtige das Wesen pauschaler Leistungen angemessen und stelle zudem eine erhebliche praktische Vereinfachung dar, und das Sozialgericht schließe sich ihr an. Da der Kläger weiterhin Analogleistungen beziehe, sei seine Bedürftigkeit auch weder durch Einkommenserzielung noch durch Vermögenserwerb entfallen. Ihm stehe deshalb die Nachzahlung in Höhe des für ihn geltenden Regelsatzes ungekürzt zu.
Gegen das am 28.01.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.02.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, wenn das Sozialgericht im Zusammenhang mit dem Urteil des BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R von missverständlichen früheren Ausführungen des BSG spreche und meine, nach diesem Urteil müsse in allen Fällen, in denen die Bedürftigkeit nicht durch Einkommen oder Vermögen entfallen sei, eine ungeminderte Differenznachzahlung erfolgen, so sei dies dem Urteil des BSG gerade nicht zu entnehmen. Das BSG führe vielmehr grundsätzlich und klar aus (Rn. 14), dass Leistungen für die Vergangenheit im Rahmen von § 44 SGB X nur erbracht werden dürften, wenn Bedarf und/oder Bedürftigkeit inzwischen nicht temporär oder auf Dauer entfallen seien. Die Notlage müsse im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch aktuell bestehen. Eine Ausnahme sei nur bei Selbsthilfe durch Dritte nach rechtswidriger Leistungsablehnung vorgesehen. In allen anderen Fällen müsse der Vorrang effektiven Rechtsschutzes gegenüber den im Rahmen des § 44 Abs. 4 SGB X aufgezeigten Besonderheiten des Sozialhilferechts regelmäßig zurücktreten. Das Gebot materieller Gerechtigkeit verlange nicht, einem vormals Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, derer er nicht mehr bedürfe; die nachträgliche Leistungsgewährung habe nicht den Charakter einer Entschädigung (Rn. 15). Die Beklagte halte daher auch im Anschluss an das Urteil des BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R an der "Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes bei der Berechnung der Nachzahlung der Leistungen nach § 2 AsylbLG fest." Zwar führe das BSG in diesem Urteil (Rn. 20) aus, dass pauschalierte Leistungen bei fortdauernder Bedürftigkeit nachzuzahlen seien. Daraus ergebe sich jedoch kein Anspruch auf eine volle Nachzahlung der Pauschalen. Denn der Regelsatz enthalte nicht nur Anteile für vergangenen und zukünftigen Bedarf, sondern gerade auch Anteile für aktuelle Bedarfe (z.B. Ernährung, Hygiene), die naturgemäß später entfallen seien und nachträglich nicht mehr gedeckt werden könnten. Die Zusammensetzung des Regelsatzes könne anhand der Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII und der vom Statistischen Bundesamt gefertigten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nachvollzogen werden. In anderen Verfahren (etwa betreffend den Warmwasserkostenanteil beim Energieverbrauch) habe das BSG selbst einzelne Bestandteile des Regelsatzes gesondert betrachtet. Die Anerkennung des Aktualitätsgrundsatzes würde ad absurdum geführt, wenn die - fast ausschließlich betroffenen - Regelsatzleistungen voll nachzuzahlen seien. Nur so erklärten sich die seitenlangen Ausführungen des BSG zum Aktualitätsgrundsatz und der Hinweis zu Beginn der Urteilsgründe, dass im Rahmen des § 44 SGB X immer auf das jeweils anzuwendende Gesetz abgestellt werden müsse. Hilfeempfänger, die rechtzeitig einen Rechtsbehelf einlegten, würden sonst auch denjenigen gleichgestellt, die erst nach Jahren einen Antrag nach § 44 SGB X stellten, obwohl das BSG diese Gruppen ausdrücklich (Rn. 14) unterscheide mit dem Hinweis, dass die Einklagbarkeit abgelehnter Sozialhilfe ineffektiv wäre, würde in Fällen mit rechtzeitigem Rechtsbehelf der Aktualitätsgrundsatz angewandt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Beklagte verkenne den Charakter pauschalierter Regelsätze und die Freiheiten, welche diese dem Hilfeempfänger im Umgang mit der Hilfeleistung eröffnen sollten. Das BSG habe jedoch erkannt, dass sich das Problem eines Bedarfswegfalls bei pauschalierten Leistungen nicht stelle; Regelsätze seien deshalb in voller Höhe nachzuzahlen. Die Beklagte behaupte, durch eine Aufspaltung der Regelsätze Aussagen über das dem Empfänger von Leistungen nach dem AsylbLG in der Vergangenheit Vorenthaltene treffen zu können, für das dann jeweils ein Bedarf noch oder nicht mehr bestehe. Das gehe jedoch nur dann, wenn die Zusammensetzung der erhaltenen Grundleistungen ebenfalls aufgespalten und nachgewiesen würde. Dann jedoch würde man feststellen, dass der im Vergleich zwischen Analogleistungen und Grundleistungen enthaltene Überschuss nicht verzehrt wäre. Eine solche wenigstens schlüssige Analyse lasse die Beklagte vermissen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den folgenden Teilvergleich geschlossen:
"1. Die Beteiligten beschränken den im vorliegenden Verfahren streitigen Zeitraum von Februar 2007 bis August 2009 übereinstimmend auf die Monate März bis Juni 2007.
2. Für die Zeit von September 2007 bis August 2008 bezieht der Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG.
3. Für die Monate Februar, Juli und August 2007 sowie September 2008 bis August 2009 erbringt die Beklagte dem Kläger eine Nachzahlung, soweit der Kläger im vorliegenden Verfahren rechtskräftig obsiegen sollte. Dabei werden ggf. neben den bereits aufgrund der Nachbewilligung im angefochtenen Bescheid vom 24.07.2009 erbrachten Nachzahlungen (auch für September 2007 bis August 2008) die im März und April 2009 erbrachten Beihilfen für einmalige Bedarfe in einer Gesamthöhe von 100,09 EUR in Abzug gebracht."
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
I. Richtige Beklagte ist die Stadt H. Im SGG gilt das Rechtsträgerprinzip (vgl. Urteil des Senats vom 25.02.2008 - L 20 SO 31/07). Soweit das Bundessozialgericht (BSG) demgegenüber die Behörde (im Falle der Stadt H: deren Oberbürgermeister) als richtigen Klagegegner ansieht (vgl. etwa BSG, Urteil v. 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R) folgt der Senat dieser Rechtsprechung (weiterhin) nicht.
Der Senat sieht sich in seiner Auffassung dadurch bestätigt, dass die vom BSG zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Vorschrift des § 3 Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Sozialgerichtsgesetz (AG-SGG NRW) mit Ablauf des Jahres 2010 ersatzlos entfällt (vgl. Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen [Justizgesetz Nordrhein-Westfalen (JustG NRW)], Landtagsdrucksache 14/9736, in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, Landtagsdrucksache 14/10533). In den Gesetzentwurf war zunächst eine Nachfolgevorschrift für § 3 AG-SGG NRW aufgenommen worden (§ 115 des Entwurfs zum JustG NRW). Im Rahmen der Beratungen war diese Nachfolgevorschrift jedoch für entbehrlich erkannt worden. Hierzu ist in den Gesetzesmaterialien (Landtagsdrucksache 14/10533, S. 86) ausgeführt, für die zunächst im Gesetzentwurf enhaltenen Regelungen der §§ 110, 115 JustG NRW (Entwurf), die aus dem Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung NRW (AG-VwGO NRW) und dem AG-SGG NRW übernommen worden seien mit dem Inhalt, "dass Behörden fähig sind, am Verfahren vor den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt zu sein", gebe es "kein praktisches Bedürfnis. Der Gesetzentwurf sieht nicht mehr vor, dass es Ausnahmen von dem im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Rechtsträgerprinzip gibt. Danach ist Beteiligter im Prozess die juristische Person, deren Behörde zuständig ist. Deshalb sieht der Gesetzentwurf nicht mehr vor, dass Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, über die die allgemeinen Verwaltungsgerichte entscheiden, gegen die Behörde zu richten sind. Es fehlt daher auch die rechtslogische Notwendigkeit, Behörden für beteiligungsfähig zu erklären."
Soweit der Landesgesetzgeber in diesem Zusammenhang ersichtlich auf § 5 Abs. 2 AG-VwGO NRW abstellt, wird deutlich, dass das (seit jeher zu konstatierende) Fehlen einer dieser Norm entsprechenden Vorschrift im AG-SGG NRW auch aktuell nicht durch (extensive) Auslegung des § 3 AG-SGG NRW zu kompensieren ist (vgl. auch Urteil des Senats vom 22.02.2010 - L 20 SO 75/07).
II. Die (schon angesichts eines ursprünglich streitigen Zeitraums von mehr als einem Jahr) zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der vom Kläger angefochtene Bescheid vom 31.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2009 den Kläger i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten verletzt.
1. Nach Teilvergleich der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beschränkt sich der Streit nur mehr auf eine Nachzahlung von Leistungen für die Monate März bis Juni 2007. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Kläger, der seit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bis heute ununterbrochen der Leistungen nach dem AsylbLG bedarf, monatlich ein um 49,00 EUR zu geringer Nachzahlungsbetrag bewilligt, den die Beklagte unter entsprechender Änderung des Bescheides dem Kläger zusätzlich zu gewähren hat.
Denn in dem genannten, noch streitigen Zeitraum hat der Kläger als Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AsylbLG monatlich jeweils 199,40 EUR von der Beklagten gezahlt erhalten. Der Kläger erfüllte jedoch in diesem Zeitraum (was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist und wogegen auch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind) im Anschluss an einen 36-monatigen Vorbezug von Leistungen und mangels rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland sämtliche Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis zum 27.08.2007 geltenden Fassung (36-monatiger Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbL) für den Bezug der höheren Analogleistungen entsprechend den Regelungen des SGB XII. Damit standen ihm monatlich Leistungen entsprechend dem für ihn maßgebenden sozialhilferechtlichen Regelsatz nach dem SGB XII zu.
Der sozialhilferechtliche Regelsatz hätte für den Kläger als seinerzeit 15-Jährigem bei monatlich 276,00 EUR gelegen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 40 SGB XII i.V.m. der Regelsatzverordnung), so dass er von der Beklagten noch eine monatliche Nachzahlung der Leistungsdifferenz zwischen Regelsatz und tatsächlich erbrachten Leistungen von (276,00./. 199,40 =) 76,60 EUR unter Anrechnung des bereits aufgrund des angefochtenen Bescheides monatlich nachgezahlten Betrages von 27,60 EUR begehrt. Die sich ergebende streitige Leistungsbetrag beläuft sich daher auf monatlich (76,60./. 27,60 =) 49,00 EUR.
2. Dass die Beklagte überhaupt in Folge einer Überprüfung i.S.v. § 44 SGB X dem Kläger, der nach wie vor im Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG steht, auch nachträglich Leistungen gewähren muss, entspricht der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 R, Rn. 12 ff.), das die Regelung des § 44 SGB X zur rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger, rechtswidriger Leistungsablehnungen im Asylbewerberleistungsrecht ausdrücklich für anwendbar erkannt hat. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
3. Ist - gleichsam als ein erster Schritt - die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, so gehen ihre Rechtsauffassungen - in einem zweiten Schritt - allein zum Umfang der nachträglich zu bewilligenden Leistungen auseinander:
a) Anlass hierfür geben die Ausführungen des BSG, es sei zu beachten, dass ggf. Bedarfe, die durch das SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten (a.a.O., Rn. 16), und nicht mehr bestehende Bedarfe seien wegen dieses sog. "Aktualitätsgrundsatzes" nicht mehr zu decken (etwa Urteil vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 49). Diese Ausführungen führten bei den Leistungsträgern zu Unsicherheiten hinsichtlich des Umfangs der ggf. nach § 44 SGB X nachzuerbringenden Analogleistungen (beispielsweise erfolgen bei der Beklagten in der im Tatbestand aufgeführten Weise Herausrechnungen aus dem Regelsatz wegen nicht mehr "nachholbarer" Bedarfsdeckungen für einzelne Regelsatzanteile. Die Stadt Dorsten verlangt von Leistungsempfängern eine detaillierte Darlegung, welche Defizite in der Vergangenheit aufgelaufen seien. Die Stadt Herne versagt eine Nachholung von Leistungen gänzlich, weil bei Sozialhilfeleistungen grundsätzlich davon auszugehen sei, dass eine individuelle Bedarfsdeckung lediglich im aktuellen Bedarfszeitraum erfolgen könne. Die Stadt Oberhausen sieht Leistungen für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 34 SGB XII - Schuldenübernahme - als möglich an. Sämtliche Kommunen beziehen sich dabei auf die Rechtsprechung des BSG zum Aktualitätsgrundsatz [vgl. hierzu Wahrendorf, Gutachten zur Frage der Leistung von Analogleistungen gemäß §§ 44 SGB X, 2 AsylbLG]. Die Stadt Essen wiederum gewährt als Nachzahlung die volle Differenz zwischen Regelleistungen und bereits erbrachten Leistungen). Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte kommt noch in jüngster Zeit insoweit zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. etwa einerseits die vorliegend von der Beklagten angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Gelsenkirchen, andererseits das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 12.04.2010 - S 12 AY 89/09, das einen Nachzahlungsbetrag auf maximal 750,00 EUR beschränkt).
b) Der Beklagten ist zuzugeben, dass die Rechtsprechung des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz bzw. zum Gegenwärtigkeitsprinzip jedenfalls zu Missverständnissen Anlass geben kann:
So hat der 8. Senat des BSG im Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 für die Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ausdrücklich ausgeführt, der Beginn des Bewilligungszeitraums am Monatsersten und die regelmäßig zwölfmonatige Leistungsbewilligung (§ 44 Abs. 1 SGB XII) zeigten, dass Leistungen nach §§ 41 ff. SGB XII "abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip" (das in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge richts angewandt worden sei) nicht auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen beschränkt seien, sondern - wenn auch für einen bestimmten Zeitraum - abhängig von einem nur prognostischen Bedarf für einen längeren Zeitraum bewilligt und erbracht würden. Zum Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat das Gericht ausdrücklich ausgeführt, dem Gesetz sei mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, dass es entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "kein über § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) der Vorschrift des § 44 SGB X generell vorgehendes normatives Strukturprinzip ( keine Leistungen für die Vergangenheit ; Bedarfsdeckungsgrundsatz ; Aktualitätsprinzip )" anerkenne (Beschluss vom 07.05.2009 - B 14 AS 3/09 B). Handelt es sich bei den Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII um solche, welche nach § 2 Abs. 1 AsylbLG als Analogleistung zu gewähren sind, und unterscheiden sich diese Leistungen nicht wesentlich auch von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, so scheinen die genannten Entscheidungen darauf hinzuweisen, dass einem Aktualitäts- oder einem Gegenwärtigkeitsprinzip bei nach § 44 SGB X nachträglich zu erbringenden Leistungen der Grundsicherung und damit auch bei nachträglich zu erbringenden Analogleistungen von vornherein keine Bedeutung zukommen kann.
Das BSG hat allerdings im Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R im Rahmen näherer Ausführungen zu einer rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen nach § 44 SGB X wiederum ausgeführt, es seien dabei ggf. Besonderheiten im Sozialhilferecht zu beachten, welche einer Leistungsgewährung für die Vergangenheit insbesondere bei einem Bedarfswegfall entgegenstehen können. Diene Sozialhilfe nach dem (vom BSG hier ausdrücklich herangezogenen) Gegenwärtigkeitsprinzip nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage (Rn. 13), müssten Sozialhilfeleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum nur erbracht werden, wenn die Notlage noch fortbestehe (Rn. 14). Bei Überprüfungen nach § 44 SGB X (bei denen regelmäßig die an sich mögliche zeitnahe Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Leistungsbewilligung mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht stattgefunden hat) verlange das Gebot der materiellen Gerechtigkeit im Sozialhilfebereich regelmäßig gerade nicht, dem (früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, derer er nicht (mehr) bedürfe; auf diese Weise werde sichergestellt, dass die nachträgliche Sozialhilfeleistung nicht den Charakter einer Entschädigung erhalte (Rn. 15). Dementsprechend könne für Bedarfe, die entgegen prognostischer Sicht doch nicht angefallen seien (etwa nicht nachholbare Einmalbedarfe für Klassenfahrten oder kostenaufwändige Ernährung), eine nachträgliche Leistungserbringung den Zweck der Sozialhilfe gar nicht erfüllen, und die ablehnenden Bescheide hätten sich bereits i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise erledigt (Rn. 17). In diesem Sinne ist der Sozialhilfeanspruch auch mit dem Begriff der "Existenzschwäche" belegt worden.
Gleichzeitig hat das BSG jedoch (a.a.O.) weiter ausgeführt, die Sozialhilfe könne ihren Zweck noch erfüllten, sofern eine Bedürftigkeit i.S.d. SGB XII ununterbrochen fortbestehe, z.B. durch eine vergleichbare Belastung etwa wegen vorheriger Bedarfsdeckung durch Aufnahme von Schulden (Rn. 18 f.). Für den Fall pauschalierter Leistungen, die - wie der Regelsatz in der Sozialhilfe - typisierend von einer Bedarfsdeckung ausgingen und nicht nur (wie im Falle eines Ernährungsmehrbedarfs) die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalierten, bedürfe es dabei nicht des Nachweises einer anderweitigen Bedarfsdeckung (z.B. durch Schuldenaufnahme), sofern die Pauschalleistungen nur der Befriedigung nicht nur eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienten; diese Pauschalen nähmen daher nicht an der sog. Existenzschwäche des Sozialhilfeanspruchs teil und seien bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen von § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen (Rn. 20).
c) Nach Ansicht des Senats zeigen diese letztgenannten Ausführungen des BSG (im Sinne einer Klarstellung) allein, dass nach zutreffender Sicht im Bereich der Sozialhilfeleistungen - und damit auch der den Leistungen nach dem SGB XII entsprechenden Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG - bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen regelmäßig von noch fortdauernden ungedeckten Bedarfen auszugehen ist. Die Bedarfslagen sind gesetzlich normativ über Regelsätze bestimmt; dabei kann der in den pauschalen Leistungssätzen enthaltene Ansparbedarf bei rechtswidriger Minderleistung bereits offensichtlich nicht (oder nicht voll) gedeckt werden und bleibt als weiterhin zu deckender Bedarf bestehen.
Die als fortbestehend anzusehende Bedarfslage erstreckt sich jedoch normativ nicht allein auf einen wie immer zu berechnenden Ansparanteil innerhalb der Regelleistung, sondern auf die Leistungen in Höhe des Regelsatzes insgesamt. Dies allein entspricht der Konzeption der pauschalen Regelsätze nach dem SGB XII bzw. bei den Analogleistungen, mit denen dem Hilfebedürftigen Mittel zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Verteilung auf seine Einzelbedarfe zur Verfügung gestellt werden sollen und in deren Rahmen er nicht nur seine jeweils aktuellen, sondern auch zukünftig anfallende bzw. in der Vergangenheit einstweilen zurückgestellte Bedarfe unter längerfristiger Ausgabenplanung (Ansparkomponente) in sein Wirtschaften mit einbeziehen soll. Ist deshalb dem insgesamt pauschalierten Regelsatzsystem auch ein längerfristiges, in die vorausschauende Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen gestelltes Wirtschaften immanent, so geht mit dieser normativen Setzung notwendig eine prinzipielle Nachholbarkeit von Ausgaben einher und können nachträgliche Leistungen bis zur Höhe des Regelsatzes auch einen zunächst rechtswidrig vorenthaltenen, normativ abgesteckten Bedarf nach wie vor decken und damit das Ziel der Sozialhilfeleistungsgewährung auch nachträglich noch erreichen. Wollte man hingegen die Nachholbarkeit von Bedarfsdeckungen nach einzelnen Bedarfsbereichen bestimmen, welche bei der Konzeption der Regelsätze als jeweilige Einrechnungsposten berücksichtigt wurden, liefe das dem gesetzlichen Pauschalprinzip entgegen.
Nicht anders dürften im Übrigen auch die Ausführungen des BSG im Urteil vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R zu verstehen sein, die Gewährung von Pauschalen (in jenem Fall im Rahmen von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz) zwängen nicht nur zu aktuellem, sondern auch zu vergangenheitsbezogenem und zukunftsorientiertem Haushalten, so dass sich im Rahmen von § 44 SGB X in einem solchen Fall das Problem eines zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls "wohl nicht" stelle.
d) An dieser Sicht ändert es nichts, wenn in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R zum Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) ein betragsmäßig genau bezifferter Anteil Berücksichtigung gefunden hat, der in die Regelleistungen (§ 20 SGB II) als Anteil für Warmwasserbereitung eingerechnet worden ist und über den hinaus bei nur untrennbar gemeinsam abgerechneten Kosten für Heizungs- und Warmwasserbereitungsenergie ein entsprechender Abzug bei den Heizkostenleistungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht gemacht werden darf. Denn insoweit ändert sich nichts an dem den Regelsätzen (bzw. im Bereich des SGB den Regelleistungen) zugrundeliegenden Prinzip einer pauschalen Erbringung mit eigenverantworteter Ausgabenverteilung beim Hilfeempfänger; diese Rechtsprechung hatte vielmehr einzig die Vermeidung einer Bedarfsunterdeckung bei der Berechnung der (von Regelleistungen bzw. Regelsätzen zu unterscheidenden und gerade nicht pauschaliert erbrachten) Leistungen für Heizkosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, entsprechend § 29 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) zum Gegenstand.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
IV. Der Senat lässt die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Die Rechtsprechung des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz hat hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Nachgewährungen von Analogleistungen infolge Überprüfungen nach § 44 SGB X bei den Leistungsträgern zu Irritationen und deutlich unterschiedlichen Rechtsanwendungen aufgrund je abweichender Lesarten der Rechtserkenntnis des BSG geführt. Auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung bestehen insoweit nach wie vor unterschiedliche Interpretationen, so dass es einer höchstrichterlichen Klärung bedarf.
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