L 4 KR 50/00

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 KR 130/98
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 50/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2000 wird abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2000 und die Folgebescheide werden aufgehoben, soweit auf den monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung während der Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2002 der Beitrag des Arbeitgebers in Höhe von 10% nicht angerechnet ist. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu zwei Drittel zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Frage der Beitragsbemessung im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung in der Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2002. Der 1943 geborene Kläger ist seit dem 1. Mai 1992 Mitglied der Beklagten. Er bezieht seit 1. Februar 1996 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Seit dem 20. Dezember 1996 war er als freiwilliges Mitglied in der Krankenversicherung bei der Beklagten versichert; ab 1. April 2002 erfüllt er die Voraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Im Oktober 1997 nahm er eine Nebentätigkeit auf. Gegen die daraufhin erteilten Einstufungsbescheide über die Beitragsbemessung erhob er Widerspruch und erklärte, es sei nicht zu verstehen, dass bei der Berechnung der beitragspflichtigen Einnahmen sowohl die von ihm bezogene Rente als auch seine im Rahmen der geringfügigen Nebentätigkeit erzielten Entgelte berücksichtigt würden. Es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, dass bei freiwillig Versicherten die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt werde, bei Pflichtversicherten dagegen nicht. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 1998 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Beitragseinstufung beruhe auf §§ 240, 238a Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und ihrer Satzung. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) liege nicht vor, denn für die beitragsmäßige Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten gäbe es einen sachgerechten sozialpolitischen Grund, weil Pflichtversicherte des besonderen Schutzes des Sozialsystems bedürften. Hiergegen richtet sich die am 13. Oktober 1998 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangene Klage. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte für den hier noch umstrittenen Zeitraum ab 1. April 1999 einen Einstufungsbescheid vom 8. Februar 2000 sowie für die Folgezeit weitere Einstufungsbescheide erlassen. Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, mittlerweile habe sich die Situation dahingehend verändert, dass die Beklagte von dem Arbeitgeber der geringfügigen Beschäftigung 10 % Beiträge zur Krankenversicherung erhalte. Seines Erachtens ist es unzulässig, dass er als Arbeitnehmer darüber hinaus noch einmal 14 % von den Einnahmen aus der geringfügigen Beschäftigung an die Beklagte abführen muss. Es könne nicht richtig sein, dass aus der geringfügigen Beschäftigung Beiträge in Höhe von insgesamt 24 % gezahlt werden müssten. Die Beklagte hat daraufhin mitgeteilt, über den kassenübergreifenden bundesweiten Risikostrukturausgleich werde eine Verteilung des zehnprozentigen Beitrags auf die einzelnen Kassenarten vorgenommen. Die Pauschalbeiträge würden insoweit nicht individuell als Beitragszahlung für den jeweils betreffenden Versicherten verwendet. Aus diesem Grund könne nicht von einem doppelten Beitrag für freiwillig Versicherte gesprochen werden. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Juni 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beitragsberechnung der Beklagten entspräche der gesetzlichen Regelung sowie der Satzung. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Gegen das ihm am 17. Juli 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. August 2000 Berufung eingelegt. Soweit es um die Frage des Zugangs zur KVdR im Zeitraum bis 31. März 2002 geht, verfolgt er angesichts des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. März 2000 (Az. 1 BvL 16/96, 1 BvL 17/96, 1 BvL 18/96, 1 BvL 19/96, 1 BvL 20/96, 1 BvL 18/97, Entscheidungssammlung Band 102, S. 68 ff.) die Klage nicht weiter. Er ist aber nach wie vor nicht mit der Beitragsbemessung vom 1. April 1999 bis 31. März 2002 auf der Grundlage seines Nebenerwerbs einverstanden. Das Sozialgericht habe nicht berücksichtigt, dass von seinem zusätzlichen Einkommen bereits pauschal ein Krankenversicherungsbeitrag von 10 % abgeführt werde. Insoweit werde dieser Teil des Einkommens doppelt mit Krankenversicherungsbeiträgen belastet. Dabei sei es unerheblich, dass der pauschale Beitrag vom Arbeitgeber allein zu tragen sei. Entsprechende Beiträge kämen der Beklagten jedenfalls zugute. Das Vorgehen der Beklagten laufe sogar der Intention des Gesetzgebers zuwider, der grade keine "hälftige" Beitragszahlung für geringfügig Beschäftigte habe einführen wollen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2000 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2000 und die Folgebescheide insoweit aufzuheben, als der monatliche Beitrag zur Krankenversicherung für die Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2002 auch auf der Grundlage der Arbeitsentgelte aus der geringfügigen Beschäftigung berechnet ist.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, der Kläger werde durch die gesetzlich eingeführte Beitragspflicht des Arbeitgebers wirtschaftlich nicht belastet. Im Ergebnis verfolge der Gesetzgeber mit dieser Regelung das Ziel, die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ohne Mehrbelastung des Arbeitgebers zugunsten der Versicherungsträger einzudämmen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und sind vom Senat bei seiner Entscheidung verwertet worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, da die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, denn wiederkehrende Leistungen in diesem Sinne können auch Beiträge sein (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 144 Rdnr. 23 am Ende). Der umstrittene Beitragsbemessungszeitraum reicht vom 1. April 1999 bis 31. März 2002, so dass im Hinblick auf §§ 143, 144 SGG keine Zulässigkeitsbedenken bestehen. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG).

Die zulässige Berufung ist zum Teil auch begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2000 sowie der Bescheid vom 8. Februar 2000 sowie die Folgebescheide, die gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden sind, sind nicht in vollem Umfang rechtmäßig. Die Beklagte hat zwar zu Recht die Beiträge des Klägers auch unter Berücksichtigung seiner Nebeneinkünfte aus geringfügiger Beschäftigung berechnet. Rechtsgrundlage für diese Beitragsberechnung ist § 240 SGB V i.V.m. § 238a SGB V i.V.m. der Satzung der Beklagten. Sie hat aber im Zeitraum vom 1. April 1999 bis zum 31. März 2002 zu Unrecht nicht den Beitrag des Arbeitgebers in Höhe von 10 % angerechnet, den dieser bei geringfügiger Beschäftigung pauschal zu tragen hat (§ 249b SGB V, eingeführt mit Wirkung vom 1. April 1999 durch das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999, BGBl. I S. 388). Gemäß § 240 Abs. 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch die Satzung geregelt. Dabei ist nach gesetzlicher Anordnung in § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V besagt, dass die Satzung der Krankenkasse mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen muss, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Dabei gilt gemäß § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V u.a. § 238a SGB V entsprechend. § 238a SGB V legt die Rangfolge der Einnahmearten freiwillig versicherter Rentner fest. Diese Vorschrift bestimmt, dass nacheinander der Zahlbetrag der Rente, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, das Arbeitseinkommen und die sonstigen Einnahmen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds im Sinne von § 240 Abs. 1 SGB V bestimmen, bis zur Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen sind. § 15 Abs. 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten vom 1. Januar 1989 in der Fassung des ab 1. April 1997 geltenden 24. Nachtrages wiederholt § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach als beitragspflichtige Einnahmen die monatlichen Einnahmen unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit maßgebend sind. § 15 Abs. 3 Satz 2 der Satzung besagt, dass zu den beitragspflichtigen Einnahmen alle Einnahmen und Geldmittel gehören, die zum Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten.

Die Satzungsbestimmung hält sich somit im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe des § 240 SGB V. Auf der Grundlage dieser Vorschriften hat die Beklagte die Krankenversicherungsbeiträge des Klägers im umstrittenen Zeitraum berechnet, allerdings ohne den Beitrag des Arbeitgebers in Höhe von 10 % zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweise führt indes zu einer nicht systemkonformen, unzulässigen Doppelbelastung des Entgeltes aus der geringfügigen Beschäftigung. § 249b SGB V muss als lex specialis zu den allgemeinen Beitragsbemessungsregelungen verstanden werden. Der Gesetzgeber will mit der Neuregelung durch § 249b SGB V verhindern, dass die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse weiter zunimmt. Durch die Erhebung eines Beitrages sollen die Finanzgrundlagen der beitragsfinanzierten Sozialversicherung gesichert und die Arbeitgeber motiviert werden, ihre Arbeitnehmer in versicherungspflichtigem Umfang zu beschäftigen. Die Arbeitnehmer sollen dadurch nicht belastet werden (Peters in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 39. Lfg, Dezember 2002, SGB V, § 249b Rdnr. 3). Voraussetzung für die Zahlung des Pauschalbeitrages ist, dass der geringfügig Beschäftigte in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert und in der geringfügig entlohnten Beschäftigung krankenversicherungsfrei oder nicht krankenversicherungs-pflichtig ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Kläger war im umstrittenen Zeitraum als freiwilliges Mitglied in der Krankenversicherung bei der Beklagten versichert. Darüber hinaus war er angesichts des geringen Umfangs seiner Nebentätigkeit in dieser Beschäftigung krankenversicherungsfrei (§ 7 SGB V in Verbindung mit § 8 Abs. 1 SGB IV). Deshalb hatte der Arbeitgeber den zehnprozentigen Pauschalbeitrag gemäß § 249b SGB V zu entrichten. Nach dem Zweck der Regelung soll die Beitragspflicht nach § 249b SGB V grundsätzlich Erwerbseinkommen erfassen, das im Übrigen nicht beitragsbelastet ist. Für das Einkommen des Klägers aus der geringfügigen Beschäftigung gilt dies jedoch nicht, weil die Beklagte die Vergütung aus der Nebenbeschäftigung bei der Berechnung des Beitrages heranziehen durfte. Zwar hat die Beklagte den Beitrag nach § 249b SGB V ohne Rechtsverstoß vom Arbeitgeber des Klägers erhoben. Bei der Berechnung der Beitragsschuld des Klägers kann dies jedoch nicht unbeachtet bleiben.

Die Beitragsbemessung durch die Beklagte mit der Folge eines doppelten Abzugs von Krankenversicherungsbeiträgen vom zusätzlichen Einkommen des Klägers aus geringfügiger Beschäftigung in Höhe des Pauschalbeitrags ist vom Wortlaut des § 249b SGB V nicht gedeckt. § 249b SGB V spricht davon, der Arbeitgeber habe für Versicherte einen Beitrag in Höhe von 10 % zu tragen. Mit dieser Beitragslast für den Versicherten wäre es unvereinbar, wenn der Versicherte selbst auch den vollen Beitrag zu tragen hätte, sofern aus dem geringfügigen Arbeitsentgelt ausnahmsweise ein Beitrag zu zahlen ist. In Höhe der genannten 10 % hat der Arbeitgeber für den Versicherten, d.h. an seiner Stelle, den Beitrag zu tragen. Auch wenn der Pauschalbeitrag in erster Linie arbeitsmarktpolitische Zwecke verfolgt, kann bei der Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge des Klägers nicht unberücksichtigt bleiben, dass aus dem Einkommen für die geringfügige Beschäftigung bereits ein Beitragsanteil gezahlt ist (a. A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. November 2001 - L 4 KR 3547/00; SG Köln, Urteil vom 19. April 2000 - S 5 KR 66/99; Knispel in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Auflage, 41. Lfg, November 2000, § 249b Rdnr. 21; Vieß in von Maydell, GK-SGB V, Oktober 2002, § 249b Rdnr. 13). Der Pauschalbeitrag für geringfügig beschäftigte gesetzlich Krankenversicherte dient auch der Finanzierung ihrer bestehenden Leistungsansprüche (Vieß a. a. O. Rdnr. 15), so dass er im Rahmen der Beitragsermittlung gegenüber dem Kläger als beitragsmindernd heranzuziehen ist. Allerdings ist der Kläger durch § 249b SGB V nicht gänzlich von der Pflicht, einen Krankenversicherungsbeitrag aus dem geringfügigen Arbeitsentgelt zu zahlen, befreit. Der Arbeitgeber zahlt zwar den Beitrag für den Versicherten, jedoch nur in Höhe des Pauschalsatzes von 10 %. Muss der Versicherte - wie hier - einen höheren Beitrag zahlen, wird er nur in Höhe des Pauschalbeitrages von der Beitragspflicht entlastet. Die Beitragspflicht des Arbeitgebers hebt die des Klägers nicht auf, sondern mindert sie lediglich. Die Differenz zwischen dem für ihn gültigen Beitragssatz seiner Krankenkasse und den 10 % des Arbeitgebers muss er selbst aufbringen, denn andernfalls erhielte die Beklagte keinen vollen Beitrag aus dem Arbeitsentgelt der geringfügigen Beschäftigung; die freiwillig Versicherten wären zu Unrecht gegenüber den pflichtversicherten Arbeitnehmern begünstigt (vgl. dazu auch Peters, ebenda, § 249b Rdnr. 27).

Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg und die Beitragsbescheide der Beklagten mussten abgeändert und die Beklagte verurteilt werden, für die Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2002 den Beitrag unter Berücksichtigung des Arbeitgeberbeitrags zu errechnen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen, weil zu § 249b SGB V mindestens zwei Revisionsverfahren beim BSG anhängig sind (Az. B 12 KR 15/00 R und B 12 KR 20/01 R).
Rechtskraft
Aus
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