L 22 U 128/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 15 U 4/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 U 128/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 04. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung; umstritten ist insbesondere, ob die durch die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 29. September 2001 bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 56 Abs. 2 Satz 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zu erhöhen ist.

Der 1956 geborene Kläger betreibt seit Mai 1990 zusammen mit seiner Frau als selbständiger Gastwirt die Gaststätte "Z" in K, seit Januar 2000 zusammen mit seiner Ehefrau in Form einer Gesellschaft bürgerlicher Rechts. Bis 1997 entstand, nachdem der Kläger und seine Frau das Grundstück mit Bauten gekauft hatten, das Hotel und Gasthaus "Z" in K.

Im Februar 2002 meldete der Kläger bei der Beklagten einen Unfall, den er bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Gastwirt am 29. September 2001 erlitten habe. Er rechne mit einer Dauerschädigung, da sein Geruchs- und Geschmackssinn abhanden gekommen sei, was seine Arbeit ungemein erschwere.

Die Beklagte holte verschiedene medizinische Unterlagen ein (MRT Befund vom 07. November 2001; Krankheitsberichte der HNO Ärztin Dr. med. W vom 19. April 2002, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. med. G vom 13. Mai 2002 sowie der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl. Med. G vom 27. April 2002; Durchgangsarztbericht Dr. med. B vom 22. April 2002 mit Krankenunterlagen über die notfallmäßige Behandlung des Klägers im A Kreiskrankenhaus K am 29. September 2001) und vom Direktor der Klinik für Hals Nasen Ohrenheilkunde des Unfallkrankenhauses B Prof. Dr. med. E unter dem 29. Juni 2003 ein HNO ärztliches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers ein. Der Gutachter diagnostizierte eine beiderseitige Anosmie (Verlust des Geruchssinns) und einen Lagerungsschwindel, die ursächlich auf den Unfall vom 29. September 2001 zurückzuführen seien. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe nicht bestanden. Die MdE sei mit 15 v. H. zu bemessen. Die beiderseitige Anosmie sei infolge des wahrscheinlichen Abrisses der Riechfäden als Dauerzustand zu betrachten.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2003 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 29. September 2001 als Arbeitsunfall an.

Mit weiterem Bescheid vom 05. August 2003 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Rente ab. Der als Folge des Arbeitsunfalls nach Sturz auf den Hinterkopf anzuerkennende beidseitige Verlust des Geruchsvermögens sowie Schwindelerscheinungen bei raschen Körperbewegungen führten nicht zu einer MdE in Renten berechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers, der im Wesentlichen damit begründet wurde, dass bei der Prüfung der Geschmackswahrnehmung im Gutachten unrichtige Feststellungen getroffen worden seien - der Kläger habe entgegen der Feststellung im Gutachten von Prof. Dr. med. E bei der Prüfung des Geschmackssinns keinerlei Reizstoffe wahrgenommen - und dem Kläger wegen des völligen Verlustes seines Riechvermögens wesentliche Voraussetzungen seiner Berufsausübung als Restaurantfachmann fehlten (Unmöglichkeit der Qualitätsbeurteilung ausgeschenkter Weine und Speisen, Erkennen von Gefahrensituationen, z. B. bei austretenden Gasen beim Grillen, Beurteilung der Güte der Raumluft in der Gaststätte), wies die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (vom 07. November 2003) über den Betrieb des Klägers und seiner Ehefrau mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2003 zurück. Die Voraussetzungen einer unbilligen Härte im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII lägen nicht vor: Trotz der Unfallfolgen könne der Kläger außer Geruchstestungen alle übrigen in seinem Betrieb, in dem er seit 1996 überwiegend als Gastwirt (Tresen) und Kellner – mit zwei Servicemitarbeitern und Pauschalkräften sowie der Ehefrau als Köchin – tätig sei, anfallenden Tätigkeiten, insbesondere die Aufsicht führenden, ausüben. Sollte ein Geruchstest erforderlich sein, könne diese Aufgabe einem Angestellten übertragen werden. Eine Delegierung dieser Aufgaben sei nicht gleichbedeutend mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg.

Hiergegen hat der Kläger am 08. Januar 2004 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben und einen Anspruch auf Gewährung von Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung weiterverfolgt. Zur Begründung ist ergänzend vorgetragen worden, dass ein intakter Geruchs- und Geschmackssinn Zugangsvoraussetzung für den vom Kläger ausgeübten Beruf eines Restaurantfachmannes sei (Vorlage einer Ausbildungs- und Tätigkeitsbeschreibung "Restaurantfachmann/frau" aus berufenet.arbeitsamt.de). Der Kläger habe den Beruf eines Kellners erlernt (Facharbeiterzeugnisses als "Kellner" vom 13. Juli 1974), im Jahre 1989 erfolgreich die Hotelschule des Interhotel der DDR abgeschlossen und ab September 1977 bis April 1990 als Kellner im Hotel "M" in B, Fstraße, gearbeitet und betreibe seit Mai 1990 zusammen mit seiner Frau als selbständiger Gastwirt die Gaststätte "Z" in K (Kopie der Gewerbegenehmigung des Rates des Kreises K vom 07. Mai 1990 sowie der Gewerbe-Anmeldung bei der Stadt K vom 26. Januar 2000 über das "Betreiben einer Gaststätte und Pension sowie einer Kegelbahn und eines Billards"). Es handele sich um eine anspruchsvolle Gastronomie, die auch sehr gute Kenntnisse im Weinangebot erfordere. Die Einstellung von Teilzeitkräften, geschweige denn Vollzeitbeschäftigten zum Ausgleich des bei ihm nicht mehr vorhandenen Geschmacks- und Geruchssinns sei nur für kurze Zeit möglich. Die Bewerber seien in der Regel auch nicht in der Lage, den inhaltlichen Ansprüchen, die zur Bewältigung der täglichen Arbeit in der Gaststätte nötig seien, gerecht zu werden. Verkostung und Qualitätsprüfung von Speisen und Getränken seien nicht mehr möglich. Die Kontrolle der Luft in den Gasträumen bzw. Toiletten durch ihn sei ausgeschlossen. Diesbezügliche Reklamationen von Gästen könnten vom Kläger ohne fremde Hilfe nicht geprüft werden. Dies wirke sich auch erheblich auf den Umsatz aus. Der Kläger hat hierzu die Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2000 bis 2004 sowie einen "Gewinn- und Verlust-Vergleich" über die Jahre 2002 bis 2005 vorgelegt.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

den Verwaltungsakt der Beklagten vom 05. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 dahingehend abzuändern, dass für den Kläger aus dem Versicherungsfall vom 29. September 2001 ein Anspruch auf Rente bestehe.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, dass beim Kläger angesichts des vom Bundessozialgericht (BSG) angelegten strengen Maßstabes kein besonderer Härtefall im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII vorliege. Der Kläger übe keinen geforderten Spezialberuf aus, wie z. B. den eines Kaffeeprüfers, bei dem bei Verlust des Geruchssinns besondere berufliche Nachteile vorlägen. Ausfallende Verdienstmöglichkeiten müssten nach dem Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung außer Acht bleiben.

Das SG hat von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl. Med. G einen Befundbericht (vom 07. September 2004) eingeholt.

Durch Urteil des SG vom 04. Juli 2006 ist die Klage abgewiesen worden. Das SG hat sich zur Beurteilung der MdE auf das Verwaltungsgutachten von Prof. Dr. med. E gestützt und im Übrigen ein "besonderes berufliches Betroffensein" des Klägers im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII nicht erkennen können. Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seine bisher ausgeübte berufliche Tätigkeit auch weiterhin ausübe. Seine Tätigkeit sei u. a. auch nicht mit der eines Kochs vergleichbar, da nicht er, sondern seine Ehefrau die angebotenen Speisen fertige. Eine Ausnahme im Sinne eines besonders spezialisierten Berufs des Klägers liege nicht vor.

Gegen das der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. Oktober 2006 zugestellte Urteil ist am 22. November 2006 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt worden.

Zur Begründung ist im Wesentlichen zur Frage der besonderen beruflichen Nachteile des Klägers vorgetragen worden, insbesondere, dass der Kläger seinen bisherigen Beruf wegen des Verlustes des Geruchssinnes nicht in vollem Umfang als Gastwirt ausüben könne und aufgrund der Selbständigkeit gezwungen sei, durch übergebührliche Anstrengungen seinen wirtschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Der Kläger müsse sich fremder Hilfe bedienen; auch als Ausbilder sei er durch den Verlust des Geruchssinns erheblich eingeschränkt. Anhand der von ihm beigefügten Verordnungen über die Berufsausbildung von Fachkräften im Gastgewerbe sei auch erkennbar, dass er, würde er eine Ausbildung zum Restaurantfachmann heute beginnen, gar nicht mehr in der Lage wäre, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Ausübung seines Berufs zu erfüllen. Darüber hinaus hat der Kläger unzureichende gutachterliche Feststellungen durch den im Berufungsverfahren tätig gewordenen Sachverständigen bemängelt, da die speziellen Kriterien im gastronomischen Bereich nicht hinreichend gewürdigt worden seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 04. Juli 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 aufzu¬heben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist auf das im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Prinzip der abstrakten Schadensbemessung. Darüber hinaus sei der Kläger nicht als Koch tätig und habe die zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Tätigkeit wegen der Unfallfolgen auch nicht aufgeben müssen.

Auf Anordnung des Berichterstatters hat der Facharzt für HNO Heilkunde Dr. med. L nach ambulanter Untersuchung des Klägers unter dem 16. Juni 2008 ein schriftliches Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattet. Er hat beim Kläger eine Anosmie festgestellt und bei der "Schmeckprüfung", dass eine normale Empfindlichkeit des Schmeckvermögens für süß und sauer und ein geringer Schmeckverlust für bitter und salzig bestehe. Der Hör- und Gleichgewichtssinn, Sehvermögen und sonstige Hirnnervenfunktionen des Kopfes seien nicht dauerhaft eingeschränkt. Beim Kläger handele es sich um eine Anosmie mit Störung des gustatorischen Riechvermögens. Durch die Geschmacksstörung werde die Anosmie noch erheblich akzentuiert, so dass bei kombinierter Schädigung beide Sinne betroffen seien. Daher sei keine getrennte Bewertung der Funktionsausfälle, sondern eine Gesamtbewertung vorzunehmen. Die MdE schätze er mit 15 v. H. ein. In Ergänzung seines Gutachtens hat er unter dem 20. Oktober 2008 die Einzelheiten der Durchführung der Geschmacksprüfung dargelegt und festgestellt, dass die Geschmacksqualitäten süß und sauer in der zweiten Konzentrationsstufe wahrgenommen worden seien, d. h., es liege keine Störung des Schmeckvermögens für süß und sauer vor. Bei der Prüfung der Geschmacksqualitäten bitter und salzig seien höhere Konzentrationen der Testlösungen erforderlich gewesen, um eine Geschmacksempfindung auszulösen, d. h. das Schmecken von bitter und salzig sei eingeschränkt möglich. Die Begutachtung sei nach wissenschaftlich anerkannten Beurteilungskriterien erfolgt. Auf weitere Nachfrage durch den Berichterstatter hat Dr. med. L unter dem 18. März 2010 weiter ausgeführt, dass der unfallbedingte Körperschaden mit "völligem Verlust des Riechvermögens mit der damit verbundenen Beeinträchtigung der Geschmackswahrnehmung" zu bezeichnen sei. Die MdE hierfür betrage 15 %. Dies gelte unter Berücksichtigung der von ihm zur Bewertung herangezogenen Quellen, insbesondere auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, 7. und 8. Auflage. In der letztgenannten Quelle werde Bezug genommen auf Feldmann: Das Gutachten des Hals Nasen Ohren Arztes, der eine MdE von 15 % für den völligen Verlust des Riechvermögens mit der damit verbundenen Beeinträchtigung des Geschmackssinns ausweise. Von einer völligen "Aufhebung der Geschmacksempfindung" sei dabei aber nicht die Rede.

Zum Verfahren sind Auszüge aus der "Berufsinformationskartei nach Berufsordnungen", herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit, 1995, zu den Berufen eines "Gastwirtes, Hoteliers/Gaststättenkaufleute (ohne Empfang)" (BIK BO 911/I), eines "Hotel- und Gaststättenempfangspersonal" (BIK BO 911/2) sowie eines "Kellners/Stewards/Kellnerinnen/Stewardessen" (BIK BO 912) sowie Kopien (der Seiten 532-566) aus dem "Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen – gabi", herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit, 1995/96, zu dem Beruf "Restaurantfachleute-912a" beigezogen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der bei gezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (Az.:), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat und ein Härtefall im Sinne der Regelung des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII nicht vorliegt. Der Bescheid der Beklagten vom 05. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 ist rechtmäßig.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG; BSGE 63, 207, 209; vgl. auch Bundestagsdrucksache 13/2204 Seite 90). Bei der Bemessung der MdE werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII).

Die Bemessung des Grades der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. BSG, Urteil vom 02. Mai 2001, B 2 U 24/00 R, zitiert nach juris). Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls kann die Höhe der MdE geschätzt werden. Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (so zuletzt BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R, zitiert nach juris).

Da auf den Verlust aller Erwerbsmöglichkeiten abgestellt wird, kommt es für die Feststellung der MdE nicht auf den tatsächlichen Verlust an Erwerbseinkünften oder den Verlust des Arbeitsplatzes an (Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung). Durch die Renten an Versicherte wird mithin nicht der konkrete Erwerbsschaden ersetzt, sondern der durch den Versicherungsfall bedingte Verlust einer Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist die MdE für die Folgen des bindend anerkannten Arbeitsunfalls des Klägers vom 29. September 2001 nach § 56 Abs. 1. S. 1 SGB VII jedenfalls nicht mit 20 v. H. oder mehr zu bewerten.

Als Folge des Arbeitsunfalls hat die Beklagte mit Bescheid vom 05. August 2003 einen beidseitigen Verlust des Geruchsvermögens sowie Schwindelerscheinungen bei raschen Körperbewegungen anerkannt. Dies basiert auf einem Gutachten von Prof. Dr. med. E vom 29. Juni 2003, der eine beiderseitige Anosmie beim Kläger festgestellt hatte, wobei die Geschmacksprüfung ergeben hatte, dass alle angebotenen gustatorischen Reizstoffe in der jeweils niedrigsten bzw. mittleren Konzentration wahrgenommen und konkret identifiziert worden seien (Seite 24 des Gutachtens). Eine beiderseitige Anosmie hat auch der Sachverständige im Berufungsverfahren Dr. med. L mit seiner "Riechprüfung" festgestellt (Seite 5 seines Gutachtens vom 16. Juni 2009). Mit den von Prof. Dr. med. Eerhobenen Befunden (vgl. S. 24 des Gutachtens von Prof. Dr. med. E: "Bei seitengetrennter Prüfung werden alle angebotenen gustatorischen Reizstoffe - vgl. hierzu Geschmacksprüfung S. 26 des Gutachtens zu den Qualitäten bitter/Chinin, sauer/Zitronensäure, salzig/Kochsalzlösung und süß/Zucker - in der jeweils niedrigsten bzw. mittleren Konzentration wahrgenommen und korrekt identifiziert.") auch insoweit im Wesentlichen übereinstimmend hat Dr. med. L darüber hinaus auch in der "Schmeckprüfung" (Seite 5 seines Gutachtens) eine annähernd normale Empfindlichkeit des Schmeckvermögens für süß und sauer bei geringen Schmeckverluste für bitter und salzig festgestellt, wobei er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Oktober 2008 im Einzelnen dargestellt hat, welche Geschmacksproben mit welcher Konzentration dem Kläger bei der Testung verabreicht worden sind und bei welchen Konzentrationen der Kläger die Geschmacksqualitäten jeweils anerkannt hat. Danach sind vom Kläger die Geschmacksqualitäten für süß und sauer in der jeweils zweiten (von vier) Konzentrationsstufen (10 % bzw. 5 %, Seite 1 der ergänzenden Stellungnahme vom 20. Oktober 2008) erkannt worden, die Geschmacksqualitäten bitter und salzig bei Konzentrationen der Testlösungen von 0,1 % (Stufe III - von vier Stufen - der Testlösung Chinin für bitter) bzw. 36 % (Stufe IV –von vier Stufen - der Testlösung Salz, ebenfalls Seite 1 der ergänzenden Stellungnahme vom 20. Oktober 2008). Der von den Sachverständigen angewandte Screening Test entspricht den Empfehlungen der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Olfaktologie und Gustologie der Deutschen Gesellschaft für Hals Nasen Ohren Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (AWMF Leitlinien - Registernummer 017, 052, Stand: 05/2007; im Internet abrufbar unter AWMF Online S 2 Leitlinie HNO DD Schmeckstörungen) zur Überprüfung des globalen Schmeckvermögens (unter "5. Diagnostik - in Untersuchungsverfahren bei Schmeckstörungen"). Insoweit überzeugt die Aussage von Dr. med. L in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Oktober 2008, wonach "die Begutachtung nach wissenschaftlich anerkannten allgemeinen Kriterien" erfolgt sei. Soweit Dr. med. L darauf hingewiesen hat, dass die von ihm benutzten Geschmacksproben die Geschmackqualitäten von Speisen und Getränken, mit denen ein Gastwirt täglichen Umgang hat, entsprechen, mag es für einen Gastwirt durchaus von Vorteil sein, noch mehr Geschmacksqualitäten erkennen zu können. Für die Beurteilung einer Geschmacksstörung nach dem Prinzip der abstrakten Schadensbemessung und der damit verbundenen Pauschalierung (vgl. hierzu Scholz, jurisPK-SGB VII, § 56 Rz. 17-19) im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII kommt es aber auf den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und nicht darauf an, ob sich der Verlust des Schmeckens auf die konkrete berufliche Situation des Versicherten gravierender auswirkt als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dass insoweit nicht nach den "Kriterien eines gastronomischen Betriebes" die Schmeckprüfung durchgeführt worden sei – so der Vorwurf des Klägers – entspricht nach der Angabe von Dr. med. L somit nicht den Tatsachen, kann aber letztlich dahingestellt bleiben. Soweit der Kläger noch darauf hingewiesen hat, dass er speziell bei der Prüfung hochwertiger Weine nicht nur starke Süß- und Sauer Geschmacksrichtungen wahrnehmen können müsse, sondern auch weniger intensive Süß- und Sauerausrichtungen, lässt sich der ergänzenden Stellungnahme von Dr. L vom 20. Oktober 2008 entnehmen, dass der Kläger gerade bei den Geschmacksqualitäten süß und sauer keine Störung des Schmeckvermögens aufweist (Seite 2 der ergänzenden Stellungnahme; vgl. auch Grafik "Schmeckverlust" im Sachverständigengutachten vom 16. Juni 2008).

Ausgehend von einem völligen Verlust des Riechvermögens mit der aus dem Schmecktest von Dr. med. L nachgewiesenen geringfügigen Beeinträchtigung des Geschmackssinnes für süß und sauer lässt sich eine MdE von 20 v. H. nicht feststellen.

Dies ergibt sich aus den Feststellungen von Prof. Dr. med. E und Dr. med. L hierzu, denen der Senat folgt, da beide mit den entsprechenden Empfehlungen im versicherungsmedizinischen Schrifttum übereinstimmen, wie Dr. med. L insbesondere in seiner Stellungnahme vom 18. März 2010 ausgeführt hat. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, 7. Auflage 2003, Seite 352, bemisst sich die MdE für den Verlust der Geruchsempfindung allein mit 10 v. H; diese MdE hat Prof. Dr. med. Ein seinem Gutachten vom 29. Juni 2003 (S. 28) – in Anlehnung an Feldmann, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 5. Auflage 2001, S. 256 – auch zugrunde gelegt. Bei einem kombinierten Ausfall von Geruch und Geschmack, einem Anosmie-Ageusie-Syndrom (vgl. Feldmann, a.a.O., S. 257; ebenso S. 312 der 6. Aufl. 2006 dieses Werkes; Schönberger/Mehrtens/Valentin: Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 263), bei dem die Auswirkungen des Verlustes des Geruchssinnes durch die aufgehobene Geschmacksempfindung verstärkt werden, ist nach Feldmann (S. 257 in der 5. und S. 312 in der 6. Auflage seines Werkes) eine MdE von 15 v. H. angemessen, nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, 8. Auflage 2010, S. 263 eine MdE von 20 v. H. (keine Angabe einer MdE bei einem solchen Syndrom noch in der Vorauflage von Schönberger/Mehrtens/Valentin, 2003, S. 352). Ein solches Syndrom liegt beim Kläger aber nicht vor; ein Geschmacksausfall ist gerade auch von Dr. med. L nicht festgestellt worden. Insoweit kommt es auf die – rentenrelevante – unterschiedliche Bewertung des Anosmie-Ageusie-Syndrom bei Feldmann einerseits und Schönberger/Mehrtens/Valentin andererseits nicht an. Soweit Dr. med. L in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2010 unter Hinweis auf Stoll, Das neurotologische Gutachten, Thieme 2002, Seite 76 darüber hinaus noch ausgeführt hat, dass auch im Übrigen in der versicherungsmedizinischen Literatur für einen "völligen Riechverlust mit der damit verbundenen Beeinträchtigung der Geschmackswahrnehmung" eine MdE von 15 v. H. angegeben werde, bedeutet dies für den vorliegenden Fall nur, dass eine MdE von 20 v. H. jedenfalls nicht in Betracht kommt. Grundlage der Bewertung mit einer MdE von 15 v. H. ist, dass die beidseitige Anosmie eine erhebliche Minderung der Lebensqualität bedeutet, weil Speisen und Getränke kein spezifisches Aroma mehr haben, sondern nur noch weniger sauer, süß, bitter oder salzig schmecken. Duftstoffe, aber auch schädliche und warnende Gerüche können nicht mehr wahrgenommen werden (so ergänzende Stellungnahme Dr. med. L vom 18. März 2010). In Übereinstimmung mit Feldmann (6. Auflage, Seite 312) hat Dr. med. L in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass bei einer posttraumatischen Anosmie die Geschädigten zumeist auch angäben, dass sie nichts mehr schmecken könnten, auch wenn es sich beim Riechen und Schmecken um anatomisch verschiedene Nerven handele, deren Zusammenwirken aber zu einer komplexen Sinneswahrnehmung führten, so dass die beiden Komponenten besonders bei der Nahrungsaufnahme kaum voneinander getrennt werden könnten (ergänzende Stellungnahme Dr. L vom 18. März 2010). Insoweit ist der Beurteilung der MdE durch Dr. med. L in Höhe von 15. v. H. zu folgen.

Soweit Dr. med. L in seiner Stellungnahme vom 18. März 2010 bezüglich des MdE Wertes von 15 v. H. auf die Anhaltspunkte 2004 verweist, steht dies zwar nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG, wonach im Unterschied zur gesetzlichen Unfallversicherung die GdB /MdE Beurteilung im Schwerbehindertenrecht bei der Bildung des GdB gerade auch die Auswirkungen der Gesundheitsstörung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft berücksichtigt werden, während in der gesetzlichen Unfallversicherung – insoweit enger – auf die Auswirkungen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens abgestellt wird (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R, veröffentlicht in juris); es führt aber ebenfalls nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Denn die Tatsache, dass - wie Dr. med. L in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2010 ausgeführt hat - die beidseitige Anosmie eine erhebliche Minderung der Lebensqualität bedeute, also in seine Beurteilung einen über das Gesamtgebiet des Erwerbslebens hinausgehender privater Bereich bei der Bildung der MdE berücksichtigt wird, führt im Umkehrschluss dazu, dass die MdE auf dem Gebiet des Erwerbslebens, soweit es sich nicht um besondere berufliche Nachteile handelt, jedenfalls nicht höher sein kann als die auf dem Gebiet der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, also in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (§ 69 Abs. 1 Satz 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch SGB IX ).

Eine weitere Erhöhung der MdE wegen der als Unfallfolge von der Beklagten anerkannten "Schwindelerscheinungen bei raschen Körperbewegungen" kommt nicht in Betracht. Denn die zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. med. E noch bestehenden "Schwindelerscheinungen bei raschen Körperbewegungen" konnten bei der Begutachtung durch Dr. med. L am 15. April 2008 nicht mehr festgestellt werden. Insoweit ist die von Prof. Dr. E in Aussicht gestellte "vollständige Regredienz der Symptomatik" (Seite 27 des Gutachtens Prof. Dr. E, eingetreten. Die Anerkennung einer solchen Erkrankung als Unfallfolge führt für sich im Übrigen auch nicht zu einer MdE; denn Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer tatsächlich vorhandenen, in ihren funktionellen Auswirkungen konkret feststellbaren/messbaren körperlichen und/oder seelischen Einschränkung, die die konkrete Minderung der Erwerbsfähigkeit konstituiert.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch unter dem Gesichtspunkt einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII keine Erhöhung der MdE und damit kein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung herzuleiten. Nach dieser Vorschrift werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Das BSG hat zu dieser Vorschrift im Einzelnen ausgeführt (vgl. Urteil vom 05. September 2006, B 2 U 25/05 R, zitiert nach juris, Rz. 18 und 19):

" ... Die Vorschrift verlangt wie ihre Vorläuferbestimmung in § 581 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die Versicherte dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können. Bereits vor der Einführung der Vorschrift durch das Unfallversicherungsneuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl. I 241) entsprach es der ständigen Rechtsprechung des BSG, zur Vermeidung unbilliger Härten bei der Bemessung der MdE auch die Auswirkungen der Unfallfolgen auf den Lebensberuf des Verletzten im Einzelfall angemessen, nicht etwa ausschlaggebend zu berücksichtigten (vgl. BSGE 1, 174, 178; BSGE 4, 294, 298). Seit dem In Kraft Treten des § 581 Abs. 2 RVO (heute § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII) sind die bis dahin entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung gesetzlich normiert. Allerdings lässt diese unfallversicherungsrechtliche Regelung keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - etwa entsprechend den Grundsätzen des § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - zu. Eine derartige Auslegung widerspräche der Systematik des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung, das für die Bemessung der Verletztenrente anders als das Versorgungsrecht die Beschädigtengrundrenten nicht lediglich ohne Rücksicht auf Alter und Einkommen des Beschäftigten allein nach der Höhe der MdE zu gewährende Pauschalsätze vorsieht, sondern (auch) dem individuelleren Maßstab des vom Verletzten während des letzten Jahres vor dem Versicherungsfall verdienten Arbeitsentgelts (§§ 56 Abs. 3, 81 ff. SGB VII) zugrunde legt (BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 7 m. w. N.). Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII nur dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (ständige Rechtsprechung seit BSGE 23, 253, 255 = SozR Nr. 2 zu § 581 RVO; zuletzt BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 7). Selbst wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf infolge des Versicherungsfalls nicht mehr ausüben kann, muss dies daher nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der MdE führen.

Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten geboten ist, hat das BSG insbesondere das Alter des Verletzten, die Dauer der Ausbildung sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete sowie schließlich, dass der Versicherungsfall einen unzumutbaren sozialen Abstieg hervorgerufen hat (BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 7, Seite 29, 30 m. w. N.)."

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass eine unbillige Härte im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII zu verneinen ist.

Beim Kläger lassen sich schon besondere berufliche Kenntnisse oder Erfahrungen nicht feststellen. Hierbei handelt es sich um alle berufsspezifischen Fertigkeiten, die sich von den üblichen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen dadurch abheben, dass der Versicherte sie sich durch einen spezielle Ausbildung, eine vorhandene Begabung oder meist jahrelange Übung angeeignet hat, und die für einen anderen Beruf nicht verwertbar sind - Beispiele aus der Rechtsprechung des BSG (zitiert nach Scholz, in: juris PK SGB VII, § 56 Rz. 65 m. w. N., vgl. auch Kranig in Hauck/Noftz: SGB VII, Kommentar zu § 56 Rz. 47 mit weiteren Beispielen) sind Musiker (z. B. Geiger oder Pianist), Lebensmittelprüfer (z. B. Kaffeeröster, bei dem es auf die in jahrelanger Praxis angeeignete Fähigkeit des Kaffeeprüfens ankommt, Olivenöltester, Weinkontrolleur). Nicht erfasst wird demgegenüber ein berufliches, länger erprobtes Fachwissen, da dies in der Regel in jedem Beruf vorliegt, der für eine gewisse Dauer ausgeübt wurde; nicht ausreichend ist es, wenn Versicherte ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben können.

Der Kläger hat seinen Beruf nicht aufgegeben; denn er ist nach wie vor - zusammen mit seiner Ehefrau – im eigenen Hotel- und Restaurantunternehmen tätig. Mit dieser Tätigkeit hat er sich von dem erlernten und in Beschäftigungsverhältnissen bis April 1990 ausgeübten Beruf als Kellner insoweit entfernt, als er, jedenfalls zum Zeitpunkt des Unfalls nunmehr – bis auf den Küchenbereich, den seine Ehefrau leitet – mitarbeitender Pensions- und Gaststättengeschäftsführer ist, der auch Personal anleitet und führt sowie Ausbilder für Gaststättenfachpersonal ist. Damit geht sein Tätigkeitsbereich über den eines reinen Kellners – nach heutiger Bezeichnung Restaurantfachmann (vgl. gabi 912a Restaurantfachleute B 0.0 und 0.01, B 0.03a unter "Berufsbenennungen" und "übliche Berufsbenennungen" bzw. "frühere vergleichbare/verwandte DDR-Berufe") – hinaus. Diese Tätigkeit des Klägers hat ihm keine außergewöhnlich günstige Stellung im Erwerbsleben verschafft. Es handelt sich um eine Tätigkeit, wie sie auch von vielen anderen Arbeitnehmern oder Selbständigen als Gastwirt, Restaurantbesitzer, Hotelier als Berufsausübungsform im Berufsfeld eines Restaurantfachmannes ausgeübt wird (vgl. gabi 912a Restaurantfachleute B 7.2-29 unter "Gastwirt" und "Restaurantbesitzer"). Auch die Tatsache, dass es sich bei dem Unternehmen des Klägers nach dessen Vorbringen um eine durchaus gehobene Gastronomie handelt, macht aus seiner Tätigkeit noch keine hervor gehobene im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Dass der Kläger sich aus dieser Berufsgruppe durch besondere Kenntnisse und Fertigkeiten hervorhebt, lässt sich – auch angesichts des bis zum Unfall lediglich ca. 10jährigen (Mai 1990 bis September 2001) Zeitraumes der Berufsausübung – nicht feststellen. Der Kläger hat sich nach seinem Vorbringen weder die Kenntnisse etwa eines Spitzenkochs oder etwa eines Sommeliers erworben, die ihn aus der Gruppe der Kellner und/oder Gastronomen herausheben würde. Dass es auch zu seiner Tätigkeit gehört, Speisen und Getränke zu verkosten, erfordert gerade keine speziellen, über die durch Lehre und langjährige Ausübung der Tätigkeit als Kellner oder Gastwirt hinaus gehenden Kenntnisse und Fertigkeiten oder eine ganz spezielle Weiterbildung oder besondere Begabung, sondern gehört zum "normalen" Berufsbild (vgl. gabi 911d Gastwirt(in), Hotelier, Caféinhaber B 0.12 unter "Tätigkeiten im einzelnen" und "mittlere Betriebsgröße" und gabi 912a Restaurantfachleute B 0.1 unter "Kerntätigkeit").

Selbst wenn man beim Kläger von speziellen Fertigkeiten im genannten Sinne ausgehen würde, läge keine unbillige Härte vor. Denn vorausgesetzt wird im Übrigen auch, dass diese speziellen Fertigkeiten nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang genutzt werden können (Nachteil). Ein Nachteil in diesem Sinne liegt nur dann vor, wenn die speziellen Fertigkeiten auch nicht in anderen - z. B. dem bisherigen Beruf ähnlichen bzw. verwandten Beschäftigungsalternativen - beruflichen Tätigkeiten eingesetzt werden können. Auch wenn der Kläger wegen des Verlustes des Geruchssinns und geringfügiger Beeinträchtigung des Geschmackssinns notwendige, in der Berufsausbildung erworbene betriebsbezogene Kenntnisse nicht mehr realisieren kann, da er bestimmte Produkte (Speisen, Wein) nicht mehr auf ihre Beschaffenheit hin prüfen kann (vgl. zu diesem Ausbildungsinhalt bei der Fachkraft im Gastgewerbe die vom Kläger übersandte Ausbildungsordnung unter der laufenden Nr. 4, Bl. 170 GA), bestünden für ihn gleichwertige seinem Beruf verwandte Beschäftigungsalternativen im Hotel- und Gaststättengewerbe. So kommt für Restaurantfachleute - der jetzigen Bezeichnung für den früheren Ausbildungsgang des Kellners (vgl. gabi Nr. 912 a Restaurantfachleute B 0.0, Bl. 255 GA) - als Beschäftigungsalternative der Hotelfachmann in Betracht, da insoweit eine identische Ausbildung während der ersten beiden Ausbildungsjahre besteht (vgl. gabi 912 a Restaurantfachleute, B 8 Beschäftigungsalternativen). In Betracht kommen auch mit entsprechender Einarbeitung und Zusatzausbildung als Beschäftigungsalternativen der Direktionsassistent (Hotel) oder Hotelsekretär (vgl. ebenfalls gabi 912 a Restaurantfachleute B 8 Beschäftigungsalternativen). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Beklagte in ihrem Bescheid vom 05. August 2003 auf einen möglichen Anspruch des Klägers auf Berufshilfe (§ 35 SGB VII) Bezug genommen hat. Insoweit bestünde selbst beim Vorliegen spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten kein Nachteil im Sinne des § 57 Abs. 2 Satz 3 SGB VII.

Soweit der Kläger sich für die ihm aus dem Arbeitsunfall entstandenen nicht ausgeglichenen Nachteile auf "erhebliche Gewinnreduzierungen" beruft, lässt sich zwar feststellen, dass - ausweislich der Übersicht "Gewinn- und Verlust-Vergleich über vier Jahre" für die Jahre 2002 bis 2005 - der Jahresüberschuss nach Steuern von 97 988,EUR (2002) über 59 470,00 EUR (2003), 59 752,00 EUR (2004) auf 56 283,00 EUR (2005) gefallen ist. Inwieweit dies allerdings auf den Arbeitsunfall des Klägers zurückzuführen ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Aus dem vorgelegten "Gewinn- und Verlust-Vergleich über vier Jahre" lässt sich nicht erkennen, dass der Kläger gerade wegen seines Unfalls vom 29. September 2001 in den Folgejahren höhere Personalkosten als Substitution für seinen ausgefallenen Geruchssinn gehabt hätte. Der Personalaufwand betrug im Jahre 2002 26 535,00 EUR, im Jahre 2003 32 004,00 EUR, im Jahre 2004 37 003,00 EUR und im Jahre 2005 29 398,00 EUR (Nr. 5 a des "Vergleichs"). Ob diese schwankende Erhöhung des Lohnkostenanteils durch Einstellung von Personal zum Ausgleich des Handicaps des Klägers entstanden ist, ist nicht ersichtlich und auch im Einzelnen nicht vorgetragen.

Eine unbillige Härte ist auch ansonsten nicht festzustellen. Dass der Kläger seinen Beruf in der jetzigen unternehmerischen Ausübungsform nicht mehr ausüben kann, wird schon dadurch widerlegt, dass er nach wie vor mit seiner Frau zusammen den Hotel- und Gastronomiebetrieb führt. Auch die Tatsache, dass erst eine Erhöhung der MdE einen Rentenanspruch begründen würde, begründet nach der Rechtsprechung des BSG keine unbillige Härte (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 18). Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalls 45 Jahre alt und führte bereits damals zusammen mit seiner Frau den Hotel und Pensionsbetrieb "Z" in K. Die auf Unfallfolgen zurückzuführende, gewiss lästige Behinderung des Klägers in der Ausübung seines Berufes – vor allem bei der Prüfung von Produkten auf ihre Beschaffenheit hin –, aber auch in seiner Funktion als Ausbilder der ihm anvertrauten Auszubildenden – im Hinblick darauf, nicht mehr die entsprechenden Kenntnisse im Küchenbereich vermitteln können, soweit es um die Prüfung von Produkten auf ihre Beschaffenheit, das Zubereiten einfacher Speisen oder Arbeitstechniken und Garverfahren zur Herstellung einfacher Speisen geht (vgl. die vom Kläger überreichte Ausbildungsordnung zur Fachkraft im Gastgewerbe unter laufender Nr. 8), die nur durch den Einsatz seiner Frau kompensiert wird – verkennt der Senat nicht; dies ist aber nicht einmal mit der Lage vergleichbar, in welcher sich ein abhängig beschäftigter Kellner befindet, welcher infolge eines Arbeitsunfalls den erlernten Beruf aufgeben muss. Insgesamt ergibt sich aus der Bewertung aller Umstände des Einzelfalls hier im Fall des Klägers somit keine unbillige Härte.

Die Berufung muss mithin erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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