L 8 U 761/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 4185/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 761/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. November 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anl. 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Lärmschwerhörigkeit - Anspruch auf Rente zusteht.

Der 1945 geborene Kläger teilte der Beklagten im März 2001 mit, er leide seit 13 Jahren unter Tinnitus. Nach verschiedenen Behandlungen hätte er gedacht, er habe den Tinnitus bezwungen. Seit etwa gut einem Jahr habe sich aber sein Ohrgeräusch stetig gesteigert bis hin an die Grenze der Unerträglichkeit. Bei seiner langen Suche nach einer eventuellen Ursache tippe er auf eine Mobilfunk-Anlage, die ca. 80 m von seinem Büro entfernt sei. Seit 1959 sei er bei Gebrüder H.GmbH, M., beschäftigt.

Die Beklagte ließ durch das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit (BIA) Messungen elektromagnetischer Felder am Arbeitsplatz des Klägers durchführen. Bei der durchgeführten Messung war der Kläger mit anwesend. Das Messgerät wurde am Arbeitsplatz des Klägers aufgestellt und gegen die Mobilfunkantennen ausgerichtet. Im Messbericht des BIA vom 19.09.2001 wurde ausgeführt, die Exposition durch magnetische, elektrische und elektromagnetische Felder habe weit unter den zulässigen Grenzwerten für Personen im Expositionsbereich 2, d.h. für eine Dauerexposition ohne Einschränkungen, gelegen. Eine Gefährdung von Personen sei daher nicht zu erwarten.

Dr. J. S. - Facharzt für Allgemeinmedizin - teilte auf Anfrage der Beklagten am 29.10.2001 mit, den Kläger habe er erstmals am 27.03.1995 behandelt. Beim Kläger lägen "Hochtonschwerhörigkeit, Tinnitus cranii cerebri, Gleichgewichtsstörung" vor. Im Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-P. S. vom 17.05.2001 sind folgende Diagnosen aufgeführt: Tinnitus, Anpassungsstörung, Höhenangst, Gleichgewichtsstörung, leichte kognitive Störungen.

Mit Bescheid vom 07.02.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab.

Der hiergegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2002 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, die vom Kläger geklagten Ohrgeräusche in Bezug auf die angeschuldigte Belastung durch elektromagnetische Felder einer Mobilfunkanlage seien nicht als Krankheitsbild in der Berufskrankheitenliste aufgeführt, weshalb diese nicht als Berufskrankheit nach § 9 Abs.1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) hätten anerkannt werden können. In Bezug auf das vom Kläger geklagte Erkrankungsbild gebe es bislang keine neuen gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass bestimmte Personengruppen bei ihrer beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt seien, sich eine derartige Erkrankung, wie sie beim Kläger vorliege, zuzuziehen. Auch aus diesem Grunde habe keine Anerkennung der Erkrankung des Klägers "wie eine Berufskrankheit" nach § 9 Abs.2 SGB VII erfolgen können.

Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (S 4 U 144/03) und verfolgte sein Begehren weiter. Die Beklagte legte das Schreiben des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaft (HVBG) vom 01.03.2004 vor, wonach keine neuen gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt geworden seien, wonach die Personengruppe, die berufsbedingt der Einwirkung elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sei, in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an bestimmten Erkrankungen leide. Auch aus mehreren Bundestags-Drucksachen von 2002 und 2003 sei zu entnehmen, dass es gesicherte, medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse nicht gebe, sondern vielmehr Forschungsbedarf bestehe. Mit Schreiben vom 02.12.2004 nahm der Kläger die Klage zurück.

Mit Schreiben vom 17.08.2004 zeigte der Kläger der Beklagten den Verdacht auf eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV an. Die Beklagte holte daraufhin eine Arbeitsplatzlärmanalyse ein. In der Stellungnahme des Präventionsdienstes Stuttgart vom 03.11.2004 wurden die verschiedenen Tätigkeiten des Klägers im Zeitraum vom 01.04.1959 bis 30.09.2001 aufgeführt und darauf hingewiesen, dass die detaillierte Lärmbelastung des Versicherten für die einzelnen Beschäftigungsabschnitte jeweils entnommen werden könne. Danach habe der Versicherte während seiner gesamten beruflichen Tätigkeit insgesamt 1,0 Jahre einem äquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 85 bis unter 90 dB(A) und insgesamt 40,5 Jahre einem äquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 90 dB(A) unterlegen. Der Kläger befinde sich seit Oktober 2001 im Vorruhestand. Die angegebenen Beurteilungspegel seien aufgrund der allgemeinen Kenntnisse über vergleichbare Arbeitsplätze, persönliche Angaben des Versicherten sowie Recherchen aus Lärmmessungen des Betriebes zusammengestellt worden. Der Kläger habe sich als Qualitätssicherer in den nachfolgenden Bereichen wie folgt aufgehalten:

Bürobereich 50% 70 dB(A) Montagebereich 20% 90 dB(A) Mechanische Fertigung 20% 90 dB(A) Stanzbereich 10% 100 dB(A).

Seit 1990 besitze der Kläger ein Hörgerät und habe sich bei verschiedenen HNO-Ärzten wegen eines vorliegenden Innenohrgeräusches in Behandlung befunden. Eine regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung nach G 20 sei durch die zuständigen Betriebsärzte des Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienstes Reutlingen ebenfalls durchgeführt worden.

Anschließend holte die Beklagte das HNO-ärztliche Gutachten des Dr. V., T., vom 13.01.2005 ein. Darin führte dieser aus, die Hörprüfungen hätten das Bild einer Lärmschwerhörigkeit ergeben. Die geringe Seitendifferenz - das rechte Ohr höre etwas besser als das linke - befinde sich noch im Bereich der Toleranz. Aus der Sprachaudiometrie, gewichtet nach Feldmann, errechne sich rechts ein prozentualer Hörverlust von 0 und links von 10. Hieraus resultiere eine MdE von weniger als 10%. Der sehr störende Tinnitus werde mit 10% bewertet. Es liege somit eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit vor und die MdE für den berufsbedingten Hörverlust einschließlich des Tinnitus werde mit 10% bewertet.

Mit Bescheid vom 25.02.2005 erkannte die Beklagte eine Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV als Berufskrankheit an. Diese Berufskrankheit habe zu einer beginnenden Hochtoninnenohrschwerhörigkeit und zu Ohrgeräuschen beidseits geführt; ein Anspruch auf Rente wegen der Berufskrankheit bestehe jedoch nicht, da die Berufskrankheit keine rentenberechtigende MdE zur Folge habe.

Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 06.12.2005 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente aus Anlass der Berufskrankheit in Höhe von mindestens 20 v.H. zu gewähren. Zur Begründung machte der Kläger geltend, bei der Beurteilung sei der vorliegende Tinnitus bisher nur ungenügend berücksichtigt worden. Er habe an einer umfangreichen Tinnitusstudie der Medizinischen Fakultät der Universität T. teilgenommen und rege daher an, die dort angefertigten Untersuchungsunterlagen beizuziehen; außerdem beantrage er, den behandelnden Hausarzt Dr. S. zu befragen.

Das SG hörte den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. J. S. als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 28.08.2006 mit, der Kläger leide seit 1987 unter zunehmendem pfeifenden beiderseitigem Ohrgeräusch, Hörstörungen und Tinnitus.

Das SG holte von Amts wegen das HNO-ärztliche Gutachten des Dr. J., L., vom 28.11.2006 ein. Bei der Untersuchung gab der Kläger an, im Vordergrund der Beschwerden stünden subjektiv stark störende Ohrgeräusche, die ständig existent und hochfrequent seien. In früheren Jahren seien die Ohrgeräusche wechselhaft gewesen, jetzt lägen sie kontinuierlich vor und erwiesen sich eindeutig als therapieresistent. Abends könne er zwar gut einschlafen, werde er nachts aber wach, seien die Ohrgeräusche so stark störend, dass kein Schlaf mehr gefunden werden könne. Die Ohrgeräusche hätten auch zu Konzentrationsmängeln geführt. Aufgrund dessen habe ein hoher Leidensdruck bei der Ausübung der Tätigkeit als Betriebsratsvorsitzender bestanden. Seit Mai 2005 sei er berentet. Auch nach Beendigung der Noxe Lärm habe eine Verschlimmerung der Ohrgeräusche stattgefunden. Dr. J. gelangte abschließend zu dem Ergebnis, beim Kläger bestehe eine geringgradige innenohrbedingte Hochtonschwerhörigkeit, verbunden mit einem als rekompensiert einzuschätzenden Tinnitus aurium. Diese Gesundheitsstörungen seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge der langjährigen beruflichen Lärmexposition am Arbeitsplatz, wobei allerdings auch darauf hinzuweisen sei, dass nachweislich der hohe Leidensdruck durch die geklagten Ohrgeräusche in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers begründet sei. Insofern sei auch zu diskutieren, ob auch eine fachärztlich-psychiatrische Mitbeurteilung/Begutachtung ratsam sei. Die berufsbedingte MdE veranschlage er integrierend aufgrund geringer Hochtonschwerhörigkeit und als dekompensiert einzuschätzenden Ohrgeräuschen auf 10% ab 01.10.2001. Der Bewertung der Einschätzung der MdE durch Dr. V. stimme er zu. Aus einem prozentualen Hörverlust von rechts und links je 10% ergebe sich nicht der Versicherungsfall einer wenigstens 10%igen MdE, der sich aber dann bei entsprechender Mitbewertung durch das als dekompensiert zu bezeichnende Ohrgeräusch ergebe.

Auf Nachfrage durch das SG führte Dr. J. am 05.12.2006 ergänzend aus, der Kläger leide unter subjektiv stark beeinträchtigenden Ohrgeräuschen, denen eine gesonderte MdE zuzuordnen sei. Unter Hinweis auf die Ausführungen im Königsteiner Merkblatt sei bei Vorliegen eines lärmbedingten Ohrgeräusches dieses bei der Bewertung des Gesamtschadens mit einer MdE von 10% zu berücksichtigen. Integrierend ergebe sich somit aufgrund bestehender Ohrgeräusche und der als gering einzuschätzenden innenohrbedingten Hochtonschwerhörigkeit eine MdE in einer Höhe von 10%. In seinem Gutachten habe er ausgeführt, dass der Leidensdruck für den Kläger durch den Tinnitus aurium sehr hoch sei, sodass zu diskutieren sei, ob bei erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen eine höhere Bewertung der Ohrgeräusche in einer Höhe von 20% angemessen sei. Im Königsteiner Merkblatt sei eindeutig ausgeführt, dass in dem Falle, in dem die Bemessung von 10% dem Beschwerdebild nicht gerecht werde, kritisch geprüft werden müsse, ob tatsächlich die Lärmschädigung die wesentliche Bedingung für die Ohrgeräusche darstelle oder ob nicht eine in der Persönlichkeit des Versicherten begründete Reaktionsweise (z.B. im Sinne einer Neurose) der wesentliche Faktor für die Ausgestaltung des Beschwerdebildes darstelle. In diesem Falle sei dann eine zusätzliche neurologisch-psychiatrische Begutachtung in Betracht zu ziehen, was seines Erachtens im vorliegenden Falle erfolgen solle.

Im Anschluss daran holte das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. W. von der Universitätsklinik U. vom 20.04.2007 ein. Darin gelangte dieser zu dem Ergebnis, der Kläger habe wegen einer kontinuierlichen Lärmbelästigung während der Arbeit eine als Berufserkrankung anerkannte Lärmschwerhörigkeit bzw. ein Ohrgeräusch beidseits erlitten. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ergäben sich darüber hinaus keine relevanten Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere auch keine schwerwiegenderen psychoreaktiven Folgen des Ohrgeräusches. In psychopathologischer Hinsicht sei zwar eine Schlafstörung zu erkennen und der Kläger habe Bedenken geäußert über eine möglicherweise nachlassende Gedächtnisleistung, diese sei jedoch nicht nachzuvollziehen. Ein wesentliches depressives Syndrom habe nicht bestanden. Es habe sich auch kein Anhalt für eine Rückzugstendenz oder einen Antriebsmangel finden lassen, es habe eine normale Schwingungsfähigkeit bestanden und die Stimmung sei nicht wesentlich gedrückt gewesen. Auffällig sei die etwas erhöhte Kontrollbedürftigkeit und Genauigkeit in allen Tätigkeiten und Schilderungen während der Untersuchung. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ergebe sich keine MdE, sodass die auf HNO-Fachgebiet festgesetzte MdE mit 10 v.H. weiterhin anzunehmen sei.

Das SG zog den Bericht des Instituts für Tinnitus, B. M. vom 21.11.2006 über die ambulante Tinnitus-Rehabilitation des Klägers in der Zeit vom 27.08. bis zum 17.09.2006 bei. Darin ist u.a. ausgeführt, der Gesamtschweregrad der Tinnitusbeeinträchtigung anhand des Tinnitus-Fragebogens habe zu Beginn des Aufenthalts 47 betragen und habe damit eine schwere Belastung bei dekompensiertem Tinnitus beinhaltet. Erhöhte Werte hätten sich besonders bei den Subskalen "Kognitive Beeinträchtigung", "Intensität des Tinnitus" und "Schlafprobleme" ergeben. Der Tinnitus-Score sei im Verlauf ausgezeichnet rückläufig gewesen auf 19 und habe somit nur noch auf eine leichte Belastung durch den Tinnitus hingewiesen. In der Symptomcheckliste habe die globale psychische Belastung bei der Aufnahme mit einem T-Wert von 72 in einem sehr stark erhöhten Bereich gelegen; dieser Wert habe sich im Verlauf sehr gut auf 48 verbessert und liege damit im durchschnittlichen Bereich. Der Kläger habe aktiv und motiviert an allen angebotenen Maßnahmen teilgenommen. Wichtigste Therapieelemente seien die Aufklärung und die Entspannungsverfahren gewesen. Der Kläger habe das intensive Therapie- und Seminarprogramm gut toleriert. Er habe von der Tiefmuskelrelaxation nach Jacobson profitiert und seine Bereitschaft geäußert, diese Entspannungstechnik am Heimatort fortzusetzen. Während des Aufenthaltes seien mit dem Kläger mehrere psychologische Einzelgespräche geführt worden, die zu einer Stabilisierung geführt hätten. Besonders die Informationen zur Tinnitusentstehung und -bewältigung seien entlastend gewesen und hätten geholfen, mit der Tinnitusbelastung konstruktiver umzugehen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. K. vom 30.04.2008 ein. Darin gelangte dieser zu dem Ergebnis, es handele sich beim Kläger um einen dekompensierten chronischen Tinnitus aurium mit der Folge von Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Das Ausmaß des Leidens lasse sich nicht durch apparative Untersuchungsmethoden ermitteln, sondern nur durch die Anamnese und entsprechend entwickelte Fragebögen und Testuntersuchungen. Der Kläger habe drei Fragebögen als Selbsteinschätzungsinstrument zur Quantifizierung und Objektivierung der psychometrischen Werte vorgelegt, nämlich den Tinnitus-Fragebogen, den Fragebogen zur depressiven Belastung (BDI) und die Beschwerdeliste. Beim Tinnitus-Fragebogen werde die maximal höchste Punktzahl in dem Bereich "Penetranz des Tinnitus" erzielt, der einer schwerstgradigen Belastung entspreche. Der Tinnitus-Fragebogen spiegele das subjektive Empfinden des Klägers wider, dass der hohe Pfeifton permanent als so laut und eindringlich empfunden werde, dass jede Konzentration auf Verrichtungen und Tätigkeiten durch die Tinnitus-Wahrnehmung gravierend eingeschränkt bis unmöglich sei. Der Patient sei nicht in der Lage, sich von dieser Beeinträchtigung zu distanzieren. Einem unangenehmen Geräusch, das von außen komme, könne man gewöhnlich ausweichen, einem als so penetrant empfundenen Ohrgeräusch, das 24 Stunden am Tag gehört werde, könne man nicht ausweichen. Dabei handele es sich nicht nur um subjektive Angaben, auf die sich das Gutachten stütze, sondern es fuße auf der Kongruenz zwischen messbarer Hörstörung (siehe HNO-ärztliche Befundbericht und Vorgutachten), den vorgetragenen Beschwerden und dem Ergebnis der psychometrischen Verfahren. Der Leidensdruck und die Beeinträchtigung seien dann nicht mehr nur subjektiv, sondern objektiviert, standardisiert und quantifiziert. Nach seinem Ermessen handele es sich bei dem vorliegenden Störungsbild einer Tinnitus-Belastung mit den Folgen einer Schlaf- und Konzentrationsstörung um eine mindestens sehr erhebliche psychovegetative Begleiterscheinung auf der Grenze zu einer Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Dem Kläger gehe es jetzt im Ruhestand zwar gesundheitlich besser, denn je nach Befinden könne er sich den Tag so einteilen, wie es für ihn erforderlich sei, obgleich die Tinnitus-Belastung nicht abgenommen habe. Aber während der Zeit der Berufstätigkeit habe der Kläger glaubhaft sich erheblich leistungsgemindert empfunden und sei in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Er habe stets den Anforderungen gerecht zu werden versucht, was ihm letztlich auch gelungen sei. Insofern empfehle er nach dem neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Einstufung von mindestens 25 bis 30% MdE. Die Gesamt-MdE entspreche diesem Wert, die Leistungsminderung durch die Lärmschwerhörigkeit sei inbegriffen und werde nicht dazu addiert.

Gegen die gutachtlichen Beurteilungen von Dr. K. wandte die Beklagte ein, aus welchen Gründen Dr. K. bei der MdE-Einschätzung von "sehr erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen" ausgehe, könne nicht nachvollzogen werden. Dr. K. sei zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Kläger weder eine Depression noch eine Anpassungsstörung vorliege. Unter Berücksichtigung des im Rahmen des Gutachtens von Dr. K. ausgewerteten Tinnitus-Fragebogens liege aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers lediglich eine mittelgradige Belastung wegen des Tinnitus vor. Aber auch anhand objektivierbarer Befunde ließen sich die von Dr. K. angenommenen erheblichen psychovegetativen Beeinträchtigungen nicht nachweisen, da Dr. K. keinerlei derartige Befunde erhoben habe und seine Beurteilung und MdE-Einschätzung allein dem Beschwerdevortrag des Klägers zugrunde lege, ohne diesen anhand objektiver Testverfahren zu hinterfragen. In psychopathologischer Hinsicht könne somit lediglich eine Schlafstörung des Klägers aufgrund des Tinnitus angenommen werden, die von allen bisherigen Sachverständigen mit Ausnahme von Dr. K. mit einer MdE von 10% korrekt bewertet worden sei.

Mit Urteil vom 24.11.2008 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die beim Kläger als Folge der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur BKV anerkannte geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits im Hochtonbereich mit Ohrgeräuschen bedinge keine MdE in rentenberechtigendem Grade. Die von Dr. V. und Dr. J. durchgeführte tonschwellenaudiometrische Untersuchung habe eine geringgradige innenohrbedingte Hochtonschwerhörigkeit ergeben, wobei sich ein prozentualer Hörverlust nach Röser 80 von rechts und links jeweils weniger als 10% errechne. Sprachaudiometrisch liege der prozentuale Hörverlust von rechts und links bei 10%, sodass die MdE für die Lärmschwerhörigkeit nach der Tabelle von Feldmann (vgl. Königsteiner Merkblatt 4.3.2) unter 10 v.H. liege. Damit hänge die Einschätzung der MdE für die BK-Folgen entscheidend von der Bewertung der beim Kläger bestehenden Ohrgeräusche ab, die von der Beklagten als Folge der Berufskrankheit anerkannt worden seien. Das "Königsteiner Merkblatt" führe hierzu aus, dass Ohrgeräusche zwar nicht zu den beherrschenden, regelmäßig anzutreffenden Symptomen der Lärmschwerhörigkeit gehörten, sie aber doch mit ihr vergesellschaftet und Begleiterscheinungen der Lärmschädigung des Innenohres sein könnten. In solchen Fällen sei ein lärmbedingter Tinnitus bei der Bewertung des Gesamtschadensbildes mit einer MdE bis zu 10% zu berücksichtigen. Dies müsse jedoch im Sinne einer integrierenden MdE-Bewertung geschehen (Bildung einer Gesamt-MdE) und nicht durch eine einfache Addition. Scheine diese Bemessung dem Beschwerdebild nicht gerecht zu werden, müsse kritisch geprüft werden, ob tatsächlich die Lärmschädigung die wesentliche Bedingung für die Ohrgeräusche sei oder ob nicht eine in der Persönlichkeit des Versicherten begründete Reaktionsweise der wesentliche Faktor für die Ausgestaltung des Beschwerdebildes sei. Es sei dann eine zusätzliche neurologisch-psychiatrische Begutachtung in Betracht zu ziehen (Königsteiner Merkblatt 4.3.5). Bei Anwendung dieser Grundsätze sei der Tinnitus im Sinne einer integrierenden Bewertung zutreffend mit einer MdE von 10 v.H. bemessen worden. Bei dieser Beurteilung stütze sich die Kammer auf das Gutachten des Prof. Dr. W ... Der Sachverständige habe auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Funktionsbeeinträchtigungen durch den Tinnitus feststellen können, die eine höhere Bewertung der MdE hätten rechtfertigen können. Wesentliche Gedächtnis-, Merkfähigkeits-, Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsstörungen hätten nicht festgestellt werden können. In psychopathologischer Hinsicht sei lediglich eine durch den Tinnitus bedingte Schlafstörung zu erkennen. Damit lägen keine schwerwiegenderen psychoreaktiven Folgen des Ohrgeräusches vor, sodass die Bewertung der MdE mit 10 v.H. für zutreffend zu erachten sei. Die von Dr. K. vorgenommene Bewertung der MdE mit 25 bis 30 v.H. vermöge demgegenüber nicht zu überzeugen. Zutreffend habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass der von Dr. K. ausgewertete Tinnitus-Fragebogen lediglich eine mittelgradige Belastung ergeben habe, sodass die der MdE-Einschätzung zugrunde gelegten "sehr erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen" nicht nachvollzogen werden könnten. Das SG wies des Weiteren darauf hin, dass die Einschätzung von Dr. K. auch im Widerspruch zu dem Arztbericht des Instituts für Tinnitus-Forschung und Therapie GmbH vom 21.11.2006 stehe. Damals sei nach einer ambulanten Tinnitus-Rehabilitation in der Zeit vom 27.08. bis 17.09.2006 ein rückläufiger tinnitus-Score festgestellt worden, der nur noch auf eine leichte Belastung durch den Tinnitus hingewiesen habe. Nach alledem sei es nicht gerechtfertigt, für die lärmbedingte Schwerhörigkeit und den Tinnitus eine MdE von 20 v.H. zu veranschlagen.

Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 29.01.2009 zugestellte Urteil hat dieser am 17.02.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, der Auffassung des Sozialgerichts sei nicht zu folgen. Zu folgen sei vielmehr im Ergebnis dem Gutachten von Dr. K., in dem begründet dargelegt worden sei, warum jedenfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade gegeben sei.

Der Kläger stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. November 2008 sowie den Bescheid vom 25. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten des SG Reutlingen und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das SG hat auch mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen der bei ihm anerkannten Lärmschwerhörigkeit verneint, da die durch die Lärmschwerhörigkeit hervorgerufene MdE nicht in rentenberechtigendem Ausmaß von 20 v.H. vorliegt. Hinsichtlich der durch die Berufskrankheit hervorgerufenen Beeinträchtigungen auf HNO-fachärztlichem Gebiet hat sich das SG zu Recht auf die von Dr. V. und Dr. J. erstellten Gutachten gestützt, wonach die MdE für die Lärmschwerhörigkeit unter 10 v.H. liegt und die Einschätzung der MdE für die BK-Folgen entscheidend von der Bewertung der beim Kläger bestehenden Ohrgeräusche, die ebenfalls als Folge der Berufskrankheit anerkannt worden sind, abhängt. Danach ist das SG unter Anwendung der im "Königsteiner Merkblatt" zugrunde gelegten Grundsätze zu dem Ergebnis gelangt, dass Tinnitus und Lärmschwerhörigkeit im Sinne einer integrierenden Bewertung mit einer MdE von 10 v.H. zu bemessen sind. Hierbei hat sich das SG auf das Gutachten des Prof. Dr. W. gestützt. Der Senat kommt nach eigener Überprüfung des Begehrens des Klägers zu demselben Ergebnis. Er schließt sich den von ihm für zutreffend gehaltenen Ausführungen im angefochtenen Urteil an und nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung insoweit Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers ist noch Folgendes auszuführen:

Entgegen der Auffassung des Klägers überzeugen die gutachtlichen Ausführungen des Dr. K. den Senat nicht. Dr. K. hat den Tinnitus-Fragebogen ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis, dass danach ein Gesamtwert von 39 erreicht werde, der einer mittelgradigen Belastung entspreche (30 bis 46 mittelgradig, 47 bis 59 schwergradig, 60 bis 84 schwerstgradig). Bei der MdE-Einschätzung spricht Dr. K. demgegenüber aber von "sehr erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen", was sich für den Senat nicht nachvollziehen lässt, da die Auswertung des Tinnitus-Fragebogens lediglich eine mittelgradige Belastung, nicht jedoch eine schwergradige oder gar schwerstgradige Belastung ergeben hat. Nicht berücksichtigt hat Dr. K. auch den Umstand, dass durch entsprechendes Erlernen des Umganges mit dem Tinnitus die subjektive Belastung auch beim Kläger abgebaut werden konnte, wie sich dies aus dem Arztbericht des Instituts für Tinnitus-Forschung und Therapie GmbH vom 21.11.2006 ergibt. Danach betrug während der Tinnitus-Rehabilitation des Klägers vom 27.08. bis 17.09.2006 der Gesamtschweregrad der Tinnitusbeeinträchtigung anhand des Tinnitus-Fragebogens zu Beginn des Aufenthaltes 47, was einer schweren Belastung bei dekompensiertem Tinnitus entspricht, im Laufe der Tinnitus-Rehabilitation war der Gesamtschweregrad dann aber rückläufig und betrug am Ende der Behandlung lediglich noch 19, womit er nur noch auf eine leichte Belastung hinwies. Eine MdE-relevante Funktionsstörung für den Zeitraum bis zur Rehabilitationsmaßnahme im September 2006 ist gleichwohl nicht nachgewiesen. Hierzu genügen die Angaben zur Selbsteinschätzung des Schweregrades der Störung nicht. Maßgebend ist das tatsächliche Ausmaß der -psychischen- Funktionsbehinderung. Aufgrund dessen und unter Berücksichtigung der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. W., wonach auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet keine relevanten Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, gelangt der Senat ebenfalls zu der Überzeugung, dass die BK-Folgen (Lärmschwerhörigkeit und Tinnitusbelastung) insgesamt nicht eine MdE in rentenberechtigendem Umfang von 20 v.H. hervorrufen.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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