S 20 SO 12/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 12/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Grundsicherungsleistungen, insbesondere darüber, ob Tilgungsraten als sozialhilferechtlich berücksichtigungsfähige Kosten der Unterkunft (KdU) anzuerkennen sind.

Die 0000 geborene Klägerin ist geschieden. Sie bezieht seit 01.11.2003 Rente wegen dauerhafter voller Erwerbsminderung. Sie bewohnt allein ein Einfamilienhaus; dieses hat eine Wohnfläche von ca. 124 qm. Die Klägerin zahlt neben den laufenden Grundbesitzabgaben und Hausnebenkosten Zinsen und Tilgung für drei Baudarlehen der Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen (WfA). Seit 01.07.2005 bezieht die Klägerin vom Beklagten ergänzende Leistungen der Grundsicherung (GSi) bei Erwerbsminderung als Zuschuss. Bei der Berechnung des Unterkunftsbedarfs berücksichtigte der Beklagte die Hausabgaben, die Nebenkosten und die Zinszahlungen für die Baudarlehen, insgesamt monatlich vom 01.07.2005 bis 30.06.2006 157,14 EUR, vom 01.07.2006 bis 31.05.2007 189,14 EUR, vom 01.06.2007 bis 30.06.2008 193,12 EUR, vom 01.07.2008 bis 30.06.2009 194,54 EUR. Die Tilgungsraten für die Baudarlehen wurden nicht berücksichtigt. Auf die drei WfA-Darlehen entfielen in der Zeit vom 01.07.2008 bis 30.06.2009 - auf Zinsen: 1.027,07 EUR (monatlich 85,59 EUR), - auf Tilgung: 3.104,17 EUR (monatlich 258,68 EUR).

Am 10.06.2009 beantragte die Klägerin GSi-Leistungen für den Folgezeitraum ab 01.07.2009.

Durch Bescheid vom 22.06.2009 bewilligte der Beklagte GSi vom 01.07.2009 bis 30.06.2010. Als KdU erkannte er "Kaltmiete" (= Zinsen) in Höhe von 85,59 EUR und Nebenkosten in Höhe von 91,25 EUR, insgesamt 176,84 EUR pro Monat an.

Dagegen legte die Klägerin am 07.07.2009 Widerspruch ein, beschränkt auf die Nichtberücksichtigung der Tilgungsraten bei der Ermittlung des Unterkunftsbedarfs.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14.01.2010 zurück. Dagegen hat die Klägerin am 08.02.2010 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Nichtberücksichtigung der Tilgungsleistungen stelle eine gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) verstoßende Ungleichbehandlung gegenüber Leistungsbeziehern ohne Hauseigentum (Mietern) dar. Wenn nach dem Gesetz ein selbst genutztes angemessenes Wohneigentum als Schonvermögen behandelt werde, stehe die Gefährdung dieses Schonvermögens durch die Weigerung, die Tilgung zu übernehmen, dazu in krassem Gegensatz. Die Härteklausel, nach der Vermögenswerte nicht einzusetzen sind, wenn die Verwertung eine Härte bedeuten würde, werde unterlaufen, da die Verwertung bei fehlender Tilgung unweigerlich kommen werde. Versuche, die Tilgungsraten zu kürzen, seien bisher noch nicht vorgenommen worden und würden - so die Klägerin - auch wenig Sinn machen, da sich durch eine Streckung der Restfinanzierung die Zinsen steigern würden und die Restschuld damit nur vergrößert würde.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2010 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.07.2009 bis 30.06.2010 höhere Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung der Zahlungen zur Tilgung der Baudarlehen als Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/06 R. Er ist der Auffassung, dass, soweit das BSG in dieser Entscheidung die Berücksichtigung von Tilgungsleistungen anerkannt habe, dies nur für Eigenheime von angemessener Größe gelte und zudem nur unter der Voraussetzung, dass der Hilfebedürftige ohne Berücksichtigung gezwungen wäre, seine Wohnung aufzugeben. Auch müsse der Hilfebedürftige vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles unternehmen, um die Tilgungsverpflichtung während des Bezugs von Leistungen so niedrig wie möglich zu halten. Diese Bedingungen erfülle die Klägerin nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere GSI-Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den allein streitbefangenen Zeitraum von Juli 2009 bis Juni 2010.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass auch die für drei Baudarlehen gezahlten Tilgungsraten sozialhilferechtlich anerkannt und bedarfserhöhend berücksichtigt werden müssen, ist der Beklagte diesem Begehren zurecht nicht nachgekommen. Zwar hat das BSG in der Entscheidung vom 18.06.2008 (B 14/11 b AS 67/06 R) entschieden, dass die Berücksichtigung von Tilgungsraten als Bestandteil der Finanzierungskosten einer vom Hilfebedürftigen selbst genutzten Eigentumswohnung vom Grundsicherungsträger bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer Mietwohnung als KdU übernommen werden können; das BSG hat jedoch zugleich deutlich gemacht, dass dies nicht generell und in jedem Fall gilt, sondern nur dann, wenn der Hilfebedürftige anderenfalls gezwungen wäre, seine Wohnung aufzugeben. Es besteht insoweit ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Wohnungseigentums einerseits und der Beschränkung der Sozialhilfe auf die aktuelle Existenzsicherung anderseits. Die Leistungen der Sozialhilfe sollen den Lebensunterhalt sichern und grundsätzlich nicht der Vermögensbildung dienen. Die mit der Tilgung eintretende Minderung der auf dem Wohneigentum ruhenden Belastungen führt jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtung zu einer Mehrung des Vermögens des Eigentümers. Dies ist aber bei Abwägung der widerstreitenden Zielvorgaben jedenfalls dann hinzunehmen, wenn ohne Übernahme der Tilgungsleistungen durch den Grundsicherungsträger der Verlust des selbst genutzten Wohneigentums droht. Ist die Erbringung von Tilgungsleistungen notwendig, um die Eigentumswohnung weiter nutzen zu können, und wäre ohne Fortführung der Tilgung eine Aufgabe der Wohnung unvermeidlich, hat bei wertender Betrachtung der Gesichtspunkt der Vermögensbildung zurückzutreten (so entsprechend für das Arbeitslosengeld II: BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11 b AS 67/06 R). Erforderlich ist daher - so das BSG (a.a.O.) - zum einen, dass die Kosten in Form von Tilgungsleistungen zur Erhaltung des Wohneigentums unvermeidbar sind. Der Hilfebedürftige muss deshalb vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles unternehmen, um die Tilgungsver- pflichtung während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen so niedrig wie möglich zu halten. Zum anderen können Finanzierungskosten einschließlich der Tilgungsleistungen insgesamt vom Grundsicherungsträger nur bis zu der Höhe übernommen werden, die er auch bei einer angemessenen Mietwohnung als Kosten der Unterkunft zu tragen hätte.

Auf ausdrückliches Befragen des Gerichts hat die Klägerin mitgeteilt, bisher noch keine Versuche unternommen zu haben, die Tilgungsraten zu kürzen. Sie hat auch nicht vorgebracht und erst Recht nicht nachgewiesen, dass gerade auch die Tilgungsraten in der gezahlten Höhe notwendig und unverzichtbar sind, um das Einfamilienhaus weiter benutzen zu können. Denkbar wäre, mit dem Darlehensgeber über eine Aussetzung oder Herabsetzung der Tilgungsraten zu verhandeln. Solange die Klägerin keinerlei Versuche unternimmt, die Tilgungsraten zu senken, können diese Zahlungen nicht als KdU anerkannt werden. Die Klägerin hat es seit Juli 2005 vermocht, die Tilgungsraten zu bezahlen, ohne insoweit auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Es ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht substanziiert dargelegt und nachgewiesen worden, dass ihr dies auch in Zukunft nicht mehr möglich ist. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass ohne Übernahme der Tilgungsleistungen im streitbefangenen Zeitraum der Verlust des selbstgenutzten Wohneigentums droht. Unter diesen Umständen besteht auch nach dem vom BSG in dem Urteil vom 18.06.2008 angelegten Maßstab kein Anspruch auf Anerkennung der Tilgungsleistungen als sozialhilferechtlich berücksichtigungsfähige KdU.

Die von der Klägerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt die Kammer nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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