L 15 U 11/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 36 U 20/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 11/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 14/10 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Rev. der Bekl. wird das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dortmund vom 02.12.2008 zurückgewiesen!
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 02.12.2008 geändert. Der Bescheid vom 26.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2007 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 31.03.2006 ein Arbeitsunfall ist. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Der im Jahre 19 ... geborene Kläger, der in M wohnt, ist als Verwaltungsangestellter im Außendienst bei der Stadt M beschäftigt. Am 31.03.2006 gegen 16:48 Uhr befuhr er mit seinem Motorrad die B Straße in Richtung M-B, als er mit einem in die B Straße einbiegenden Fahrzeug kollidierte. Dabei zog er sich eine Beckenring- und Oberschenkelfraktur zu.

In dem ihrer Unfallanzeige beigefügten Schreiben vom 05.04.2006 teilte die Stadt M mit, der Kläger sei am Unfalltag für den Bezirk M und Stadtmitte eingeteilt und zuletzt auf dem U-Parkplatz tätig gewesen; anschließend habe er sich von dort in der Pause auf den Weg nach Hause begeben. Auf diesem Weg habe er sein Motorrad aus der Werkstatt abgeholt. Auf Anfrage des Rechtsvorgängers der Beklagten führte die Stadt M in ihrem Schreiben vom 30.07.2007 aus: Am Unfalltag sei für den Kläger Dienst in der Zeit von 12:00 Uhr bis 19:00 Uhr angeordnet gewesen. Dementsprechend habe er seine Pause auch nicht in die Mittagszeit verlegt, sondern sie um 16:30 Uhr begonnen. Die Pausenzeit betrage 30 Minuten. Der Kläger habe seinen Überwachungsdienst so eingeteilt gehabt, dass er sein Motorrad, welches in der östlichen Innenstadt in einer Werkstatt gewartet worden sei, während seiner Pausenzeit nach Hause habe fahren wollen. Da er im Bereich seiner Wohnung unberechtigt parkende Lkw habe überprüfen sollen, habe er den Rücktransport seines Motorrades in seine Pausenzeit eingeplant und wäre so in der Nähe des nächsten Einsatzortes gewesen. Die Fahrt von der Werkstatt nach M sei um 16:40 Uhr angetreten worden. Der Kollege M habe den Kläger an seiner Wohnung um 16:55 Uhr wieder aufnehmen sollen, um anschließend gemeinsam mit ihm die Überprüfungen vorzunehmen.

Mit Bescheid vom 26.06.2007 lehnte der Rechtsvorgänger der Beklagten es ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung führte er aus: Der Kläger habe sein Motorrad in der Arbeitspause von der Werkstatt zu seiner Wohnung bringen wollen. Diese private Tätigkeit sei unversichert. Das Zurücklegen des Weges habe nur private Hintergründe gehabt; ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit habe nicht bestanden.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend: Wegen des weiteren Auftrages, die Lkw im Ortsteil M zu überwachen, habe er von M-Mitte zu dem etwa vier bis fünf Kilometer entfernten Ortsteil gelangen müssen. Dabei sei es ihm überlassen gewesen, wie bzw. womit er den Weg zurücklege. Er habe dann den kürzesten Weg von M-Mitte Richtung B gewählt. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob er dabei sein Motorrad habe nach Hause bringen wollen.

Der Rechtsvorgänger der Beklagten holte weitere Auskünfte der Stadt M und des Zeugen M ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2007, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, wies er den Rechtsbehelf des Klägers zurück.

Der Kläger hat am 16.01.2008 Klage erhoben und sein Begehren auf Anerkennung des Unfalls vom 31.03.2006 als Arbeitsunfall weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat den Kläger in einem Erörterungstermin am 08.07.2008 angehört und die Klage mit Urteil vom 02.12.2008 abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen die am 30.12.2008 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 15.01.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor: Er habe mit Verlassen der Werkstatt seine Pause, die er nach eigenem Ermessen nach Bedarf und Arbeitsanfall einsetzen könne, beendet gehabt, um zum Einsatzort in M-B zu fahren. Seit dem Fahrtantritt sei er wieder im Dienst gewesen. Er habe einen Teil seiner Pause genutzt, um bei dieser Gelegenheit sein Motorrad aus der Werkstatt abzuholen und mit dem Motorrad zum Einsatzort zu fahren. Da er mit dem Fahrtantritt seine Pause wegen des angeordneten Einsatzes beendet gehabt habe, habe er sich während der gesamten Fahrt zum Einsatzort im Dienst befunden und ausschließlich eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt. Damit sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts wohl eine gemischte Tätigkeit abzulehnen. Aber auch wenn man vom Vorliegen einer gemischten Tätigkeit ausgehe, überwiege der betriebliche Zweck bei weitem. Er habe in Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten zum Einsatzort fahren müssen. Welches Transportmittel er dafür benutzt habe und wie im Laufe lange er seine Arbeitspause eingesetzt habe, sei unerheblich. Das Motorrad hätte er hingegen auch zu einem anderen Zeitpunkt abholen können. Im Zeitpunkt des Verlassens der Werkstatt und des Antritts der Dienstfahrt sei für ihn vorrangig von Bedeutung gewesen, den Einsatzort zu erreichen und seinen Dienst dort fortzusetzen. Seine Handlungstendenz sei damit nachweislich keinesfalls eigenwirtschaftlich, sondern ausschließlich betriebsdienlich gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 02.12.2008 zu ändern und unter Aufhebung des Bescheides vom 26.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2007 festzustellen, dass sein Unfall vom 31.03.2006 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die betrieblichen Belange hätten zum Zeitpunkt des Unfalls eindeutig im Hintergrund gestanden, da die wiederholt dargetane Handlungstendenz, so wie sie in den objektiven Umständen und Ermittlungsergebnissen ihre Stütze finde, davon geprägt gewesen sei, dass der Kläger in seiner Arbeitspause, also einer grundsätzlich unversicherten Zeit, sein Motorrad von der Werkstatt habe nach Hause transportieren wollen.

Im Verhandlungstermin am 13.04.2010 hat der Senat den Kläger angehört und den Verwaltungsangestellten M sowie den Verwaltungsbeamten X als Zeugen vernommen. Wegen der Angaben des Klägers und der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.04.2010 (Blatt 80 ff. der Gerichtsakten) Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen; ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Denn sein Unfall vom 31.03.2006 ist ein Arbeitsunfall.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach dessen Satz 2 sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern u. a. für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14; BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Der Kläger war als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Er hat am 31.03.2006 bei dem Zusammenstoß als Fahrer des Motorrades mit einem Pkw, der zu einer Beckenring- und Oberschenkelfraktur führte, auch einen Unfall erlitten. Dieser Unfall ist ein Arbeitsunfall, weil die Verrichtung des Klägers zur Zeit des Unfallereignisses - die Fahrt in Richtung M-B - im sachlichen Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stand.

Der Senat geht dabei von folgendem Sachverhalt aus:

Am 31.03.2006 fuhr der Kläger mit seinem Pkw von seiner Wohnung in M-B zum S nach M-Stadtmitte und trat dort gegen 12:00 Uhr seinen Dienst an. Nachdem er etwa eine Stunde Bürodienst geleistet hatte, begab er sich mit seinem Pkw zu dem ihm nach dem Einsatzplan zugewiesenen Einsatzort in M-Süd. Dort erhielt er im Laufe des Nachmittags von dem Zeugen M die telefonische Nachricht, dass er auf Anweisung des Zeugen X zusammen mit dem Zeugen M zunächst den U-Parkplatz in M-Mitte überwachen und anschließend in der Siedlung I in M-B parkende Lkw kontrollieren solle. Der Kläger trat daraufhin gegen 15:45 Uhr seine Fahrt zum U-Parkplatz in M-Mitte an. Dort stellte er seinen Pkw ab und nahm die Überwachungstätigkeit auf. Nachdem der Kläger und der Zeuge M diese Tätigkeit gegen 16:30 Uhr beendet hatten, fuhren sie im Pkw des Zeugen M zu der ebenfalls in der Innenstadt befindlichen Werkstatt, in die der Kläger sein Motorrad zur Wartung gegeben hatte. Der Kläger hatte sich auf dem U-Parkplatz mit dem Zeugen M dahingehend verständigt, dass sie ihre Pause dafür nutzen wollten, zu der Motorradwerkstatt zu fahren, damit der Kläger nachfragen könne, ob die Wartung abgeschlossen sei. Da dies der Fall war, trat der Kläger gegen 16:40 Uhr mit seinem Motorrad die Fahrt von der Werkstatt in Richtung M-B an. Vorher hatte er mit dem Zeugen M vereinbart, dass sie sich zu der in der I-siedlung gelegenen Wohnung des Klägers begeben wollten, damit der Kläger sein Motorrad abstellen konnte, und von dort aus ihre Ermittlungen aufnehmen wollten. Hätte der Kläger sein Motorrad nicht in der Werkstatt gehabt, hätte er nach der Pause gemeinsam mit dem Zeugen M die Fahrt zum weiteren Einsatzort angetreten. Dabei hätten sie den Privat-Pkw des Zeugen benutzt, der als dienstlich genutztes Fahrzeug registriert war mit der Folge, dass die Stadt für die Fahrt Kilometergeld zu zahlen hatte.

Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben des Klägers und der Zeugen M und X im Senatstermin am 13.04.2010, die in den wesentlichen Punkten übereinstimmen und auch im Einklang mit den im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren von dem Rechtsvorgänger der Beklagten eingeholten Auskünften stehen. Da im übrigen der Kläger und die Zeugen einen glaubwürdigen Eindruck gemacht haben, sieht der Senat keinen Anlass, ihre Darstellung des Geschehens in Zweifel zu ziehen.

Bei diesem Sachverhalt stand die Fahrt im Unfallzeitpunkt im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsverhältnis dienende Verrichtung ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände bestätigt wird (BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 m.w.N.; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R). Der Kläger hat die Fahrt unternommen, um zu seinem nächsten Einsatzort nach M-B zu gelangen und bei dieser Gelegenheit sein Motorrad nach Hause zu bringen. Damit diente die Verrichtung nicht trennbar sowohl unversicherten privaten als auch versicherten Zwecken. Bei einer solchen gemischten Tätigkeit ist entscheidendes Abgrenzungskriterium zur Bejahung von Versicherungsschutz, ob die Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (st. Rspr.: BSGE, 3, 240, 245; BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4 -2700 § 8 Nr. 14; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R). Diese Frage ist hier zu bejahen. Denn die Fahrt wäre auch unternommen worden, wenn der private Zweck - das Nach-Hause-Bringen des Motorrades - entfallen wäre. Der Kläger hätte in jedem Fall von seinem letzten Einsatzort in M-Stadtmitte (bei Wahl der kürzesten Wegstrecke) über die B Straße zu seinem neuen Einsatzort in M-B gelangen müssen. Es spielt für die Beurteilung keine Rolle, dass der Kläger für den Weg nach M-B (auch) sein Motorrad, das er bei dieser Gelegenheit gleichzeitig nach Hause bringen konnte, benutzt hat und ansonsten mit dem Zeugen M in dessen Pkw zum Einsatzort gefahren wäre. Die Stadt M mag als Arbeitgeberin auch wegen des geringeren Unfallrisikos ein gewisses (allgemeines) Interesse an einer gemeinsam Fahrt gehabt haben. Der Kläger war aber, wie die Vernehmung des Zeugen X ergeben hat, arbeitsrechtlich nicht gehalten, seine Dienstfahrten in einer bestimmten Weise, hier also zusammen mit dem Zeugen M zurückzulegen. Ihm war es nicht verwehrt, sein Motorrad zu benutzen. Schon deswegen liegt eine sog. selbst geschaffene Gefahr, die bei gemischter Tätigkeit den Versicherungsschutz ausschließen kann (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 93 - Sonnenbaden auf Tanklastzug -), nicht vor. Abgesehen davon würde hier bei (unterstellter) selbst geschaffener Gefahr die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung des Unfalls bleiben. Anderes gilt nämlich nur, wenn "die selbst geschaffene Gefahr in so hohem Grade unvernünftig war und zu einer solchen besonderen Gefährdung geführt hat" (Zitat aus BSG a.a.O.), dass sie bei wertender Betrachtung die betrieblichen Gründe ganz in den Hintergrund drängt (BSG a.a.O.). Davon kann hier keine Rede sein. Und dass das Handeln im Interesse der (unmittelbaren) betrieblichen Tätigkeit lediglich Nebenzweck des privaten Zwecken dienenden Handelns gewesen ist, lässt sich bei der gegebenen Sachlage auch nicht deshalb annehmen, weil der Kläger die Vorstellung hatte, dass mit der Fahrt zur Werkstatt seine halbstündige Arbeitspause beginnen sollte. Dies ändert nichts daran, dass der Kläger den Teil der Gesamtstrecke, auf der sich der Unfall ereignet hat, auch zurückgelegt hat, um zu seinem nächsten Einsatzort in M-B zu gelangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved