Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 1 AS 864/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 446/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
ernährungsbedingter Mehrbedarf - Empfehlungen Deutscher Verein - Anwendungszeitpunkt - Grundsätzliche Bedeutung - Nichtzulassungsbeschwerde
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 20. August 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beklagte und Beschwerdeführerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal (SG) vom 20. August 2009 und die Durchführung des Berufungsverfahrens.
Der Kläger und Beschwerdegegner bezog von der Beklagten laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Bis zum 31. Dezember 2007 war Leistungsträgerin noch die Kommunale Beschäftigungsagentur des damaligen Landkreises Anhalt-Zerbst. Diese hatte bei der Leistungsbewilligung auch einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen gemäß § 21 Abs. 5 SGB II iHv monatlich 51,13 EUR berücksichtigt. Beim Kläger sind die Erkrankungen Diabetes mellitus und diabetische Nervenstörung der Beine, Knieinstabilität rechts, chronische Pankreatitis und arterielle Hypertonie diagnostiziert worden. Die Hausärztin hatte wegen Hypertonie eine natriumdefinierte Kost und wegen des Diabetes mellitus (Typ IIa) Diabeteskost für erforderlich gehalten.
Mit der Kreisgebietsreform wurde ab dem 1. Januar 2008 die Beklagte für die Leistungsgewährung zuständig. Sie bewilligte mit Bescheid vom 19. Dezember 2007 für den Leistungszeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2008 Leistungen ohne Berücksichtigung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger am 6. Oktober 2008 Klage beim SG erhoben.
Mit Urteil vom 20. August 2009 hat das SG die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2008 einen Gesamtbetrag iHv 306,78 EUR, monatlich 51,13 EUR, wegen des Mehrbedarfs für Ernährung nachzuzahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die ab dem 1. Oktober 2008 geänderten Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Empfehlungen DV 2008) könnten – aus Gleichbehandlungsgründen – erst ab diesem Tag angewandt werden. Der Kläger habe sich nicht ohne vorherige Ankündigung auf veränderte medizinische und ernährungswissenschaftliche Festlegungen einstellen können. Er habe sich auf die bisherigen Anforderungen an die Lebensmittel und deren Kosten eingestellt und benötige eine Umgewöhnungszeit, um seiner Gesundheit nicht zu schaden. Die Berufung ist im Urteil nicht zugelassen worden.
Gegen das ihr am 4. November 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Dezember 2009 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Es bedürfe der Klärung, ob der Anspruch auf Leistungen für kostenaufwändige Ernährung erst ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Empfehlungen DV 2008 auf diese gestützt werden könne. Sie meint, sie könnten auch schon für Vorzeiträume Anwendung finden, denn die geänderten wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten bereits vor dem 1. Oktober 2008 vorgelegen. Dies ergebe sich aus dem Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände sowie dem Begutachtungsleitfaden für die Mehrbedarfe bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Landschaftsverbands Westfalen/Lippe aus dem Jahre 2002.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 20. August 2009 zuzulassen und das Berufungsverfahren durchzuführen.
Der Kläger hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil vom 20. August 2009 zu Recht nicht zugelassen.
Die Berufung war nicht kraft Gesetzes zulässig. Gemäß § 144 Abs. 1 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des SG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Der Beschwerdewert liegt hier bei 306,78 EUR, dem vom SG ausgeurteilten zusätzlichen Leistungsbetrag für den streitbefangenen Zeitraum.
Die Berufung war auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie wirft keine bislang ungeklärten Rechtsfragen auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
Die von der Beklagten formulierte Rechtsfrage, ob (die Höhe der) Leistungsansprüche für kostenaufwändige Ernährung vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der Empfehlungen DV 2008 abhängig gemacht werden könnten, stellt sich voraussichtlich im Berufungsverfahren nicht.
Die rechtliche Qualität und Reichweite der Empfehlungen DV sind obergerichtlich geklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 27. Februar 2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R und B 14/7b AS 32/06 R; Urteil vom 15. April 2008, Az.: B 14/11b AS 3/07 R) sind die Empfehlungen DV aus dem Jahr 1997 weder als Rechtsnormen noch als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen. Sie haben keine normative Wirkung. Es handelt sich um in der Verwaltungspraxis etablierte generelle Kriterien, die im Normalfall eine gleichmäßige und schnelle Bearbeitung eines geltend gemachten Mehrbedarfs im Bereich der Krankenkost erlauben. Durch die Empfehlungen DV wird jedoch die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Sozialgerichte, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, nicht aufgehoben.
Art und Umfang von Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs. 5 SGB II werden durch die Erkrankungen und die deshalb benötigte besondere Kostform bestimmt. Es ist im Einzelfall festzustellen, ob eine diagnostizierte Erkrankung einer besonderen Kost bedarf.
Zu den Empfehlungen DV aus dem Jahr 1997 hatte das BSG im Urteil vom 27. Februar 2008 (Az.: B 14/7b AS 64/06 R, RN 20, 28) bereits ausgeführt, derzeit könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Empfehlungen in allen Punkten allgemeine und im Wesentlichen unumstrittene aktuelle Erfahrungswerte wiedergeben. Sie stützten sich auf Gutachten aus den Jahren 1991 bis 1996 und seien seither im Hinblick auf zwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen auf medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Seite nicht aktualisiert worden. Entsprechend wichen neuere Bewertungssysteme, wie der Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe aus dem Jahr 2002 und das Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner, zum Teil von den Empfehlungen DV ab. Diese könnten daher nicht (mehr) als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sein. Die Ermittlungen im Einzelfall könnten ergeben, dass die Gewährung einer Krankenkostzulage für eine Erkrankung zu bejahen sei, die im Katalog nicht vorgesehen sei. Es könne sich im Einzelfall auch ein höherer oder niedriger Mehrbedarf als in den Empfehlungen DV vorgesehen erweisen.
Hieraus ergibt sich für die Empfehlungen DV 2008 folgendes: Mangels Rechtsnormqualität gibt es keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auf Zeiträume anzuwenden, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1. Oktober 2008 lagen. Sie haben – zumindest so lange nicht allseits anerkannt ist, dass sie den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wiedergeben – ebenfalls den Charakter einer Orientierungshilfe. Sie können im Regelfall zur Feststellung des Mehrbedarfs herangezogen werden, ersetzen jedoch nicht eine ggf. erforderliche Begutachtung im Einzelfall.
Die Empfehlungen DV 2008 gelten – wie auch diejenigen aus dem Jahr 1997 – dann nicht, wenn sich im Einzelfall nach anzustellenden Ermittlungen Hinweise auf einen von ihnen abweichenden Mehrbedarf ergeben.
Mangels normativen Charakters der Empfehlungen DV stellt sich daher eine rechtlich relevante und grundsätzlich klärungsbedürftige Frage im Hinblick auf eine "rückwirkende Anwendung vor Inkrafttreten" nicht.
Es besteht auch keine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Ein Abweichen des Urteils von einer Entscheidung des Landessozialgerichts oder des Bundessozialgerichts ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Auf der Grundlage der vorgenannten Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 27. Februar 2008, a.a.O.) hat das SG im Einzelfall über den geltend gemachten Mehrbedarfsanspruch entschieden. Dass das SG aus der zugrunde gelegten Rechtsprechung möglicherweise rechtlich fehlerhafte Schlüsse gezogen und unter Einbeziehung von Gleichbehandlungsaspekten bzw. Zumutbarkeitskriterien im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, fällt in den Bereich der tatrichterlichen Subsumtion. Einen abstrakten Rechtssatz, d.h. eine fallübergreifende, nicht lediglich auf den Einzelfall bezogene rechtliche Aussage, die mit der Rechtsprechung des BSG nicht übereinstimmt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 9. Auflage 2008, § 160 RN 13), hat das SG in der angegriffenen Entscheidung nicht aufgestellt. Es handelt sich um einen möglichen schlichten Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall, der jedoch keine Divergenzrüge begründet.
Das Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensverstoß. Daher liegt kein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Dieser wäre nur dann gegeben, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, dieser vorliegt und die Entscheidung auf ihm beruhen kann. Unter einem Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, zu verstehen (vgl. Leitherer, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 144 RN 36 ff.). Konkrete Verfahrensverstöße sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Gegen diese Entscheidung ist die Beschwerde nicht zulässig (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beklagte und Beschwerdeführerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal (SG) vom 20. August 2009 und die Durchführung des Berufungsverfahrens.
Der Kläger und Beschwerdegegner bezog von der Beklagten laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Bis zum 31. Dezember 2007 war Leistungsträgerin noch die Kommunale Beschäftigungsagentur des damaligen Landkreises Anhalt-Zerbst. Diese hatte bei der Leistungsbewilligung auch einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen gemäß § 21 Abs. 5 SGB II iHv monatlich 51,13 EUR berücksichtigt. Beim Kläger sind die Erkrankungen Diabetes mellitus und diabetische Nervenstörung der Beine, Knieinstabilität rechts, chronische Pankreatitis und arterielle Hypertonie diagnostiziert worden. Die Hausärztin hatte wegen Hypertonie eine natriumdefinierte Kost und wegen des Diabetes mellitus (Typ IIa) Diabeteskost für erforderlich gehalten.
Mit der Kreisgebietsreform wurde ab dem 1. Januar 2008 die Beklagte für die Leistungsgewährung zuständig. Sie bewilligte mit Bescheid vom 19. Dezember 2007 für den Leistungszeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2008 Leistungen ohne Berücksichtigung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger am 6. Oktober 2008 Klage beim SG erhoben.
Mit Urteil vom 20. August 2009 hat das SG die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2008 einen Gesamtbetrag iHv 306,78 EUR, monatlich 51,13 EUR, wegen des Mehrbedarfs für Ernährung nachzuzahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die ab dem 1. Oktober 2008 geänderten Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Empfehlungen DV 2008) könnten – aus Gleichbehandlungsgründen – erst ab diesem Tag angewandt werden. Der Kläger habe sich nicht ohne vorherige Ankündigung auf veränderte medizinische und ernährungswissenschaftliche Festlegungen einstellen können. Er habe sich auf die bisherigen Anforderungen an die Lebensmittel und deren Kosten eingestellt und benötige eine Umgewöhnungszeit, um seiner Gesundheit nicht zu schaden. Die Berufung ist im Urteil nicht zugelassen worden.
Gegen das ihr am 4. November 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Dezember 2009 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Es bedürfe der Klärung, ob der Anspruch auf Leistungen für kostenaufwändige Ernährung erst ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Empfehlungen DV 2008 auf diese gestützt werden könne. Sie meint, sie könnten auch schon für Vorzeiträume Anwendung finden, denn die geänderten wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten bereits vor dem 1. Oktober 2008 vorgelegen. Dies ergebe sich aus dem Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände sowie dem Begutachtungsleitfaden für die Mehrbedarfe bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Landschaftsverbands Westfalen/Lippe aus dem Jahre 2002.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 20. August 2009 zuzulassen und das Berufungsverfahren durchzuführen.
Der Kläger hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil vom 20. August 2009 zu Recht nicht zugelassen.
Die Berufung war nicht kraft Gesetzes zulässig. Gemäß § 144 Abs. 1 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des SG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Der Beschwerdewert liegt hier bei 306,78 EUR, dem vom SG ausgeurteilten zusätzlichen Leistungsbetrag für den streitbefangenen Zeitraum.
Die Berufung war auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie wirft keine bislang ungeklärten Rechtsfragen auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
Die von der Beklagten formulierte Rechtsfrage, ob (die Höhe der) Leistungsansprüche für kostenaufwändige Ernährung vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der Empfehlungen DV 2008 abhängig gemacht werden könnten, stellt sich voraussichtlich im Berufungsverfahren nicht.
Die rechtliche Qualität und Reichweite der Empfehlungen DV sind obergerichtlich geklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 27. Februar 2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R und B 14/7b AS 32/06 R; Urteil vom 15. April 2008, Az.: B 14/11b AS 3/07 R) sind die Empfehlungen DV aus dem Jahr 1997 weder als Rechtsnormen noch als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen. Sie haben keine normative Wirkung. Es handelt sich um in der Verwaltungspraxis etablierte generelle Kriterien, die im Normalfall eine gleichmäßige und schnelle Bearbeitung eines geltend gemachten Mehrbedarfs im Bereich der Krankenkost erlauben. Durch die Empfehlungen DV wird jedoch die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Sozialgerichte, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, nicht aufgehoben.
Art und Umfang von Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs. 5 SGB II werden durch die Erkrankungen und die deshalb benötigte besondere Kostform bestimmt. Es ist im Einzelfall festzustellen, ob eine diagnostizierte Erkrankung einer besonderen Kost bedarf.
Zu den Empfehlungen DV aus dem Jahr 1997 hatte das BSG im Urteil vom 27. Februar 2008 (Az.: B 14/7b AS 64/06 R, RN 20, 28) bereits ausgeführt, derzeit könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Empfehlungen in allen Punkten allgemeine und im Wesentlichen unumstrittene aktuelle Erfahrungswerte wiedergeben. Sie stützten sich auf Gutachten aus den Jahren 1991 bis 1996 und seien seither im Hinblick auf zwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen auf medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Seite nicht aktualisiert worden. Entsprechend wichen neuere Bewertungssysteme, wie der Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe aus dem Jahr 2002 und das Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner, zum Teil von den Empfehlungen DV ab. Diese könnten daher nicht (mehr) als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sein. Die Ermittlungen im Einzelfall könnten ergeben, dass die Gewährung einer Krankenkostzulage für eine Erkrankung zu bejahen sei, die im Katalog nicht vorgesehen sei. Es könne sich im Einzelfall auch ein höherer oder niedriger Mehrbedarf als in den Empfehlungen DV vorgesehen erweisen.
Hieraus ergibt sich für die Empfehlungen DV 2008 folgendes: Mangels Rechtsnormqualität gibt es keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auf Zeiträume anzuwenden, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1. Oktober 2008 lagen. Sie haben – zumindest so lange nicht allseits anerkannt ist, dass sie den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wiedergeben – ebenfalls den Charakter einer Orientierungshilfe. Sie können im Regelfall zur Feststellung des Mehrbedarfs herangezogen werden, ersetzen jedoch nicht eine ggf. erforderliche Begutachtung im Einzelfall.
Die Empfehlungen DV 2008 gelten – wie auch diejenigen aus dem Jahr 1997 – dann nicht, wenn sich im Einzelfall nach anzustellenden Ermittlungen Hinweise auf einen von ihnen abweichenden Mehrbedarf ergeben.
Mangels normativen Charakters der Empfehlungen DV stellt sich daher eine rechtlich relevante und grundsätzlich klärungsbedürftige Frage im Hinblick auf eine "rückwirkende Anwendung vor Inkrafttreten" nicht.
Es besteht auch keine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Ein Abweichen des Urteils von einer Entscheidung des Landessozialgerichts oder des Bundessozialgerichts ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Auf der Grundlage der vorgenannten Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 27. Februar 2008, a.a.O.) hat das SG im Einzelfall über den geltend gemachten Mehrbedarfsanspruch entschieden. Dass das SG aus der zugrunde gelegten Rechtsprechung möglicherweise rechtlich fehlerhafte Schlüsse gezogen und unter Einbeziehung von Gleichbehandlungsaspekten bzw. Zumutbarkeitskriterien im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, fällt in den Bereich der tatrichterlichen Subsumtion. Einen abstrakten Rechtssatz, d.h. eine fallübergreifende, nicht lediglich auf den Einzelfall bezogene rechtliche Aussage, die mit der Rechtsprechung des BSG nicht übereinstimmt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 9. Auflage 2008, § 160 RN 13), hat das SG in der angegriffenen Entscheidung nicht aufgestellt. Es handelt sich um einen möglichen schlichten Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall, der jedoch keine Divergenzrüge begründet.
Das Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensverstoß. Daher liegt kein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Dieser wäre nur dann gegeben, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, dieser vorliegt und die Entscheidung auf ihm beruhen kann. Unter einem Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, zu verstehen (vgl. Leitherer, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 144 RN 36 ff.). Konkrete Verfahrensverstöße sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Gegen diese Entscheidung ist die Beschwerde nicht zulässig (§ 177 SGG).
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