S 71 KA 250/02 W06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
71
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 250/02 W06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2002 in der Fassung des Bescheides vom 13. Mai 2008 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 6), die diese selbst tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Regressfestsetzung im Rahmen der Richtgrößenprüfung für das Jahr 1999.

Die Klägerin war im Jahr 1999 Ärztin für Allgemeinmedizin und in B-P zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Schreiben vom 26. Juni 2001 teilte ihr der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V bei der KV Berlin (Prüfungsausschuss) mit, dass die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit nach Richtgrößen wegen Überschreitung der Richtgrößen um 84,12 % für das Jahr 1999 von Amts wegen durchgeführt werde. Daraufhin machte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Juli 2001 Praxisbesonderheiten geltend. Mit Bescheid vom 21. August 2001 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 155.496,13 DM fest. Praxisbesonderheiten wurden in Höhe von 59.076,68 DM anerkannt.

Gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses legte die Klägerin unter dem 26. Oktober 2001 Widerspruch bei dem Beklagten ein. Zur Begründung ihres Widerspruchs führte sie aus, dass bei der Entscheidung des Prüfungsausschusses die von ihr eingereichten Unterlagen bezüglich der Praxisbesonderheiten nur unvollständig berücksichtigt worden seien. Zudem hätten ihr nicht alle Verordnungen vorgelegen bzw. sei ihr keine entsprechende Einsicht gewährt worden.

Mit Bescheid aufgrund der Sitzung vom 26. Juni 2002, ausgefertigt am 12. August 2002, reduzierte der Beklagte den festgesetzten Regress auf 77.961,27 DM (entspricht 39.860,96 Euro). Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Die von den Krankenkassen gemeldeten Verordnungskosten könnten der Richtgrößenprüfung zu Grunde gelegt werden. Die elektronische Datenübermittlung sei ausreichend, die Vorlage der Originalverordnungsblätter oder der Print-Images sei gesetzlich nicht vorgesehen. Praxisbesonderheiten hätten auch nach ausführlicher mündlicher Verhandlung nur in Höhe von 147.249,99 DM festgestellt werden können.

Gegen die Regressfestsetzung richtet sich die am 29. August 2002 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin ausführt, dass der Bescheid auf einer fehlerhaften Datenermittlung der von ihr veranlassten Verordnungskosten beruhe. Die von den Krankenkassen übermittelten Werte stellten keine geeignete Datenbasis dar. Die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der von den Krankenkassen an die Prüfgremien gemeldeten Verordnungskosten setze voraus, dass die gemeldeten Verordnungsdaten den gesetzlichen Anforderungen des § 296 SGB V genügten. Die Daten müssten derart differenziert sein, dass ihr eine detaillierte Prüfung der Verordnungsdaten im Abgleich mit den eigenen Unterlagen möglich sei. Da diese Daten weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren vorgelegen hätten, könnten sie einem Regress nicht zu Grunde gelegt werden. Sie bestreite, die im Richtgrößenverfahren zu Grunde gelegten Verordnungskosten tatsächlich in diesem Umfang verursacht zu haben. In den Verordnungskosten hätten sich Hilfs- und Impfstoffverordnungen, Verordnungen anderer Ärzte sowie Rezepte mit falschen Beträgen befunden, die ihr zugerechnet worden seien. Des weiteren rügt die Klägerin unter anderem eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 20 SGB X, die Nichtberücksichtigung von bestehenden Praxisbesonderheiten und einen diesbezüglichen Verstoß gegen die Begründungspflichten, die Unzuständigkeit der Krankenkassenverbände und der Beigeladenen zu 1) zur Richtgrößenvereinbarung 1999, die verspätete Veröffentlichung der Richtgrößen und deren rechtswidrige Rückwirkung sowie die Rechtswidrigkeit der Prüfkriterien 1999.

Nachdem das Verfahren durch Beschluss vom 9. Juli 2003 im Hinblick auf bei dem Landessozialgericht Berlin anhängige Verfahren ruhend gestellt worden war, wurde es am 20. April 2006 wieder aufgenommen.

Durch Beschluss aufgrund der Sitzung vom 13. Mai 2008, ausgefertigt am 18. Juni 2008, änderte der Beklagte die Beschlüsse des Prüfungsausschusses vom 21. August 2001 und des Beschwerdeausschusses vom 26. Juni 2002 insoweit ab, als eine Ersatzverpflichtung in Höhe von 36.595,43 DM (18.710,95 Euro) festgesetzt wurde. Auf die an die Kassenverbände gerichtete Anfrage vom 29. September 2006 habe die IKK Brandenburg/Berlin, jetzt BIG - die Beigeladene zu 4) - und der VdEK - die Beigeladene zu 6) - in den Verfahren S 71 KA und S 83 KA mitgeteilt, dass Datensätze/Arzneimittelverordnungsdaten für 1999 nicht mehr vorlägen. Der BKK-Landesverband Ost - die Beigeladene zu 3) - habe im Verfahren S 71 KA angemerkt, dass für 1999 verordnete Heilmittel keine Datensätze erstellt worden seien. Zwar liege - wie § 106 Absatz 2 c SGB V zeige - den gesetzlichen Regelungen die Vermutung der Richtigkeit der elektronischen Datenerfassung und -übermittlung zugrunde. Die lediglich nach Kassenart zusammengefassten Arzneimittelausgaben reichten hierfür aber nicht aus (Urteil des BSG vom 2. November 2005, Rn. 32). Ergäben sich - wie hier - erhebliche Abweichungen zwischen der vom BSG letztlich für unzureichend gehaltenen Aufstellung der Verordnungskosten, das heißt der gemeldeten Kosten, und den durch Verordnungsblätter belegten Kosten und könne die Richtigkeit der Höhe der gemeldeten Kosten heute nicht mehr überprüft werden, könnten lediglich die durch vorhandene Verordnungsblätter bestätigten Verordnungskosten der Richtgrößenprüfung zugrunde gelegt werden (so auch SG Berlin, rechtskräftiges Urteil vom 18.04.2007 - S 83 KA 147/02). Dies seien Verordnungskosten in Höhe von DM 693.515,53 Euro. Danach errechne sich eine Mischrichtgrößensumme in Höhe von DM 403.679,30. Ausgehend von der Höhe der belegten Verordnungskosten (DM 693.515,53) werde nach Abzug der seinerzeit anerkannten Praxisbesonderheiten (DM 147.249,99) die Richtgrößensumme um 142.586,24 DM überschritten, so dass der verbleibende Differenzbetrag zur oberen Interventionsgrenze von 18.710,95 Euro zu erstatten sei.

Im Hinblick auf den Beschluss des Beklagten vom 13. Mai 2008 führte der Bevollmächtigte der Klägerin zur Klagebegründung in seinem Schriftsatz vom 12. August 2008 weiter aus, dass der Beklagte sich selber kein Bild von der Datenqualität gemacht, geschweige denn die aufaddierten Verordnungskosten in irgendeiner Weise überprüft habe. Die das Prüfverfahren rechtswidrig machende mangelhafte Datengrundlage der Richtgrößenprüfung könne heute nicht mehr beseitigt werden. Die Klägerin habe zudem bereits im Widerspruchsverfahren substantiiert auf die Fehler hingewiesen, die seinerzeit bei der Durchsicht der bei der KV vorhandenen Verordnungsblätter ersichtlich geworden seien, ohne dass diese bei der Entscheidungsfindung des Beklagten Berücksichtigung gefunden hätten.

Nachdem die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter Einsicht in die durch die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2009 zu den Akten gereichte Kiste mit den Original-Verordnungsblättern erhalten hatte, bestreitet sie die Richtigkeit des zugrunde gelegten Verordnungsvolumens, da die in dem Karton befindlichen Originalrezepte und Images dieses nicht belegten. Wegen der Ausführungen im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 17. August 2009 Bezug genommen. Im Übrigen hätten bereits die gesetzlich vorgeschriebenen elektronischen Verordnungsdaten zu keinem Zeitpunkt des Prüfverfahrens vorgelegen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2002 in der Fassung des Bescheides vom 13. Mai 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der angegriffenen Bescheide. Er habe - auch angesichts des klägerischen Vortrags - keinen Anlass gehabt, die Richtigkeit der seinerzeit durch Sichtung der Originalbelege ermittelten Verordnungskosten zu bezweifeln. Aus dem Vorhandensein von Verordnungsblättern, in denen sich Hilfs- und Impfstoffverordnungen, Verordnungen anderer Ärzte sowie Rezepte mit falschen Beträgen befunden hätten, könne nicht geschlussfolgert werden, dass diese zu Lasten der Klägerin in die Ermittlung der Verordnungskosten einbezogen worden wären. Dies aufzuzeigen und zu beweisen sei Sache der Klägerin. Die angeblichen Fehler in der Datenbasis seien konkret herauszuarbeiten. Dies sei dem betroffenen Arzt durch eine Akteneinsicht und/oder durch Sichtung der eigenen Behandlungsunterlagen möglich. Hierzu wurde in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2009 eine Kiste mit den Verordnungsblättern aus dem Jahr 1999 vorgelegt, die zu den Gerichtsakten genommen wurde.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten sowie eine Kiste mit Originalrezepten und Images aus dem Jahr 1999, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Entscheidung des Beklagten vom 26. Juni 2002 in der Fassung des Beschlusses vom 13. Mai 2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Der Bescheid vom 13. Mai 2008 ist gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden, weil er den angefochtenen Bescheid vom 26. Juni 2002 abändert bzw. ersetzt.

Rechtsgrundlage für den in den angegriffenen Bescheiden ausgesprochenen Regress ist § 106 Absatz 2 Nr. 1, Absatz 5a Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 84 Absatz 3 und 4 SGB V in der Fassung des GKV-SolG vom 19. Dezember 1998 und den im KV-Blatt veröffentlichten Richtgrößen für 1998 und 1999 und der Richtgrößenvereinbarung 1999. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V geprüft. Bei einer Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 15 vom Hundert werden Prüfungen ohne Antragstellung durchgeführt; bei einer Überschreitung um mehr als 25 vom Hundert hat der Vertragsarzt den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen vereinbaren mit der Kassenärztlichen Vereinigung einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 2. November 2005 - Az. B 6 KA 63/04 R -, Urteil vom 16. Juli 2008 - Az. B 6 KA 57/07 R -, beide veröffentlicht bei Juris -) ist für die Festsetzung eines Arzneikostenregresses das Bestehen eines Schadens bei den Krankenkassen unabdingbare Voraussetzung. Dabei ist die Summe der vom betroffenen Arzt im geprüften Zeitraum tatsächlich zu Lasten der Krankenkassen verursachten Arzneikosten zentraler Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise und ggf. für die Festsetzung eines Schadensregresses. Die von den Prüfgremien einer Regressentscheidung zu Grunde gelegten Verordnungskosten müssen deshalb zur Überzeugung feststehen (§ 20 SGB X); entsprechendes gilt im Falle einer nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung für das Gericht (§ 128 SGG). Ergeben sich ernst zu nehmende und nicht ausräumbare Zweifel, ob die von Krankenkassen bzw. Prüfgremien dem Arzt zugeordneten Verordnungskosten von diesem tatsächlich in einem zum Regress berechtigenden Umfang veranlasst wurden, fehlt für die Festsetzung eines Arzneikostenregresses die entscheidende Grundlage (vgl. auch BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils Rn. 10).

Die Kammer hält es nicht für erwiesen, dass die Klägerin im Jahr 1999 Verordnungskosten in Höhe von 693.515,53 Euro verursacht hatte, wie sie die Beklagte in ihrem Beschluss vom 13. Mai 2008 zugrunde legte. Es ist nicht erkennbar, dass die in dem Karton befindlichen Verordnungsblätter das Verordnungsvolumen in Höhe von 623.404,98 DM (693.515,53 DM abzüglich 70.111,55 Euro für Arzneiverordnungen zu Lasten der Beigeladenen zu 3) belegen. Damit fehlt es schon an dem Anknüpfungspunkt für eine Richtgrößenprüfung, so dass die Durchführung des Regresses bereits aus diesem Grunde rechtswidrig war und die Klägerin in ihren Rechten verletzte.

Wie das BSG in seinem Urteil vom 27. April 2005 (BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils Rn. 12 ff ) im Fall einer Prüfung nach Durchschnittswerten entschieden und in seinem Urteil vom 2. November 2005 (Az. B 6 KA 63/04 R, veröffentlicht bei Juris) für den Bereich der Richtgrößenprüfung hinsichtlich des Nachweises der vom Arzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten, also des beiden Prüfarten gemeinsamen Prüfungsgegenstands, bestätigt und näher ausgeführt hat, liegt der gesetzlichen Konzeption das in § 296 Absatz 3 SGB V (in den bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassungen des Gesundheits-Reformgesetzes - GRG -, des GSG und des ABAG) für Richtgrößen- und Durchschnittswertprüfungen einheitlich ausgestaltete Modell einer elektronischen Erfassung, Übermittlung und arztbezogenen Zusammenfassung der veranlassten Verordnungskosten zu Grunde (vgl. nunmehr § 106 Absatz 2c Satz 1 in Verbindung mit § 296 Absatz 2 bzw. § 297 Absatz 3 SGB V in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes - GMG - vom 14. November 2003, BGBl. I 2190). Den auf diese Weise für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung ihrer Richtigkeit zu; sie begründen den Anscheinsbeweis für das Volumen der von ihm veranlassten Verordnungskosten.

Diese gesetzlich vorgeschriebenen elektronischen Verordnungsdaten lagen im Prüfverfahren zu keinem Zeitpunkt vor. Allein der BKK-Landesverband Ost - der Beigeladene zu 3) - übermittelte am 17. Juli 2007 einen Ausdruck elektronischer Verordnungssätze. Diese Datensätze beziehen sich zwar auf die Arzneimittelverordnungen, nicht aber auch auf die Heilmittelverordnungen, die ebenfalls Gegenstand der Richtgrößenprüfung sind. Diese elektronisch gemeldeten Verordnungskosten in Höhe von 70.111,55 DM waren Grundlage der Entscheidung des Beklagten vom 13. Mai 2008. Hinsichtlich sämtlicher weiterer Verordnungskosten waren elektronische Verordnungsdatensätze nicht Gegenstand des Prüfverfahrens. Der Beklagte vertritt hierzu die Auffassung, dass die der Klägerin für das Jahr 1999 zugeordneten Verordnungskosten durch die Originalrezepte und Images belegt seien, die sich in dem Karton befinden, der in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2009 zur Gerichtsakte genommen wurde. Diese Auffassung teilt die Kammer nicht: Aus den gesetzlichen Regelungen ergibt sich, dass Durchschnittswert- und Richtgrößenprüfungen der Wirtschaftlichkeit von Arzneiverordnungen auf der Grundlage der von den Krankenkassen ohne Versichertenbezug übermittelten elektronischen Daten und nicht auf der Grundlage der vollständigen Originalbelege durchzuführen sind. Die Heranziehung bzw. Übermittlung der mit den Namen der Patienten versehenen - und damit versichertenbezogenen - Original-Verordnungsblätter oder Images ist nach § 298 SGB V nur statthaft, "soweit" die Prüfgremien die Wirtschaftlichkeit oder Qualität der ärztlichen Behandlungs- oder Verordnungsweise "im Einzelfall" beurteilen müssen (vgl. Ausschussbericht zum Entwurf des GRG, BT-Drucks 11/3480, S 70 - zu § 306). Hiervon ist auch die Konstellation erfasst, dass eine individuelle Beurteilung notwendig wird, weil die Beweiskraft der dem Vertragsarzt auf elektronischem Wege zugeordneten Verordnungskosten durch dessen konkrete und plausible Angaben erschüttert wurde. In einem solchen Falle sind die Prüfgremien trotz der grundsätzlich vorrangigen Bestimmungen des Sozialdatenschutzes gegenüber der Verpflichtung zur Amtsermittlung (vgl. § 37 Satz 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -) nach § 20 SGB X verpflichtet und gemäß § 298 SGB V auch berechtigt, die Einzelverordnungsblätter beizuziehen, soweit dies erforderlich ist, um eine beweiskräftige Datenbasis für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Arztes zu gewinnen (vgl BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils Rn. 19; siehe nunmehr § 106 Absatz 2c Satz 2 SGB V in der Fassung des GMG). Eine generelle Heranziehung sämtlicher versichertenbezogener Verordnungsblätter ohne einzelfallbezogenen Aufklärungsbedarf gestattet § 298 SGB V hingegen nicht. Nach diesen Grundsätzen müssen - bzw. dürfen - die Prüfgremien weitergehende Ermittlungen zur Höhe der vom Arzt veranlassten Verordnungskosten nur dann anstellen, wenn der Anscheinsbeweis, den die von den Krankenkassen elektronisch erfassten Verordnungsdaten begründen, durch konkrete Tatsachen erschüttert ist (vgl. zu den Folgen des Anscheinsbeweises Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 128 Rn. 9e ).

Voraussetzung für die Festsetzung eines an die Höhe des Verordnungsvolumens anknüpfenden Regresses ist damit, dass sowohl den Prüfgremien als auch dem geprüften Arzt - sofern er Akteneinsicht nimmt (§ 25 Absatz 1 SGB X) - sämtliche von den Krankenkassen nach den Regelungen in § 296 Absatz 3 und 4 in Verbindung mit § 295 Absatz 3 Nr. 5 SGB V an die Kassenärztliche Vereinigung zu meldenden Verordnungsdaten zur Verfügung stehen. Nur diese elektronisch erfassten und gemeldeten Einzeldaten zum Verordnungsvolumen im Prüfzeitraum ermöglichen es dem Arzt, die Plausibilität der ihm zugeordneten Verordnungen detailliert zu prüfen und mit seinen eigenen Unterlagen abzugleichen. Da nicht alle Kassen erweiterte Arzneimitteldateien vorgelegt haben - lediglich die Beigeladene zu 3) hat eine arztbezogene Verordnungsliste für Arzneimittel vorgelegt - war es der Klägerin tatsächlich nicht möglich, ihr letztendlich zugerechnete Verordnungskosten im Rahmen einer Akteneinsicht vollständig zu kontrollieren, um festzustellen, ob die Verordnungen zu ihren Lasten in die Ermittlung der Verordnungskosten einbezogen worden sind. Es kann der Klägerin auch nicht zur Last gelegt werden, wenn einzelne Krankenkassen - so insbesondere die Beigeladene zu 4) gemäß ihrem Schreiben vom 13. Februar 2007 - die Verordnungsdaten des Jahres 1999 gemäß § 304 SGB V zwischenzeitlich vernichtet haben und diese daher im Gerichtsverfahren nicht mehr zur Verfügung stellen konnten. Die Löschung der Daten kann - auch wenn sie rechtlich vorgeschrieben ist - in Anbetracht des Grundrechts der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Grundgesetz (GG) nicht zu ihren Lasten gehen. Daneben hätte die Übermittlung der Daten gemäß § 296 Absatz 3 SGB V bereits im Rahmen des Verfahrens vor dem Prüfungsausschuss erfolgen müssen. Die Prüfgremien unterliegen dann nicht dem Löschungsgebot, solange das Prüfverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.

Legt der Beklagte erstmals in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2009 eine Kiste mit Original-Verordnungen und Images aus dem Jahr 1999 vor, die ein Verordnungsvolumen in Höhe von 693.515,53 DM belegen sollen, so wird - gemäß den obigen Ausführungen zur Notwendigkeit der elektronischen Datenerhebung und -vorlage - die Möglichkeit der Klägerin, den Nachweis der Unrichtigkeit der aufaddierten Summen bzw. der der Prüfung zugrunde gelegten Verordnungen zu führen, in nicht hinnehmbarer Weise erschwert bzw. wird eine gerichtliche Nachprüfung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung faktisch vereitelt. Gerade die Probleme beim Beweis des Verordnungsvolumens haben den Gesetzgeber veranlasst, eine elektronische Datenerhebung und -verarbeitung zur Pflicht zu machen. Gegen diese Pflicht haben die Krankenkassen - für die Beigeladene zu 3) ist dies angesichts des am 17. Juli 2007 vorgelegten Ausdrucks elektronischer Verordnungssätze zu relativieren - verstoßen. Dieser Pflichtverstoß kann sich nunmehr nicht zum Nachteil der Klägerin auswirken.

Überdies zeigen die klägerischen Ausführungen, dass - ganz unabhängig davon, dass allein die Vorlage der Original-Verordnungsblätter und Printimages gemäß den obigen Ausführungen nicht geeignet ist, das Verordnungsvolumen in für die Klägerin und für das Gericht nachvollziehbarer Weise zu belegen -, bereits erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Addition der zugrunde zu legenden Verordnungen bestehen. Die Klägerin hat substantiierte Einwendungen gegen die Richtigkeit der ihr zugeordneten Verordnungskosten vorgebracht, die berechtigte Zweifel an der Richtigkeit einzelner zu ihren Lasten gebuchter Verordnungen begründen, ohne dass die Prüfgremien dem weiter nachgegangen wären. Sie hatte bereits im Widerspruchsverfahren substantiiert auf die Fehler hingewiesen, die seinerzeit bei der Durchsicht der bei der Beklagten vorhandenen Verordnungsblätter ersichtlich wurden, ohne dass diese bei der Entscheidungsfindung der Beklagten Berücksichtigung gefunden hätten. Beispielsweise hatte die Klägerin schon damals vorgetragen, dass sie Verordnungen anderer Ärzte im Umfang von 809,46 DM gefunden habe.

Wenn der Beklagte nunmehr die Auffassung vertritt, er hätte auch angesichts des klägerischen Vortrages keinen Anlass gehabt, an der Richtigkeit der seinerzeit durch Sichtung der Originalbelege ermittelten Verordnungskosten zu zweifeln, so vermag dies die Kammer nicht nachzuvollziehen. Ebenso wenig vermag sie nachzuvollziehen, dass allein aus dem Vorhandensein fehlerbehafteter Verordnungsblätter nicht zu schlussfolgern sei, dass sie zu Lasten der Klägerin in die Ermittlung der Verordnungskosten einbezogen worden wären. Dies aufzuzeigen und zu beweisen ist nicht etwa Sache der Klägerin, sondern vielmehr Sache des Beklagten. Die Beklagte trifft diesbezüglich die Darlegungs- und Beweislast. Sie hat festzustellen, in welchem Umfang die Verordnungskosten nicht berücksichtigungsfähig sind. Alles andere würde die Mitwirkungspflicht der Klägerin überspannen.

Dass nicht berücksichtigungsfähige Verordnungen in dem der Klägerin zugrunde gelegten Verordnungsvolumen tatsächlich berücksichtigt worden sein dürften, ergibt sich aus mehreren Umständen, die der Bevollmächtigte der Klägerin aufgrund einer kursorischen Durchsicht des Kartons mit den Verordnungen in seinem Schriftsatz vom 17. August 2009 aufgezeigt hat. So spricht für eine tatsächliche Zuordnung der Verordnungen anderer Ärzte zu dem Verordnungsvolumen der Klägerin im Jahr 1999, dass sich einige diese Verordnungen mit einem Verordnungsvolumen von 780,12 DM und mit einer Büroklammer zusammengeheftet auch heute noch in der Verordnungskiste befanden. Weiterhin fanden sich Hilfsmittel- und Impfstoffverordnungen sowie Verordnungen aus dem Jahr 1998, die nicht Prüfungsgegenstand sind. Der Bereich des Sprechstundenbedarfs war indes nicht belegt. Befinden sich in den Prüfunterlagen nicht zum Prüfungsgegenstand gehörige Verordnungen, so kann dies nicht allein aufgrund der allgemeinen Angabe des Beklagten als unschädlich angesehen werden, dass es Kostenpositionen gebe, die in den Prüfungsunterlagen zwar enthalten, aber in das beanstandete Verordnungsvolumen nicht eingerechnet worden seien. Vielmehr ist dann, wenn der geprüfte Arzt dies substantiiert beanstandet hat, das Prüfgremium gehalten, die Nichteinbeziehung solcher Verordnungen nachvollziehbar darzustellen. Dies ist nicht erfolgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 155 Absatz 1 Satz 3, 162 Absatz 2 und 154 Absatz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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